Tagesschau und Techniker Krankenkasse führen Leser an der Nase herum: ScienceFiles Mitarbeiter sind gestresst
Monday morning. Als wäre das nicht an sich schon schlimm genug, nein, man wird am Frühstückstisch schon mit Meldungen aus der monotonen Welt der Unsinns-Studien überfallen. Gut, nun kann man mit Recht sagen, warum hört ihr auch Classic FM zum Frühstück, aber angesichts des strahlenden Sonnenscheins in Wales hat man halt positive Gedanken, selbst Classic FM gegenüber. Und so hat es uns getroffen:
A study by [irgend so ein busy-body] has shown that women are more stressed than men. Main reasons for stress in women are houshold chores, kids and family”
Belauschen wir die ScienceFiles Mitarbeiter, die während der Meldung den Kopf in die Hand sinken lassen, bei Ihrem nachfolgenden Austausch: “Warum bekommen die Kinder, wenn sie nicht damit umgehen können?” “Schon seltsam: Je mehr Hausgeräte die Arbeit im Haushalt erledigen, desto gestresster sind Frauen…”.
Nachdem die ad-hoc Verarbeitung zur Wiederherstellung geistiger Reinheit beendet ist, kommt eine Erinnerung. Die aktuelle Meldung, die von Classic FM, basiert auf einer “Studie” im Vereingten Königreich. Aber war da nicht eine andere Studie, über die gerade in Deutschland berichtet wurde? Quasi der deutsche Beitrag zum Euro-Stress-Contest?
In der Tat: Tagesschau Online, 30. Oktober 2013:
“Mit 63 Prozent fühlen sich weit mehr Frauen oft gestresst als Männer (52 Prozent). ‘Besonders gestresst ist die sogenannte Sandwich-Generation’, sagte Baas. 80 Prozent dieser Menschen zwischen 36 und 45 Jahren fühlten sich unter Druck. Häufig weil sie sich gleichzeitig um Beruf, Kinder und eigene Eltern kümmern müssen.
Baas, das ist Jens Baas, der Vorsitzende des Vorstands der Techniker Krankenkasse, die sich berufen gefühlt hat, Mitgliederbeiträge für das Erstellen einer nutzlosen Stressstudie aus dem Fenster zu werfen, nutzlos, weil:
Gefragt wurde in der Studie der Techniker Krankenkasse offensichtlich (offensichtlich, weil das, was die Studie zu einer zumindest ansatzweise seriösen Studie machen würde, nämlich der Abdruck des Fragebogens, fehlt): Wie oft fühlen Sie sich gestresst: Häufig, manchmal, selten oder nie? Ja, wie oft fühle ich mich gestressed, und was ist eigentlich Stress, wo fängt er an, wo hört er auf, ist er immer negativ oder auch positiv?
Egal, das interessiert uns alles nicht, wir fragen die Leutchen, und die werden schon wissen, was Stress ist und wie gestresst sie sind. Und in der Tat 20% der Befragten geben an, häufig gestresst zu sein, 37% sagen manchmal, 29% selten, 13% nie und 1% weiß es nicht. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen manchmal gestresst und selten gestresst? Aber lassen wir das. Immerhin sind 20% gestresst. Doch halt, die ARD meldet:
Fast sechs von zehn Menschen in Deutschland empfinden ihr Leben als stressig.
unter Berufung auf die die Studie. Und siehe da, aus 20% “häufig” und 37% “manchmal” Gestressten sind schwuppdiwupp 57% Gestresste geworden. So einfach ist das. Und wenn man die Befragten, die manchmal gestresst sind, mit denen, die häufig gestresst sind, zusammengeworfen hat, dann kann man richtig schön kreuztabulieren.
Warum die selten Gestressten nicht auch den Gestressten zugeschlagen wurden, ist nicht nachvollziehbar, aber warum soll es auch nachvollziehbar sein? Es geht darum, eine Stressmeldung zu fabrizieren und das treudoofe Volk der Medienschaffenden zu manipulieren, jene Medienschaffende, die alles, was man ihnen im Brustton des Gutmenschen unterbreitet, einfach weitertragen, in der Hoffnung, dass die Leser genau so unkritisch und genauso dumm sind, wie sie selbst.
