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Juni 23, 2021
Von „duftenden Blumen“ und „giftigem Unkraut“: Ideologisches „Unkraut“-Jäten durch „Einstellungsimpfung“ in China und Deutschland
von Dr. habil. Heike Diefenbach
Es ist schon eine Weile her, dass wir hier auf Sciencefiles in einem Text mit dem Titel „Sind Sie schon geimpft, oder denken Sie noch selbst?“ über die „attitudinal inoculation“ oder im Deutschen „Einstellungsimpfung“ als sozialpsychologisches Konzept berichtet haben. Sie wird in der autorisierten deutschsprachigen Übersetzung des Sozialpsychologie-Lehrbuches von Elliot Aronson, Timothy D. Wilson und Robin M. Akert (2004) wie folgt beschrieben:
„Einstellungsimpfung [ist] [e]in Prozess, mit dem Menschen gegen Versuche von Einstellungsänderung immunisiert werden können, indem man ihnen von Anfang an kleine Dosen der Argumente verabreicht, die ihrem Standpunkt entgegengesetzt sind“ (Aronson, Wilson & Akert 2004: 250).
Warum sollte das funktionieren? Deshalb:
„Wenn die Argumente schon vorher betrachtet worden sind, ist man gegenüber den Auswirkungen der Kommunikation relativ immun, gerade so, wie eine Schutzimpfung mit einer kleinen, abgeschwächten Dosis des Erregers für Immunität sorgt gegen die eigentliche Erkrankung“ (Aronson, Wilson & Akert 2004: 250).
Wir haben im oben genannten Artikel diese Idee der Einstellungsimpfung vorgestellt und einer Kritik unterzogen. Was wir im oben genannten Artikel nicht berichtet hatten, ist, dass die Einstellungsimpfung – anders als es z.B. in Wikipedia dargestellt wird – kein genuin sozialpsychologisches Konzept ist, sondern aus dem Giftschrank der Manipulationsmethoden stammt, mit Hilfe derer die chinesische Kulturrevolution befördert werden sollte. Anscheinend wurde sie von Mao Zedong erdacht, aber jedenfalls wurde sie von ihm bzw. der CCP, d.h. der Chinese Communist Party, zur Anwendung gebracht. Dies berichtet Hu Ping, der im Jahr 1947 in China geborene und im Jahr 1986 in die USA übergesiedelte ehemalige Präsident der Chinese Alliance for Democracy und Herausgeber der Zeitschriften „Beijing Spring“ und „China Spring“ auf Seite 72 in seinem Buch „The Thought Remolding Campaign of the Chinese Communist Party-State“, das im Jahr 2012 erschienen ist.
Hu Ping schreibt:
„… there arose a measure that has been called ‚giving an injection of a preventive inoculation’. Mao Zedong discussed the example of vaccinating against smallpox. On many occasions, he directed that cadres must be proficient at utilizing negative examples among both writings and persons that may be held up for denunciation and thus serve as a cautionary lesson to others – thereby helping others to enhance their ability to distinguish between the correct and the false, and among writings to distinguish between ‘fragrant flowers’ and ‘poisonous weeds’ … With regard to ideology, to give an injection of a preventive inoculation means to use the method of making you come into contact with negative or cautionary examples so as to strengthen all of the positive viewpoints and positive standpoints that you originally had” (Ping 2012: 72).
Ins Deutsche übersetzt heißt das etwa:
„… es entstand eine Maßnahme die „Eine-präventive-Injektion-Geben“ genannt wurde. Mao Zedong diskutierte [in diesem Zusammenhang] das Beispiel der Impfung gegen die Pocken. Bei vielen Gelegenheiten wies er [seine politischen] Kader an, sich in der Nutzung negativer Beispiele zu üben, sowohl in Schriften als auch mit Bezug auf Personen, die für eine Denunziation in Frage kommen und somit als warnendes [bzw.: abschreckendes] Beispiel für Andere dienen können – woduch Anderen dabei geholfen wird, ihre Fähigkeit zu verbessern, zwischen dem Korrekten und dem Falschen zu unterscheiden und Schriften daraufhin zu unterscheiden, ob es sich bei ihnen um „duftende Blumen“ oder „giftiges Unkraut“ handelt“ … Mit Bezug auf Ideologie bedeutet die Verabreichung einer vorbeugenden Impfung, Sie in Kontakt mit negativen oder warnenden Beispielen, damit Sie all die positiven Ansichten oder positiven Standpunkte, die sie ursprünglich/bislang hatten, gestärkt werden“.
Im Kleinen Roten Buch von Mao findet sich dazu auf den Seiten 16 und 17 die folgende Stelle, die auf eine Rede Bezug nimmt die Mao Zedong am 12. März 1957 vor der Nationalkonferenz der Kommunistischen Partei von China gehalten hat:
“We still have to wage a protracted struggle against bourgeois and petty bourgeois ideology. It is wrong not to understand this and to give up ideological struggle. All erroneous weeds, all ghosts and monsters, must be subjected to criticism, in no circumstances should they be allowed to spread unchecked. However, the criticism should be fully reasoned, analytical and convincing, and not tough, bureaucratic, metaphysical or dogmatic.”
Was man unter einem “reasoned, analytical and convincing criticism” im Sinne Maos zu verstehen hat, welcher manipulative Trick sich dahinter verbindet, das wird im Folgenden sehr deutlich werden.
Die Prämisse dieser vermeintlich aufklärerischen Strategie ist natürlich diejenige, dass Mao Zedong und seine Kader im Besitz des Wissens darüber sind, was korrekt und was falsch, was „duftende Blume“ und was „giftiges Unkraut“ ist:
„At first glance, you might assume that since this method makes you come into contact with both positive and negative examples, it would thus be fair, as well as conducive to independent thinking. In actuality it is not, because in this context the negative-example materials that have been issued to you have gone through a painstaking and detailed selection process. In addition, what is even more important is that they have been stamped with the label of ‘negative-example materials’ from the very beginning” (Ping 2012: 72),
im Deutschen etwa:
“Auf den ersten Blick könnten Sie meinen, dass diese Methode fair sei und unabhängiges Denken befördern würde, weil sie Sie in Kontakt sowohl mit positive als auch mit negative Beispielen bringt. Tatsächlich ist sie es nicht, weil die Materialien, die Ihnen als negative Beispiele vorgelegt werden, in diesem Kontext [d.h. im Kontext der Durchsetzung der Ideologie der CCP] durch einen gründlichen und mühsamen Auswahlprozess hindurchgegangen sind. Außerdem, und dies ist sogar wichtiger, wurden sie von vornherein mit dem Stempel „negative Beispiele“ versehen“
so dass mit der Präsentation des Materials immer schon eine Bewertung mitgegeben wird. Davon, dass die Bewertung dem Material mitgegeben wird, hängt die „Impf“-Wirkung gegen „Anfälligkeit“ für „Krank-Machendes“ ja gerade ab:
„In the process of ‚giving an injection of a preventive inoculation’ you receive the following warning in advance: those viewpoints with which you will come into contact are erroneous and reactionary” (Ping 2012: 73),
d.h.:
“Während des Prozesses der Verabreichung der präventiven Impfung erhalten Sie die folgende Vorab-Warnung: diese Ansichten, mit denen Sie in Kontakt kommen werden, sind falsch/irrig und reaktionär“.
Aber warum sollte das jemand glauben? Damit die Vorab-Warnung als einigermaßen glaubhaft erscheinen konnte, wurden Materialien, die als negative Beispiele verwendet werden sollten, aus dem Fundus dessen ausgewählt, wogegen zu diesem Zeitpunkt bereits Vorurteile bestanden oder genährt worden waren:
„Therefore, the CCP has been quite meticulous in its choice of negative-example materials for adoption. The Party would always select a ‘vaccine’ from those materials that had already been regarded as reactionary by people at that time. The earliest negative-example teacher in the Thought Remolding Movement was probably Hu Shi. There was no controversy in classifying Hu Shi as ‘reactionary’, since Hu Shi was politically anti-communist and left China for Taiwan in 1949” (Ping 2012: 73).
d.h.:
“Deshalb war die CCP sehr sorgfältig bei ihrer Auswahl von Materialien, die als negative Beispiele verwendet werden sollten. Die Partei wählte „Impfstoff“ immer aus solche Materialien aus, die [zu diesem Zeitpunkt] von den Menschen bereits als reaktionär angesehen wurden. Der früheste Lehrer negativer Beispiele in der [hier sinngemäß: für die] Gedanken-Umformungsbewegung war wahrscheinlich Hu Shi. Es gab keine Kontroverse darüber, dass Hu Shi als ‚reaktionär‘ zu klassifizieren sei, weil Hu Shi Anti-Kommunist war und China im Jahr 1949 in Richtung Taiwan verlassen hatte“.
Aber warum konnte die Vorführung von Hu Shi bzw. seinen Schriften als „reaktionär“ über sich selbst hinausgehen, also als „Impfung“ gegen Schriften vergleichbaren Inhaltes oder Personen, die ähnliche Inhalte vertraten, wirken?
Ping beschreibt die entsprechende Wirkung als eine Folge gehaltserweiternder – und damit wohlgemerkt logisch falscher – Schlussfolgerungen:
„Once the CCP confirmed that Hu Shi was a reactionary, it could then draw the conclusion that all facets of Hu Shi’s thought, including his scholarly thought, were also erroneous and reactionary. This news conclusion would then serve as the premise of a subsequent inference. Since all those facets of Hu Shi’s thought were reactionary, then other people with a similar mode of thought … were reactionary as well. And since [they] were reactionary, then every facet of their thought, including facets of thought that were not similar to Hu Shi’s, also took on a reactionary coloration. When this kind of inference was conducted repeatedly, the yardstick for measuring what counted as being ‘reactionary’ became ever widening in its expanse. Needless to say, this process of inference and extension is illogical. Yet it utilizes a kind of inertia of the human mind, namely, a sort of shifting of the object that results from the mentality of ‘love me, love my dog’” (Ping 2012: 74).
