Den Rechtsextremismus gibt es nicht, den Linksextremismus übrigens auch nicht

Es ist wieder einmal an der Zeit, auf das Offensichtliche hinzuweisen. Es gibt keinen Rechtsextremismus, und es gibt auch keinen Linksextremismus.

Es gibt Erscheinungsformen menschlichen Verhaltens, die als Rechtsextremismus oder Linksextremismus bezeichnet werden.

Beide Extremismen sind latente Variablen, denn sie beschreiben letztlich etwas, das es in der Realität nicht gibt, was als Sammelbezeichnung für bestimmte Verhaltensweisen, Motivationen, Einstellungen oder Überzeugungen benutzt werden soll.

Der Begriff „Extremismus“ bezeichnet dabei eine Abweichung von dem, was als normal angesehen wird. Deshalb kann Extremismus nicht weit verbreitet sein, denn wäre er weit verbreitet, wäre er normal und eben kein Extremismus.

Extremismus beschreibt somit ein unter Menschen selten vorzufindendes Verhalten und die Qualifikationen links und rechts ordnen dieses seltene Verhalten in den politischen Raum (selten relativ zum normalen Verhalten: Die meisten normalen Menschen stecken keine Autos in Brand und feiern auch nicht (mehr) den Führergeburtstag).

Wie alles, was im politischen Raum diskutiert wird, so sind auch die beiden Extremismen von links und rechts fluide Konzepte, die je nach Motivation dessen, der darüber spricht, als furchtbar gefährlich (Rechtsextremismus), vernachlässigbar (Linksextremismus) oder Gefahr für die Demokratie (beide) angesehen wird.

Die Bedeutung von Links- wie Rechtsextremismus ergibt sich aus der affektiven Ladung, die mit dem Begriff einhergeht. Für Linke ist Rechtsextremismus ein Schimpfwort, wer so bezeichnet wird, ein Aussätziger, für Rechte erfüllt Linksextremismus die selbe Funktion.

Indes: Die Vorstellungen darüber, was Links- und was Rechtsextremismus bezeichnet, sind alles andere als geteilt.

Machen Sie die Probe aufs Exempel und fragen sie 10 Bekannte, was Rechts- und was Linksextremismus nach deren Ansicht ist.

Vermutlich werden Sie Dinge zu hören bekommen, wie,

Linksextremisten, das sind die, die Kommunismus wollen oder Autos in Brand stecken oder Deutschland „Scheiße“ finden oder Polizisten mit Steinen bewerfen.

Rechtsextremisten sind welche, die den Hitlergruß zeigen, das Horst Wessel Lied grölen, die Springerstiefel tragen und Flüchtlingsheime in Brand stecken.

Je mehr sie fragen, desto mehr Eigenschaften werden sie als „links-„ oder „rechtsextrem“ benannt bekommen.

Das zeichnet eine latente Variable aus. Während man kaum darüber streiten kann, was ein Auto ist und was nicht, kann man trefflich über Links- oder Rechtsextremismus streiten, weil es ihn nicht als konkretes Objekt zu fassen gibt.

Diese Unschärfe der Bestimmung nutzen Politiker und Ideologen aller Art aus. Sie tun so, als gäbe es den Links- oder Rechtsextremismus, als sei ganz klar, was Links- oder Rechtsextremismus ist und als könne man gar nicht darüber streiten, weil es eindeutig bestimmt ist und weil es eindeutig sein soll, können es Ideologen auch eindeutig bewerten, eben als sehr gefährlich (Rechtsextremismus) oder zu vernachlässigen (Linksextremismus).

Indes, wer sich etwas genauer mit dem befasst, was Links- oder Rechtsextremismus sein sollen, der stößt schnell auf die Uneinigkeit, die Wolfang Gessenharter (1999) dazu veranlasst hat, den Begriff „Rechtsextremismus“ als unbrauchbar zur Beschreibung der empirischen Wirklichkeit zu verschrotten.

Andere definieren munter weiter:

„Die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse ist im rechtsextremistischen Weltbild entscheidend für den Wert eines Menschen. Diesem „völkischen“ Kriterium sind auch die Bürger- und Menschenrechte des Einzelnen untergeordnet. Rechtsextremistische Agitation ist geprägt von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus sowie einer grundsätzlichen Demokratiefeindschaft. Damit stehen Rechtsextremisten und deren Ideologie im fundamentalen Widerspruch zu zentralen und universellen Werten des Grundgesetzes, das die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt.“

So wird Rechtsextremismus im Verfassungsschutzbericht definiert.

