“Personenpotenzial”: Islamisten, Rechts- und Linksextremisten
Derzeit erreichen uns sehr viele eMails von Lesern, für die wir uns herzlich bedanken. Die eMails lassen sich in zwei Kategorien unterteilen: Hinweise und Fragen, wobei Fragen nach Bedeutungen, Definitionen, Konzepten, Vorgehensweisen und dergleichen immer häufiger werden. Deshalb:
Machen wir doch einmal etwas Neues:
Leser fragen, ScienceFiles antwortet:
Unser Leser “Roland” fragt:
“Hallo liebes Sciencefiles-Team,
letztens bin ich auf dem Bundesamt für Verfassungsschutz über einen merkwürdigen Begriff gestolpert, mit dem ich nichts anfangen kann:
“Personenpotenziale”
Als ich nach dem Begriff googelte, spuckte mir die Suchmaschine viele Seiten aus, in denen der Begriff zwar verwendet aber nicht erklärt wird (bspw. FAZ). Immer wieder wird mit einer Quelle zum Verfassungsschutz verwiesen. Aus der Seite geht lediglich hervor, dass es links- rechts- islamextremistische Personenpotenziale gibt.
Wissen Sie, was ein Personenpotenzial ist?
Wir vermuten einfach einmal, dass die folgende Grafik, die auf der Facebook Seite der Tagesschau für viel Diskussionsstoff gesorgt hat, Anlass der Frage ist:
Die Abbildung, so wird einem Kommentator erklärt, sei aus Daten zusammengeschustert worden, die einem Interview entstammen, das Bundesverfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen dem MDR gegeben hat.
Tatsächlich muss man sich das Interview nicht anhören, denn die Daten sind auf den Seiten des Bundesamts für Verfassungsschutz für jeden zugänglich, nämlich hier für Linksextremisten und hier für Rechtsextremisten und hier für Islamisten sowie hier für ausländische Extremisten. Was sich auf der Seite des Bundesverfassungsschutz nicht findet, sind Zahlen für gewaltbereite Islamisten.
Die folgende Slideshow stellt die Informationen, die auf der Seite des Bundesverfassungsschutzes zu den vier oben genannten Gruppen von Extremisten zu finden sind, zusammen. Dabei ist regelmäßig vom “Personenpotenzial die Rede, was im Zusammenhang mit Rechts- und Linksextremisten die Anzahl der Personen meint, die Mitglieder in Organisationen sind, die das Bundesamt als extremistische Organisationen einstuft und/oder gewaltbereit (bis 2013) bzw. gewaltorientiert (seit 2014) sind. Eine entsprechende Unterscheidung findet sich für ausländische Extremisten und Islamisten nicht, so dass “Personenpotenzial” auf Mitglieder in vom Verfassungsschutz als extrem eingestufte Organisationen bezogen zu sein scheint.
Diese Diashow benötigt JavaScript.
Dementsprechend gibt es derzeit in Deutschland rund
21.000 Rechtsextremisten (50% davon sollen gewaltorientiert sein);
27.200 Linksextremisten (28% davon sollen gewaltorientiert sein);
43.890 Mitglieder islamistischer Organisationen;
29.330 Mitglieder extremistischer Ausländerorganisationen;
Die Angaben zur Gewaltorientierung, die sich für Rechts- und Linksextremisten finden, sind geschätzt, wobei das Bundesamt für Verfassungsschutz keine Angaben dazu macht, wie die Angaben geschätzt wurden. Die Schätzung ist insofern etwas irritierend, als Extremisten gemeinhin dadurch von Radikalen differenziert werden, als sie Gewalt “als Mittel zur Durchsetzung der jeweiligen Ziele befürworte[n], propagier[en] oder sogar praktizier[en]” – wie das Landesamt für Verfassungsschutz Brandenburg schreibt. Wären die Personen nicht gewaltorientiert, sie müssten nicht als Extremisten gezählt werden.
Ungeachtet dessen kann die Frage unseres Lesers dahingehend beantwortet werden, dass Personenpotenzial ein Begriff des Verfassungsschutzes ist, der entweder die Anzahl der Mitglieder extremistischer Organisationen oder die Zahl der gewaltbereiten Mitglieder extremistischer Organisationen angeben soll.