Zu deutsch:
“Hatte die CCP erst einmal bestätigt, dass Hu Shi ein Reaktionär war, konnte sie die Schlussfolgerung ziehen, dass alle Facetten im Denken von Hu Shi, einschließlich seiner akademischen Überlegungen, ebenfalls falsch [oder: irrig, fehlerbehaftet] und reaktionär seien. Diese neue Schlussfolgerung diente dann als Prämisse [oder Ausgangspunkt] für eine weitere Schlussfolgerung. Da all die Facetten im Denken Hu Shis reaktionär waren, mussten andere Personen mit ähnlichen Überlegungen [oder Gedanken] ebenfalls reaktionär sein. Und weil sie reaktionär waren, nahmen alle Facetten ihres Denken, einschließlich derer, die keine Ähnlichkeit mit dem von Hu Shi aufwiesen, eine reaktionäre Färbung an. Wenn diese Art von Schlussfolgerungen mehrfach wiederholt wurde, wurde der Maßstab für das, was als ‚reaktionär‘ galt, immer weiter ausgeweitet. Unnötig zu sagen, dass dieser Prozess von Schlussfolgerung und Erweiterung unlogisch ist. Aber er nutzt eine Form der Untätigkeit des menschlichen Geistes, nämlich eine Verschiebung des [in Frage stehenden] Objektes, die [ihrerseits] ein Ergebnis der Mentalität „Liebe mich, liebe meinen Hund“ ist“.
Ping ist Zeitzeuge dieses Prozesses der Ausweitung dessen, was seit 1949 und später im Verlauf der Kulturrevolution unter Mao Zedong unter den Begriff „reaktionär“ gefasst wurde:
„From 1949 to the Cultural Revolution, the ideological net was drawn more and more tightly around us, and the extension of what counted as ‘reactionary’ and ‘counterrevolutionary’ became wider and wider. All of these results are the successful outcome of the Party’s ingenious employment of its strategy of systematically guiding and luring people forward one step at a time, and pressing them on harder and harder at every stage … The party would proclaim that a certain mode of thought was reactionary and then would inspire us to seek out evidence that would indicate how and why the mode of thought was reactionary. This has nurtured a habit of unidirectional thinking in us. Later on, as long as the Party would toss a sentence down to us such as ‘so-and-so’s thinking is reactionary’, we would automatically exert ourselves to search for all types of arguments and evidence that would prove this conclusion. You cannot but admit that such activity in which people automatically look for evidence to prove the Party’s conclusion is also a type of active employment of the intellect, and people can also derive from this activity a sort of enthusiasm and pleasure similar to what they achieve from puzzling something out with their brains. Particularly during the initial stages of the Cultural Revolution, there was such a large number of people who hankered after digging out ‘poisonous weeds’” (Ping 2012: 74),
im Deutschen etwa:
“Von 1949 bis zur Kulturrevolution wurde das ideologische Netz immer enger um uns gezogen, und die Erweiterung dessen, was als ‘reaktionär’ galt und was als ‘konterrevolutionär’ wurde immer umfassender. All dies war das erfolgreiche Ergebnis der ausgeklügelten Anwendung der Strategie, die Leute systematisch zu lenken und sie Schritt für Schritt und unter zunehmendem Druck mmer weiter in die gewünschte Richtung zu treiben, durch die Partei … Die Partei verkündete, dass eine bestimmte Denkweise reaktionär sei und regte uns dann dazu an, Belege zu finden, die zeigen würden, wie und warum die[se] Denkweise reaktionär war. Dies hat in uns eine Gewohnheit zum einseitigen Denken entwickelt. Später, solange die Partei uns einen Satz wie ‚Soundsos Denken ist reaktionär‘ hinwarf, haben wir uns automatisch nach Kräften bemüht, nach allen Arten von Argumenten und Belegen zu suchen, die diese Schlussfolgerung als richtig erweisen würden. Man kann nicht umhin anzuerkennen, dass eine solche Tätigkeit, bei der die Menschen automatisch nach Belegen dafür suchen, dass die Schlussfolgerung der Partei richtig ist, auch eine Form aktiver Betätigung des Verstandes ist und dass Menschen aus dieser Tätigkeit eine Art Enthusiasmus und Vergnügen erlangen können, die dem ähnlich ist, was man erreicht, wenn man etwas unter Einsatz seines Gehirns ausknobelt. Besonders während der Anfangsstadien der Kulturrevolution gab es eine große Anzahl von Leuten, die sich regelrecht danach sehnten, ‚giftiges Unkraut‘ auszugraben“.
Ich bin sicher, dass Ihnen bei der Lektüre dieser Zitate längst klar geworden ist, dass es sich hier nicht um eine Übung in Zeitgeschichte handelt, sondern Pings Ausführungen über die Strategie der Einstellungsimpfung sich ziemlich direkt auf unsere derzeitige Situation in der westlichen Welt beziehen lassen:
Zum einen haben wir Vorgaben von Regierungen, politischen Einrichtungen und Ämtern darüber, was das „richtige“ Denken und Verhalten sei, und diese Vorgaben erfolgen nicht nur vage oder nur in verbaler Art, sondern schlagen sich in handfesten Regeln und Gesetzestexten nieder, so z.B. im Anti-Diskriminierungsgesetz oder in der Einschränkung von Freiheitsrechten im Zusammenhang mit Covid-19.
Zum anderen haben wir mit sogenannten Faktencheckern und Projektmitarbeitern, die versuchen, überall „Rechte“ oder „Rassisten“ auszumachen, diejenigen vor uns, die daraus, dass sie die ideologische Schmutzarbeit für Andere tun, Befriedigung ziehen, indem sie „fake news“ bzw. „fake news“-Verbreiter oder „Rechte“ ausmachen und zu „überführen“ versuchen. Sie tun dies wohlgemerkt mit finanzieller Unterstützung des Staates (sprich: des Steuerzahlers aufgrund von Zwangsabgaben) bzw. im Auftrag des Staates oder staatlicher Organe, und im Wettbewerb um Steuergelder und im Interesse des Selbsterhaltes haben sie eine Tendenz, den Bereich des „Falschen“ immer weiter auszuweiten – vom vermeintlich faktisch Falschen über das vermeintkich moralisch Falsche, also das „Verwerfliche“, bis zum neuderings „Nicht-Ganz-Richtigen“ aufgrund angeblich „fehlenden Kontextes“. Zweifellos wäre es für diese Leute sinnvoller und gesamtgesellschaftlich besehen ein großer Gewinn für uns alle, wenn sich diese Leute einen Stapel Rätselhefte kaufen würden, um aus dem Ausknobeln oder Ausschnüffeln aufgrund von Stichworten oder sonstigen Hinweisen Befriedigung zu ziehen.
Gehaltserweiterungen des „Falschen“ im Dienst der Ideologie beobachten wir auch in der rhetorischen Figur der „Unterwanderung“, wenn es z.B. heißt, dass Menschen, die die Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 für übertrieben und angesichts der Kosten, die sie bereiten, für unverantwortlich halten, wenn nicht selbst „Rechte“ sind, einfach, weil sie nicht mit der Regierungssicht der Dinge konform gehen, dann doch als von „Rechten unterwandert“ dargestellt werden.
Das Schimpfwort von den „Rechten“ ist nicht erst seitdem soweit ausgeweitet worden, dass es keinerlei Bedeutung – außer als Synonym für „böse“ – hat: Schon im Jahr 2019 hat eine angeblich wissenschaftliche Studie „entdeckt“, dass die politische Mitte in der Gesellschaft nach „rechts“ gerückt sei, was zu formulieren, ein logisches Ding der Unmöglichkeit ist, den angeblich „wissenschaftlichen“ Autoren der Studie aber dennoch irgendwie möglich war.
Manche tun eben ihr Bestes, um das, was Inhaber von Regierungspositionen und anderer öffentlicher Ämter als eine Wahrheit inszenieren wollen, ex post facto irgendwie als „wahr“ zu erweisen, ganz wie Ping das beschrieben hat.
Das Schicksal der Gehaltserweiterung bis zum vollständigen Sinnverlust teilen andere Begriffe mit dem Begriff „rechts“ oder „Rechte“. Zu diesen Begriffen zählen u.a. „Anti-Feministen“ bzw. „frauenfeindlich“ bzw. “sexistisch”, “weiße Suprematisten” und – vielleicht allen anderen voran – “rassistisch” bzw. „Rassisten“. Bezeichnet der Begriff ursprünglich diejenigen, die die sogenannte Rassenlehre des 19. Jahrhunderts vertraten, so wird er heute als weitgehend sinnentleerter Begriff gegen alles und jeden verwendet, der irgend eine Meinung hat, für die sich irgendwie irgendein Bezug herstellen lässt auf Leute, die als irgendwie anders aussehend, eine andere Sprache sprechend, als anderer Herkunft-Seins u.ä.m. beschrieben werden können, und die von demjenigen, der von „Rassisten“ spricht, möglichst negativ interpretiert wird.
Der Begriff, der insofern als deutsches Äquivalent zum chinesischen Hu Shi gelten kann als er systematisch als weitgehend unbestrittene „Ur“-Quelle alles Verderblichen konstruiert wurde, ist der Begriff „Nazi“. Die Spirale der unlogischen, gehaltserweiternden Schlüsse könnte für Deutschland von Adolf Hitler bzw. der NSDAP bzw. vom Begriff „Nazi“ aus rekonstruiert werden, etwa so:
(so gut wie) niemand würde die Politik Hitlers und der NSDAP (offen) verteidigen bzw. sind sich (fast) alle einig, dass Person und Partei sowie ihre Anhänger, eben „Nazis“, die Welt in den Krieg gestürzt und Juden (und nicht nur sie) gehasst, diskriminiert, ausgewiesen, inhaftiert, ermordet haben, mit den Nürnberger Rassengesetzen der Rassenlehre gehuldigt und Individualrechte mit Füßen getreten haben etc.
Von diesen Facetten der „Nazi“-Politik wird nunmehr auf die Falsch- oder Verwerflichkeit aller anderen „geschlossen“. Z.B. muss der Verweis darauf, dass der Bau von Autobahnen, auf denen der durchschnittliche Deutsche auch heute noch viele Kilometer im Jahr zurücklegt, der Arbeitslosigkeit entgegengewirkt habe, dadurch „korrigiert“ werden, dass der Autobahn-Bau „in Wahrheit“ eine infrastukturelle Kriegsvorbereitung gewesen sei (und nichts anderes). Wenn nun alles, was „Nazis“ getan oder gesagt haben, ohne Ausnahme falsch oder verwerflich war, dann muss falsch oder verwerflich sein, was Leute tun oder sagen, was – aus welchen Gründen auch immer – irgendeine Ähnlichkeit mit dem hat, was „Nazis“ taten oder sagten, wie es z.B. Leute tun, die sich dazu bekennen, ihr Vaterland zu lieben oder ihre Muttersprache.
