O’zapft is: Ab heute darf Europa gewählt werden
Panem et circences (Brot und Spiele), so wussten bereits die Römer, hält Reich und Leute zusammen. Panem et circences ist auch in modernen Gesellschaften das A und O der Stabilität. Ein besonderes Element in der Inszenierung moderner Staaten sind die allgemeinen und freien Wahlen, die z.B. dazu dienen, Parlamentsangehörige für Bundestag und Europaparlament zu bestimmen.
Nun, nach fünf langen Jahren, in denen man vom Europaparlament nur wusste, dass es in Straßburg (oder Brüssel) tagt, nun ist es soweit. Nach Wochen atemberaubenden Wahlkampfes, in denen die Wähler mit Fakten und der Wichtigkeit der Wahl zum Europaparlament, mit Hinweisen auf Großtaten der Europäischen Union bzw. auf die Missetaten der Europäischen Union traktiert wurden, dürfen sie nunmehr zur Tat schreiten und ihr Kreuz auf dem Zettel der Wahl machen.
Es ist dies ein wichtiges Kreuz. Es entscheidet darüber, wer nach Straßburg fahren darf, um dort ein Jahresgehalt zu kassieren, dass zwar nur 38,5% des Gehaltes eines Richters am Europäischen Gerichtshof erreicht, aber mit € 96.246,36 durchaus üppig ausfällt. Nicht zu vergessen die Reisetickets der Ersten Klasse, um nach Brüssel oder Straßburg zu kommen, sowie die € 4.243 für Reisen außerhalb der Europäischen Union. Und damit die Mitglieder des Europäischen Parlaments (MEPs) nicht auf Reisen vom Fleisch fallen, erhalten sie Verpflegungsgeld in Höhe von € 304 pro Reisetag. Da kranke MEPS, schlechte MEPs sind, und alle Europäer natürlich ein Interesse daran haben, dass erkrankte MEPs so schnell wie möglich wieder gesund werden, bekommen die MEPs die Kosten einer Behandlung zu 2/3 zurückerstattet. Die Gesundheit von MEPs geht wirklich über alles, deshalb wird auch Viagra zu 2/3 bezahlt. Schließlich, nicht zu vergessen, erhalten MEPs € 21.209 pro Monat um alle die Menschen zu beschäftigen, die Vorlagen der EU-Kommission, die Zeitung und die Reise-Wetterberichte für sie lesen, ihre Mitarbeiter.
Es geht also um einiges für die Kandidaten, die sich aufmachen wollen, um in Brüssel oder Straßburg in einem Parlament zu sitzen und ausschließlich Gutes zu tun. Soweit ihnen das möglich ist, denn das Europäische Parlament ist eigentlich gar kein Parlament. Es ist keine Legislative, hat keinerlei Initiativrecht für neue Gesetze, wie dies für demokratische Parlamente die Norm ist. Das fehlende Recht soll damit kompensiert werden, dass das Europäische Parlament Gesetzesentwürfe, über die seine Mitglieder nach Ansicht der EU-Kommission reden dürfen, zurückweisen und ergänzen kann, eine Tätigkeit, die der Ministerrat zwar mit einem Federstrich zu Unfug erklären kann, aber es ist unzweifelhaft eine Tätigkeit. Und für diese Tätigkeit muss man entsprechend entlohnt werden, müssen alle 766 MEPs, die derzeit oder doch zumindest gelegentlich das Parlament bevölkern, entlohnt werden, … und Viagra bekommen.
Natürlich ist eine Wahl für die Bevölkerung wichtig, bietet sie doch die seltene Gelegenheit, zu der Politiker, die gewählt werden wollen, sich bei der Bevölkerung sehen lassen und um Stimmen buhlen – mit ausgefeilten Parolen und wichtigen Inhalten, mit Slogans, die Anthony Downs bereits in den 1960er Jahren als denen, eines Waschmittelverkäufers vergleichbar, bezeichnet hat. Allerdings kann man einen Waschmittelverkäufer haftbar machen, wenn sein Waschmittel dreckig, statt sauber wäscht, bei MEPs ist dies nicht so. Dennoch ist Downs einer der Demokratietheoretiker, die mit ihrer Beschreibung der Funktion von Wahlen, der Realität am nächsten zu kommen scheinen.
