ARD-Happening in Inkompetenz: Schwätzperten-Belehrung für Gebührenzahler

Wenn Hartmut Esser in seinen Vorlesungen ein Bild für Einfalt und Inkompetenz gesucht hat, dann hat er Lieschen Müller bemüht, wenn er besonders gut gelaunt war, hat er Lieschen Müller als Tochter eines evangelischen Pfarrers eingeführt.

Jede Kultur hat Bilder für Lieschen Müller.

Das vorlaute Gör, das die Klappe zu allen Themen aufreißen muss, aber von keinem Thema irgendeine Ahnung hat ist eines dieser Bilder. Das Bild vom altklugen Mädchen, das dem anwesenden Physiker erklären will, wie das mit dem Klimawandel funktioniert, ein anderes.

Die Basis dieser Bilder ist immer dieselbe: Inkompetente und häufig auch dumme Gören, die vorlaut sind und nicht merken, dass sie sich mit jedem Wort, das sie von sich geben, diskreditierten.

Bei der ARD hat man auch ein Lieschen Müller: Juliane Fliegenschmidt.

Fliegenschmidt (bei diesem Nachnamen muss man höllisch aufpassen, dass man sich nicht vertippt) gehört zu denen, die denken, sie seien qualifiziert, um eben einmal das zu erklären, was andere im Laufe eines mehrsemestrigen Studiums lernen und anschließend erst richtig begreifen, wenn sie es anwenden.

Wie oft wir schon darüber geklagt haben, dass heute jeder Fuzzi denkt, er könne empirische Sozialforschung, könne sich zu Themen der Soziologie, Sozialpsychologie oder Politikwissenschaft äußern, ohne auch nur ein Semester in auch nur eines der Fächer investiert zu haben. Und natürlich ist die Klage insofern falsch adressiert als die Unkundigen, die sich heute in den Medien anmaßen, über den jeweiligen Gegenstand der Fächer zu phantasieren, nur die Unkundigen ergänzen, die an Hochschulen auf Positionen sitzen, auf die sie, wäre ihre Kenntnis für das jeweilige Gebiet, Auswahlkriterium gewesen, nie und nimmer gelangt wären.

But there you have it.





Inkompetenz ist endemisch. Und wenn Inkompetenz zu Lieschen Müller wird, das sich heute Juliane Fliegenschmidt nennt, dann ist es durchaus im Rahmen des Möglichen, dass Fliegenschmidt sich selbst davon überzeugt, sie könne den Lesern der Tagesschau einmal erklären, was es mit der Repräsentativität auf sich hat. Herausgekommen ist dabei eine Erklärung, die wir jedem Studenten, der gewagt hätte, sie abzugeben, um die Ohren gehauen hätten:

Das Wesentlich im Originalton:

[1] „Die Meinungsforscher machen mit der Sonntagsfrage nur eine Momentaufnahme der politischen Stimmung zum Zeitpunkt der Umfrage selbst. In die Zukunft – auf den Wahltag – können sie damit nicht schauen.“

[2] Das ändert aber nichts daran, dass das Stimmungsbild der Sonntagsfrage natürlich präzise sein soll: Mitarbeiter von Infratest dimap sprechen mit mindestens 1000 Wahlberechtigten. Weil immer mehr Menschen kein Festnetz-Telefon haben, werden bei bundesweiten Umfragen 60 Prozent Festnetz- und 40 Prozent Handynummern angerufen. Die Nummern werden von einem Computer per Zufall festgelegt. Bei den Festnetznummern wird darauf geachtet, dass die Befrager Wahlberechtigte entsprechend der regionalen Verteilung in Deutschland erreichen. Damit wird verhindert, dass einzelne Regionen – etwa Niedersachsen – ein Übergewicht in der Umfrage haben.

[3] Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Umfrage repräsentativ ist. Theoretisch kann aber jede Nummer angerufen werden und die Befragten werden zufällig ausgewählt.

[4] Online-Umfragen erfüllen diese Kriterien nicht – und gelten deshalb als nicht aussagekräftig. Denn hier können nur Menschen mitmachen, die einen Internetzugang haben und diese spezielle Seite auch lesen. Außerdem klicken vor allem Menschen, die ein besonderes Interesse an dem Thema der Umfrage haben, diese dann auch an. Und hinzu kommt noch, dass die User meistens so oft abstimmen können, wie sie wollen.