Sie werden als eine Art Nachfolger von „Nazis“ konstruiert und selbst so bezeichnet oder – häufiger – als „Rechte“, weil die Inhalte, die man mit „Nazis“ verbindet, ihrerseits als „rechte“ Inhalte konstruiert bzw. – in der Folge – angesehen werden. Damit nimmt der Begriff „rechts“ eine stark erweiterte Bedeutung an: weg von der Bezeichnung für Konservative hin zur Bezeichnung für „Nazis“ bzw. ein totalitäres Regime samt seiner – nunmehr historischen – Rhetorik und seiner – nunmehr historischen – Verhaltensweisen.
Eine konservative Politik, die darauf bedacht ist, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu erhalten oder nur dann zu verändern, wenn die Veränderung in Einklang mit den bestehenden Werten oder Regelungen steht, also z.B. am Leistungsprinzip festhält und sich dementsprechend gegen eine Gleichstellungspolitik ausspricht, ist dann einfach deshalb falsch, weil sie „rechts“ ist, also eigentlich konservativ ist, aber durch logisch falsche Gehaltserweiterung als eine Art Fortschreibung des „Nazitums“ inszeniert wird – ungeachtet der Tatsache, dass die Frage nach den Verteilungsprinzipien, die in einer Gesellschaft gelten sollten, ebenso wenig oder viel mit Hitlers Deutschland zu tun hat wie mit Honeckers DDR oder der Bonner Bundesrepublik.
Dasselbe gilt für den Liberalen, der am Leistungsprinzip aus gänzlich anderen Gründen festhalten mag als der Konservative, eben weil er für ein Prinzip eintritt, das mit „rechts“ assoziiert wurde. Wenn Konservative und Liberale aufgrund irgendeiner Überzeugung oder Politik gleichermaßen als „rechts“ konstruiert werden, dann ist jede Überzeugung oder Politik, die Liberale oder Konservative äußern, „rechts“ und – per Assoziation – muss jeder ein „Rechter“ sein, der irgendeine Idee vertritt, die Liberale oder Konservative vor ihm vertreten haben, also „Rechte“. Nun ist es nahezu unmöglich als denkender Menschen nicht irgendwann bei einer Idee anzukommen, die vor ihm jemand hatte, der als Liberaler oder Konservativer nunmehr als „Rechter“ markiert ist, und das bedeutet, dass nahezu jeder aufgrund nahezu beliebiger Inhalte als „Rechter“ markiert ist oder werden kann. Aus diesem Grund pflegen wir bei Sciencefiles zu sagen: „Von links außen besehen ist jeder rechts“.
Die Spirale der Gehaltserweiterung, die die „Einstellungsimpfung“ auslöst, ist eine Strategie, die dazu dienen soll, das Überleben einer bestimmten Ideologie zu sichern. Aber ihre Funktionsweise ist gleichzeitig ihre Scheiternsbedingung:
Die immer weiter fortschreitenden logisch falsche Erweiterung dessen, was „falsch“ ist und bekämpft werden muss, führt dazu, dass die Clique derer, die die ideologie noch mittragen kann oder – umgekehrt – noch „dulden“ kann, immer kleiner wird, oder umgekehrt formuliert: immer mehr Gedanken, Ideen, Argumente, Menschen werden im Verlauf des Prozesses „ausgeschieden“ aus der Gruppe der ideologisch Konformen, so dass am Ende „die Revolution ihre Kinder frisst“, wie Pierre Verginaud auf dem Weg zur Guillotine gesagt haben soll.
Wer nicht auf dieses Ende des Prozesses der „Einstellungsimpfung“ warten möchte oder kann, tut gut daran, sich nicht zu ihrem Opfer zu machen und daran zu denken, dass bereits die Koppelung einer Idee oder Überzeugung an ein einziges Motiv oder eine einzige Folge oder eine einzige Eigenschaft und der vollständige Ausschluss der Möglichkeit jedes alternativen Motivs oder jeder anderen Folge oder jeder anderen Eigenschaft mit Bezug auf die Idee oder die Überzeugung ein extremer Akt ist, das, was man eine sehr starke Behauptung nennt, die ihrerseits eine sehr gute Begründung erfordern würde, die aber im Zuge der „Einstellungsimpfung“ nie geliefert wird. Es ist wichtig, extreme Verkürzungen und umstandlose Gleichsetzungen (wie diejenige vom „Nazi“ zum „Rechten“ zum „Rechtsextremen“ …) zu verweigern und als das zu erweisen, was sie sind: ein Manipulationstrick, der auf gehaltserweiternden und damit unlogischen Schlussfolgerungen und auf geistiger Trägheit beruht.
Dass wir heute wieder mit Versuchen konfrontiert sind, die sogenannte Einstellungsimpfung mit vermeintlich wissenschaftlicher Legitimation zu versehen, ist vor diesem Hintergrund einigermaßen erstaunlich – und peinlich für diejenigen, die solche Versuche unternehmen oder sich für sie einspannen lassen. Dennoch haben angebliche Wissenschaftler kein Problem, die sogenannte Einstellungsimfpung als Rezept im Kampf gegen das zu empfehlen, was sie aus ihrer ideologischen Perspektive heraus als „Disinformation“ und „Extremismus“ bewerten, wie dies z.B. Braddock (2020 in einem Sammelband, der im Titel von „counterradicalization“ spricht, was merkwürdig an „konterrevolutionär“ erinnert) tut, der – wie könnte es anders sein?! – „Desinformation“ von „Extremisten“, die „online“ zu finden sein sollen, durch die sogenannte Einstellungsimpfung Abhilfe schaffen will, aber nicht „Desinformation“ (oder dem, was er dafür hält,) schlechthin, also, „Desinformation“ egal welcher Art und durch wen und unabhängig von ihrem Erscheinungsort, also z.B. auch in mainstream-Medien, wo es Desinformation seiner beschränkten Beobachtungsgabe nach wohl nicht gibt oder seiner beschränkten Phantasie nach nicht geben kann.
Wie immer bei der Strategie der Einstellungsimpfung wird auch hier eine Bewertung zugrundegelegt, indem Dinge von vornherein als „Desinformation“ oder „extrem“ bezeichnet werden. Statt diese Bewertung zu begründen, soll sie die Grundlage für Schlussfolgerungen darüber abgeben, was alles als „falsch“ zu bewerten und entsprechend zu behandeln sei ….
Mit Wissenschaft hat dies nichts zu tun. Aber es hat sehr viel mit Mao Zedong, der CCP und der chinesischen Kulturrevolution zu tun (und mit anderen menschenverachtenden, totalitären Systemen, was hier leider nicht ausgeführt werden kann).
Es scheint, dass sich vermeintliche Wissenschaftler wie Braddock in dieser geistigen Verwandtschaft wohl fühlen; oder – die Hoffnung stirbt bekanntermaßen zuletzt – vielleicht sind sie hoffnungslos ungebildet und wissen nicht, dass sie ideologische Drecksarbeit erledigen.
Literatur:
Aronson, Elliot, Wilson, Timothy D. & Akert, Robin M., 2004: Sozialpsychologie. München: Pearson studium.
Braddock, Kurt, 2020: Clearing the Smoke and Breaking the Mirrors: Using Attitudinal Inoculation to Challenge Online Disinformation by Extremists, S. 155-166 in: Silva, Derek M. D., & Deflem, Mathieu (Hrsg.): Radicalization and Counter-Radicalization. Bingley: Emerald Publishing Limited.
Ping, Hu, 2012: The Thought Remodling Campaign of the Chinese Communist Party-State. (Translated by Philip F. Williams and Yenna Wu.) Amsterdam: Amsterdam University Press.
Zedong, Mao (1964). The little Red Book of Chairman Mao. Peking.
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Die Nutzanwendung für die, die mit einem uferlos ausgedehnten “Fake”-Begriff arbeiten, ist äußerst einfach. Sie sperren alles, was nach ihren Kriterien “fake” ist. Gestern klickte ich auf einen Link zu einem an sich unbedeutenden Widerspruch zu einem ganz besonders unbedeutenden Spruch von Jan Böhmermann. Diesem ruhmreichen Staatsfunk-Satiriker muss der Widerspruch unangenehm gewesen sein, jedenfalls erhielt ich die Information, die angeklickte Seite enthalte “potenziell gefährliche Inhalte”. Die “Bedrohung” bestehe in einem “hoax”, also Schwindel. Was stimmt und was ein gefährlicher hoax ist, entscheidet ein Zensor oder eine entsprechend konstruierte Suchmaschine, und zwar mit erstaunlich wenig ideologischer Sauce. Die Begründung des zensorischen Eingriffs besteht nur aus den Worten “gefährlich”, “hoax” und am Ende der kurzen Mitteilung aus dem Satz “Ihr Computer ist sicher” – ein Satz, auf den niemand hereinfallen kann, der die Absicht hatte, die gesperrte Seite zu lesen. Neusprech wird noch eingesetzt, aber es darf offenbar egal wie durchsichtig sein.
Auf einigen Umwegen kam ich zwar nicht auf die gesperrte Seite selbst, aber auf eine Seite, die sich auf die gesperrte Seite bezog. Wie ich vermutet hatte, ging es nur darum, dass Böhmermann sich schon in der kleinsten Kleinigkeit nicht widerlegen lassen will.