Wahlen sind für Downs öffentliche Inszenierungen, einem Markt voller Marktschreier vergleichbar. Die Marktschreier preisen ihr Produkt an, um Kunden zu gewinnen. Die Kunden wiederum gehen freiwillig oder auch weniger freiwillig durch den Markt und kaufen das Produkt des Marktschreiers, dessen Werbung ihnen am besten gefällt. Man kann die Inszenierung einer Wahl auch als Parolenwettbewerb betrachten, an dessen Ende das Auditorium über die besten Parolen abstimmt, und die besten Paroler mit dem oben zusammengestellten üppigen Salär belohnt. Wie auch immer man es sehen will, für alle, die es mit Downs halten, sind Wahlen eine Form von Bewerbungsgespräch, bei dem Politiker bei Wählern um deren Stimme buhlen, die wiederum für die Politiker bares Geld wert ist.
Dagegen stehen normative Demokratietheorien, wie sie z.B. Charles Taylor (2002) vertritt. Normative Demokratietheorien sehen die Wahl als eine ernste Angelegenheit, bei der die Volksgewalt auf Repräsentanten übertragen wird. Wahlen, so stellt z.B. Wichard Woyke zusammen (2005, S.18) dienen der (1) Legitimation des politischen Handelns der Gewählen und (2) der Repräsentation des politischen Willens der Wähler. Sie sollen eine (3) politische Richtungsbestimmung sein und (4) die Möglichkeit zur Abwahl vorheriger Repräsentanten bereitstellen sowie (5) das Eigeninteresse der Gewählten transportieren. Entsprechend beinhalte die Wahlentscheidung (6) die Herausbildung und Äußerung des Volkswillens und (7) die Machtzuweisung auf Zeit.
In Kurz: Wer wählen geht ist verantwortlich für alles, was anschließend in seinem Namen getan wird, d.h. er darf sich nicht darüber beklagen, was seine Vertreter anschließend tun, denn er hat sie zum Tun legitimiert und ermächtigt. Soviel zur Kritik an der Europäischen Union und ihren Institutionen. Nur wer nicht wählen geht, hat das Recht, sich über das zu beklagen, was aus Brüssel kommt.
Wahlen haben auch einen altruistischen Charakter, haben Wähler doch eine Verantwortung gegenüber den Politikern, die keinen richtigen Beruf erlernt haben und nunmehr quasi darum betteln, man möge ihnen doch ein Auskommen in Straßburg (oder Brüssel) im dortigen Parlament ermöglichen. Aber es soll ja besonders hartherzige Menschen geben, die Nichtsnutzen nicht noch helfen wollen und statt dessen die Wahl und die damit einhergehende Legitimation verweigern. Und es soll Wähler geben, die sich angesichts des Angebots, das zur Wahl steht, abwenden und auf bessere Zeiten hoffen.
Schließlich finden Wahlen immer auf vorgedruckten Zetteln statt, mit vorgefertigtem Angebot, an dem Wähler nichts ändern kann. Bei uns ist das anders. Wir haben uns entschlossen, eine offene Wahl durchzuführen und die Leser von ScienceFiles darüber entscheiden zu lassen, was Sie für Europa wählen würden, wenn sie es könnten. Die Wahl ist natürlich allgemein und geheim, und wir werden die besten Wahlen auf ScienceFiles präsentieren. Und damit ein Anreiz geschaffen ist, prämieren wir den besten Wahlvorschlag mit einer ScienceFiles-Mug.
Zur Wahl: |
Downs, Anthony (1968). Ökonomische Theorie der Demokratie. Tübingen: J.C.B. Mohr.
Taylor, Charles (2002). Wieviel Gemeinschaft braucht die Demokratie? S. 11-29 in: Taylor, Charles: Wieviel Gemeinschaft braucht die Demokratie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Woyke, Wichard (2005). Stichwort Wahlen. Ein Ratgeber für Wähler, Wahlhelfer und Kandidaten. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften.
