Unbewusste Vorurteile: der neueste Diversity-Unsinn

Er ist uns in letzter Zeit häufiger begegnet: Der Begriff der „unbewussten Vorurteile“. Diese neueste Verballhornung wissenschaftlicher Konzepte zu einem Brei aus Psychoanalyse und Brachial-Psychologie findet sich zunehmend bei denen, die der Diversität das Wort reden oder gegen „Rassismus“ oder andere Dinge, die sie meist nur halb, wenn überhaupt verstanden haben (um nicht zu sagen, von denen sie ein sehr vorurteilsbehaftetes Bild haben), vorgehen wollen.

Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass diejenigen, die am lautesten von Diversität tönen, diejenigen sind, die am wenigsten divers denken können? Sie reduzieren die große Vielfalt, die eine Menschenmenge auszeichnet, weil sie eben aus einzelnen Individuen besteht, zunächst auf Gruppen, um diesen Gruppen dann genau ein Merkmal, Geschlecht, Hautfarbe, sexuelle Orientierung oder was gerade in Mode ist, zuzuschreiben. Das hat mit Diversität überhaupt nichts zu tun. Es beschreibt eher eine Denkbehinderung, die man wohl als Vorurteil bezeichnen muss.

Wer für mehr Diversität ist, der hebe die Hand.

Damit sind wir zurück beim Thema. Sozialpsychologen haben seit der Grundlegung durch Gordon Allport (und vermutlich schon zuvor, aber nicht mit dem Impact), zwischen Stereotypen und Vorurteilen unterschieden. Erstere sind nützliche Abkürzungen, die es Menschen erlauben, schnell und zumeist auch erfolgreich Handlungsentscheidungen zu treffen. Stereoytpe sind das Ergebnis von Handlungserfahrungen, und deshalb haben Stereotype auch Handlungserwartungen zur Folge. Manche von uns sind immer noch der Ansicht, dass Kinder in Schulen rechnen und schreiben lernen und nicht, was politisch gerade als korrekt angesehen wird. Das ist ein Stereotyp. So wie es ein Stereotyp ist anzunehmen, dass ein Mann eher in der Lage ist, einen Kasten Bier fünf Etagen zu schleppen als eine Frau.

Das Besondere an Stereotypen ist, dass sie an konkreten Situationen scheitern können, weil Stereotype „typische Aussagen“ sind, können sie im konkreten Fall falsch sein, dann, wenn Lehrer mehr damit beschäftigt sind, Kinder ideologisch zu indoktrinieren oder man auf eine Gewichtheberin getroffen ist, die einen Kasten Bier in den sechsten Stock schleppt und dort alleine trinkt.

Was Stereotype auszeichnet, ist: Sie sind veränderlich. Erfahrungen, die man macht, schlagen sich auf die Stereotype nieder, führen zu einer Anpassung.

Das unterscheidet sie von Vorurteilen. Vorurteile sind nicht veränderlich. Sie basieren auf Werten oder Normen, auf Erwartungen, was richtig und was gut ist und sie werden gegen die Realität verteidigt. Widerstreitende Informationen können ihnen nichts anhaben. Sie bestehen unverändert, auch im Angesicht widersprechender Erfahrungen weiter. Assmann hat dies gut auf den Punkt gebracht:

„Prejudice cannot be explained – as stereotype can – on a cognitive basis alone; it is charged with collective emotions together with norms that are hidden behind values and taboos. It is not a tool for understanding the world, but a weapon in power and identity politics. This explains one characteristic of the prejudice: It is incorrigible. It can, on the contrary, be defined as a mental strategy to block the process of learning, which involves constant readjustment and reconstruction of preconceived ideas in the light of new experience and information. Instead of reconstructing the stereotype to accommodate the new evidence, the prejudice is constructed to block and destroy evidence. While the stereotype is adapted to the world, prejudice adapts the world to itself” (Assmann, 2009, S.9).

Szenenwechsel

Daniel Kahneman, der es noch erlebt, und Amos Tversky, der schon verstorben ist, gehören zu den derzeit am meisten missbrauchten Forschern. Jeder Halbgebildete meint, er könne sich die Arbeiten der beiden zu nutze machen und seine Verballhornung der Ergebnisse nutzen, um sich selbst und auf deren Kosten zu profilieren.

Unbewusste Vorurteile sind ein Beispiel dafür.