Wenn man ein totalitäres System vorbereitet und aufbaut, ist Propaganda immens wichtig, und dann muss man sich einige Mühe geben, halbwegs glaubhafte Geschichten aus einer fiktiven Welt zu erzählen. Wenn das totalitäre System einmal an der Macht ist, braucht es nur noch wenig Verstand, Zeit und Geld in die Produktion überzeugender Lügen, Halbwahrheiten, Verdrehungen etc. zu investieren. Die Funktion der Propaganda im stabil installierten Totalitarismus besteht darin, ein paar unbeirrbare Gläubige bei der Stange zu halten, unzureichend informierte Menschen in anderen Ländern zu täuschen und allen klarzumachen, auf welcher, natürlich stets richtigen, Seite das Regime steht. Vielleicht gehört auch zur Absicht, den weniger Frommen gleich klar zu machen, dass sie keine Chancen auf eine faire mediale Darstellung ihrer Positionen haben. Im genannten Beispiel, das typisch für eine totale Gesellschaft und einen totalen Staat ist, wird die oppositionelle Seite nicht mal unfair, sondern überhaupt nicht dargestellt, nicht mal für “rechts”, sondern begründungslos für “gefährlich” erklärt, und ihre Aussage definiert man genauso willkürlich als “Schwindel” . Auch ein Totalitarismus, der mit wenig offener Gewalt vorgeht und sogar einen gewissen Grad an Meinungs- und Pressefreiheit gestattet (weil “falsche” Meinungen und Webseiten das System in der Regal nicht mehr angreifen können), ist totalitär.
Eine ganz hervorragend gescheite und überlebenswichtige Analyse!
Eine ernste Warnung vor den totalitären Strategien, mit denen die rationale Argumentation unterlaufen und abgeschafft wird!
Eine Frage, die ich hätte, wäre: wie kann man einer bereits stattgefunden habenden Einstellungsimpfung entgegenwirken? Wie öffnet man erfolgreich ideologisch geimpfte Personen wieder für sachliche Argumente?
… das ist die hunderttausend-Dollar-Frage, und es wird wohl niemanden überraschen, dass Mao Zedong oder die CCP keinerlei Interesse an dieser Frage hatten. Und Ping schreibt über die manipulativen Methoden, die sie verwendet haben, widmet sich aber auch nicht dem “positiven Teil” bzw. der Frage, die sie gestellt haben.
Wir müssen diesebezüglich selbst nachdenken. Und wir müssen dabei von der Situation ausgehen, so, wie sie sich stellt, und das heißt z.B., dass wir derzeit eben kein besseres Bildungssystem und kein besseres Personal im Bildungssystem haben als wir es haben. Es nützt also nichts, zu überlegen: was WÄREN gut Bedingungen, um Personen für sachliche Argumente zu öffnen, sondern müssen fragen: was KÖNNen wir in der GEGEBENEN Situation tun.
Man mag vielleicht denken, dass das nicht allzu viel sein kann, eben weil die Institutionen zerstört sind. Aber m.E. ist das falsch. Gerade weil die Institutionen zerstört sind, bietet sich die Möglichkeit, neue aufzubauen, d.h. solche, die die Funktionen übernehmen, die die zerstörten Institutionen, die nur noch formal bestehen, nicht mehr erfüllen
Bleiben wir beim Beispiel Bildungssystem:
Eltern können alternative Unterrichtsmodelle fordern, entwerfen, selbst zu organisieren, anbieten. In Deutschland können sie ja nicht einfach mit den Füßen abstimmen und auf Beschulung zu Hause ausweichen wie in anderen Ländern, aber sie können von der Ganztagsbeschulung Abstand nehmen, wenn sie es sich leisten können, auf Privatschulen umsteigen, sie können das schlimmste an Fehlinformation oder verzerrter Information, was ihre Kinder in der Schule erzählt bekommen haben, in einer Art organisierter Schulstoff-Nach-Arbeit mit ihren Kindern und allen Kindern aus der Klasse, die bzw. deren Eltern es wollen, korrigieren.
Lehrer, Fachpersonal, Wissenschaftler im Ruhestand können einen Fachunterricht außerhalb bzw. neben der Schule oder Ferienkurse anbieten, um den Kindern Fakten und richtiges Recherchieren und Argumentieren beizubringen.
Im UK haben Eltern mit entsprechendem Bildungs- oder Berufshintergrund während der Schulschließungen wegen Covid-19 solchen Unterricht organisiert, und das hat in die Schulen “zurückgefüttert” insofern sich gezeigt hat, dass viele Eltern gar nicht wussten, WIE wenig ihre Kinder in der Schule gelernt haben und die Kinder, die nunmehr in die Schule zurückkehren, inzwischen ein höheres Niveau erreicht haben als das in der Schule übliche.
Wissenschaftler außerhalb der staatlichen Bildungseinrichtungen können initiativ werden und fachspezifische online-Kurse entwerfen und anbieten. In den USA ist das geschehen und daraus ist inzwischen eine unabhängige Universität aus Stein und Beton geworden, also eine “richtige”, nicht “nur” online-Universität.
Usw. usw.
Und ich denke, dass ähnliche Initiativen mit Bezug auf sehr viele zerstörte Institutionen möglich sind,
Und dann ist da natürlich unser aller Alltagsmacht, so würde ich es einmal ausdrücken: Wann immer wir auf jemanden treffen, der geistig faul ist oder zum Opfer von Manipulation geworden ist, sind wir frei (wenn nicht sozial und moralisch verpflichtet), diese Person auf ihre Denkfehler und ihre Vorurteile aufmerksam zu machen.
Es ist z.B,. einfach zu fragen; “Wie kommst du auf die Idee, dass man nicht glauben kann, was irgendwo geschrieben ist, nur, weil diese Quelle dem deutschen Sonderweg in Sachen Impressum nicht folgt? Was hat der Wahrheitsgehalt eines spezifischen Inhaltes damit zu tun, ob auf der Seite absurde Rechtsregelungen, die fast nirgendwo auf der Welt Geltung haben, befolgt werden?
Bringen Sie solche Leute in Erklärungsnotstand, wo, wie und wann Sie können, und bemerken Sie regelmäßig und explizit, dass sie es sind, die ihre Vorurteile nicht begründen, ihr Verhalten nicht erklären können, dass sie es sind, die sich irrational verhalten oder einfach geistig faul sind.
Klar, die entsprechenden Personen werden das nicht mögen bzw. SIE nicht mehr mögen, aber man kann sie wissen lassen, dass sie damit schon wieder einen Denkfehler machen: Für den Sachverhalte, der in der schlechten Nachricht mitgeteilt wird, ist schließlich nicht derjenige verantwortlich, der die Nachricht überbringt!
Manche Menschen werden aus all dem etwas lernen.
Andere nicht.
Aber diese Anderen werden zumindest lernen, ihren Unsinn nicht mehr allen überall zuzumuten, weil sie nicht mehr sicher sein können, dass nicht schon wieder Widerspruch kommt, auf den sie nicht antworten können (außer durch Beschimpfungen oder sonst irgendein peinliches Ablenkungsmanöver – das man ja dann wieder als solches benennen kann).
Mit der Zeit verändern sich auf diese Weise die Erwartungen an “Normalität” und damit das Gesamtklima. Aber dabei hat jeder seinen Beitrag zu leitsten, tagaus, tagein, auch dann, wenn er müde ist und vielleicht denkt, “ach, das hat bei dem ja sowieso keinen Zweck”, aber das ist der falsche Gedanke, denn der Zweck ist nicht immer und unbedingt, jeden einzelnen “aufzuklären”, sondern ein Gesamtklima zu schaffen, indem jemand, der Unsinn von sich gibt, nicht mehr gehört wird.
Also, ich denke, jeder einzelne von uns kann sehr viel tun. Gerade die unkoordinierte Alltagspraxis vieler Einzelner hat eine enorme Durchschlagskraft, eben weil es Handeln Einzelner ist, Es gibt kein Büro, in dem “Material” beschlagnahmt werden kann, keine Gruppe, die man verbieten lassen kann….
Die Bundesregierung hat versucht, sich genau dies zu Nutze zu machen mit Bezug auf die Antifa, gegen die man nicht vorgehen könne, weil es sie angeblich nicht gebe, weil das angeblich Einzelaktionen Einzelner bzw. einzelner Grüppchen seien. Aber bei der Antifa stimmt es halt einfach nicht; sie ist recht einfach dingfest zu machen. Aber dass die Bundesregierung versucht hat, die Antifa als Einzelne zu inszenieren, illustriert immerhin, dass sie sich darüber bewusst ist, dass das unkoordinierte Handeln Einzelner in derselben Richtung etwas ist, dem man nur sehr schwierig beikommen kann.
Wenn es sich um Opportunisten handelt, nützt keine Entimmunisierung, weil für Opportunisten Argumente grundsätzlich nur Mittel sind, die je opportune Meinung zu stützen. In halbwegs vernünftigen Zeiten wirken Opportunisten daher vernünftig. Jetzt haben wir unvernünftige Zeiten und sie lassen schlichtweg ihre Vernunftmaske fallen. Da gibt es nichts zu vermitteln. Ich laufe keinem Opportunisten argumentierend hinterher, ist eine Frage der Ehre.
… und wie stellen Sie fest, dass es sich um einen Opportunisten handelt, wenn sie ihm keine Gelegenheit geben, sich als solcher zu erweisen, da Sie ja von vornherein nicht mit “Unvernünftigen” sprechen?
Und so bleiben Sie stumm, und nichts und niemand muss sich an Ihnen bzw. Ihrer Widerrede stören. Ich finde das weder nützlich noch ehrenvoll.
Sollte niemals ein Vorausurteil sein, sondern erst nach langer Beobachtung entschieden werden: wenn er sich oft genug in der Vergangenheit mit der Position der Macht gemein gemacht hat, sozusagen im Meinungstrend war plus wenn er die von Ihnen ausgeführten Immunisierungsstrategien angewandt hat. Statistisch hab ich (leider) eh Recht (Geschichte), daß also Opportunismus eine feste Größe im Repertoire menschlichen Verhaltens ist, nur im Einzelfall sollte man es sich natürlich so schwer wie möglich machen, damit daraus nicht seinerseits eine Ausrede wird, sich argumentativ auf die faule Haut zu legen.
Liebe Frau Diefenbach, ich danke Ihnen herzlich für die Zeit, die Sie sich genommen haben sowie die wertvollen Hinweise, denen ich nachgehen werde.
Ein paar Gedanken möchte ich noch beisteuern und versuchen, das knapp zu halten.