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Ich sehe das anders. Wer nicht wählen geht, der hat keinen Anlass, sich zu beschweren. Der fügt sich einfach dem Willen der wählenden und lässt für sich entscheiden.
Es gibt sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht. Wenn ersteres nicht aussreicht, geht daran, letzteres zu nutzen.
Ja, es ist die Wahl zwischen verschiedenen Übeln, aber ich wähle lieber für mich das kleinere Übel. Einer Partei ist es relativ egal, wie hoch die Wahlbeteiligung lag, wenn sie ein gutes (relatives) Ergebnis erreicht hat.
Da jede Wahl mit Wahlkampfkostenerstattung an die Parteien einhergeht, ist es Parteien mitnichten egal, wie hoch die Wahlbeteiligung ist und das einzige, was Wahlbeteiligung erreicht, ist die Legitimation der Figuren, die dann im Parlament herumhüpfen. Und da Nichtwähler diesen Parlamentarieren keinen Auftrag erteilt haben, können Sie sich natürlich über das beschweren, was die entsprechenden Figuren im Parlament anrichten, zumal die Nichtwahl ja nicht damit einhergeht, dass man keine Steuern mehr bezahlen muss. Das Gegenteil ist für die Wähler der Fall, die ihre Stimme zu einem Mandat umfunktioniert haben, das nunmehr WAHRGENOMMEN wird, in welcher Form auch immer. Daran beißt die Maus keinen Faden ab: Wer für Partei X stimmt, hat damit seine Handlungs- und Beschwerdeautonomie übertragen, an Partei X, das ist die Grundlage der Idee der Repräsentativität.
“Nur wer nicht wählen geht, hat das Recht, sich über das zu beklagen, was aus Brüssel kommt.”
Gewagte aussage, schließlich gibt es denke ich genug beispiele bei denen versprochenes ‘vergessen’ oder umgeändert wurde. Ist dann nicht die repräsentative wirkung verletzt und die legitimation nichtig?
Nur weil der wahlanteil verfällt (eben gleichermaßen aufgeteilt wird) kann man doch nicht seine hände in unschuld waschen!
Repräsentativität ist in meine augen auch keine übertragung der eigenen stimme, sondern die – wenn wir schon bei dem vergleich sind – belobigung des angepriesenen produktes , ähnlich mundpropaganda.
Diese werbung führt zu neuen käufern [hier eher umfrage-/ als verkaufscharakter] und der ideologische wert des produktes steigt [Scheint gemessen; %] .
Ob das ideologische wertempfinden der breiten masse auch dem eigenen entspricht ist ja bekanntlich die andere seite der Medaille..
Niemand wählt zudem eine exakte repräsentation seiner gesinnung, sodass ich beschwerden (auch an gewählten ‘übeltätern’) durchaus als legitimes mittel zur interessenförderung sehe.
Das Bürgerliche Gesetzbuch in Deutschland kennt ein sog. Vertreterrecht. Ein Mensch kann für bestimmte Handlungen einen Stellvertreter bestimmen, der in seinem Namen handelt.
Das BGB kennt dabei solche Regelungen wie:
§177: “Schließt jemand ohne Vertretungsmacht im Namen eines anderen einen Vertrag, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags für und gegen den Vertretenen von dessen Genehmigung ab. “. Übertragen auf Politiker: Die können machen was sie wollen. Ich entscheide im Nachgang ob ich das will oder nicht.
§164: “Eine Willenserklärung, die jemand innerhalb der ihm zustehenden Vertretungsmacht im Namen des Vertretenen abgibt, wirkt unmittelbar für und gegen den Vertretenen.”. Bezogen auf Politiker: Habe ich gewählt, dann muss ich die Folgen ausbaden.
Nett ist auch dieses hier (Sittenwidrigkeit)
§138: “Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.”. Das mit dem “Dritten” bedeutet hier: Zwei Leute (etwa Politiker und Toll Collect) machen einen Vertrag den ein dritter (Volk) bezahlen muss.