Unbewusste Vorurteile, so lesen wir auf einer Seite, die dem Bemühen gewidmet ist, Profit aus kognitiven Schwächen anderer zu schlagen, seien tief in unseren Gehirnen gespeichert und würden von dort aus unser Handeln „unbewusst“ steuern, ohne dass wir uns dagegen wehren könnten. Wir sind, so die Idee, die hinter den unbewussten Vorurteilen steckt, Automatons, die von ihrem Gehirn, das ein unbewusstes Eigenleben führt, gesteuert werden, ohne dass wir das merken. Wenn Unsinn wie „unbewusste Vorurteile“ verbreitet wird, dann sind in der Regel alle Schleusen geöffnet, dann findet keinerlei rationale Kontrolle dessen, was geäußert wird, mehr statt. So finden wir auf der bereits oben zitierten Seite, die Diversität durch die Bekämpfung „unbewusster Vorurteile“ herstellen will, die folgende Aussage:

„In der Regel ist der automatische Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozess richtig, doch manchmal kann er auch fehlerhaft oder entgegen unserer bewussten Überzeugungen und Werte ablaufen. So wird unser Unbewusstes eher für Menschen aus unserem Kulturkreis präferieren als für andere, weil es mit diesen bereits Erfahrungen gemacht hat – ob wir das wollen oder nicht. In diesen Fällen sprechen wir von kognitiven Wahrnehmungsverzerrungen oder Unconscious Biases.“

Derartiger Blödsinn, der aus einer geistigen Verwirrung, in der Sigmund Freud mit Daniel Kahneman und Amos Tversky in Verbindung gebracht wird, resultiert und in dem die Arbeit von Sozialpsychologen, die sich jahrzehntelang bemüht haben, Stereotype und Vorurteile von einander zu trennen, mit wenigen Worten vom Tisch gewischt wird, wird in den Kreisen derer, die Diversität im Munde führen, ohne zu wissen, was Diversität ist oder sein soll, eifrig aufgenommen.

Unbewusste Vorurteile …

Machen wir einmal die Probe aufs Exempel.

A geht in die Bäckerei um Brötchen zu kaufen. Der Verkäufer ist ein Asiate. A mag keine Asiaten und kauft keine Brötchen. Was meinen Sie, sind A seine Vorurteile bewusst oder unbewusst?

B geht in die Bäckerei um Brötchen zu kaufen. Er telefoniert, gibt das bereits abgezählte Geld dem asiatischen Verkäufer und verlässt die Bäckerei. Hat B unbewusste Vorurteile, und wenn ja: who cares?

Der Witz an Vorurteilen ist, dass man sich ihrer sehr bewusst ist. Denn Vorurteile müssen aktiviert werden. In Handlungssituationen. Durch Unerwartetes. Um relevant zu sein. X hasst Genderisten. Deshalb hat sich X einer Männergruppe angeschlossen, die ihre Entsorgung als Väter bejammert. Eines Tages taucht Y, eine Genderistin auf, um mit zu jammern. Wie reagiert X? Geht er nicht mehr in seine Männergruppe, dann hat er auf Grundlage seines Vorurteils, dass er Genderisten hasst, eine Entscheidung getroffen, und zwar unabhängig von der konkreten Person Y. Aber niemand wird behaupten, dass X seine Entscheidung aufgrund eines unbewussten Vorurteils getroffen hat. X ist sich sehr bewusst darüber, dass er Genderisten hasst.

Es zeichnet übrigens Menschen aus, die Vorurteile zur Grundlage ihrer Handlungsentscheidungen machen, dass sie zum einen Individuen (oder konkrete Situationen) ignorieren und zum anderen ihre Entscheidungen auf Basis von Affekten treffen.

Unbewusste Vorurteile ist also Unsinn, der nur im Gehirn von Verwirrten entstehen kann.

Was den Unsinn zur (unbewusst) kalkulierten Verleumdung macht, ist, dass er Daniel Kahneman untergeschoben wird, um das „unbewusste Vorurteil“ in der Aura des Nobelpreisträgers zu suhlen.

So bezieht sich ein Manfred Wondrak, der auf der Seite „anti-bias“ allgegenwärtig ist, explizit auf Daniel Kahneman und erklärt, dieser habe zwischen zwei Denksystemen unterschieden, System 1 sei das Unbewusste und System 2 sei das Bewusste. Ersteres sei automatisch, schnell, intuitiv, Letzeres langsam und rational. Unbewusste Vorurteile würden in System 1 geformt. Sie seien ein „unbewusster Bias“, der aufgrund von Erfahrungen (sic!) entwickelt worden sei, Erfahrungen, die nicht anders als kulturell zentriert und entsprechend „rassistisch“ sein können, wie man anfügen kann.

Das setzt dem Unsinn die Krone auf.
Machen wir doch einmal einen Schnellkurs in Kahneman und Tversky. Beide haben sich jahrzehntelang mit der Frage beschäftigt, warum Handlungsentscheidungen, die Menschen treffen, von dem abweichen, was man als die in einer konkreten Situation rational richtige Entscheidung ansehen muss. In einer Vielzahl von sozialpsychologischen Experimenten haben die beiden gezeigt, dass die Annahmen, die in der neoklassischen Ökonomie über den homo oeconomicus gemacht werden, ein Idealtypus, den es in der realen Welt nicht gibt, so weit von der empirischen Realität abweichen, dass man sich fragen muss, ob es noch sinnvoll ist, diese Annahmen zu machen. Sodann haben Kahneman und Tversky untersucht, warum Entscheidungen von Akteuren nicht entsprechend den Annahmen einer objektiv-rationalen Handlungstheorie getroffen werden. Die Antwort auf diese Frage sind die berühmten Heuristics and Biases, die Kahneman und Tversky zusammengetragen haben, Shortcuts im Denken, die in konkreten Situationen zu falschen Entscheidungen führen können. Mit Vorurteilen oder Unbewusstem hat dies alles überhaupt nichts zu tun.