Am schönsten ist das Kreuzabulieren mit Geschlecht und Alter. Naja, Alter ist nicht so schön wie Geschlecht, es gibt keine Förderung vom BMBF für Alter, keine Quote für Alter, aber es gibt schöne Balkendiagramme, wenn man mit Alter kreuztabuliert, also nicht mit Alter, sondern mit Alterskategorien:
Und schon haben wir, was oben zitiert wurde und wir haben eine Lüge von Jens Baas oder Tagesschau Online enttarnt, denn im Text steht: “Mit 63 Prozent fühlen sich weit mehr Frauen oft gestresst als Männer.” Wie gerade gezeigt wurde, fühlen sich nicht 63% der Frauen “oft” gestresst, sondern ein Teil der 63% Frauen fühlt sich häufig gestresst und ein größerer Teil fühlt sich “manchmal” gestresst. Aber wie gesagt, es geht darum, de Mitleidstour zu fahren und Leser an der Nase herumzuführen, und da kann man es mit der Frage, was eigentlich gemessen wurde, nicht so genau nehmen.
Und weil wir gerade beim freien Fabulieren sind, noch ein echter Baas:
“80 Prozent dieser Menschen zwischen 36 und 45 Jahren fühlten sich unter Druck”.
Tatsächlich zeigt die Abbildung oben, auf die sich Baas bezieht, dass 80% der Befragten sich nicht unter Druck fühlen, sondern dass manche von Ihnen angeben, “häufig” und ein paar mehr angeben “manchmal” gestresst zu sein (und mal ehrlich, wer ist das nicht? – Übrigens wurden1000 deutschsprachige Personen für die Studie von Forsa am Telefon vernommen. Hat eigentlich schon einmal jemand den EInfluss der Befragungsart auf die Angaben zum Stress untersucht? Es kann schon stressen, wenn man mit einem Befrager konfrontiert ist, der am anderen Ende seine Fragen herunternuschelt und eine Frage an die nächste reiht…).
Die Manipulationsreihe, die man auch als Lügengeschichte bezeichnen kann, beginnt als mit 20% “häufig” und “37% “manchmal” Gestressten, also Personen, die ihr Stressgefühl entsprechend einschätzen. Aus diesen 20% und 37% unterschiedlichen Angaben, werden eben einmal rund 60% Gestresste, und aus diesen rund 60% Gestressten werden in der Sandwichgeneration 80%, die sich unter Druck fühlen. Angesichts dieser groben Form der Täuschung, sollte man den Verantwortlichen der Techniker Krankenkasse die zweckentfremdeten Mitgliederbeiträge vom Gehalt abziehen und ansonsten ein Verbot aussprechen: Wer als Angehöriger einer Krankenkasse Mitgliederbeiträge veruntreut, indem er sie in Studien investiert, wird mit Feldforschung bei Forsa nicht unter 10 Jahren bestraft.
Und die Tagesschau, was machen wir mit dieser öffentlich-rechtlichen Anstalt der offensichtlich Unkritischen, um nicht zu sagen Doofen? Keine Ahnung, am Versuch, kritischen Geist in eine biologische Entität einzuhauchen, ist bereits Frankenstein gescheitert, und wir bei ScienceFiles wissen hier auch keine Lösung, und außerdem sind wir ob des montäglichen Unsinns viel zu negativ gestresst (es gibt übrigens auch positiven Stress, aber wir wollen Baas und Nachredner nicht überfordern), um uns auch noch diese Aufgabe aufzuhalsen.