Gibt noch per solche Perlen im BGB. Im Privatrecht (und darum geht es beim BGB) würde kein geistig gesunder Mensch Politiker werden. Zumindest nicht eine solche Art von Politikern wie wir sie aktuell haben. Dummerweise nehmen Politiker für sich besondere Rechte in Anspruch, sie stehen außerhalb des normalen Privatrechts.
Und nein, ich mache da nicht mehr mit. Es gibt genau einen einzigen Menschen der genau weiß was ich will. Und das bin ich selbst. Deshalb will ich auch für mich selbst entscheiden.
Einen Vertreter (etwa einen Rechtsanwalt) bestimme ich gelegentlich, aber dieser Vertreter muss lückenlos Rechenschaft ablegen. Und zwar unaufgefordert. Sollte mein Vertreter nur daran denken, einen Vertrag gegen meinen Willen oder meine Interessen abzuschließen, dann …
Ja. Ich bin egoistisch und selbstzentriert. Und ich liebe es mit anderen Egoisten zusammen zu sein. Nur auf Egoisten kann man sich verlassen und nur Egoisten kann man vertrauen, denn nur bei Egoisten weiß ich, was sie wirklich im Sinn haben. Nämlich sich selbst. Und nur wer an sich selbst denkt, kann ehrliche Verträge abschließen und einen ehrlichen Leistungsaustausch verhandeln.
PS: Mal Wahlwerbung: Im Artikel ist so ein Poll-Dings. Ich habe ‘mich’ eingetragen und empfehle jedem Leser ebenfalls ‘mich’ einzutragen. Und wer glaubt das das ironisch gemeint ist, hat nicht verstanden was Unabhängigkeit bedeutet.
Es ist schon so wie es im Artikel stand: Parteien werben um Kunden. Je nach Anzahl der Stimmen ist jedes Kreuz zwischen 2,80 und 3,40 EUR wert. (*) Am Sonntag werden, je nach Wahlbeteiligung) irgendwas um 60 Millionen verteilt.
Bezüglich einem Willen beugen: Ob ich mich einem Willen beuge, entscheide ich allein. Und zwar unabhängig davon ob ich meine Stimme abgebe oder nicht und jeden Tag aufs neue.
Demokratie bedeutet übrigens, dass man sich _immer_ dem Willen _anderer_ beugen muss. Es gibt da keinen Unterschied zur Dikatur oder Monarchie. Aus der Sicht eines Individuums ist der einzige Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie, dass man in einer Demokratie der Fremdbestimmung zustimmen kann bzw. die Art der Fremdbestimmung wählt.
(*)http://www.wahlrecht.de/lexikon/wahlkampfkostenerstattung.html
PS: Hitler wurde demokratisch gewählt. Auch von Juden.
Bei der Wahl zwischen Pest und Cholera bleibe ich lieber gesund hat ein Schweizer (Pestalozzi?) gesagt aber anderswo erkranken die Leute sofort und ein heiliger Disput wird geführt, warum die selber gewählte Krankheit die vernünftigere sein und eine sich elitär gerierende Minderheit ist stolz darauf, an einer anderen als den vorgegebenen erkrankt zu sein…
“Bei der Wahl zwischen Pest und Cholera bleibe ich lieber gesund”
Die Analogie hinkt. Richtig hier ist, ich bekomme entweder Pest oder Cholera, ich kann es mir aussuchen oder aussuchen lassen. Und wenn ich die Wahl zwischen HI-, HB-, Influenza- und einem Rhinovirus habe, nehm ich den Schnupfen. Nichtwählen kann bedeuten, dass alle eine Hepatitis bekommen, weil die meisten Wähler glaubten, das wäre besser als eine laufende Nase.
Das ist ein heaurausragendes Beispiel für einen Fehlschluss durch falsche Assoziation, denn wenn man BEI EINER WAHL, die WAHL zwischen Pest und Cholera sagt, dann sagt diese WAHL überhaupt nichts über Folgen, die sich vielleicht einstellen, wenn man nicht wählen geht. Fakt ist, wer wählen geht, legitimiert das politische System, wer nicht wählen geht, nicht.