Personenpotenzial ist ein seltsamer Begriff, ein typisch deutscher Begriff, der die Entität “Extremismus” voraussetzt, die wiederum durch die deutschen Lande zu schlendern scheint, um dort Personenpotenzial zu finden, also (gewaltorientierte) Mitglieder zu rekrutieren, die konsequenterweise nicht Herr ihrer eigenen Entscheidung zum Extremismus sind, sondern vom schlendernden Extremismus rekrutierte Zombies.
Wie so oft, wird ein von Bürokraten geschaffener Begriff, hier der des Personenpotenzials von Wissenschaftlern völlig unkritisch übernommen. Er findet sich in schöner Regelmäßigkeit in Arbeiten zu vornehmlich Rechtsextremismus. Eine kursorische Suche ergibt 201 wissenschaftliche Reader oder Monographien zum Thema Rechtsextremismus, in denen der Begriff vorkommt und 26 Monographien und Reader zum Thema Linksextremismus. Die Schieflage spiegelt einerseits die Tatsache wider, dass es Mainstream ist, über Rechtsextremisten zu forschen, dass Projekte über Rechtsextremismus mit Sicherheit gefördert werden und dass Sozialwissenschaftler das erforschen, was einerseits in ist und ihnen andererseits ideologisch fern liegt.
Beispiele für Arbeiten, in denen der Begriff “Personenpotenzial” unkritisch und undefiniert übernommen wird, sind:
Dünkel, Frieder & Geng, Bernd (2003). Jugendgewalt und Kriminalprävention. Mönchengladbach: Forum Verlag Godesberg.
Möller, Kurt & Schuhmacher, Nils (2007). Rechte Glatzen. Rechtsextreme Orientierungen und Szenezusammenhänge – Einstiegs-, Verbleibs- und Ausstiegsprozesse von Skinheads. Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften.
Schedler, Jan (2011). Brennpunkt Nordrhein-Westfalen: ‘Autonome Nationalisten’ in Ruhrgebiet und Rheinland. In: Schedler, Jan & Häusler, Alexander (Hrsg.). Autonome Nationalisten. Neorassismus in Bewegung. Wiesbaden: SpringerVS, S.195-209.
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Diese Definitionen sind reiner Unsinn:
“Die Schätzung ist insofern etwas irritierend, als Extremisten gemeinhin dadurch von Radikalen differenziert werden, als sie Gewalt “als Mittel zur Durchsetzung der jeweiligen Ziele befürworte[n], propagier[en] oder sogar praktizier[en]”
->Demnach sind alle Politiker Extremisten, weil sie uns alle ihre Ziele mit Gewalt aufzwingen. Sie führen Kriege und zwingen sogar Ausländern ihre Ziele auf. Eigentlich müssten alle Menschen, sofern sie nicht vollständig mental versklavt wurden, Extremisten sein, da jeder irgendwo eine rote Linie hat ab der er anfängt sich gewaltsam zu wehren, also seine Ziele mit Gewalt verfolgt.
Die richtige Definiton müsste sein: Extremisten sind Leute, die mit Gewalt die Regierung zu irgendwelchen Handlungen zwingen wollen.
Sie missverstehen die Richtung, die Gewalt, die Extremisten ausmacht, ist auf andere gerichtet, die missioniert werden sollen (hat also nichts mit sich wehren, sondern mit Übergriff auf andere zu tun), und warum sollte man ausgerechnet Regierungen aus der Klasse der Extremisten ausschließen wollen?
Da steht aber: “Gewalt zur Durchsetzung von Zielen” und nicht etwa “Gewalt zur Missionierung”. Ein Ziel muss nicht automatisch etwas sein, was man einem anderen aufzwingen muss. Man kann auch als Ziel haben, in Ruhe gelassen zu werden, und es mit Gewalt verfolgen, indem man alle angreift, die einen zwingen für etwas zu bezahlen was man nicht will.
Der Begriff des Extremisten macht keinen Sinn, wenn man die Regierungen mit einschließt, da schon die bloße Existenz einer Regierung Gewalt erforderlich macht und in den Regierungen somit immer und ausschließlich Extremisten sitzen würden. Dafür gibt es einen anderen Begriff, der die Regierungen mit einschließt: Aggressoren. Deshalb nützt es auch niemandem, den Begriff “Extremisten”, zu denen Politiker üblicherweise nicht gezählt werden, auf alle anzuwenden, sondern schafft nur Verwirrung und ist somit für jede Debatte kontraproduktiv.
