Pawlows Hund wäre heute Gewerkschaftsfunktionär_in

“Das klassische Experiment ist zwischenzeitlich jedem Schuljungen geläufig geworden. Gibt man einem Hund Fleischpulver ins Maul, so sondert er Speichel ab. Das Futter ist der unkonditionierte Reiz, der Speichelflus der unkonditionierte Reflex. Sodann bietet man das Futter kombiniert mit irgendeinem beliebigen Reflex dar, etwa mit dem Aufleuchten einer Lampe. Nachdem das oft genug in richtigem zeitlichen Zueinander geschehen ist, wird das Licht den Speichelfluss schließlich auch ohne Anwesenheit von Futter auslösen: Jetzt ist das Licht der konditionierte Reiz und die darauf folgende Reaktion der konditionierte Reflex. (Hilgard & Bower, 1973,S.66; Hervorhebung im Original)

Wir wissen nicht, mit welchen unkonditionierten Reizen der Speichelfluss bei manchen Gewerkschaftsfunktionären ausgelöst wurde, aber der konditionierte Reflex, den manche Gewerkschaftsfunktionäre immer dann zeigen, wenn es etwas gibt, was mit a) Unternehmen zu tun hat und etwas, das b) die Möglichkeit bietet, Unternehmen negativ angelastet zu werden, lässt vermuten, dass der unkonditionierte Reiz mächtig ist. Möglicherweise muss man ihn in der Psyche suchen, aber damit wollen wir uns heute nicht aufhalten.

Modern PavlovWir wollen den “konditionierten Reflex” etwas näher beleuchten. Der konditionierte Reflex, den Gewerkschaftsfunktionäre immer verbal ausleben und mit “Wir” beginnen, lautet dieses Mal: “Wir brauchen die Ausbildungsgarantie”. Und obwohl “wir” es begrüßen, dass es mittlerweile selbst Gewerkschaftsfunktionäre einsehen, dass keine Ausbildung zu haben ein Problem darstellt, haben wir Zweifel, dass eine Ausbildung in dem betagten Alter, das manche Gewerkschaftsfunktionäre nunmehr aufweisen, noch einen großen Gewinn bringt.

Nehmen “wir” z.B. Elke Hannack, die stellvertretende DGB-Vorsitzende. Von ihr stammt die Erkenntnis, dass “wir”, also augenscheinlich die Mitglieder des Vorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes “eine Ausbildungsgarantie” brauchen. Diese Erkenntnis ist der studierten evangelischen Theologin Hannack, die selbst mit über 50 Jahren wohl doch zu alt für eine richtige Ausbildung ist, gekommen, als ihr die neuesten Zahlen vom Bundesinstitut für Berufsbildung erklärt wurden, denn erklären muss man sie der stellvertretenden DGB Vorsitzenden offensichtlich, schließlich hat sie zwar eine Ausbildung, die zur Auslegung der heiligen Schrift qualifiziert, aber keine, die sich mit mehr diesseitigen Dingen, wie Statistiken befasst hat.

Und den Daten hat die evangelische Theologin im Bundesvorstand des DGB, die – wie es beim DGB heißt, während des Studiums als “Packerin und Verkäuferin im Einzelhandel” nicht gearbeitet, aber gejobbt hat, entnommen, dass “kleine und mittlere Unternehmen aus der Ausbildung fliehen”, dass die Quote der Ausbildungsbetriebe mit 21,7% auf dem tiefsten Stand seit 1999 angelangt ist und dass Gaststätten und Hotels ihre Ausbildungsplätze oft nicht besetzen können. Und weil dem so ist, brauchen “wir” die Ausbildungsgarantie und Betriebe “dürfen nicht nur” über den Fachkräftemangel klagen, und “müssen” mehr ausbilden, so Hannack und vermutlich gesprochen im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.

fluchtMal abgesehen davon, dass man in Statistiken keine “flüchtenden Betriebe” finden kann, es sei denn, in Statistiken über flüchtende Betriebe und derartige Statistiken stellt das Bundesinstitut für Berufsforschung (BiBB) nicht bereit, ist die Darstellung der Fakten erstaunlich korrekt, so korrekt, dass es den konditionierten Reflex braucht, der den Speichelfluss auszulösen scheint, scheinbar vorhanden im Wort “Betrieb” gepaart mit “Rückgang der Anzahl neu abgeschlossener Ausbildungsverträge”, denn wenn weniger Ausbildungsverträge im Jahr 2013 als im Jahr 2012 abgeschlossen wurden, dann kann dies nach konditionierter Gewerkschaftslogik nur an Unternehmen liegen, die einfach nicht ausbilden, wo doch die Auszubildenden Schlange stehen, mit der Ausnahme des Hotel- und Gastgewerbes, wie sich selbst zu Hannack herumgesprochen hat.