Eine Ebene, die ich ausmache betrifft den Verfall von Bildungsinstitutionen, zumindest in Bereichen sowie die inhaltliche Ebene von Bildung für Kinder und Jugendliche. Die zweite Ebene wäre die Verengung und Ideologisierung auf dem Markt der Meinungen bei Erwachsenen.
Auf der Ebene der Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen scheint mir ein besonderes Manko bei der Schulung des Denkens sowie der Fähigkeit zu Polyvalenz und Debatte zu bestehen. Hier wäre vielleicht inhaltlich eine systematischere Denkschulung hilfreich (z. B.: Syllogismen, Aufklärung über kognitive Verzerrungen, Bearbeitung von (moralischen) Dilemmata) sowie eine Förderung von freier Debatte, die das Argumentum ad Hominem verbietet.
Auf der Ebene der ideologischen Verfestigung bei bereits erwachsenen Teilnehmern in der Gesellschaft empfinde das Aufweichen der Tendenz zu kognitiver Dissonanzreduktion und der Nutzung konfirmatorischen Evidenzen als extrem schwierig. Auch deshalb, weil am “Ende” einer Diskussion sehr häufig einfach eine Art mentaler Reset durchgeführt wird. “Das war sehr interessant, aber…”
Ein Problem, vermute ich, ist die Impfung nicht nur mit Beispielen und Inhalten, sondern auch mit emotionsgeladenen Bildern, medial und mental. Dagegen komme ich oft kaum an, beispielsweise sagen die Diskussionsteilnehmer dann oft Dinge wie: “Aber die B i l d e r in New York/Bergamo/etc. habe ich doch gesehen, so schlimm!”
Vielen Dank für diesen wichtigen Schlüsseltext zum Verständnis des aktuellen geistigen Klimas. Ich kartografiere für mich seit langer Zeit diese verschiedenen Facetten der Immunisierung sozusagen namenlos, daher fiel das bei mir im Trommelfeuer auf fruchtbaren Boden, was Sie hier skizzieren. Die Analogie zum Immunisierungsvorgang ist mir bis heute nicht in den Sinn gekommen, dabei passt er ganz hervorragend. Die deutlichste Analogie ist meines Erachtens die ausschließliche Beschäftigung mit schlechten, schwachen Argumenten bzw schwachen Vertretern der Gegenseite. Redlich alleine ist es, sich mit den guten Argumenten eines Gegners auseinanderzusetzen. Auch glasklar umgesetzt im deutschen Talkshow-Unwesen, wo entweder nur schwache Gegner eingeladen werden oder wenn starke, dann in Unterzahl und zur Not, wenn er Gefahr läuft, ein gutes Argument zu bringen, via Unterbrechung es verhindert. Und natürlich der Klassiker des Kontaminierens, sodaß das gute Argument immerhin einen schlechten Geruch bekommt.
… ” wo entweder nur schwache Gegner eingeladen werden oder wenn starke, dann in Unterzahl und zur Not, wenn er Gefahr läuft, ein gutes Argument zu bringen, via Unterbrechung es verhindert”
– ja, genau, soweit kann man die Ideologen ohne große Anstrengung bringen, also soweit, dass sie auf die eine oder andere Weise, aber jedenfalls für jedermann sichtbar, zu erkennen geben, dass sie gegen das bessere Argument nicht ankommen können.
Warum, glauben Sie, legen sich Ideologen krumm, um durch Zensur Widerworte zu unterdrücken
und dabei in Kauf nehmen, durch ihre empfindliche Reaktion auch noch auf den allerkleinsten Einwand lächerlich zu sein und als “Kaiser ohne Kleider” dazustehen?!
Die müssen keine Angst haben, entlarvt zu werden, wenn sie nur vorher tüchtig den Meinungsgegner diffamiert haben. Dann kann man noch so plausibel argumentieren, es kommt ja aus der falschen Ecke und wird dadurch im Gefühl ungültig. Besonders fies ist meiner Ansicht nach der Vorwurf des Populismus. Ich würde sagen er speist sich teils aus der Kraft des Arguments – das “Einleuchtende” wird unter Verdacht des unbotmäßig “Verführerischen” gestellt. Ich kann mir eine neomarxistische Welt vorstellen, in der bereits das gute Argument für sich genommen als etwas Negatives empfunden wird, meinetwegen als “westlich-weiß-partriarchalisch-blablub”.
Das ist die Debatten-Unkultur, welche der Wokeismus mittlerweile in großem Maßstab etabliert hat. Man folgt der Annahme der postmodernen Ideologen, dass es jenseits der Sprache keine Vereise auf eine irgenwie geartete Realität gibt – eine Annahme der Moderne. Deshalb gilt nur die sprachlich konstruierte Wahrheit, die im Machtdiskurs durchgesetzt wird, für diese Ideologen. Darum nützt ihnen auch Argumentation nichts, sondern nur, dass sie die Einzigen sind, die eine Position äußern dürfen. Aus diesem Grund ist das De-Platforming auch so beliebt, oder Nonsense wie: “Wörter sind Gewalt”/”aus Worten werden Taten”.
Wenn die Ideologen (postmodern oder welcher Art auch immer) das Gefühl hätten, so sicher im Sattel zu sitzen, wären weder De-Platforming noch die Erfindung ewig neuer Schimpfworte oder die Etablierung von Begriffen als abwertende Begriffe notwendig.
Ich kann psychologisch betrachtet gut verstehen, dass der Unsinn, mit dem man in den mainstream-Medien und vielleicht auch im eigenen sozialen Umfeld zugemüllt wird, zeitweise erschlagend wirkt und man davon frustriert wird.
Aber das ist ja genau das, was die Ideologen beabsichtigen, und deshalb macht man es ihnen viel zu leicht, wenn man es sich im Frustrationstief gemütlich macht statt einfach wieder aufzustehen, in die Welt hinauszugehen und ihr mitzuteilen, was man von all dem Unsinn hält; immerhin ist das auch Ihre, meine, unser aller Welt, wir können und müssen sie als solche auch für uns beanspruchen.
Ich weiß, dass es in Deutschland im Vergleich zu den USA oder zu Australien, aber auch zum Vereinigten Königreich weit besser gelungen ist, jede Abweichung von der Regierungslinie als “rechts” zu inszenieren, und das macht es für den Einzelnen sicher schwieriger, einfach sein Ding zu machen und sich, wo und wann immer möglich, nicht um den Unsinn zu kümmern.
Aber das ist ja Teil des Problems in Deutschland: dass sich alle in der Opferrolle fühlen (mit mehr oder weniger Berechtigung, versteht sich,) und deshalb zu wenige Leute auf die Ideologie und die Ideologen samt des Vorwurfes irgendetwas ganz Schlimmes zu sein, pfeifen und damit beginnen, eigene Gruppen, Organisationen etc. aufzubauen. In den USA gibt es z.B. Texas, aber eben auch alle möglichen privaten Unternehmen, die explizit damit werben, nicht “woke” oder politisch korrekt zu sein, bis hin zu “patriotischen” Lebensmittelläden. Die Leute dort vergrößern ständig ihre Möglichkeiten, sozusagen an der Ideologie irgendwelcher Poltidarsteller in der Hauptstadt vorbeizuleben. Und es scheint, dass sich auf diese Art ganz gut leben lässt.
In den USA gibt es Youtube-Kanäle wie Timcast oder Steve Turley, im UK gibt es Sendungen wie “Talk Radio”, “Mahyar Tousi”, andrewalker.uk, Alex Belfield oder Jeff Taylor. Es gibt das “New Culture Forum”, und es gibt Autoren wie Douglas Murray, die sich überall dort äußern, und es gibt den Spectator und vieles andere mehr. Sie alle haben sich ihrerseits etabliert und eine große Zuschauer-/Zuhörer-/Leserschaft.
In Deutschland gibt es immerhin auch Ansätze einer alternativen Medienlandschaft, und schon die genügen, um das “establishment” in Aufruhr zu versetzen, so dass es (ebenfalls) der Zensur das Wort redet.
Aber in Deutschland, so scheint mir, haben selbst die Leute, die diese bescheidenen Ansätze wahrnehmen und nutzen, das Gefühl, etwas eigentlich Schlechtes oder Verbotenes zu tun, das man vor anderen verschweigen muss, statt die eigenen Überzeugungen und Präferenzen offen zu vertreten und sein Recht, nach den eigenen Überzeugungen und Präferenzen zu leben.
In Deutschland haben die Leute so furchtbar viel Angst vor bloßen Worten und davor, nicht (mehr) “gemocht” zu werden – von Leuten, auf deren Urteil sie doch oft nach eigener Aussage gar keinen Wert legen! Ich finde das sehr seltsam.
Der Druck, der in Deutschland ausgeübt wird, muss wirklich groß sein; das gestehe ich zu. Aber m.E. wird eben auch viel zu wenig Gegendruck aufgebaut.
Alle (auf jeder Seite des politischen Spektrums) tun sich nur leid. Alle Nicht-Linksextremen, die das Pech haben, derzeit eben nicht die politischen Ämter zu bestücken, fühlen sich gänzlich hilflos oder ziehen ihre Linie nicht durch aufgrund irgendwelcher sozialen Ängste. Mir scheint das fast so eine Art Volkssport zu sein.
Und je länger die Leute schweigen, desto “normaler” finden es die Ideologen, ihre Ideologie im Alltag als “gegeben”, als Selbstverständlichkei vorauszusetzen, und damit steigen dann wieder die psychologischen Kosten dafür, zu sagen, was man denkt, denn es scheint ja dann, als wäre jeder Widerspruch in der Tat etwas ganz und gar Überraschendes und Abseitiges.
In dieser Situation – und übrigens auch allgemein für die eigene Lebenspraxis, aber ganz besonders in dieser Situation, – würde ich daher den Ratschlage geben:
Man sollte sich weniger mit dem beschäftigen, was man nicht mag, worunter man leidet, was einem “blühen” könnte oder mit denjenigen, die einen nicht mögen oder gar mundtot machen wollen, und viel mehr mit sich selbst und dem, was man selbst will, und mit den Möglichkeiten, die man selbst hat, und mit Leuten, die Ähnliches wollen.
Tut mir leid, dass diese Antwort wieder so lang geworden ist, aber die Analyse von Mißständen ist das Eine, Überlegungen dazu, wie man ihnen am besten Abhilfe schafft, das Andere und vermutlich das Wichtigere.