Da es keine Mindestwahlbeteiligung gibt, die Richtlinien und Verordnungen aber bindend sind, halte ich die Argumentation für wenig zielführend. Ich bleibe dabei, wenn sich keine Partei findet, mit der man eine hinreichend große Übereinstimmung findet, dann sollte man sich daran machen, eine neue Partei zu gründen, oder zu versuchen eine bestehende Partei mit umzubauen.
Ich halte es hier mit Churchill: “No one pretends that democracy is perfect or all-wise. Indeed, it has been said that democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time.”
Nichtwählen gehen ist die Abkehr von der Demokratie.
Warum schütten Sie das Kind mit dem Bade aus. Man kann dieses Thema durchaus diskutieren, ohne in Absolutheiten zu schwelgen. Es gibt ein Leben jenseits der derzeitigen Parteienoligarchie, und deshalb ist Nichtwählen eine Abkehr von dem, was derzeit als Demokratie verkauft wird und nichts anderes. Es ist eine Unmuts-Kundgabe (british understatement). Im Gegensatz dazu ist die Wahlbeteiligung eine Zustimmung zum Treiben der Parteioligrachen und deren Legitimation, so weiter zu machen.
hmm. “Nur wer nicht wählt, hat das Recht, sich zu beschweren” klingt für mich durchaus auch absolut 😉
Ich kenne keine bessere praktikable Regierungsform als die Demokratie. Man kann versuchen, seiner Meinung Gehör zu verschaffen, entweder durch die Wahl, da nimmt man, was einem vorgesetzt wird, oder durch die Mitgliedschaft in einer Partei, hier kann man dann Programme mitprägen. Das trotzige sich aus dem System ausklinken, in der Hoffnung, dass sich dann was ändert.. da halte ich nur wenig von. Ich glaube, eine Stimme, die nicht an die großen sondern an eine kleinere Partei geht, hat hier mehr Effekt.
Unabhängig davon: Das Recht mich zu beschweren, wenn ich trotz Stimmabgabe Entscheidungen für falsch habe, lasse ich mir nicht nehmen.
Das habe ich alles so oft gehört. Und es klingt auch wirklich gut. Dann erzählen Sie doch einmal aus der Knopfschachtel was sich alles ändert, dadurch, dass Sie wählen gehen.
Im übrigen ist der erste von Ihnen zitierte Satz eine Konklusion aus Prämissen und somit gerade kein Beispiel, denn wenn man die Prämissen als falsch erweist, dann ist auch die Konklusion hinfällig. Im Gegensatz dazu ist die Aussage, dass wer nicht wählen geht, sich von der Demokratie abkehrt, eine dogmatische Aussage ohne Prämissen, der man eigentlich nur dadurch begegnen kann, dass man ebenso dogmatisch feststellt: Nur wer nicht wählen geht, tut etwas für die Demokratie.
Ich wähle zum Beispiel eine Partei, die sich seit jeher gegen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung einsetzt. Ich bin hier sogar Mitglied und mache auch intern deutlich, dass dies, ebenso wie die Ablehnung jeglicher Quoten für mich wichtig ist. Chancengleichheit statt Ergebnisgleichheit. Meine Stimme, zusammen mit den anderen bringen diese Meinung in das Parlament.
Die Alternative, dass ich einfach nur blogge, und meine Meinung privat äussere, reicht mir persönlich nicht aus. Nichtwähle stärkt imho die Demokratie nicht, das wälzt die Verantwortung lediglich auf andere ab. Hätte ich in diesem Blog nicht erwartet.
Und was haben Sie bislang erreicht?
Nach 3 Monaten nicht wirklich viel. Ich werde aber durchaus gehört und meine Meinung wird wahrgenommen.
Ich hoffe, Herr Klein ist mir nicht böse, wenn ich leicht abschweife…
Und ich hoffe, dass Sie, tom174, mir nicht böse sein werden, aber dieser Aphorismus ist so breitgetreten, dass er selbst als Plattitüde nicht mehr taugt. Auch ein “kleines” Übel ist und bleibt das, was das Wort selbst aussagt: Ein Übel.
