Post-Landtagswahl Sachsen: Die Wahl zwischen Mut, Dauerstreit und Neuem

Her mit den Superlativen!

Heute ist ein großer Tag für die Wissenschaft. Wir haben es nicht mehr für möglich gehalten, aber:

Es gibt noch Politikwissenschaftler!

In Mannheim.

Politikwissenschaftler, die keine ideologischen Scheuklappen tragen.

Politikwissenschaftler, die an einem Thema interessiert sind, nicht daran, sich mit ihrer Darstellung eines Themas bei Politdarstellern oder dem Zeitgeist anzubiedern.

Sie heißen: Christian Strecker und Thomas Däubler und arbeiten am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung (ein Ort, der auch etliche ScienceFiles-Redakteure einst hat ein- und ausgehen sehen … ).





Erinnern Sie sich noch an das Interregnum nach der Bundestagswahl von 2017 – als nicht klar war, welche Parteien sich dafür hergeben würde, Merkel einmal mehr zum Bundeskanzler zu wählen? Damals hatte der Bundestag für eine kurze Zeit die Möglichkeit, sich als richtiges Parlament und nicht als Wurmfortsatz im Parteienhandel zu etablieren, und zwar über eine Minderheitsregierung, die sich wechselnde Mehrheiten suchen muss; Eine um Längen demokratischere Variante im Vergleich zur lähmenden Korruption der Parteienwirtschaft, die sich als „große Koalition“ der verendenden Parteien CDU/CSU und SPD dann wiederbelebt hat. Dass es sich dabei um die demokratischere Variante handelt, ist der Grund, warum es keine Minderheitsregierung, keine Stärkung der Macht des Bundestages gegeben hat. Schon die Vorstellung, sie müssten eigene Verantwortung tragen und wären nicht die Parteimarionetten, die sich immer auf die Position zurückziehen können, dass ihr Abstimmungsverhalten Parteipolitik sei, also außerhalb ihrer persönlichen Verantwortung liege, bringt viele Bundestagsabgeordnete zum Zittern.

Von Deutsche Fotothek‎ CC BY-SA 3.0 de,

Ihr Zittern werden die Abgeordneten der Landtage Brandenburgs und Sachsens nach dem 1. September teilen. Absehbar gibt es weder in Brandenburg noch in Sachsen eine Mehrheit für die derzeit regierenden Koalitionen. Vorhersehbar wird die Schaffung einer Koalitionsregierung, die in Sachsen ohnehin die Form einer Einheitsfront von allem, was nicht AfD ist, annehmen müsste, mit großen Schwierigkeiten belastet sein.

Stecker und Däubler haben diese Schwierigkeiten auf Basis der Programmaussagen der Parteien in Sachsen und Brandenburg quantifiziert und die Koalitionen bestimmt, die auf Basis von Wahlprognosen am ehesten eine Mehrheit finden werden und die auf Basis inhaltlicher Übereinstimmung am stablisten wären.

Ergebnis für Sachsen (wer sich für Brandenburg interessiert, kann das hier nachlesen):

Die meisten inhaltlichen Schnittmengen gibt es zwischen der CDU und der AfD. Die stabilste Regierung ist eine Koalition aus CDU und AfD. Letztere würde sich vorhersehbar auf eine komfortable Mehrheit der Sitze (ca. 60% der Sitze) stützen können, aber: Die CDU hat bereits erklärt, nicht mit der AfD koalieren zu wollen.

Die Alternative besteht für die CDU darin, einen Dauerstreit mit SPD, Grünen und der SED-Nachfolgepartei auf sich zu nehmen (die inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen den vier Parteien sind minimal), um eine Mehrheit zu gewinnen. Wie eine produktive Regierungsarbeit zwischen einer Partei wie der CDU, die inhaltlich ihre größten Übereinstimmungen mit der AfD aufweist und der LINKE oder der SPD oder den Grünen zustande kommen soll, ist eines dieser Mysterien, die vor Wahlen nie und nach Wahlen dadurch gelöst werden, dass sie eben nicht zustande kommen.



Die folgende Abbildung zeigt, welche Koalitionen in Sachsen auf Basis inhaltlicher Übereinstimmung am stabilsten wären, welche Koalitionen insofern gut für Sachsen wären, als es zu einer produktiven Regierungsarbeit kommen könnte. Die Koalition zwischen CDU und AfD ist die einzige der drei mehr oder minder harmonischen Koalitionen, die sich auf eine parlamentarische Mehrheit wird stützen können. Die beiden verbleibenden aus Grünen, Linke und SPD bzw. CDU und SPD sind Illusion. Wenn Michael Kretschmer aber unbedingt eine Koalition mit der AfD vermeiden will, dann wird er sich entweder für einen Dauerstreit mit den Linken rüsten müssen, die immer alles besser wissen, oder er wird versuchen müssen, eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten durch die nächsten vier Jahre zu manövrieren.

Diese Variante, die das Parlament den Parteien gegenüber aufwertet, hat viel für sich, bedürfte jedoch des Muts, neue Wege, neue parlamentarische Wege zu gehen, die mit vorhersehbaren Verwerfungen für das politische Establishment verbunden sind und nichtzuletzt auf Berlin, auf den Bundestag, Auswirkungen hätten, weshalb es sie nach der Wahl in Sachsen vorhersehbar nicht geben wird.

Unter dem Vorwand, dass eine CDU-Minderheitsregierung bei Sachthemen notwendig mit Zustimmung der AfD-Fraktion ihre Gesetze durch den Sächsischen Landtag wird bringen müssen, wird diese Option, ebenso wie die stabilste Option einer CDU/AfD-Koalition zugunsten des politischen Chaos, das immer dann entsteht, wenn viele Linke im politischen Brei rühren, aufgegeben werden. Wie lange dieses Chaos vorhalten wird, ehe sich die Vernunft in Form einer Koalition zwischen den Parteien, die sich inhaltlich am Ähnlichsten sind oder in Form einer Minderheitsregierung der CDU oder der AfD (auch das ist möglich), durchsetzen wird, ist eine offene Frage. In jedem Fall wird der ganze Nachwahlzirkus zu Lasten der Sachsen gehen.

Das Verdienst von Christain Stecker und Thomas Däubler besteht darin, nicht nur darauf hingewiesen zu haben, dass es Alternativen zum Chaos gibt und das verstaubte Fach der Politikwissenschaft ein wenig politiert zu haben, es besteht vor allem in dem Hinweis, dass sich einer Landesregierung in Sachsen, deren Ziel darin besteht, den Nutzen der Sachsen zu mehren, eine Reihe von Alternativen jenseits der Neuauflage einer Nationalen Front bieten.



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