Wachstum: Professor Lessenichs Erzählungen

In der Wissenschaft hat es schon immer seltsame Vögel gegeben. Ich erinnere mich an einen Professor der Politikwissenschaft in Leipzig, der ganz begeistert von seinem Wagemut war, der ihn sich unter die Fans von Sachsen Leipzig mischen und ein Fussballspiel beobachten ließ. Und als wäre dies nicht genug der unableSelbstentblößung (oder Entblödung), so musste er gleich noch erzählen, dass er sich nicht traut, Glühbirnen in die dafür vorgesehen Fassung einzuschrauben und dafür immer seinen Hausmeister kommen lässt. Man kommt nicht umhin, dem Herrn eine gewisse Lebensfremdheit oder Lebensuntauglichkeit zu attestieren. Aber gut, auf seinem Lehrstuhl für Politikwissenschaft macht er nicht allzu viel kaputt. 

Personen wie dieser Professor, die ihren Selbstwert dadurch herzustellen versuchen, dass sie ihre Offenheit gegenüber Menschen, denen sie sich überlegen sehen, demonstrieren wollen, sind in ihrer akademischen Peinlichkeit nicht alleine. Sie werden durch die “Dozierer” ergänzt, jene Akademiker, die am Abend der Tagung den gemeinsamen Gang in die Kneipe nutzen, um über Wein zu dozieren und mit ihren Kenntnissen zu brillieren. Dass sich dabei meine gelegentlich eingeworfene Bemerkung, dass ich aus einer Weinbaufamilie komme und die Hälfte meiner Jugend in Weinbergen oder im Keller verbracht habe, immer als Thementöter erwiesen hat, ist mir bis heute eine schöne Erinnerung.

Man könnte stundenlang Erinnerungen ausgraben, Erinnerungen an missliche Situationen, in denen sich Heike Diefenbach in eine Diskussion verstrickt sah, in der ihre akademischen Bekannten über die Schwierigkeit fabulierten, die das Erlenen bestimmter Sprachen doch mache, Sprachen wie z.B. Arabisch. Unnötig zu erzählen, dass keiner derjenigen, die sich als intime Kenner einer Sprache, die sie nicht beherrschen, zu erkennen gaben, auf der Rechnung hatte, dass Dr. Diefenbach fließend Arabisch spricht.

Derartige Situationen, in denen Wissenschaftler über Dinge dozieren, von denen sie keine Ahnung haben, sind häufig, zuweilen lustig und in der Regel der Tatsache geschuldet, dass der Wissenschaftler-Habitus es verlangt, dass man als Wissenschaftler den Anschein erweckt, man könne bei allem mitreden. Das ist solange kein Problem, so lange das Mitreden im Privaten, solange es unter uns bleibt. Aber sobald Wissenschaftler sich in ihrer Funktion als Wissenschaftler öffentlich äußern, sobald sie z.B. als Prof. Dr. Stephan Lessenich einem von Ihnen für den DGB verfassten Artikel vorangestellt werden, sollte das, was danach folgt, doch zumindest in Teilen von Kenntnissen geprägt sein, die über die Erzählungen darüber, wie sich das Leben auf Beteigeuze anfühlt, hinausgehen.

120Der Soziologe Prof. Dr. Stephan Lessenich schreibt also über Wachstum und fragt sich und seine Leser, was nach dem “Wachstumswohlfahrtsstaat” kommt. Da ich bislang noch nicht einmal wusste, dass es einen “Wachstumswohlfahrtsstaat” gibt oder gegeben hat, hat mich diese Frage, das gebe ich zu, überrascht. Aber der “Wachstumswohlfahrtsstaat” ist nicht die einzige Wortschöpfung von Lessenich. Er entpuppt sich fasst als Wachstumsphanatiker, benutzt den Begriff “Wachstum”, als wäre er ein Gärtner, der überall in seinem Garten Wachstum sieht und nicht ein Soziologe an der Universität Jena. “Wachstumssysteme” konkurrieren bei Lessenich, nämlich der “Wachstumskapitalismus” und der “Wachstumssozialismus”. Stabilen “Wachstumskonstellationen” folgt ein normativ stabilisiertes “Wachstumsmodell”, das wiederum ein Arrangement eines “Wachstumssozialstaats” ist, von dem ich leider nicht genau sagen kann, wie er sich zum “Wachstumsstaat”, von dem wenige Zeilen weiter die Rede ist, verhält. Der ganze Beitrag mündet in ein Crescendo aus “Wachstumskrise”, “Wachstumskapitalismus”, “Wachstumsraten” und “Wachstumsverzicht”, gepaart mit der Warnung vor “neoliberaler Verzichtsideologie”.