Wenn Sie merken, dass das, was auf dem Wahlzettel angekreuzt werden kann mehr oder weniger übel ist, dann wollen Sie dieses Übel mit Ihrer Stimme auch noch legitimieren, so dass es sich noch weiter manifestieren kann? Sie wollen etwas eigentlich nicht, wollen (und wählen) es dann aber trotzdem. Das ist ein Widerspruch in sich selbst!
Auch Ihr Hinweis auf das passive Wahlrecht zieht nicht. Denn Menschen, die merken, dass die Ausübung des aktiven Wahlrechts allein nicht mehr ausreicht und sich daher selber zur Wahl stellen, die gibt es seit einigen Jahren (vom sogenannten “linken” bis zum “rechten” Spektrum) – ohne auf deren Inhalte eingehen zu wollen. Das von Ihnen erwähnte “kleinere Übel” reagiert auf diese Leute aber nicht inhaltlich, sondern ausschließlich durch Diffamierungen und anderen Formen der Rabulistik.
Wer dieses “kleinere Übel” wählt, nur um gewählt zu haben, der zeigt, wes Geistes Kind er ist…
Hier wird davon ausgegangen, dass eine representative Demokratie per se nur Schlechtes vollbringt. Ich sehe das nicht so.
Der Verweis auf die kleinen Parteien, auch den finde ich nicht wirklich passend. Man sehe sich die Grünen an. Man mag deren Politik ablehnen, aber dass diese einen Einfluss auf die Politik in unserem Land hatte, mag kaum jemand bestreiten.
Nein, tom, ich gehe von gar nichts aus. Das unterstellen Sie mir, womit Sie den Raum der Rabulistik betreten. Das weise ich daher zurück!
Ich habe Sie nur auf den Widerspruch in Ihrer Äußerung hingewiesen. Der lässt sich nämlich nicht dadurch auflösen, dass man auf andere (aus eigener Sicht) evtl. akzeptable Programmpunkte des von Ihnen benannten “kleineren Übels” hinweist. Wenn ich mich einem Abgrund nähere, wird dessen Kante nicht weniger gefährlich, nur weil ich meine Geschwindigkeit verlangsame.
Und nur abschließend am Rande: Gerade die von Ihnen angeführten Grünen sind es, die den politischen Gegner diffamieren, niederschreien und nur selten inhaltlich antworten. Und viele Probleme, die wir heute vorfinden, sind auch dadurch entstanden, dass zahlreiche Bürger die Grünen als “kleineres Übel” gewählt haben.
Das Problem entsteht ja erst dadurch, dass die Nichtwähler überhaupt nicht berücksichtigt werden. Herr Klein weist damit in diesem Artikel zurecht darauf hin, dass es unser Wahlsystem selbst ist, das fehlerbehaftet ist. Und ein fehlerhaftes System weiterhin anzuwenden ist wirklich nicht logisch.
Nichtwählen ist daher schon eine Alternative. Sie hat zwar systembedingt keine unmittelbaren politischen Auswikungen, führt aber dem Staat (und damit meine ich vor allem die Gesellschaft, welche diesen Staat konstituiert, weniger dessen Behörden und Institutionen) die eigene Betriebsblindheit vor Augen.
Außerdem finde ich es erstaunlich, dass Sie “Wahl” mit “Demokratie” gleichsetzen. Gerade in der EU-Wahl gibt es zahlreiche Bürger, die in ihrem Heimatland und an ihrem Wohnsitz wählen dürfen und damit zwei Stimmen haben. Ich selbst durfte nur eine einzige Stimme in der Briefwahl abgeben. Diese Ungleichheit in der Wahl verletzt fundamentale demokratische Prinzipien. Nicht überall wo Wahlen durchgeführt werden, herrscht somit auch Demokratie…
Ich entschuldige mich für das “hier” in meiner Antwort auf ihren Kommentar. Für mich ist das Wahlrecht ein integraler Bestandteil der Demokratie. Dieses nicht zu nutzen, halte ich für falsch.