Wenn ein Verbrecher ihr Land betritt, etwas wegträgt und sie ihn dabei angreifen, ist das immer noch Selbstverteidigung. Wenn Sie ihm irgendwann später begegnen, und sich mit Gewalt das zurücknehmen was Ihnen geklaut wurde, ist das immer noch Verteidigung, da der Verbrecher mit seiner Weigerung Ihnen das gestohlene Eigentum zurückzugeben weiterhin ein Aggressor ist. Genauso ist es mit der Regierung. Nur weil nicht ständig ein Soldat mit erhobener Waffe hinter Ihnen steht, heißt es nicht, dass Sie nicht das Recht hätten sich zu verteidigen. Die werden den bereits gemachten Schaden nicht wiedergutmachen und Sie weiterhin zwingen Dinge zu tun, die Ihnen nicht gefallen und nicht zögern, Sie körperlich anzugreifen, falls Sie ernsthaften Widerstand dagegen leisten. Der Begriff “angreifen” war meinerseits etwas unglücklich gewählt, ich dachte nur, dass Sie das Prinzip auch so verstehen würden.
Ich habe die Antwort von Dezember 12, 2015 um 3:56 nachmittags als Vorwurf verstanden, ich würde Übergriffe generell als Verteidigung einstufen, weil ich das Wort “angreifen” davor ziemlich unglücklich benutzt habe. Das war die Klarstellung.
Wenn Sie eine Feststellung in diesem Kontext einwerfen, dann muss ich davon ausgehen, dass diese sich auf mich bezieht, und in dem Fall ist sie ein Vorwurf. Wenn Sie Missverständnisse vermeiden möchten, müssen Sie schon deutlicher sein.
Wieso? Soll ich in Rechnung stellen, wie Sie sich fühlen, wenn Sie lesen, was ich geschrieben habe. Ihre Gefühle sind Ihre Sache und wie Sie Dinge sehen wollen, ebenfalls. Ich kann nicht mehr als harmlose Sätze schreiben, in denen Feststellungen getroffen werden. Wenn Sie das missverstehen wollen, ist das nicht mein Problem.
Nur zur Erklärung:
Eine Feststellung:
“Wenn man sich in tautologischen Kreisen bewegt, wird irgendwann der Übergriff zur Verteidigung und der Angriffskrieg zur präventiven Verteidigung…”
Ein Vorwurf:
“Du Knallkopf hast nicht die Spur von Ahnung, sonst wäre Dir klar, dass …”
Da ist schon ein Unterschied dazwischen – oder?
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Roland
Wow. Vielen Dank für diese ausführliche Antwort.
Da der Link zum Kontaktformular sehr unscheinbar an der linken Sidebar stand, war ich mir nicht sicher, ob solche Anfragen überhaupt erwünscht sind. Dass meine Frage so schnell und auch noch so umfassend beantwortet wird, hätte ich nicht erwartet.
Mich würde interessieren, was eigentlich als linksextreme Gewalttat gezählt wird.
In der FAZ Online ist ein Bericht über Ausschreitungen in Leipzig. Wenn ich mir die auf einem Bild rumliegenden Pflastersteine ansehe sind das mehrere hundert Gewalttaten.
Oder zählt so eine Veranstaltung als eine Tat?
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Diese Definitionen sind reiner Unsinn:
“Die Schätzung ist insofern etwas irritierend, als Extremisten gemeinhin dadurch von Radikalen differenziert werden, als sie Gewalt “als Mittel zur Durchsetzung der jeweiligen Ziele befürworte[n], propagier[en] oder sogar praktizier[en]”
->Demnach sind alle Politiker Extremisten, weil sie uns alle ihre Ziele mit Gewalt aufzwingen. Sie führen Kriege und zwingen sogar Ausländern ihre Ziele auf. Eigentlich müssten alle Menschen, sofern sie nicht vollständig mental versklavt wurden, Extremisten sein, da jeder irgendwo eine rote Linie hat ab der er anfängt sich gewaltsam zu wehren, also seine Ziele mit Gewalt verfolgt.
Die richtige Definiton müsste sein: Extremisten sind Leute, die mit Gewalt die Regierung zu irgendwelchen Handlungen zwingen wollen.
Sie missverstehen die Richtung, die Gewalt, die Extremisten ausmacht, ist auf andere gerichtet, die missioniert werden sollen (hat also nichts mit sich wehren, sondern mit Übergriff auf andere zu tun), und warum sollte man ausgerechnet Regierungen aus der Klasse der Extremisten ausschließen wollen?
