Sie feiern, was sie nicht kennen: Der Mythos des 20. Juli

Das Attentat auf Hitler, das gescheiterte Attentat vom 20. Juli 1944, das Claus Schenck Graf von Stauffenberg als Mitglied einer Gruppe von Verschwörern, die im Wesentlichen aus dem Kreisauer Kreis, dem Freiburger Kreis und der Wehrmacht hervorgegangen war, in Hitlers Wolfsschanze ausgeführt hat (und das von einer Tischplatte vereitelt wurde), es jährt sich heute zum 74. Mal.

Und wie immer, wenn es die Möglichkeit gibt, sich öffentlich zu inszenieren und als auf der richtigen Seite stehend, zu feiern, geben sich Politiker aller Couleur ein Stelldichein, um die Männer des 20. Juli (denn Frauen waren am Widerstand gegen Hitler nicht direkt beteiligt) zu ehren und ihrem Denkmal einen Kranz zu spendieren.

Und wie sie so inszenieren, schwingen sie huldvolle Reden und heute, da die Digitalisierung selbst Politiker eingeholt hat, folgen sie dem Beispiel von Donald Trump und tweeten.

Heiko Maas zum Beispiel, der nach seinem Versuch, das deutsche Justizsystem zu beerdigen nun außenpolitischen Schaden anrichten darf. Er schreibt:

Nun ist es immer einfach, anderen, die tot sind und sich nicht mehr wehren können, zu unterstellen, dass sie gutheißen würden, was sie heute vorfänden, wenn sie nicht von Hitlers Getreuen ermordet worden wären.

Aber ist das wirklich so?

Wir haben einmal zusammengestellt, welches politische System den Verschwörern des 20. Juli für die Zeit nach Hitler vorgeschwebt ist, um die auszuwählen, die in Regierungsämter oder Ämter mit Entscheidungsgewalt gelangen.

Heiko Maas wird sich wundern. Denn wären die Verschwörer erfolgreich gewesen, er wäre mit Sicherheit kein Darsteller im Ministeramt.

Die Frage, wie es nach dem Tod von Hitler politisch weitergehen sollte, hat z.B. Ludwig Beck sehr pragmatisch beantwortet: Er wollte „erhebliche Teile des vom nationalsozialistischen Staat Geschaffenen in den Staatsumbau herübernehmen und auf Dauer“ sichern (Mommsen 2000: 174). Die Verschwörer des 20. Juli, sie waren kein repräsentativer Sample aus der Bevölkerung. Sie waren Angehörige der oberen Mittel- und Oberschicht und als solche überwiegen konservativ und nationalkonservativ eingestellt. Sie haben in Hitler denjenigen gesehen, der die „nationale Revolution“ der 1930er Jahre verspielt hat und den Rückfall in „Parteiherrschaft, Materialismus und Bonzenherrschaft“ (Mommsen 2000: 173) zu verantworten hat.

Die politische Neuordnung des Deutschen Reiches nach der Beseitigung Hitlers war deshalb vom Bemühen geprägt, ein parlamentarisches System zu vermeiden. In ihren und – wie sie meinten – in den Augen der Mehrheit der Deutschen hatte das parlamentarische System versagt, war zum Tummelplatz von Parteisoldaten, Günstlingen und zum Ort des Parteiengezänks geworden.

Konsequenter Weise wollten die Verschwörer des 20. Juli auch keine Parteien mehr in ihrem neuen Staat sehen: „Die Verfassungspläne … waren von der Intention geprägt, auf politische Parteien im bisherigen Sinne ganz oder größtenteils verzichten zu können. Sie stellten darauf ab, das Wahlvolk in überschaubare lokale Einheiten zu zerlegen und die Bildung von Massenparteien und Abhaltung von zentral und damit notwendig emotional geführten Wahlkämpfen zu unterbinden“ (Mommsen 2000: 176).

An die Stelle von Parteien sollten „kleine Gemeinschaften“ treten, die spontan gebildet werden sollten und denen die Bestimmung oder Nominierung der Kandidaten oblag. Vor allem Helmuth James Graf von Molke (als der entsprechende Vordenker im Kreisauer Kreis) hat diese Idee ausgearbeitet und mit ihr versucht, die vorstaatliche Kommunikation zur Keimzelle politischer Willensbildung in Nachbarschaften, Vereinen, kulturellen Einrichtungen, Unternehmen, bei der Feuerwehr usw. zu machen. Sie alle galten ihm als „kleine Gemeinschaften“ und sollten ein Nominierungsrecht erhalten. Nominiert werden konnte, wer in einer kleinen Gemeinschaft ein politisches Amt wahrgenommen hat.

Keine Massenparteien, dezentrale politische Institutionen, die sich aus kleinen Gemeinschaften rekrutieren, kein zentrales Parlament, kein Parlamentarismus, keine zentralen Wahlen (von Parteienfinanzierung und Selbstbedienung an Steuergeldern ganz zu schweigen), das ist der Kern von Vorschlägen, die von Moltke, aber auch Fritz Gördeler gemacht und die im Kreisauer Kreis und unter den Verschwörern des 20. Juli nicht nur diskutiert, sondern auch gebilligt wurden.

Aber davon weiß Heiko Maas vermutlich nichts. Muss er auch nichts wissen, geht es doch nur darum, sich an einem Mythos zu laben und auf Kosten von Toten zu inszenieren.

Mommsen, Hans (2000). Alternative zu Hitler. Studien zur Geschichte des deutschen Widerstands. München: C.H. Beck.

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