Die Definition erinnert an den Bauchladen, den Frieder Dünkel gefüllt und als Rechtsextremismus bezeichnet hat. Ihmnach sind „übersteigerter Nationalismus, Kollektivismus, Demokratiefeindlichkeit, Antipluralismus, autoritäres Gesellschaftsbild, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus, Vorurteile und Stereotype, Freund-Feind-Denken“ (zitiert nach Gessenharter 1999: 19-20), Bestandteile des Rechtsextremismus.

Weil derartige Definitionen weitgehend nutzlos sind (deshalb finden sie bei Extremismus-Unternehmern wie der Amadeo-Antonio-Stiftung so viel Anklang), deshalb hat Richard Stöss den Rechtsextremismus definiert als: „alle Erscheinungsformen des öffentlichen Lebens, die sich gegen fundamentale Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaats richten. Rechtsextremismus ist Demokratiefeindschaft“ (Stöss 1989: 18).

Wer denkt, damit sei die Kuh vom Eis, der hat sich getäuscht, denn so, wie Stöss hier Rechtsextremismus definiert, umfasst die Definition auch Linksextremismus, z.B. in der ausschweifenden Variante des Bundesverfassungsschutzes:

„Linksextremisten verfolgen das Ziel, unsere Staats- und Gesellschaftsordnung und damit die freiheitliche Demokratie abzuschaffen und durch ein kommunistisches oder ein „herrschaftsfreies“, anarchistisches System zu ersetzen. Ihre theoretischen Leitfiguren sind – in unterschiedlichem Ausmaß und abweichender Interpretation – Marx, Engels und Lenin. Gewalt, verstanden als „revolutionäre Gewalt“ der „Unterdrückten gegen die Herrschenden“, gilt grundsätzlich als legitim.

Im Wesentlichen geht es Linksextremisten im Rahmen ihrer unterschiedlichen Agitationen nicht darum, konkrete gesellschaftliche Probleme zu lösen. Vielmehr versuchen sie, gesellschaftliche Konflikte im Sinne ihrer revolutionären Ziele zu instrumentalisieren: Sie beteiligen sich an gesellschaftlichen und politischen Debatten und Protestaktionen, um ihre linksextremistischen Positionen zu popularisieren und neue Mitglieder oder Sympathisanten zu gewinnen. Ihr wirkliches Ziel, die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie, verlieren sie dabei nicht aus den Augen.

Ihre ideologische Grundlage ist die Ablehnung des „kapitalistischen Systems als Ganzes“, denn der „Kapitalismus“ ist für Linksextremisten mehr als nur eine Wirtschaftsform: Er gilt sowohl als Basis als auch als Garant der „bürgerlichen Herrschaftsverhältnisse“ durch „Repression“ nach innen und „Aggression“ nach außen. Der „Kapitalismus“ ist demnach verantwortlich für alle gesellschaftlichen und politischen Missstände wie soziale Ungerechtigkeit, „Zerstörung“ von Wohnraum, Kriege, Rechtsextremismus und Rassismus sowie für Umweltkatastrophen.“

Armin Pfahl-Traughber, einer der wenigen, die sich mit Linksextremismus wissenschaftlich befassen, hat die folgenden Kriterien zur Definition von Linksextremismus vorgeschlagen:

„Erstens geht es um alle politischen Auffassungen und Handlungen, die der Gleichheit eine herausgehobene Position im eigenen politischen Selbstverständnis zuweisen. Zweitens müssen sich die damit einhergehenden Bestrebungen gegen die Normen und Regeln eines modernen demokratischen Verfassungsstaates richten. Und demnach stehen dabei drittens primär die angewandten Mittel und weniger die beschriebenen Ziele im Zentrum des Interesses“ (Pfahl-Traughber 2014: 23).

 

Was soll nun noch einmal Linksextremismus und was Rechtsextremismus sein?

Das Problem, das sich mit Begriffen verbindet, die im menschlichen Geist ersonnen wurden und nun in der Realität gesucht werden, ist damit hoffentlich deutlich geworden.

Für Ideologen ist dieses Problem jedoch eine Chance, denn wenn es ihnen gelingt, jeden Zweifel daran, dass alle dasselbe denken, wenn sie Rechts- oder Linksextremismus hören, zu beseitigen, dann können sie über die Verwendung des jeweiligen Begriffs, jeden bei seiner eigenen Bestimmung, seinen eigenen Vorurteilen abholen und somit völlig unterschiedliche Vorstellungen über die Wirklichkeit in einem Begriff zusammenfassen und politisch nutzen.