Ich habe das Beispiel der Grünen nicht erwähnt, weil ich deren Politik oder Rhetorik nahe stehe, das Gegenteil ist der Fall. Es zeigt aber imho recht eindrucksvoll, dass man in unserem System durch das aktive und passive Wahlrecht durchaus Dinge ändern kann.
Ich bin jemand, der Probleme, die er sieht lieber aktiv angeht, als passiv darüber zu jammern.
Nicht wählen ist für mich das maximal passive Handeln. Dass dies hier, in einem doch mitunter sehr politischem Blog, propagiert wird, halte ich für schlimm.
Dass es, gerade bei den Europäischen Institutionen Defizite gibt, fraglos. Ich kann nun versuchen, darauf hinzuwirken, diese zu lösen, oder ich kann so tun, als ginge mich das alles nichts an.
Dass die Nichtwähler nicht gehört werden.. sie sagen ja auch alles und nichts. Das reicht von “es hat geregnet, und ich hatte keine Lust rauszugehen” über “Politik betrifft mich sowieso nicht” bis hin zur echten Systemkritik, wie sie hier geäussert wird.
Hier in BW haben wir nun eine Grün Rote Regierung. Die Wahlbeteiligung lag bei 66% Ich glaube, gerade im Fukushima Jahr war die Zahl der grünnahestehenden Nichtwähler eher klein. die stärkste Partei in der Regierung hat 24% der abgegebenen Stimmen. Irgendwelche 15% aller Wahlberechtigten stimmten für die Grüne Partei. Das interessiert aber niemanden. die 34% große Nichtwählerschaft spielt in der politik ganz sicher weniger eine Rolle als die 6% der AfD. Bei letzteren schein man zu wissen, was die wähler wollen oder nicht wollen, bei ersteren? Eher nicht.
Es verursacht mir fast Schmerzen, hier mit Menschen zu diskutieren, die fast allesamt fähig sind, sinnvolle politische Ziele zu formulieren. Bei denen es eine recht große Übereinstimmung in vielen Bereichen gibt und sich dennoch niemand hinstellt und sagt “Lasst uns das zur Wahl stellen”.
Wählen? WAS darf ich wählen? Wo darf ich wählen ob diese oder jene Haushaltspolitik, diese oder jene Außenpolitik, diese oder jene Gesellschaftspolitik betrieben wird? Ich habe Parteien zum Angebot, die mit Programmen auftreten, auf diese Programme aber NICHT verpflichtet sind und ihre Programme so stricken, dass sie möglichst vieler Wähler ansprechen. Aber sobald es dann zur Entscheidung kommt, werden die Wähler NICHT mehr gefragt: Ein neues Problem tritt auf. Es gibt logisch vier Möglichkeiten, damit umzugehen. Warum sollen nicht die Wähler entscheiden?
Wir haben keine Demokratie, wir haben eine Politokratie. (Neues Wort, bitte verwenden und verbreiten!)
http://www.stol.it/Artikel/Politik-im-Ueberblick/Politik/Italien-verordnet-geschlechtergerechte-Stimmabgabe
Demokratie und so.Bald tun sie noch nicht mal mehr als ob.
Ist hier im Prinzip um keinen Deut anders als sei man vor die
“Wahl” Geld oder Leben gestellt.
“Legitimiert” werden nötigende, erpresserische Räuber und Gewalttäter keinesfalls,
wenn sie mich vor irgendwelche “Wahlen” stellen.
Also tut man schon im wohlverstandenen Eigeninteresse gut daran, das
geringere ÜBEL(!!) zu “wählen”.
LvM
Einspruch, euer Ehren!
Es darf die ‘EU’ gewählt werden.
Europa hat damit nur insofern zu tun, als daß diese ‘EU’
gerade dabei ist einen Kontinent an die Wand zu fahren.
Soviel sprachliche Korrektheit muß schon sein, auch wenn
viele Politiker, imho absichtlich, diese gedankliche Gleichsetzung
bei den ‘sheeple’ installieren möchten.
Im übrigen schließe ich mich hiermit vollauf dem
berühmten Nuland-Zitat an…