Inkompetenz bewahrt vor Zweifel oder: wer inkompetent ist, merkt nichts (mehr)
Warum fehlt manchen Menschen die Einsicht, dass die Positionen, die sie vertreten, nicht haltbar sind? Warum behaupten Politiker vollmundig Dinge, von denen sie nachweislich keine Ahnung haben oder sogar wissen, dass sie falsch sind? Warum beforschen Wissenschaftler weiterhin Forschungsgegenstände, die als irrelevant oder falsch erwiesen sind? Warum lassen sich manche Zeitgenossen auch mit noch so guten Argumenten nicht von der Falschheit ihrer eigenen Überzeugungen überzeugen? Warum sind manche Zeitgenossen nicht in der Lage, die eigene Inkompetenz zu erkennen? Die Antworten auf diese Fragen sind nicht nur für den Prozess der Wissenschaft als solchen wichtig, sie vermitteln auch Einsicht in den Intellekt der so beschriebenen Zeitgenossen.
Karl Raimund Popper hat die meiste Zeit seines philosophischen Schaffens der Frage gewidmet, was Wissenschaft von Nicht-Wissenschaft oder in seiner Sprache: Metaphysik unterscheidet. Diese Frage ist eminent wichtig, denn Wissenschaft zielt auf Erkenntnisgewinn auf Wissensfortschritt. Entsprechend sind Aussagen, die wissenschaftlich daher kommen, aber keinerlei Beitrag zum Wissensfortschritt leisten, oder – schlimmer noch – erreichten wissenschaftlichen Fortschritt gefährden oder gewonnene Wissensbestände grundlos in Frage stellen, eine Gefahr für Erkenntnis- und Wissensfortschritt.
Die Antwort, die Popper auf die Frage nach dem Rubikon zwischen Wissenschaft und Metaphysik, zwischen Wissen und Nichwissen gegeben hat, ist einfach und genial zugleich: Um wissenschaftlich zu sein, müssen Aussagen (1) etwas über die Realität aussagen, (2) intersubjektiv prüfbar sein und (3) an der Realität scheitern können. Jungen haben im Gegensatz zu Mädchen Nachteile bei der Schulbildung, ist eine Aussage über die Realität. Sie ist für jeden, der weiß was Jungen sind und eine klare Vorstellung davon hat, was Schulbildung bedeutet, nachprüfbar, und die Aussage ist operationalisierbar und kann entsprechend an der Realität scheitern: Jungen machen seltener ein Abitur als Mädchen, bleiben aber häufiger ohne Schulabschluss oder erreichen nur einen Hauptschulabschluss. Diese Aussage ist einfach anhand von Daten der amtlichen Schulstatistik, in die die Abschlüsse aller Schulabsolventen eines Schuljahrgangs eingehen, zu prüfen. Tatsächlich ist diese Prüfung von Dr. habil. Heike Diefenbach und mir in einem Beitrag aus dem Jahre 2002 durchgeführt wurden, wobei die Nachteile von Jungen gegenüber Mädchen unwiderlegbar belegt wurden. Daran gibt es nichts zu rütteln, ebenso wenig wie es etwas daran zu rütteln gibt, dass sich die Erde um die Sonne dreht.
Popper hat nun gedacht, eine derartige Prüfung, die ja immer auch eine Falsifizierung anderer Aussagen darstellt, würde Wissenschaftler dazu veranlassen, erwiesenermaßen falsche Überzeugungen fallen zu lassen, eine Vorstellung, die angesichts seiner eigenen Erfahrungen (zum Beispiel sein Versuch, auch den Letzten davon zu überzeugen, dass ein Induktionsschluss gehaltserweiternd ist und deshalb keinen sicheren Erkenntnisgewinn darstellen kann) und seiner eigenen Argumentation, die oft auf psychologische Variablen zurückgegriffen hat, verwundern muss und nur mit seinem unbändigen Glauben in die Macht der Vernunft begründet werden kann. Dass Poppers Glaube an die Vernunft ein optimistischer Glaube ist, zeigt sich in vielen Feldern der Wissenschaft. Nach den berichteten Ergebnissen, die die Nachteile von Jungen im Bildungssystem belegen, kann eigentlich niemand mehr, der Aussagen im Einklang mit der Realität machen will, von Nachteilen im Bildungssystem reden, die Mädchen haben. Solche Nachteile gibt es schlicht nicht. Entsprechend würde Popper erwarten, dass Wissenschaftler, die gestern noch gedacht hätten, Mädchen hätten Nachteile im Bildungssystem nunmehr, nachdem sie erfahren haben, dass dem nicht so ist, so vernünftig sind, ihre falsifizierte Überzeugung fallen zu lassen und im Namen des wissenschaftlichen Fortschrittes alle Kraft in die Erforschung der Ursachen der Nachteile von Jungen legen. Und hier irrt Popper, denn er hat bei seiner Hoffnung in die Vernunft nicht berücksichtigt, dass Vernunft vom jeweiligen Maß an vorhandener Kompetenz abhängig ist.

