Der andere Nutzen von Kindern: Requisite bei Taschendiebstahl
Die folgende Pressemeldung der Polizei in Köln ist uns nicht nur deshalb aufgefallen, weil der Schreiber einen sprachlichen Witz an den Tag legt, den man gar nicht mehr gewohnt ist.
Als Wissenschaftsblog mit einer Redaktion, die einen Kriminologen enthält, sind wir brennend an der Art und Weise, wie Diebe ihren Diebstahl planen und durchführen, interessiert, schon um den Diebstahl dann als rationale Handlung erklären zu können, die minutiös geplant und umgesetzt und eben nicht spontan ist.
Und während Carroll und Weaver (1989) für ihre Feldstudie per Annonce Ladendiebe suchen mussten und mit diesen durch Supermärkte getingelt sind, um herauszufinden, nach welchen Kriterien und in welchen Situationen sie einen Diebstahl umsetzen, können wir Material aus erster Hand – von der Polizei in Köln analysieren: Ergebnis: Kleinkinder dienen als Requisite, die öffentlich verordnete Kinderliebe wird von den Dieben schamlos ausgenutzt, wohlwissend, dass kaum jemand auf die Idee käme, sich zu beschweren, wenn ihm von klobigen Kinderwägen der Weg verstellt wird, so dass sie eine für den Diebstahl optimale Situation schaffen können, in der sie das Opfer, das zudem aufgrund seiner Wehrlosigkeit ausgesucht wurde, in aller Ruhe bestehlen können. Wer sich fragt, wie man kulturelle Stereotype, die von Gutmenschen gesetzt werden, ausnutzen kann – so:
„Köln (ots) – Der ein oder andere Mitbürger freut sich geradezu diebisch über Nachwuchs. Zumal sich in Kinderwagen drapierte Babys und Kleinkinder nicht dagegen verwahren können, von ihren Eltern prompt als Requisite für die Begehung von Eigentumsdelikten missbraucht zu werden. So geschehen am Dienstagnachmittag (24. Oktober) in einem Bus der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) in Höhenberg. In diesem Falle allerdings klickten bei der perfiden Tätergruppe die Handschellen.
Gegen 15.20 Uhr war ein KVB-Bus der Linie 153 vom Mülheimer Friedhof kommend in Richtung Vingst unterwegs. An der Haltestelle Fuldaer Straße stieg der spätere, polizeilich bereits vielfach als Langfinger aufgefallene Haupttäter (35) zu. In seiner Begleitung befanden sich drei Frauen mit Kinderwagen und Babys sowie ein weiterer Komplize (23). Nicht zufällig, denn zeitgleich beabsichtigte eine ältere Kölnerin (70) mit über die Schulter gehängter Handtasche ebenfalls, in den Bus zu gelangen. Noch im Eingangsbereich wurde die Seniorin dann von den arbeitsteilig vorgehenden Taschendieben durch ein künstliches Gedränge mit den Kinderwagen eingekeilt. Scheinheilig verwickelte nun eine der “Jungmütter” die 70-Jährige in ein Gespräch, während ihre Mittäter und Mittäterinnen das weitere Geschehen nach allen Seiten absicherten.
Zum Leidwesen der Diebe jedoch hielt sich in dem Bus ebenfalls ein Zivilfahnder der Kriminalpolizei Köln auf. Und dem war dieses tätertypische Auftreten der Gruppe wohlbekannt. Nachdem der 23-Jährige auch Außenstehende durch das vorgeblich kinderfreundliche Aufblasen eines grünen Luftballons abgelenkt hatte, angelte sich der 35-Jährige die Geldbörse der Kölnerin aus deren Umhängetasche. Hierbei hatte er sich zur Abschirmung seine Jacke über den Arm gelegt.
An der Haltestelle Vingst stiegt die Tätergruppe aus – und kümmerte sich fortan wieder “rührend” um die als Staffage mitgeführten Kinder. Als die Verdächtigen in Richtung Kuthstraße Ecke Heßhofplatz laufen wollten, stellte der Beamte sie zur Rede. Am Festnahmeort mit Verstärkungskräften stellten die Polizisten die – was Wunder – im Grünen liegende Geldbörse der 70-Jährigen sicher. Haupt- und Mittäter sowie die beiden “Mütter” (18, 28) wurden vorläufig festgenommen. Das Portemonnaie mit Bargeld in dreistelliger Höhe wurde der Geschädigten zurückerstattet. Die Festgenommenen müssen sich nun in einem Strafverfahren wegen Taschendiebstahls verantworten – der 35-Jährige vor einem Haftrichter. (cg) Rückfragen bitte an:
Carroll, John & Weaver, Frances (1989). Shoplifters’ Perception of Crime Opportunities: A Process-Tracing Study. In: Clarke, Ronald V. & Cornish, Derek B. (eds.): The Reasoning Criminal. Rational Choice Perspectives on Offending. New York: Springer, pp.19-38.
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