Vielleicht wäre bei der Tagesschau etwas gewonnen, wenn man den dort beschäftigten, offensichtlich überforderten Redakteuren, eine unbezahlte und völlig stressfreie Auszeit von, sagen wir 5 Jahren in einer Anstalt ihrer Wahl nahelegte. Ob es hilft, keine Ahnung, aber es entlastet die Leser von Tagesschau.de, und wenn diese Maßnahme noch mit dem Verbot einhergeht, Frauenbemutterbeiträge oder Hartes-Frauen-Los-Beklage-Beiträge zu verbreiten, dann zeigt sich vielleicht der Silberstreif am Horizont.
P.S.
Die Sandwichgeneration, derer sich Baas so kenntnislos bedient, wird gemeinhin damit definiert, dass mindestens ein Elternteil über 65 Jahre vorhanden ist, für das gesorgt werden muss und gleichzeitig Kinder unter bzw. über 18 Jahren im Haushalt leben, für die finanziell aufzukommen ist. Geprägt wurde der Begriff von Dorothy Miller im Jahr 1981, und zwar in einer rigideren Version: “[A]nyone around the age of 52 who has ageing parents who require help and who at the same time has at least one adult child who has returned to live at home. This definition has been broadened in recent years to include younger children who have not yet left home” (Kingsmill & Schlesinger, 1998, ix).
Wer zur Sandwich Generation gehört, kann entsprechend nicht einfach, wie Baas dies tut, mit Blick auf das Alter festgelegt werden, vielmehr muss empirisch geprüft werden, ob die beiden genannten Kriterien, mindestens ein zu pflegendes Elternteil und ein oder mehrere abhängige Kinder, überhaupt zutreffen. Es ist vor diesem Hintergrund mehr als ärgerlich, dass Personen wie Herr Baas, sich eines Begriffes bedienen, dessen Sinn sie nicht ansatzweise kennen.
Eine aktuelle Untersuchung aus den USA zeigt (Taylor et al, 2013), dass gerade einmal 15% der Erwachsenen zwischen 40 und 59 Jahren zur Sandwich Generation, wie sie oben definiert wurde, gehören . Von diesen 15% geben widerum nur 31% an, dass sie durch beide Aufgaben, die Pflege eines Elternteils und die Unterstützung ihrer Kinder, gestresst sind, mehr noch:
Presumably life in the sandwich generation could be a bit stressful. Having an ageing parent, while still raising or supporting one’s own children presents certain challenges not faced by other adults – caregiving and financial and emotional support to name just a few. However, the survey suggests that adults in the sandwich generation are just as happy with their lives overall as are other adults” (Taylor et al., 2013, S.3).
Es sei Herrn Baas vor diesem Hintergrund empfohlen entweder nur noch Begriffe zu benutzen, deren Sinn ihm auch bekannt ist oder die Phantasien, die er offensichtlich ausleben will, nicht mit Beiträgen der Mitglieder der Techniker Krankenkasse zu finanzieren.
Kingsmill, Suzanne & Schlesinger, Benjamin (1998). The Family Squeeze. Surviving the Sandwich Generation. Toronto: University of Toronto Press.
Miller, Dorothy A. (1981). The “Sandwich” Generation: Adult Children of the Ageing. Social Work 26(5): 419-423.
Taylor, Paul, Parker, Kim, Patten, Elleen & Motel, Seth (2013). The Sandwich Generation. Rising Financial Burdens for Middle-Aged Americans. Washington: PEW-Research Center.
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So, liebe walisische Kritiküsse sinnfreier Studien, hier die alles entscheidenden Fragen:
“Haben Sie Kinder?” und : “Haben Sie zu pflegende Eltern?”
Falls Sie beide Fragen mit ja beantworten können, dürfte Sie die Wissenschaftlichkeit der zitierten Behauptungen nicht die Bohne interessieren. Zu Recht.
Wie sagt man so schön: Traue keiner Studie, die du nicht selbst gefälscht hast.
Die Studie der Krankenkasse gibt nicht wirklich neue Erkenntnisse. Stress ist sehr subjektiv. Anstatt Geld dafür auszugeben, sollten lieber die Leistungen der Krankenversicherung erweitert werden. Das wäre für mich eher ein Grund die Krankenkasse wechseln.