Wer in einem Feld nicht kompetent genug ist, kann auch seine Überzeugung nicht revidieren, denn er bemerkt nicht, dass er inkompetent ist. Dies ist das Ergebnis einer Reihe von Experimenten, die Dunning et al. in einem mittlerweile klassischen Beitrag aus dem Jahre 2003 publiziert haben: Um Beschränkungen der eigenen Kompetenz zu überwinden, müssten diejenigen, die den entsprechenden Beschränkungen unterliegen, die entsprechenden Beschränkungen kennen. Würden sie die entsprechenden Beschränkungen aber kennen, wären sie nicht zu inkompetent, die entsprechenden Beschränkungen zu überwinden: “The skills needed to produce logically sound arguments, for instance, are the same skills that are necessary to recognize when a logically sound argument has been made” (Dunning et al., 2003, S.85). In Deutsch: Da Personen, denen die benannten Fähigkeiten fehlen (also Poppers Kriterien wissenschaftlichen Arbeitens), nicht in der Lage sind, ein korrektes logisches Argument zu produzieren, sind sie auch nicht in der Lage ein korrektes logisches Argument zu erkennen, das ihre eigene Position als falsch ausweist.
Es durchzieht ein intellektueller Graben die Wissenschaft. Er trennt diejenigen, die bereit und in der Lage sind, empirirsche Fakten, die ihre eigenen wissenschaftlichen Überzeugungen falsifizieren, anzuerkennen, von denjenigen, die weder bereit noch fähig sind, dies zu tun. Entsprechend sind Letztere keine Wissenschaftler (belassen wir es dabei, denn ich will nicht spekulieren, als was man diese Mitglieder in den Institutionen der Wissenschaft bezeichnen kann, vielleicht hat ja einer der Leser eine Idee, wie man derartige Fortrschrittshemmnisse bezeichnet). Dieses Ergebnis trägt einiges zum Verständnis derjenigen bei, die nach wie vor behaupten, schulische Nachteile hätten Mädchen, nicht Jungen oder die manisch damit beschäftigt sind, schulische Nachteile von Jungen zu relativieren: Sie können es nicht besser und verdienen unser aller Mitleid, denn es fehlt ihnen jegliche Einsichtsfähigkeit and this is why they “fail to recognize their own incompetence” (Dunning et al., 2003).
Dunning, David, Johnson, Kerri, Ehrlinger, Joyce & Kruger, Justin (2003). Why People Fail to Recognize Their Own Incompetence. Current Directions in Psychological Science 12(3): 83-87.
Bildnachweis: Alfred North Whitehead
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Hallo,
sehr guter Artikel. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ihnen – den Genderisten usw. – wirklich die Einsichtsfähigkeit oder doch eher der Wille fehlt. Mir scheint, heute wird Wissenschaft viel zu oft “postmodern” als Vehikel zur Transportation eigener Meinungen, Weltanschauungen gesehen, wobei diese dann natürlich, ganz altertümlich “dem wissenschaftlichen Ethos” verpflichtet, transportiert werden.
Popper konnte das noch nicht sehen, er meinte, die Wissenschafter würden sich an die Spielregeln – Wahrheit steht über Weltanschauung – halten – dem ist nicht so.
Ich sehe diese Bruchstellen bereits in der beginnenden Postmoderne, früher noch bei Nietzsche auftreten; der Rest ist Geschichte.
Klimawissenschaften, Geisteswissenschaften sind durchzogen vom Glaube, Wissenschaft als Gemischtwarenhandlung der eigenen Weltanschauungen missbrauchen zu können und der unwissende Konsument kauft dann das “Joghurt” mit der Aufschrift “Friedrich-Ebert-Stiftung” und meint, ein Markenprodukt erworben zu haben. Leider!