Wäre ja noch schöner, wenn Sie sich für Ihre wertvollen Beiträge noch entschuldigen würden ob der Länge, Frau Diefenbach :). Ich sehe das grundsätzlich so wie Sie und man sollte tapfer gegenhalten und sich von diesen miesen Diffamierungen nicht einschüchtern lassen. Den größten Fehler, den ein Kritiker an dieser Ideologie in der Öffentlichkeit tun kann, ist es meiner Meinung nach, sich an dieser Distanziererei zu beteiligen. Z.B. eine Gruppe Ärztinnen (älteres Reitschustervideo) mit einem Plakat, auf dem sie sich von den Querdenkern distanzierten, weil sie glaubten, dadurch besser ihre Botschaft bringen zu können. Dumme Defensiv-Strategie. Zum Thema Deplatforming, was joheim angesprochen hat, passt es doch vollständig in die Logik der Diskurstheorie, denn wenn es nur um die Dominanz von Sprechakten geht, ist das einzige Mittel, ein Monopol des Schwätzens zu errichten durch Ausschaltung von Konkurrenz. Wer das letzte Wort hat, gewinnt. Daher auch die meineserachtens große Wichtigkeit, Faktenchecker gegenfaktenzuchecken. Es ist aber natürlich auch ein großer Schuss Angst dabei vor dem besseren Argument, das ist sicher, denn waschechter Solipsismus ist vermutlich selbst unter Poststrukturalisten selten.
Ich muss gestehen, ich musste schon schmunzeln, über die Deutung, dass sich alle in Selbstmitleid ergehen und sich als Opfer fühlen. Da ist sicher so Einiges dran. Vielleicht ist die Gefahr, mehr auf die geschaffene Atmosphäre, als auf reale Risiken, als Folge der Meinungsäußerung zu reagieren, doch die größere. Ich möchte Ihnen da zustimmen.
Andererseits würde ich aber auch anmerken wollen, dass in den USA, wo Sie die bereits etablierten nicht-woken Institutionen beschrieben haben, sowohl der Prozess der linksradikalen Unterwanderung, vor allem der Universitäten, als auch die Analyse deutlich weiter vorangeschritten sind. Ich verweise an der Stelle auf die Einschätzung, der Nordkorea entkommenen Yeonmi Park im Gespräch mit Jordan Peterson über ihre Erfahrungen an der Columbia University.
Ähnliches gilt womöglich für England, wenn man dem von Ihnen angesprochenen New Culture Forum aufmerksam folgt. Mich beschleicht der Gedanke, dass es dort im Lande mehr prominente und fähige liberale und konservative Intellektuelle gibt. Zugleich hat Schottland ein unglaublich totalitär anmutendes Hate-Speech Gesetz erlassen, so dass die Situation im UK vielleicht gar nicht in jeder Hinsicht freier ist, als in Deutschland?
Widersprechen würde ich insofern, als man auch anhand der Literatur in den USA sieht, dass dort die Analyse des Wokeism viel umfassender gepflegt wird, als hier. Ich denke, ohne Analyse kommt man nicht aus, wenn man Alternativen schaffen will. Hier in Deutschland beispielsweise ist m. E. vielen Menschen nicht bewusst, dass Begriffe wie Rassismus vollkommen umgedeutet wurden. Dass es bei der Analyse alleine nicht bleiben darf, kann ich gut nachvollziehen. Vielleicht sollte man hierzulande lokale Debattierclubs nach dem Oxford-Modell gründen oder Universality-Trainings entwickeln, in Abgrenzung zu den Diversity-Traninings?
Dennoch ist es auf der persönlichen Ebene doch immer wieder ermüdend bzgl. der üblichen Verdächtigen wie Corona, Klima, Gender, Wokeness immer wieder dieselben Gespräche zu führen.
Wir sehen, dass du dich in Vereinigtes Königreich befindest. Wir haben unsere Preise entsprechend auf Pfund Sterling aktualisiert, um dir ein besseres Einkaufserlebnis zu bieten. Stattdessen Euro verwenden.Ausblenden
Die Nutzanwendung für die, die mit einem uferlos ausgedehnten “Fake”-Begriff arbeiten, ist äußerst einfach. Sie sperren alles, was nach ihren Kriterien “fake” ist. Gestern klickte ich auf einen Link zu einem an sich unbedeutenden Widerspruch zu einem ganz besonders unbedeutenden Spruch von Jan Böhmermann. Diesem ruhmreichen Staatsfunk-Satiriker muss der Widerspruch unangenehm gewesen sein, jedenfalls erhielt ich die Information, die angeklickte Seite enthalte “potenziell gefährliche Inhalte”. Die “Bedrohung” bestehe in einem “hoax”, also Schwindel. Was stimmt und was ein gefährlicher hoax ist, entscheidet ein Zensor oder eine entsprechend konstruierte Suchmaschine, und zwar mit erstaunlich wenig ideologischer Sauce. Die Begründung des zensorischen Eingriffs besteht nur aus den Worten “gefährlich”, “hoax” und am Ende der kurzen Mitteilung aus dem Satz “Ihr Computer ist sicher” – ein Satz, auf den niemand hereinfallen kann, der die Absicht hatte, die gesperrte Seite zu lesen. Neusprech wird noch eingesetzt, aber es darf offenbar egal wie durchsichtig sein.
Auf einigen Umwegen kam ich zwar nicht auf die gesperrte Seite selbst, aber auf eine Seite, die sich auf die gesperrte Seite bezog. Wie ich vermutet hatte, ging es nur darum, dass Böhmermann sich schon in der kleinsten Kleinigkeit nicht widerlegen lassen will.
Wenn man ein totalitäres System vorbereitet und aufbaut, ist Propaganda immens wichtig, und dann muss man sich einige Mühe geben, halbwegs glaubhafte Geschichten aus einer fiktiven Welt zu erzählen. Wenn das totalitäre System einmal an der Macht ist, braucht es nur noch wenig Verstand, Zeit und Geld in die Produktion überzeugender Lügen, Halbwahrheiten, Verdrehungen etc. zu investieren. Die Funktion der Propaganda im stabil installierten Totalitarismus besteht darin, ein paar unbeirrbare Gläubige bei der Stange zu halten, unzureichend informierte Menschen in anderen Ländern zu täuschen und allen klarzumachen, auf welcher, natürlich stets richtigen, Seite das Regime steht. Vielleicht gehört auch zur Absicht, den weniger Frommen gleich klar zu machen, dass sie keine Chancen auf eine faire mediale Darstellung ihrer Positionen haben. Im genannten Beispiel, das typisch für eine totale Gesellschaft und einen totalen Staat ist, wird die oppositionelle Seite nicht mal unfair, sondern überhaupt nicht dargestellt, nicht mal für “rechts”, sondern begründungslos für “gefährlich” erklärt, und ihre Aussage definiert man genauso willkürlich als “Schwindel” . Auch ein Totalitarismus, der mit wenig offener Gewalt vorgeht und sogar einen gewissen Grad an Meinungs- und Pressefreiheit gestattet (weil “falsche” Meinungen und Webseiten das System in der Regal nicht mehr angreifen können), ist totalitär.
Eine ganz hervorragend gescheite und überlebenswichtige Analyse!
Eine ernste Warnung vor den totalitären Strategien, mit denen die rationale Argumentation unterlaufen und abgeschafft wird!
Eine Frage, die ich hätte, wäre: wie kann man einer bereits stattgefunden habenden Einstellungsimpfung entgegenwirken? Wie öffnet man erfolgreich ideologisch geimpfte Personen wieder für sachliche Argumente?
@Jo Heim
… das ist die hunderttausend-Dollar-Frage, und es wird wohl niemanden überraschen, dass Mao Zedong oder die CCP keinerlei Interesse an dieser Frage hatten. Und Ping schreibt über die manipulativen Methoden, die sie verwendet haben, widmet sich aber auch nicht dem “positiven Teil” bzw. der Frage, die sie gestellt haben.
Wir müssen diesebezüglich selbst nachdenken. Und wir müssen dabei von der Situation ausgehen, so, wie sie sich stellt, und das heißt z.B., dass wir derzeit eben kein besseres Bildungssystem und kein besseres Personal im Bildungssystem haben als wir es haben. Es nützt also nichts, zu überlegen: was WÄREN gut Bedingungen, um Personen für sachliche Argumente zu öffnen, sondern müssen fragen: was KÖNNen wir in der GEGEBENEN Situation tun.
Man mag vielleicht denken, dass das nicht allzu viel sein kann, eben weil die Institutionen zerstört sind. Aber m.E. ist das falsch. Gerade weil die Institutionen zerstört sind, bietet sich die Möglichkeit, neue aufzubauen, d.h. solche, die die Funktionen übernehmen, die die zerstörten Institutionen, die nur noch formal bestehen, nicht mehr erfüllen
Bleiben wir beim Beispiel Bildungssystem:
Eltern können alternative Unterrichtsmodelle fordern, entwerfen, selbst zu organisieren, anbieten. In Deutschland können sie ja nicht einfach mit den Füßen abstimmen und auf Beschulung zu Hause ausweichen wie in anderen Ländern, aber sie können von der Ganztagsbeschulung Abstand nehmen, wenn sie es sich leisten können, auf Privatschulen umsteigen, sie können das schlimmste an Fehlinformation oder verzerrter Information, was ihre Kinder in der Schule erzählt bekommen haben, in einer Art organisierter Schulstoff-Nach-Arbeit mit ihren Kindern und allen Kindern aus der Klasse, die bzw. deren Eltern es wollen, korrigieren.
Lehrer, Fachpersonal, Wissenschaftler im Ruhestand können einen Fachunterricht außerhalb bzw. neben der Schule oder Ferienkurse anbieten, um den Kindern Fakten und richtiges Recherchieren und Argumentieren beizubringen.
Im UK haben Eltern mit entsprechendem Bildungs- oder Berufshintergrund während der Schulschließungen wegen Covid-19 solchen Unterricht organisiert, und das hat in die Schulen “zurückgefüttert” insofern sich gezeigt hat, dass viele Eltern gar nicht wussten, WIE wenig ihre Kinder in der Schule gelernt haben und die Kinder, die nunmehr in die Schule zurückkehren, inzwischen ein höheres Niveau erreicht haben als das in der Schule übliche.