[5] Ein weiterer wichtiger Aspekt: Bei repräsentativen Umfragen müssen die gewonnenen Antworten noch “gewichtet” werden. Das heißt: Wenn unter den Befragten zum Beispiel der Frauenanteil geringer war als er eigentlich in der Bevölkerung ist, zählen die Antworten von Frauen entsprechend mehr. Genauso wird es mit anderen Faktoren wie dem Alter oder der Haushaltsgröße gemacht. Am Ende steht dann ein repräsentatives Ergebnis.”

Offenkundig ist man bei der ARD in Erklärungsnot, Erklärungsnot, weil der Sender sehr viel Geld in traditionelle Umfragen steckt, viel mehr als für Online-Umfragen bezahlt werden müsste. Alte Netzwerke, die zwischen Sendern und Umfrageinstituten geknüpft wurden, sind schwer an die neue Zeit anzupassen.

Der Versuch von Fliegenschmidt (man muss bei diesem Nachnamen wirklich höllisch aufpassen und auch die Autokorrektur hilft eher nicht), ist indes so ungeeignet und so grottenfalsch, dass man sich fragt, ob die ARD wirklich allen Ernstes denkt, das, was den Lesern / Zuschauern hier zugemutet wird, sei noch vertretbar.

In jedem der Absätze finden sich Fehler, die jedem Dozenten, der empirische Sozialforschung lehrt oder gelehrt hat, die Tränen in die Augen treiben müssen, die Wuttränen…

Wir haben die Absätze nummeriert und beginnen, weil es didaktisch sinnvoll ist, zunächst mit der Frage, was Repräsentativität sein soll: Repräsentativität ist eine mathematisch begründete Hoffnung, die an ein Auswahlverfahren herangetragen wird. Die Hoffnung besteht darin, dass dann, wenn man sicherstellt, dass alle Elemente einer Grundgesamtheit dieselbe Chance haben, in die Auswahl zu gelangen, dann, wenn man zufällig Elemente aus dieser Grundgesamtheit zieht, eine ausreichende Menge von Elementen, die gezogene Stichprobe repräsentativ für die Grundgesamtheit ist.

Diese Hoffnung ist mathematisch begründet und ansonsten umsonst. Wir haben hier die Gründe zusammengestellt, warum KEINE Auswahl repräsentativ sein kann. Wichtig an dieser Stelle ist: Repräsentativität ist ein Merkmal der Auswahlart, ein erhofftes Ergebnis einer Zufallsauswahl, es ist nichts, was den Ergebnissen, die auf der Basis einer Zufallsauswahl berechnet werden, eigen wäre. 





Dass Zufallsauswahlen in sozialen Umfeldern keinerlei Repräsentativität erreichen, zeigt sich daran, dass die gewonnenen Daten aus Verzweiflung noch gewichtet werden. Das ist kein Qualitätsmerkmal, wie Fliegenschmidt unter [5] schreibt. Es ist das Gegenteil: Der Beleg dafür, dass der Versuch, eine repräsentative Auswahl zu erhalten, gescheitert ist. Die Auswahl weicht in vielen Merkmalen von der Grundgesamtheit ab. Also versucht man nachzubessern. Den Versuch, das Scheitern des Versuchs, eine repräsentative Stichprobe zu gewinnen, nachträglich durch angebliche “Gewichtung” zu kaschieren, als „Qualitätsmerkmal“ zu verkaufen, wie ihn Fliegenschmidt hier vorträgt, ist in seiner vollkommenen Ahnungslosigkeit bemerkenswert. So bemerkenswert wie die Behauptung, Frauen würden im Datensatz und nach Gewichtung “mehr zählen”, wenn Ihr Anteil geringer sei als in der Grundgesamtheit. Aber die Behauptung, dass bei Infratest Dimap nachträglich Befragte per Gewichtung erfunden werden, damit Frauen mehr zählen, hat uns wirklich erheitert.

Weil die hier verwendeten telefonischen Auswahlverfahren keine Repräsentativität garantieren, sind telefonische Befragungen auch Onlineumfragen nicht überlegen [4]. Dass Onlineumfragen nur von denen ausgefüllt werden, die auf eine bestimmte Seite gelangen, ist ein innovatives, wenngleich vollkommen blödsinniges Argument. Offenkundig hält Fliegenschmidt den Unsinn, den WELT, Spiegel und anderen Online-Medien am Ende von Texten anbieten, also zumeist in Zusammenarbeit mit Civey eine Einstellungsfrage zum aktuellen Text, die die Leser beantworten sollen, für eine Umfrage. Sie hat offenkundig noch nichts von Online-Panels gehört, wie sie YouGov unterhält, ein Pool aus mehreren Tausend Nutzern, die über eMails zur Teilnahme an Befragungen eingeladen werden.