Irgendwie scheinen die Auszubildenden doch nicht Schlange zu stehen. Beim BiBB weiss man dazu mehr zu sagen:

“2013 konnten 6,2% (2012: 6,0%) der berieblichen Ausbildungsplätze nicht besetzt werden. […] Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsplätze stieg bundesweit um +300 beziehungsweise +0,8% auf 33.500. Dies ist der höchste Wert seit 1996. Dass es zu einem erneuten Anstieg der unbesetzten Ausbildungsplätze kam, obwohl die Zahl der betrieblichen Ausbildungsangebote insgesamt zurückging, zeigt, dass es für die Betriebe zunehmend schwieriger wird, Auszubildende zu finden.”

Wir haben es hier mit einem Problem zu tun, für das man als Gewerkschaftsfunktionär offensichtlich nicht konditioniert ist. Einerseits hat es sich zwar herumgesprochen, dass es Ausbildungsberufe gibt, vor allem im Hotel- und Gastgewerbe, die immer weniger Auszubildende ausüben wollen. Andererseits überfordert es offensichtlich den Intellekt der entsprechenden Funktionäre, eine einfache Überlegung anzustellen, wie sie z.B. der Matching-Theorie von Christopher Pissarides zu Grunde liegt.

HannackFür manche Ausbildungsplätze sind bestimmte Fähigkeiten und Kompetenzen notwendig und nicht alle – das, liebe Gewerkschaftler, ist die herausragende Erkenntnis: nicht alle Bewerber sind für alle Ausbildungsplätze geeignet. Und wenn Unternehmen klagen, dass die schulische Bildung der Bewerber zu mangelhaft ist, als dass eine erfolgreiche Ausbildung auch nur im Bereich des Wahrscheinlichen liegt, dann wäre es eigentlich Aufgabe von Gewerkschaften, die Ursachen dieser “Passungsprobleme”, wie man beim BiBB schreibt, zu untersuchen.

Das setzt natürlich voraus, einen neuen Reflex zu konditionieren, dessen Inhalt sich mit dem bereits konditionierten Reflex, nach dem immer Unternehmen schuld sind, wenn es Probleme gibt, beißt. Aber möglich ist es, denn Pawlow sieht explizit die Möglichkeit der externen oder internen Hemmung oder gar der Extinktion vor.

Lässt man einen Moment die Aussage zu, dass Schüler, selbst dann, wenn sie einen Schulabschluss erreicht haben, zu schlecht ausgebildet sind, um bestimmte Ausbildungen mit einer Aussicht auf Erfolg anzutreten, nimmt man dazu, dass immer weniger, selbst miserabel ausgebildete Schüler sich bereitfinden, um eine Ausbildung in Gewerben mit z.B. unattraktiven Arbeitszeiten anzunehmen und ergänzt als letzte Zutat in den Pawlowschen Cocktail, dass eine Ausbildung Unternehmen Geld kostet, Geld, das man nicht gerne in den Sand setzt, nur um der gewerkschaftlichen Konditionierung zu entsprechen und Schulabsolventen auszubilden, von denen bereits bei Antritt der Ausbildung klar ist, dass sie die Ausbildung nicht erfolgreich beenden werden, dann kommt man bei einer anderen Forderung als der nach einer “Ausbildungsgarantie” an.

Wer weiß, manch kritischer Geist mag sich sogar fragen, was in Schulen schiefläuft, wenn Schulabsolventen nicht fit für die Arbeitswelt sind oder was im Sozialsystem schiefläuft, wenn gering bis gar nicht durch ihre Schulbildung qualifizierte junge Menschen dennoch bestimmte Ausbildungen nicht aufnehmen wollen. Möglicherweise führen entsprechende Überlegungen zu Fragen des Curriculums, also Fragen, wie: Ist es nicht besser, Schülern Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen als sie mit Gender-Mainstreaming und Anti-Vergewaltigungskursen zu traktieren? Oder: Welche Rolle spielt die soziale Sicherung im Hinblick auf die Anzahl junger Menschen, die zu denken scheinen, sie hätten weder eine schulische noch eine berufliche Ausbildung nötig?

Alles Fragen, die man stellen kann, die aber bislang nicht in der gewerkschaftlichen Kinditionierung vorgesehen sind.

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