Wissenschaftler außerhalb der staatlichen Bildungseinrichtungen können initiativ werden und fachspezifische online-Kurse entwerfen und anbieten. In den USA ist das geschehen und daraus ist inzwischen eine unabhängige Universität aus Stein und Beton geworden, also eine “richtige”, nicht “nur” online-Universität.
Usw. usw.
Und ich denke, dass ähnliche Initiativen mit Bezug auf sehr viele zerstörte Institutionen möglich sind,
Und dann ist da natürlich unser aller Alltagsmacht, so würde ich es einmal ausdrücken: Wann immer wir auf jemanden treffen, der geistig faul ist oder zum Opfer von Manipulation geworden ist, sind wir frei (wenn nicht sozial und moralisch verpflichtet), diese Person auf ihre Denkfehler und ihre Vorurteile aufmerksam zu machen.
Es ist z.B,. einfach zu fragen; “Wie kommst du auf die Idee, dass man nicht glauben kann, was irgendwo geschrieben ist, nur, weil diese Quelle dem deutschen Sonderweg in Sachen Impressum nicht folgt? Was hat der Wahrheitsgehalt eines spezifischen Inhaltes damit zu tun, ob auf der Seite absurde Rechtsregelungen, die fast nirgendwo auf der Welt Geltung haben, befolgt werden?
Bringen Sie solche Leute in Erklärungsnotstand, wo, wie und wann Sie können, und bemerken Sie regelmäßig und explizit, dass sie es sind, die ihre Vorurteile nicht begründen, ihr Verhalten nicht erklären können, dass sie es sind, die sich irrational verhalten oder einfach geistig faul sind.
Klar, die entsprechenden Personen werden das nicht mögen bzw. SIE nicht mehr mögen, aber man kann sie wissen lassen, dass sie damit schon wieder einen Denkfehler machen: Für den Sachverhalte, der in der schlechten Nachricht mitgeteilt wird, ist schließlich nicht derjenige verantwortlich, der die Nachricht überbringt!
Manche Menschen werden aus all dem etwas lernen.
Andere nicht.
Aber diese Anderen werden zumindest lernen, ihren Unsinn nicht mehr allen überall zuzumuten, weil sie nicht mehr sicher sein können, dass nicht schon wieder Widerspruch kommt, auf den sie nicht antworten können (außer durch Beschimpfungen oder sonst irgendein peinliches Ablenkungsmanöver – das man ja dann wieder als solches benennen kann).
Mit der Zeit verändern sich auf diese Weise die Erwartungen an “Normalität” und damit das Gesamtklima. Aber dabei hat jeder seinen Beitrag zu leitsten, tagaus, tagein, auch dann, wenn er müde ist und vielleicht denkt, “ach, das hat bei dem ja sowieso keinen Zweck”, aber das ist der falsche Gedanke, denn der Zweck ist nicht immer und unbedingt, jeden einzelnen “aufzuklären”, sondern ein Gesamtklima zu schaffen, indem jemand, der Unsinn von sich gibt, nicht mehr gehört wird.
Also, ich denke, jeder einzelne von uns kann sehr viel tun. Gerade die unkoordinierte Alltagspraxis vieler Einzelner hat eine enorme Durchschlagskraft, eben weil es Handeln Einzelner ist, Es gibt kein Büro, in dem “Material” beschlagnahmt werden kann, keine Gruppe, die man verbieten lassen kann….
Die Bundesregierung hat versucht, sich genau dies zu Nutze zu machen mit Bezug auf die Antifa, gegen die man nicht vorgehen könne, weil es sie angeblich nicht gebe, weil das angeblich Einzelaktionen Einzelner bzw. einzelner Grüppchen seien. Aber bei der Antifa stimmt es halt einfach nicht; sie ist recht einfach dingfest zu machen. Aber dass die Bundesregierung versucht hat, die Antifa als Einzelne zu inszenieren, illustriert immerhin, dass sie sich darüber bewusst ist, dass das unkoordinierte Handeln Einzelner in derselben Richtung etwas ist, dem man nur sehr schwierig beikommen kann.
Wenn es sich um Opportunisten handelt, nützt keine Entimmunisierung, weil für Opportunisten Argumente grundsätzlich nur Mittel sind, die je opportune Meinung zu stützen. In halbwegs vernünftigen Zeiten wirken Opportunisten daher vernünftig. Jetzt haben wir unvernünftige Zeiten und sie lassen schlichtweg ihre Vernunftmaske fallen. Da gibt es nichts zu vermitteln. Ich laufe keinem Opportunisten argumentierend hinterher, ist eine Frage der Ehre.
… und wie stellen Sie fest, dass es sich um einen Opportunisten handelt, wenn sie ihm keine Gelegenheit geben, sich als solcher zu erweisen, da Sie ja von vornherein nicht mit “Unvernünftigen” sprechen?
Und so bleiben Sie stumm, und nichts und niemand muss sich an Ihnen bzw. Ihrer Widerrede stören. Ich finde das weder nützlich noch ehrenvoll.
Sollte niemals ein Vorausurteil sein, sondern erst nach langer Beobachtung entschieden werden: wenn er sich oft genug in der Vergangenheit mit der Position der Macht gemein gemacht hat, sozusagen im Meinungstrend war plus wenn er die von Ihnen ausgeführten Immunisierungsstrategien angewandt hat. Statistisch hab ich (leider) eh Recht (Geschichte), daß also Opportunismus eine feste Größe im Repertoire menschlichen Verhaltens ist, nur im Einzelfall sollte man es sich natürlich so schwer wie möglich machen, damit daraus nicht seinerseits eine Ausrede wird, sich argumentativ auf die faule Haut zu legen.
Liebe Frau Diefenbach, ich danke Ihnen herzlich für die Zeit, die Sie sich genommen haben sowie die wertvollen Hinweise, denen ich nachgehen werde.
Ein paar Gedanken möchte ich noch beisteuern und versuchen, das knapp zu halten.
Eine Ebene, die ich ausmache betrifft den Verfall von Bildungsinstitutionen, zumindest in Bereichen sowie die inhaltliche Ebene von Bildung für Kinder und Jugendliche. Die zweite Ebene wäre die Verengung und Ideologisierung auf dem Markt der Meinungen bei Erwachsenen.
Auf der Ebene der Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen scheint mir ein besonderes Manko bei der Schulung des Denkens sowie der Fähigkeit zu Polyvalenz und Debatte zu bestehen. Hier wäre vielleicht inhaltlich eine systematischere Denkschulung hilfreich (z. B.: Syllogismen, Aufklärung über kognitive Verzerrungen, Bearbeitung von (moralischen) Dilemmata) sowie eine Förderung von freier Debatte, die das Argumentum ad Hominem verbietet.
Auf der Ebene der ideologischen Verfestigung bei bereits erwachsenen Teilnehmern in der Gesellschaft empfinde das Aufweichen der Tendenz zu kognitiver Dissonanzreduktion und der Nutzung konfirmatorischen Evidenzen als extrem schwierig. Auch deshalb, weil am “Ende” einer Diskussion sehr häufig einfach eine Art mentaler Reset durchgeführt wird. “Das war sehr interessant, aber…”
Ein Problem, vermute ich, ist die Impfung nicht nur mit Beispielen und Inhalten, sondern auch mit emotionsgeladenen Bildern, medial und mental. Dagegen komme ich oft kaum an, beispielsweise sagen die Diskussionsteilnehmer dann oft Dinge wie: “Aber die B i l d e r in New York/Bergamo/etc. habe ich doch gesehen, so schlimm!”
Sehr geehrte Frau Dr. Diefenbach,
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Die Kanzlerin in Höchstform.
https://www.corodok.de/sag-dass-das-nicht-wahr-ist/
Albert Einstein: „Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.“
Vielen Dank für diesen wichtigen Schlüsseltext zum Verständnis des aktuellen geistigen Klimas. Ich kartografiere für mich seit langer Zeit diese verschiedenen Facetten der Immunisierung sozusagen namenlos, daher fiel das bei mir im Trommelfeuer auf fruchtbaren Boden, was Sie hier skizzieren. Die Analogie zum Immunisierungsvorgang ist mir bis heute nicht in den Sinn gekommen, dabei passt er ganz hervorragend. Die deutlichste Analogie ist meines Erachtens die ausschließliche Beschäftigung mit schlechten, schwachen Argumenten bzw schwachen Vertretern der Gegenseite. Redlich alleine ist es, sich mit den guten Argumenten eines Gegners auseinanderzusetzen. Auch glasklar umgesetzt im deutschen Talkshow-Unwesen, wo entweder nur schwache Gegner eingeladen werden oder wenn starke, dann in Unterzahl und zur Not, wenn er Gefahr läuft, ein gutes Argument zu bringen, via Unterbrechung es verhindert. Und natürlich der Klassiker des Kontaminierens, sodaß das gute Argument immerhin einen schlechten Geruch bekommt.
… ” wo entweder nur schwache Gegner eingeladen werden oder wenn starke, dann in Unterzahl und zur Not, wenn er Gefahr läuft, ein gutes Argument zu bringen, via Unterbrechung es verhindert”
– ja, genau, soweit kann man die Ideologen ohne große Anstrengung bringen, also soweit, dass sie auf die eine oder andere Weise, aber jedenfalls für jedermann sichtbar, zu erkennen geben, dass sie gegen das bessere Argument nicht ankommen können.
Warum, glauben Sie, legen sich Ideologen krumm, um durch Zensur Widerworte zu unterdrücken
und dabei in Kauf nehmen, durch ihre empfindliche Reaktion auch noch auf den allerkleinsten Einwand lächerlich zu sein und als “Kaiser ohne Kleider” dazustehen?!
Weil die Angst mit dem Argumentlosen ist.