Hallo Terminatus,
Danke!
Vielleicht tue ich Popper hier insofern etwas Unrecht als er ja in seiner Offenen Gesellschaft genau den Schwulst beschreibt, der in weiten Teilen der deutschen “Wissenschaft” dazu geführt hat, dass Erkenntnissuche durch Ideologie ersetzt wurde. Dass Ideologie an die Stelle von Erkenntnissuche tritt, hat vermutlich die Ursache, dass nicht nur die eigene Persönlichkeit der entsprechenden “Wissenschaftler”, sondern deren gesamte Existenz davon abhängt, dass die Ideologie auch umgesetzt wird. Ich frage mich schon seit längerem, ob man so blöd sein kann Nachteile von Jungen nicht als solche zu sehen oder so bösartig, sie nicht als solche sehen zu wollen, und zwischenzeitlich bin ich zu der Erkenntnis (!sic) gelangt, dass es auf das selbe hinausläuft, denn in beiden Fällen kann man kaum von einem überlegenen Intellekt ausgehen: Einmal reicht das Intellektchen nicht zur Einsicht, einmal wird es vom Affekt “dwarfed” (es gibt einfach Worte im Englischen, die einen Sachverhalt perfekt ausdrücken und für die ich kein Gegenstück in Deutsch finde, vor allem für die Konnotation nicht).
Bei diesem ausgezeichneten Artikel ist mir folgendes Zitat aus dem von Ernst Zermelo stammenden Vorwort zu Georg Cantors Werkausgabe eingefallen, welches sehr gut passt (ihr kennt doch die Geschichte der Mengenlehre?):
“Möge das Werk in der Form, wie sie hier vorliegt, recht viele Leser finden und in weiten Kreisen der Kenntnis und dem Verständnis des Cantorschen Lebenswerkes dienen im Sinne seines Urhebers und im Geiste echter Wissenschaft, unabhängig von Zeit- und Modeströmungen und unbeirrt durch die Angriffe derer, die in ängstlicher Schwäche eine Wissenschaft, die sie nicht mehr meistern können, zur Umkehr nötigen möchten. Diesen aber, sagt Cantor, ‘kann es leicht begegnen, daß genau an jener Stelle, wo sie der Wissenschaft die tödliche Wunde zu geben suchen, ein neuer Zweig derselben, schöner, wenn möglich, und zukunftsreicher als alle früheren, rasch vor ihren Augen aufblüht – wie die Wahrscheinlichkeitsrechnung vor den Augen des Chevalieur de Meré.” (Besagter Chevalieur wollte nicht einsehen, dass die Wahrscheinlichkeit, beim Wurf zweier ununterscheidbarer Würfel ein bestimmtes Pasch zu bekommen, nur halb so groß ist, wie die Wahrscheinlichkeit, eine bestimmte andere Nicht-Pasch-Kombination zu bekommen.)
In meinem vorhergehenden Kommentar, habe ich schon beschrieben, dass es menschliche Unterschiede gibt, die sich definitiv zeigen.
Da gibt es Kinder die sind neugierig, die wollen alles wissen, interessieren sich für die Technik in ihrem Umfeld die sie eifrig untersuchen, experimentieren und studieren diese, werden zur Folgegeneration derer die ihren Mitmenschen das Leben mittels moderner Techniken erleichtern.
Aber es gibt auch solche, die haben Angst vor technischem Gerät oder entdecken, das sie nicht nur „linke Hände“ im Umgang mit der Technik haben, sondern daran kläglich scheitern.
Diese frühe Erfahrung führt zur Hinwendung zu Sachgebieten, wo das reale Scheitern an der Wirklichkeit nicht weiter auffällt. Darum machen solche einen „Bogen um technische Berufe“ und verdrücken sich an Schreibtische und Pulte, in Kanzleien und Büros oder Redaktionen. Blicken abschätzig auf „die Techniker“ die gerade das beherrschen was ihnen als Nichttechnikern, nicht gelingt und sie verunsichert. Sie ziehen es also vor in theoretischen Berufen ihr Einkommen zu finden, denn die Objektivität der Realität in praktischen Berufen, in denen der Erfolg im tatsächlichen Funktionieren und Gelingen besteht, so wie man es plante, ausführte und erreichte, das bleibt dann doch diesen Skeptikern suspekt. Da alle Technik die zum Produkt gewordene Intelligenz darstellt, ob als einfaches Werkzeug oder das durch Sateliten betriebene GPS, es dequalifiziert diejenigen die diesen Herausforderungen die in technischen Berufen „lauern“ und das fühlen die Meisten. Darum haben sie überwiegend doch nur ein emotionales Gefühl zu technischen Sachverhalten entwickeln können, sie vertrauen den Technikern nicht, sie haben schlicht Angst vor dem was sie nicht durchschauen.