Bei so viel Wachstums-Brimborium fragt man sich, was will mir Prof. Lessenich erzählen? Diese Frage, ist einfach zu beantworten. Prof. Lessenich erzählt uns, dass das “ökonomische Wachstumsmodell” am Ende ist, dass das “ökonomische Wachstumsmodell” sowieso nur ein Kompromis war, den “Kapital” und “Arbeit” miteinander ausgehandelt haben. Nun aber, wie gesagt, ist das “ökonomische Wachstumsmodell”, dass sowieso immer auf Kosten des “globale Südens” gegangen ist, am Ende, was bedeutet, dass die “soziale Frage” neu gestellt werden muss, denn “öffentliche Wohlfahrtsproduktion ist ‘teuer'”, und das ökonomische Wachstumsmodell, nicht nur ich wiederhole mich, ist am Ende. Warum ist es am Ende? Weil es kollektive Irrationalitäten produziert. Und wie macht es das? Durch rationale Entscheidungen, oder wie Prof. Lessenich weiß: “Es ist die kollektive Irrationalität individuell rationaler Entscheidungen im Handlungskontext kapitalistischer Machtstrukturen”, die, wie wir zuvor schon erfahren haben, “menschenverachtend” weil auf einer “befeuerten wachstumsgesellschaftlichen Konstellation” basierend ist. Ja, und weil das ökonomische Wachstumsmodell am Ende ist, müssen wir aber nicht den Gürtel enger schnallen, wie die “neoliberale Verzichtsideologie … uns penetrant zu suggerieren versucht”. Nein. Was wir brauchen sind keine engeren Gürtel, sondern neue soziale Kämpfe und Recht für alle, auch die im “Globalen Süden”, und deshalb werden diese neuen sozialen Kämpfe kommen, “unweigerlich”, wie uns Prof. Lessenich erzählt und: “Wie sie sich aber vollziehen und wohin sie führen werden: das liegt durchaus auch an uns.”

Elend des HistorizismusIch könnte es mir jetzt einfach machen und sagen, dass die rationalen Gedanken, die Prof. Lessenich im Handlungskontext des Verfassens ideologischer Beiträge zur gewerkschaftlichen Publikation bestimmt hatte, sich zu einem irrationalen Kollektiv oder Text versammelt haben, aber damit würde ich der Wirrniss der Wachstumserzählung nicht annähernd gerecht. Ich würde vor allem die Gelegenheit verstreichen lassen, einen waschechten Historizisten, der offensichtlich die Widerlegung des Historizismus durch Popper nicht kennt, zu seiner historischen Anerkennung kommen zu lassen. Historizisten sind Personen, die geheime, historische Kräfte, nennen wir sie Kapital und Arbeit, am Werk sehen. Kapital und Arbeit setzen sich in der Phantasie von Historisten zusammen und stellen sich die soziale Frage. Kennen Sie nicht die soziale Frage? Na die soziale Frage, eben, Mensch, wie kann man nur so begriffsstutzig sein. Unglaublich. Ja, nachdem Kapital und Arbeit die soziale Frage gestellt haben, vereinbaren sie den Wachstumskapitalismus, wohl als Antwort auf die soziale Frage. Und jetzt, jetzt ist der Wachstumskapitalismus am Ende, tot, Schluß, fertig, weil nichts mehr wächst. Aber scheinbar haben Kapital und Arbeit keine Lust mehr, sich zu treffen, und deshalb stellt sich die soziale Frage, ganz ohne Kapital und Arbeit und weil Kapital und Arbeit die soziale Frage nicht mehr gestellt hören, deshalb gibt es soziale Kämpfe. So ist das.

learning curveFehlt Ihnen etwas, in Prof. Lessenichs Erzählung? Menschen zum Beispiel, Agierende, Handelnde, Entscheidende, Individuen eben? Mir fehlen sie auch. Also führen wir sie ein und schauen wir, was passiert. Betrachten wir z.B. Peter K. Peter K. ist Dachdecker und deckt fast täglich Dächer. Und während er so Dächer deckt, bemerkt er an sich, dass er für ein Dach, das ihn früher 2 Tage gekostet hat, nur noch eineinhalb Tage braucht. Er hat gelernt, eine Technik entwickelt, die ihn produktiver sein lässt, Er kann mehr Dach in weniger Zeit decken. Diesen Produktivitätsgewinn, man könnte ihn auch Wachstum nennen, kann Peter K. nutzen, um mehr Dächer zu decken, oder er kann in der Zeit, die er früher mit dem Decken von Dächern fertig ist, in die Schule gehen und seinen Meister machen. Peter K. macht seinen Meister und stellt einen Lehrling ein, der eine ähnliche Lernkurve hinlegt wie Peter K., und wieder wächst die Produktivität, und wieder gibt es Wachstum. Man könnte fast sagen, Wachstum gehört zum menschlichen Leben, denn jeder, der etwas dauerhaft tut, der wird über kurz oder lang besser darin, lernt seine Ressourcen effizienter einzusetzen.

Wenn nun aber Wachstum eine normale Konsequenz ist, die sich aus menschlicher Tätigkeit ergibt, wieso sagt dann Prof. Lessenich, Wachstum sei in einer Krise? Nun, zum einen deshalb, weil er vermutlich zu den Wissenschaftlern gehört, von denen oben erzählt wurde, Wissenschaftler, die theoretisch sehr gut wären, wenn sie praktisch wüssten, wovon sie eigentlich reden. Zum anderen weil er ein guter (affektiv, nicht kognitiv) Professor sein will und emotional am “Sozialstaat” hängt. Der Sozialstaat, das ist der, der von Peter K. Abgaben verlangt. Die Abgaben führen dazu, dass Peter K. länger Dach decken muss, um auf denselben Nutzen zu kommen. Weil er länger Dach decken muss, hat er keine Zeit auf die Arbendschule zu gehen und kann auch keinen Lehrling einstellen. Das nennt man in der Ökonomie einen Produktivitätsverlust, und die Ursache für diesen Produktivitätsverlust sind die Sozial-Abgaben, die Peter K. zu zahlen hat, damit die Universität Jena Prof. Lessenich ein Gehalt zahlen kann.

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