Die müssen keine Angst haben, entlarvt zu werden, wenn sie nur vorher tüchtig den Meinungsgegner diffamiert haben. Dann kann man noch so plausibel argumentieren, es kommt ja aus der falschen Ecke und wird dadurch im Gefühl ungültig. Besonders fies ist meiner Ansicht nach der Vorwurf des Populismus. Ich würde sagen er speist sich teils aus der Kraft des Arguments – das “Einleuchtende” wird unter Verdacht des unbotmäßig “Verführerischen” gestellt. Ich kann mir eine neomarxistische Welt vorstellen, in der bereits das gute Argument für sich genommen als etwas Negatives empfunden wird, meinetwegen als “westlich-weiß-partriarchalisch-blablub”.
Das ist die Debatten-Unkultur, welche der Wokeismus mittlerweile in großem Maßstab etabliert hat. Man folgt der Annahme der postmodernen Ideologen, dass es jenseits der Sprache keine Vereise auf eine irgenwie geartete Realität gibt – eine Annahme der Moderne. Deshalb gilt nur die sprachlich konstruierte Wahrheit, die im Machtdiskurs durchgesetzt wird, für diese Ideologen. Darum nützt ihnen auch Argumentation nichts, sondern nur, dass sie die Einzigen sind, die eine Position äußern dürfen. Aus diesem Grund ist das De-Platforming auch so beliebt, oder Nonsense wie: “Wörter sind Gewalt”/”aus Worten werden Taten”.
@pantau @Jo Heim
Wenn die Ideologen (postmodern oder welcher Art auch immer) das Gefühl hätten, so sicher im Sattel zu sitzen, wären weder De-Platforming noch die Erfindung ewig neuer Schimpfworte oder die Etablierung von Begriffen als abwertende Begriffe notwendig.
Ich kann psychologisch betrachtet gut verstehen, dass der Unsinn, mit dem man in den mainstream-Medien und vielleicht auch im eigenen sozialen Umfeld zugemüllt wird, zeitweise erschlagend wirkt und man davon frustriert wird.
Aber das ist ja genau das, was die Ideologen beabsichtigen, und deshalb macht man es ihnen viel zu leicht, wenn man es sich im Frustrationstief gemütlich macht statt einfach wieder aufzustehen, in die Welt hinauszugehen und ihr mitzuteilen, was man von all dem Unsinn hält; immerhin ist das auch Ihre, meine, unser aller Welt, wir können und müssen sie als solche auch für uns beanspruchen.
Ich weiß, dass es in Deutschland im Vergleich zu den USA oder zu Australien, aber auch zum Vereinigten Königreich weit besser gelungen ist, jede Abweichung von der Regierungslinie als “rechts” zu inszenieren, und das macht es für den Einzelnen sicher schwieriger, einfach sein Ding zu machen und sich, wo und wann immer möglich, nicht um den Unsinn zu kümmern.
Aber das ist ja Teil des Problems in Deutschland: dass sich alle in der Opferrolle fühlen (mit mehr oder weniger Berechtigung, versteht sich,) und deshalb zu wenige Leute auf die Ideologie und die Ideologen samt des Vorwurfes irgendetwas ganz Schlimmes zu sein, pfeifen und damit beginnen, eigene Gruppen, Organisationen etc. aufzubauen. In den USA gibt es z.B. Texas, aber eben auch alle möglichen privaten Unternehmen, die explizit damit werben, nicht “woke” oder politisch korrekt zu sein, bis hin zu “patriotischen” Lebensmittelläden. Die Leute dort vergrößern ständig ihre Möglichkeiten, sozusagen an der Ideologie irgendwelcher Poltidarsteller in der Hauptstadt vorbeizuleben. Und es scheint, dass sich auf diese Art ganz gut leben lässt.
In den USA gibt es Youtube-Kanäle wie Timcast oder Steve Turley, im UK gibt es Sendungen wie “Talk Radio”, “Mahyar Tousi”, andrewalker.uk, Alex Belfield oder Jeff Taylor. Es gibt das “New Culture Forum”, und es gibt Autoren wie Douglas Murray, die sich überall dort äußern, und es gibt den Spectator und vieles andere mehr. Sie alle haben sich ihrerseits etabliert und eine große Zuschauer-/Zuhörer-/Leserschaft.
In Deutschland gibt es immerhin auch Ansätze einer alternativen Medienlandschaft, und schon die genügen, um das “establishment” in Aufruhr zu versetzen, so dass es (ebenfalls) der Zensur das Wort redet.
Aber in Deutschland, so scheint mir, haben selbst die Leute, die diese bescheidenen Ansätze wahrnehmen und nutzen, das Gefühl, etwas eigentlich Schlechtes oder Verbotenes zu tun, das man vor anderen verschweigen muss, statt die eigenen Überzeugungen und Präferenzen offen zu vertreten und sein Recht, nach den eigenen Überzeugungen und Präferenzen zu leben.
In Deutschland haben die Leute so furchtbar viel Angst vor bloßen Worten und davor, nicht (mehr) “gemocht” zu werden – von Leuten, auf deren Urteil sie doch oft nach eigener Aussage gar keinen Wert legen! Ich finde das sehr seltsam.
Der Druck, der in Deutschland ausgeübt wird, muss wirklich groß sein; das gestehe ich zu. Aber m.E. wird eben auch viel zu wenig Gegendruck aufgebaut.
Alle (auf jeder Seite des politischen Spektrums) tun sich nur leid. Alle Nicht-Linksextremen, die das Pech haben, derzeit eben nicht die politischen Ämter zu bestücken, fühlen sich gänzlich hilflos oder ziehen ihre Linie nicht durch aufgrund irgendwelcher sozialen Ängste. Mir scheint das fast so eine Art Volkssport zu sein.
Und je länger die Leute schweigen, desto “normaler” finden es die Ideologen, ihre Ideologie im Alltag als “gegeben”, als Selbstverständlichkei vorauszusetzen, und damit steigen dann wieder die psychologischen Kosten dafür, zu sagen, was man denkt, denn es scheint ja dann, als wäre jeder Widerspruch in der Tat etwas ganz und gar Überraschendes und Abseitiges.
In dieser Situation – und übrigens auch allgemein für die eigene Lebenspraxis, aber ganz besonders in dieser Situation, – würde ich daher den Ratschlage geben:
Man sollte sich weniger mit dem beschäftigen, was man nicht mag, worunter man leidet, was einem “blühen” könnte oder mit denjenigen, die einen nicht mögen oder gar mundtot machen wollen, und viel mehr mit sich selbst und dem, was man selbst will, und mit den Möglichkeiten, die man selbst hat, und mit Leuten, die Ähnliches wollen.
Tut mir leid, dass diese Antwort wieder so lang geworden ist, aber die Analyse von Mißständen ist das Eine, Überlegungen dazu, wie man ihnen am besten Abhilfe schafft, das Andere und vermutlich das Wichtigere.
Wäre ja noch schöner, wenn Sie sich für Ihre wertvollen Beiträge noch entschuldigen würden ob der Länge, Frau Diefenbach :). Ich sehe das grundsätzlich so wie Sie und man sollte tapfer gegenhalten und sich von diesen miesen Diffamierungen nicht einschüchtern lassen. Den größten Fehler, den ein Kritiker an dieser Ideologie in der Öffentlichkeit tun kann, ist es meiner Meinung nach, sich an dieser Distanziererei zu beteiligen. Z.B. eine Gruppe Ärztinnen (älteres Reitschustervideo) mit einem Plakat, auf dem sie sich von den Querdenkern distanzierten, weil sie glaubten, dadurch besser ihre Botschaft bringen zu können. Dumme Defensiv-Strategie. Zum Thema Deplatforming, was joheim angesprochen hat, passt es doch vollständig in die Logik der Diskurstheorie, denn wenn es nur um die Dominanz von Sprechakten geht, ist das einzige Mittel, ein Monopol des Schwätzens zu errichten durch Ausschaltung von Konkurrenz. Wer das letzte Wort hat, gewinnt. Daher auch die meineserachtens große Wichtigkeit, Faktenchecker gegenfaktenzuchecken. Es ist aber natürlich auch ein großer Schuss Angst dabei vor dem besseren Argument, das ist sicher, denn waschechter Solipsismus ist vermutlich selbst unter Poststrukturalisten selten.
Ich muss gestehen, ich musste schon schmunzeln, über die Deutung, dass sich alle in Selbstmitleid ergehen und sich als Opfer fühlen. Da ist sicher so Einiges dran. Vielleicht ist die Gefahr, mehr auf die geschaffene Atmosphäre, als auf reale Risiken, als Folge der Meinungsäußerung zu reagieren, doch die größere. Ich möchte Ihnen da zustimmen.
Andererseits würde ich aber auch anmerken wollen, dass in den USA, wo Sie die bereits etablierten nicht-woken Institutionen beschrieben haben, sowohl der Prozess der linksradikalen Unterwanderung, vor allem der Universitäten, als auch die Analyse deutlich weiter vorangeschritten sind. Ich verweise an der Stelle auf die Einschätzung, der Nordkorea entkommenen Yeonmi Park im Gespräch mit Jordan Peterson über ihre Erfahrungen an der Columbia University.
Ähnliches gilt womöglich für England, wenn man dem von Ihnen angesprochenen New Culture Forum aufmerksam folgt. Mich beschleicht der Gedanke, dass es dort im Lande mehr prominente und fähige liberale und konservative Intellektuelle gibt. Zugleich hat Schottland ein unglaublich totalitär anmutendes Hate-Speech Gesetz erlassen, so dass die Situation im UK vielleicht gar nicht in jeder Hinsicht freier ist, als in Deutschland?
Widersprechen würde ich insofern, als man auch anhand der Literatur in den USA sieht, dass dort die Analyse des Wokeism viel umfassender gepflegt wird, als hier. Ich denke, ohne Analyse kommt man nicht aus, wenn man Alternativen schaffen will. Hier in Deutschland beispielsweise ist m. E. vielen Menschen nicht bewusst, dass Begriffe wie Rassismus vollkommen umgedeutet wurden. Dass es bei der Analyse alleine nicht bleiben darf, kann ich gut nachvollziehen. Vielleicht sollte man hierzulande lokale Debattierclubs nach dem Oxford-Modell gründen oder Universality-Trainings entwickeln, in Abgrenzung zu den Diversity-Traninings?
Dennoch ist es auf der persönlichen Ebene doch immer wieder ermüdend bzgl. der üblichen Verdächtigen wie Corona, Klima, Gender, Wokeness immer wieder dieselben Gespräche zu führen.