Da steht aber: “Gewalt zur Durchsetzung von Zielen” und nicht etwa “Gewalt zur Missionierung”. Ein Ziel muss nicht automatisch etwas sein, was man einem anderen aufzwingen muss. Man kann auch als Ziel haben, in Ruhe gelassen zu werden, und es mit Gewalt verfolgen, indem man alle angreift, die einen zwingen für etwas zu bezahlen was man nicht will.
Der Begriff des Extremisten macht keinen Sinn, wenn man die Regierungen mit einschließt, da schon die bloße Existenz einer Regierung Gewalt erforderlich macht und in den Regierungen somit immer und ausschließlich Extremisten sitzen würden. Dafür gibt es einen anderen Begriff, der die Regierungen mit einschließt: Aggressoren. Deshalb nützt es auch niemandem, den Begriff “Extremisten”, zu denen Politiker üblicherweise nicht gezählt werden, auf alle anzuwenden, sondern schafft nur Verwirrung und ist somit für jede Debatte kontraproduktiv.
Wenn man sich in tautologischen Kreisen bewegt, wird irgendwann der Übergriff zur Verteidigung und der Angriffskrieg zur präventiven Verteidigung…
Wenn ein Verbrecher ihr Land betritt, etwas wegträgt und sie ihn dabei angreifen, ist das immer noch Selbstverteidigung. Wenn Sie ihm irgendwann später begegnen, und sich mit Gewalt das zurücknehmen was Ihnen geklaut wurde, ist das immer noch Verteidigung, da der Verbrecher mit seiner Weigerung Ihnen das gestohlene Eigentum zurückzugeben weiterhin ein Aggressor ist. Genauso ist es mit der Regierung. Nur weil nicht ständig ein Soldat mit erhobener Waffe hinter Ihnen steht, heißt es nicht, dass Sie nicht das Recht hätten sich zu verteidigen. Die werden den bereits gemachten Schaden nicht wiedergutmachen und Sie weiterhin zwingen Dinge zu tun, die Ihnen nicht gefallen und nicht zögern, Sie körperlich anzugreifen, falls Sie ernsthaften Widerstand dagegen leisten. Der Begriff “angreifen” war meinerseits etwas unglücklich gewählt, ich dachte nur, dass Sie das Prinzip auch so verstehen würden.
Was wollen Sie mir sagen?
Ich habe die Antwort von Dezember 12, 2015 um 3:56 nachmittags als Vorwurf verstanden, ich würde Übergriffe generell als Verteidigung einstufen, weil ich das Wort “angreifen” davor ziemlich unglücklich benutzt habe. Das war die Klarstellung.
Wo sehen Sie einen Vorwurf. Es war eine Feststellung.
Wenn Sie eine Feststellung in diesem Kontext einwerfen, dann muss ich davon ausgehen, dass diese sich auf mich bezieht, und in dem Fall ist sie ein Vorwurf. Wenn Sie Missverständnisse vermeiden möchten, müssen Sie schon deutlicher sein.
Wieso? Soll ich in Rechnung stellen, wie Sie sich fühlen, wenn Sie lesen, was ich geschrieben habe. Ihre Gefühle sind Ihre Sache und wie Sie Dinge sehen wollen, ebenfalls. Ich kann nicht mehr als harmlose Sätze schreiben, in denen Feststellungen getroffen werden. Wenn Sie das missverstehen wollen, ist das nicht mein Problem.
Nur zur Erklärung:
Eine Feststellung:
“Wenn man sich in tautologischen Kreisen bewegt, wird irgendwann der Übergriff zur Verteidigung und der Angriffskrieg zur präventiven Verteidigung…”
Ein Vorwurf:
“Du Knallkopf hast nicht die Spur von Ahnung, sonst wäre Dir klar, dass …”
Da ist schon ein Unterschied dazwischen – oder?
Wow. Vielen Dank für diese ausführliche Antwort.
Da der Link zum Kontaktformular sehr unscheinbar an der linken Sidebar stand, war ich mir nicht sicher, ob solche Anfragen überhaupt erwünscht sind. Dass meine Frage so schnell und auch noch so umfassend beantwortet wird, hätte ich nicht erwartet.
Vielen Dank Sciencefiles-Team
Mich würde interessieren, was eigentlich als linksextreme Gewalttat gezählt wird.
In der FAZ Online ist ein Bericht über Ausschreitungen in Leipzig. Wenn ich mir die auf einem Bild rumliegenden Pflastersteine ansehe sind das mehrere hundert Gewalttaten.
Oder zählt so eine Veranstaltung als eine Tat?