Zum Beispiel die Ankerheuristik:

Versuchspersonen, denen die folgende Reihe gezeigt wurde

1*2*3*4*5*6*7*8

und die das Ergebnis der Multiplikation schätzen sollten (40320) blieben deutlich unter diesem Ergebnis und schätzten es viel geringer ein als Versuchspersonen, denen die folgende Reihe gezeigt wurde:

8*7*6*5*4*3*2*1

Die Anker „1“ bzw. „8“ determinieren offensichtlich den Raum möglicher Schätzergebnisse.

Eine andere Heuristik ist die fehlerhafte Mustererkennung. Versuchspersonen, denen die folgenden Reihen als Ergebnis wiederholter Münzwürfe gezeigt wurden:

1. K(opf) K K K Z(ahl) Z Z Z
2. K Z Z Z Z Z Z Z
3. Z K Z K Z K Z K
4. K Z Z K K K Z K
5. Z Z K Z K Z K K
6. K Z K Z Z K K Z

hielten die Reihen 5 und 6 für wahrscheinlicher gehalten, obwohl alle sechs Reihen dieselbe Wahrscheinlichkeit haben.

Das soll als Beispiel dafür genügen, dass Kahneman und Tversky keine verkappten Psychoanalytiker sind, sondern Sozialpsychologen, die Fehler im Denken aufdecken wollen, die Akteure daran hindern, objektiv-richtige Entscheidungen zu treffen.

Mit unbewussten Vorurteilen hat dies überhaupt nichts zu tun und tatsächlich kommt der Begriff „unconscious bias“ in den Arbeiten von Kahneman und Tversky an keiner Stelle vor. Das kann er auch nicht. Denn im Gegensatz zu all denen, die mit unbewussten Vorurteilen hantieren, sind Kahneman und Tversky der Ansicht, dass Menschen rationale Akteure sind, deren Rationalität zuweilen durch geronnene Erfahrung und fehlerhafte Wahrnehmung ein Streich gespielt wird.

Das führt zurück zu den beiden kognitiven Systemen, von denen Wondrak und andere Diversitäts- und anti-Bias-Profiteure behaupten, Kahneman habe sie in ein Unbewusstes (System 1) und ein Bewusstes (System 2) unterschieden. Kahneman hat nichts dergleichen getan. Er und Tversky haben das folgende Modell der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung durch Akteure aufgestellt, in dem sich System 1 und 2 nicht dadurch entscheiden, dass die Prozesse bewusst bzw. unbewusst ablaufen, sondern in erster Linie durch die Geschwindigkeit und die Menge an Hirnschmalz, die investiert wird, um eine Handlungsentscheidung zu treffen. Denn Kahneman und Tversky geht es in ihrer Forschung darum, Handlungsentscheidungen zu erklären, nicht darum, anderen mit Anti-bias-Kursen Geld aus der Tasche zu ziehen.

Fehler im Denken sind für Kahneman und Tversky darauf zurückzuführen, dass System 2 seine Überwachungsfunktion über System 1 nicht korrekt ausführen kann.

„The judgements that people express, the actions they take, and the mistakes they commit depend on the monitoring and corrective functions of System 2, as well as on the impressions and tendencies generated in System 1“ (Kahneman 2003: 1467)

Die Wahrscheinlichkeit, eine falsche Handlungsentscheidung zu treffen, steigt entsprechend, wenn Handlungen unter Zeitdruck erfolgen, wenn ein Akteur mehrere Entscheidungen zur selben Zeit treffen soll oder abgelenkt wird usw. Mit Unterbewusstem hat dies abermals überhaupt nichts zu tun. Die Fähigkeit eines Akteurs, System 2 zum Einsatz zu bringen, ist wiederum eine Funktion seiner Intelligenz, seiner statistischen Kenntnisse, seines Bedürfnisses, Dinge auch wahrzunehmen usw.

Gefallene Kulturgüter stellen einst wertvolle und wichtige kulturelle Errungenschaften dar, die in den Hände von Dilettanten zur Travestie ihrer selbst geworden sind. Wissenschaftliche Konzepte und Ergebnisse sind kulturelle Errungenschaften. Sie teilen dieses Schicksal und in keinem Bereich sind Dilettanten und Scharlatane häufiger zu finden als im Bereich der sogenannten Diversität, einer Spielwiese der Genderista.

Literatur

Assmann, Aleida (2009). Introduction. In: Pelinka, Anton, Bischof, Karin & Stögner, Karin (eds.). Handbook of Prejudice. Amherst: Cambria Press, pp.1-34.

Kahneman, Daniel (2003). Maps of Bounded Rationality: Psychology for Behavioral Economics. American Economic Review 93(5): 1449-1475.

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