Mit Repräsentativität, der wohlgepflegten Chimäre, die Meinungsforschungsinstitute aufgebaut haben, um ihre Leistungen teuer verkaufen zu können und ihnen eine Geltung zuweisen zu können, die sie nicht haben, hat das alles nichts zu tun, eher damit, welchen Glaubenssatz die Mitglieder von Redaktionen, z.B. von ARD-Redaktionen, an die Stelle ihrer ansonsten umfangreichen Ahnungslosigkeit setzen.

Ahnungslosigkeit wie die von Fliegenschmidt, die behauptet, die [2] Quotierung einer Umfrage gewährleiste deren Repräsentativität. Weiter von der Kenntnis kann man nun wirklich nicht entfernt sein. Wenn eine Auswahl aus einer Grundgesamtheit repräsentativ ist, dann ist sie das unabhängig davon, wie viele Niedersachsen und Sachsen in der Auswahl enthalten sind, denn die Zufallsauswahl soll ja gerade eine Repräsentativität für die Grundgesamtheit garantieren, hier deutsche Wahlberechtigte. Das ist etwas vollkommen anderes als niedersächsische Wahlberechtigte. Wollte man für niedersächsische Wahlberechtigte eine Repräsentativität gewährleisten, also dem mathematisch begründeten Ideal hinterherrennen, dann müsste man die Grundgesamtheit auf niedersächsische Wahlberechtigte beschränken. Das wäre natürlich teuer und zeitraubend, da man den Prozess für alle Bundesländer durchführen müsste. Deshalb erzählen Meinungsforscher den Ahnungslosen, die sich dann vor Zuschauer stellen, und mit der Inbrunst der Überzeugung, ihre Inkompetenz zur Schau stellen, es wäre möglich, über quotierte Auswahlen, Repräsentativität auch innerhalb von angeblich zufälligen Auswahlen zu erreichen.

Frage: Wenn sie aus einer Menge von Murmeln in allen Farben zufällig drei ziehen, ist diese Ziehung notwendigerweise identisch mit der Ziehung von drei Murmeln, von denen eine rot sein muss, die beiden anderen eine andere Farbe aufweisen können?

Fliegenschmidt glaubt das.

Aber Fliegenschmidt glaubt so ziemlich alles. Sie muss alles glauben, weil sie keine Ahnung hat. Sie muss z.B. glauben, dass eine Umfrage zu einem Zeitpunkt eine Momentaufnahme ist, die nicht über sich hinausweist, aber dennoch repräsentativ ist [1 und 3]. Damit ist der ganze schöne Schein der Repräsentativität gerade beerdigt, denn wenn eine Umfrage nur für den Zeitpunkt ihrer Durchführung repräsentativ sein soll, dann muss in Zukunft den Ergebnissen ein Zeitpunkt angefügt werden, und zwar für jeden Befragten. Die Ergebnisse müssen dann so präsentiert werden, dass sie das Wahlverhalten der Befragten zeigen, die am 10. August vormittags befragt wurden, das derjenigen, die am 10. August nachmittags befragt wurden, das derjenigen, die am 10. August nach 20. Uhr befragt wurden usw. Aus dieser zeitpunktabhängigen Repräsentativität ergeben sich natürlich umfangreiche Folgen, die dem Problem vergleichbar sind, das daraus entsteht, dass die detailliertes Landkarte immer die Landkarte ist, die einen Maßstab von 1:1 aufweist. Wenig hilfreich, wenn man eine Reise plant.



Es ist schon amüsant zu sehen, wie Angestellte öffentlich-rechtlicher Sender zu Themen dilettieren, von denen sie nun nachweislich und offenkundig überhaupt keine Ahnung haben. Es erinnert an die FridaysForFuture Bewegung, die Kinder, die von den Molekülen, gegen die sie demonstrieren, keinerlei Wissen besitzen, geschweige denn, dass sie auch nur einen Zusammenhang benennen könnten, der für das Klima relevant ist. Sie ersetzen ihre Unkenntnis durch große Überzeugung, wie alle Fanatiker oder Narzissten. Dass dieselben Sitten nun bei öffentlich-rechtlichen Sendern offenkundig werden, dass Zuschauern / Lesern Blödsinn mit der belehrenden Inbrunst dessen zugemutet wird, der so Inkompetenz ist, dass er gar nicht merkt, welchen Blödsinn er verbreitet, das ist nicht wirklich eine neue Entwicklung. Es ist das Ergebnis der Entwertung von Wissen, Ausbildung und Kompetenz, an deren Stelle, Großmäuligkeit, görenhafte Selbstsicherheit und Inkompetenz getreten sind.

Und Gebührenzahler finanzieren dieses Happening in Inkompetenz.



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