Die LINKE tut dies mit dem Begriff Rechtsextremismus und unter tätiger Mithilfe ihrer Uboote in den Mainstreammedien höchst erfolgreich. Die Inszenierung von Rechtsextremismus, dem Rechtsextremismus, den es natürlich in nur genau einer Ausformung gibt, findet regelmäßig im Bundestag statt. Einmal als monatliche kleine Anfrage nach „politisch motivierten Straftaten von rechts“ (19/4510 (August 2018); 19/4039 (Juli 2018); 19/3521 (Juni 2018); 19/2960 (Mai 2018), April wurde vergessen, 19/2048 (März 2018), 19/1457 (Februar 2018) und 19/1269 (Januar 2018)) sowie als vierteljährliche kleine Anfrage nach „Musikveranstaltungen der extremen Rechten“ (19/3537 (Zweites Quartal 2018); 19/2176 (Erstes Quartal 2018)). Flankiert werden diese Anfragen von Anfragen zu Angriffen auf Journalisten durch Neonazis (19/3810), Anfragen zu „rechten und rassistischen Verdachtsfällen unter Gewalttaten“ (19/2501), zu „Tötungsdelikten mit rechtsextremer bzw. rassistischer Motivation (19/2369), „rechte[n] Aufmärschen“ (19/2185) bzw. „Antisemitischen Straftaten 2017“ (19/1421).

Auf diese Weise gelingt es, die Existenz von Rechtsextremismus zu simulieren und den Eindruck zu vermitteln, dass wir alle, wenn wir von Rechtsextremismus reden, dasselbe meinen, an das selbe denken.

Eine Illusion, wie so vieles im öffentlichen Diskurs, eine Illusion ermöglicht durch abstrakte Begriffe oder latente Konzepte, die variabel benutzt, mit vielen Bedeutungen versehen und dennoch von Ideologen, die sich dadurch einen Vorteil versprechen, so behandelt werden, als seien sie eindeutig oder real.

Wer denkt, eine Gewalttat, die als politisch rechts motiviert eingeordnet worden ist, sei ein Beleg für Rechtsextremismus, der kennt die Wirklichkeit der polizeilichen Erfassung von Straftaten nicht, die schon problematisch wird, weil die meisten Tatverdächtigen nicht nur eine Straftat, sondern mehrere begangen haben. Wenn ein Einbrecher in ein Haus einsteigt, dabei Nachbars Zaun zerstört, Wertsachen stiehlt und gleich noch den Hauseigentümer einen Faustschlag versetzt, wird ein schwerer Diebstahl erfasst. Sachbeschädigung (der Zaun des Nachbarn) und einfache Körperverletzung (der Faustschlag) fallen dabei mehr oder weniger unter den Tisch.

Ein Antifant, der im Zusammenhang einer Demonstration Steine wirft, Mülltonnen in Brand steckt, Autos zerstört, Scheiben einschlägt, gleich ein paar Dinge aus der Auslage mitnimmt und sich mit Händen und Füßen gegen seine Festnahme wehrt, hat u.a. Sachbeschädigungen, Diebstahl, Brandstiftung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte als Einzeldelikte verübt, wird aber gemeinhin als „schwerer Landfriedensbruch“ erfasst.

Was wird erfasst, wenn ein Betrunkener den Hitlergruß zeigt, einen Bierkrug wirft, dabei drei Unbeteiligte verletzt, von denen einer Ausländer ist? Eine politisch-rechts motivierte Körperverletzung oder nur eine Körperverletzung?


Gessenharter, Wolfgang (1999). Rechtsextremismus, Neue Radikale Rechte und Intellektuelle Neue Rechte. Begriffliche Klärung und empirische Befunde. In: Dünkel, Frieder & Geng, Bernd (Hrsg.). Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Bestandsaufnahme und Interventionsstrategien. Mönchengladbach: Forum-Verlag, S.17-53.

Pfahl-Traughber, Armin (2014). Linksextremismus in Deutschland. Eine kritische Bestandsaufnahme. Wiesbaden: SpringerVS.

Stöss, Richard (1989). Die extreme Rechte in der Bundesrepublik. Entwicklungen – Ursachen – Tatsachen. Opladen: Westdeutscher Verlag.

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