Das dabei auch ein weiterer rationaler Bereich, nämlich die Ökonomie, also auch ein ähnlich kompilziertes Feld von abhängigen Funktionen, Ursachen und Folgen mit objektiven Zahlenwerten und Auswirkungen wie in der Technik, nicht durchschaut wird, liegt auf der Hand.
Die Parteigänger des Zeitgeistes sind eigentlich arme Hansel und Lieschen, relativ überfordert und emotional engagiert sich mit visionären Ideologien in den Vordergrund zu manövrieren, sich wie Kinder zu empören und „rum zuzicken“, obwohl sie sich selbst als wichtige Protestler beweihräuchert wissen wollen.
Deutschland hat ein strukturelles Intelligenz-Problem, d.h. eine Schar von Leuten, mit einem IQ wie 75 Meter Feldweg, bestimmen die öffentlichen Debatten, betätigen sich als Politiker und schaffen destruktive Perspektiven ohne das erkennen zu können.
Angefangen hat so ein persönlicher Kampf mit den „Klassenfeinden“ schon in deren Schulzeit, in der Wahl weicher Studienfächer, die zumeist auch nicht gemeistert wurden und Wut auf die erfolgreichen Mitmenschen erzeugte. Denn die selbstkritische Einsicht ein Idiot zu sein, setzt voraus sich nicht mit anderen Idioten zu solidarisieren und sich an den üblichen Alibis abzuarbeiten, wie, „der Kapitalismus ist Schuld, die Amerikaner, die Gentechnik, die Atomtechnik usw.“ Also alles reine Glaubensgrundsätze bzw. Dogmen Ersatz-religiösen Formates mit denen man die Unterbelichteten hinter sich scharen kann, in dem man ihnen Alibis liefert ihre eigene Dummheit zu verschleiern und Feindbilder auf die sie dann stürmen und sie demolieren.
Dieser klassische Trick, ausgehend von Marx und seinen Nachfolgern verfängt bei Dummen bestens und wenn man ein Wahlrecht mit einem extremen Privileg für Dummheit und Minderheitenexzesse wie in Deutschland pflegt, dann spielen sich diese Dummen die politischen Bälle zu, dann hieven sich sich in eigens aus Ideologie für Dumme geschaffene „Leerstühle“, statten Trottel mit akademischen Würden aus, die sich dann „aufgockeln“, vorzugsweise in Fachbereichen der angewandten „Laberistik und Lällogolie“. Die sich im aktuellen Zeitgeist mit Elan der „Bildungspolitik“ zuwenden, um organisiert zu indoktrinieren.
Hallo,
ein sehr interessanter Artikel und auch sehr interessante Kommentare. Ich denke dass es sich hierbei (also der beschriebenen Inkompetenz/Dummheit/Ignoranz nennen Sie’s wie Sie’s wollen) allerdings um etwas sehr viel banaleres und menschlicheres handelt als hier dargestellt.
Der Mensch will (und das will er am allermeisten, mehr als er atmen, leben, gesund sein oder sonst irgendetwas will) Recht haben, beziehungsweise dem Glauben, Ideologie, Partei, Fussballclub zugehören die er in seinem Lebensmodell als “der, die, das Beste/Richtige” annimmt.
Das will der Mensch, je nach dem wie überzeugt er von der Richtigkeit seines Tuns oder Handelns ist mehr als alles andere (siehe Märtyrertod) und sei es bar jeder Logik.
Ich glaube das hat mit dem IQ (sei er der eines Feldwegs oder der einer achtspurigen Autobahn) nicht sehr viel zu tun – sondern ist nur allzu menschlich.
PS.: Eumel, Eumel wäre ein schöner Name für diese Leute, dumm aber irgendwie auch niedlich.