Massensterben durch Sommerzeit befürchtet

Gelangweilte haben in ihrem Leben ein Problem: Sie müssen sich einen Zeitvertreib suchen, der sie unterhält. Die Moderne und hat mit der Hilfeindustrie, die man mit Peter Saunders als neue Geisel der Menschheit beschreiben könnte, einen perfekten Zeitvertreib für Gelangweilte gefunden.

Mit mehreren Vorteilen:

Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Man kann die eigenen Hirngespinnste als Hilfe verkaufen.

Man kann den Verkauf der Hilfe der Allgemeinheit in Rechnung stellen.

Man muss dazu nur ständig neue Situationen oder Umstände entdecken, die der Hilfe bedürfen.

Saunders_Equalities industryEntsprechend ist die Hilfeindustrie die Innovations-Industrie. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein neues Leiden entdeckt, eine neue Situation er- oder gefunden oder eine neue Diagnose aufgestellt wird, die dringender Abhilfe bedarf, Abhilfe, die zunächst einmal mit den drohenden Übeln gerechtfertigt werden muss.

Und dieses Jahr hat die Hilfeindustrie die Sommerzeit entdeckt, nicht das Ende der Sommerzeit, das eine Stunde schenkt, sondern den Beginn der Sommerzeit, der eine Stunde stiehlt, ein Diebstahl, der im menschlichen Körper, für den die eine Stunde existenziell ist, Katastrophales bewirken kann: Massensterben an Herzinfarkt nämlich.

Beim NDR weiß man das.

“Jedes Frühjahr werden die Uhren eine Stunde vorgestellt. Die Sommerzeit beginnt. Die Gewöhnung an die neue Zeit fällt den meisten Menschen jedoch schwerer als gedacht. 23 Prozent der Deutschen klagen nach der Zeitumstellung über Schlafstörungen, Konzentrationsschwäche oder sogar Depressionen. Ähnliche Symptome, unter denen auch Schichtarbeiter besonders häufig leiden”.

Sätze wie diese kann nur ein gelangweilter Mittelschichtler schreiben, der sich auf die Suche nach einer Möglichkeit gemacht hat, sein Lieblings-Leiden: die Hypochondrie auszuleben. Der Aberwitz dieser Zeilen, die allen Ernstes einen kausalen Zusammenhang zwischen einer Stunde, die Ende März in der Nacht von einem Samstag auf einen Sonntag fehlt, und Depression oder Konzentrationsschwäche herstellen, wird nur durch die Ignoranz des Redakteurs übertroffen, dessen Empathie mit sich selbst und der großen einstündigen Gefahr, in der er schwebt, so immens ist, dass er den Schichtarbeiter, der dieser Gefahr täglich ausgesetzt ist, nur am Rande anführt, ohne daraus die Konsequenzen für sich zu ziehen und in Zukunft auf die Belieferung seines Supermarkts durch einen Lkw-Fahrer im Schichtdienst zu verzichten.

Die fehlende Empathie mit dem Schichtarbeiter ist umso erstaunlicher als derselbe Redakteur im weiteren Verlauf seiner Wort gewordenen Hypochondrie Folgendes zum besten gibt:

“Forscher aus Lübeck haben herausgefunden, dass der Stoffwechsel ihrer Probanden schon nach zwei Tagen Schlafentzug negativ beeinflusst wird. Das passt auch zu den Daten der DAK, die bei ihren Versicherten 25 Prozent mehr Herzinfarkte in den ersten drei Tagen der Sommerzeit zählt.”

Wer nach dem Zitat oben, noch am Verstand des Redakteurs gezweifelt hat, kann den Zweifel nun ad acta legen, er ist unbegründet, Zweifel an Verstand setzt die Möglichkeit von Verstand voraus. Diese Möglichkeit scheint ausgeschlossen, wenn jemand Schlafentzug, den Forscher in Lübeck erforscht haben, mit einer Zeitumstellung und dem Verlust einer Stunde vergleicht, um dann Zahlen der DAK ins Spiel zu bringen, die “bei ihren Versicherten 25 Prozent mehr Herzinfarkte in den ersten drei Tagen der Sommerzeit zählt”.

NDR HypochonderVerstand kann hier ausgeschlossen werden, und zwar nicht nur, weil man doch gerne gewusst hätte, im Vergleich wozu, welcher Zeit oder welchem Ort “25 Prozent mehr DAK Versicherte Herzinfarkte in den ersten drei Tagen der Sommerzeit” erleiden, sondern weil insinuiert wird, dass das “Mini-Jetlag”, das durch die Sommerzeit ausgelöst werden kann, drei Tage unter den Versicherten der DAK wütet, bis 25% mehr der entsprechenden Versicherten endlich ihre Ruhe in Angina Pectoris finden.

Was die unglaubliche Erkenntnis, nach der das Mini-Jetlag, das durch die Umstellung in die Sommerzeit ausgelöst wird, zu mehr Herzinfarkten führt, für Reisen in die USA bedeutet, ob vor Abschluss der entsprechenden Reisen von Versicherten der DAK eine Erklärung verlangt wird, dass sie die Versicherung von Leistungen für eventuell im Abstand von drei Tagen nach der Rückkehr anfallende Herzinfarkte freistellen, diese eminent wichtige Frage, die hat sich der öffentlich-rechtliche Hypochonder gar nicht erst gestellt, was schade ist, hätte man an dieser Frage, doch die ganze Schädlichkeit von Reisen in das neoliberale Ausland aufzeigen können.

Statt dessen begnügt sich “Autor/in Judith König”, der/die nicht aus Bescheidenheit oder Scham unbenannt bleiben will, damit, wichtiges über Chronotypen zu verbreiten, also Chrontypen wie sie und uns:

“Wer Frühaufsteher und wer Langschläfer ist, ist bereits genetisch festgelegt und lässt sich auch nicht umprogrammieren. Wissenschaftler sprechen dabei von verschiedenen Chronotypen. Menschen, die zum Chronotyp “Eule” zählen und erst spät am Tag aktiv werden, leiden meist mehr unter der Sommerzeit als die “Lerchen”, die morgens früh wach und abends früher müde sind.”

Warum Eulen mehr leiden als Lerchen, wo beiden doch eine Stunde Schlaf mit Eintritt in die Sommerzeit gestohlen wird, ist ebenso ein Mysterium wie die Wandelbarkeit von Menschen im Lebenslauf, die zeitweise früh und zeitweise spät aufstehen, ganz nach Notwendigkeit oder Abflugzeiten der Urlaubsflieger.

Seien Sie also gewarnt: Der Beginn der Sommerzeit kann, sofern Sie bei der DAK versichert sind, dazu führen, dass sie noch drei Tage nach der Umstellung der Uhr einen Herzinfarkt erleiden. Die Sommerzeit-Umstellung schlägt regelmäßige Lücken in den Versichertenbestand der DAK, sie ist ein Killer, ein 25%-mehr-Massenkiller, um den wir uns kümmern müssen, in Therapie und Fachgespräch und natürlich im öffentlich-rechtlichen Rundfunkt, jenem Refugium, in dem die gelangweilten Mittelschichtler mit einander wetteifern, wetteifern darüber, wer der größere Hypochonder ist.

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