Auf dem Weg zum gläsernen Patienten: „Nicht durchgeführte Impfung …“ gegen Covid-19 im ICD-10 und im ICD-11 der WHO

Der ICD, die „International Statistical Classification of Diseases“, ist der Internationale Code zur Klassifizierung von Krankheiten und „Gesundheitsproblemen“ der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Die WHO hat ihn im Jahr 1948 geschaffen, und zwar auf der Grundlage der „International List of Causes of Death“, die im Jahr 1893 von einem Kommittee um den Pariser Statistiker Jacques Bertillion geschaffen wurde und im Jahr 1898 u.a. von den USA zur standardisierten Erfassung von Todesursachen eingeführt wurde (Hirsch et al. 2016: 596). Der ICD hat seitdem weite Verbreitung, vor allem auf der Nordhalbkugel der Erde, aber auch (u.a.) in Australien und Chile, gefunden. Knapp 30 Staaten haben den ICD-10 zur Grundlage ihrer Kostenerstattungs- und Mittelzuweisungspraktiken in ihrem Gesundheitssystem gemacht, darunter Deutschland, und viele weitere Staaten benutzen den ICD-10 als Grundlage für ihre Todesstatistiken, wobei verschiedene Länder ihre an die Verhältnisse in den Ländern oder die Bedürfnisse ihrer Gesundheitsversorgungssysteme angepassten Versionen des ICD geschaffen haben.

Im Verlauf der Geschichte hat der ICD nicht nur geographische Verbreitung gefunden, sondern auch viele inhaltkliche Erweiterungen erfahren: Die ersten fünf Versionen des ICD konnten noch in einem einzigen Band abgedruckt werden; in die folgenden Versionen wurden ständig neue Krankheiten bzw. Phänomene, die eben durch Aufnahme in den ICD als Krankheiten definiert wurden, aufgenommen. Beispielsweise wurde in den ICD-6 eine Kategorie für psychiatrische Störungen aufgenommen – und in der Folge umfasste der ICD-6 nunmehr zwei Bände (Hirsch et al. 2016: 597). Die neueste Version des ICD ist die Version ICD-11, in die wieder einmal neue Phänomene aufgenommen wurden, u.a. „Gaming Disorder“. Die „Spiel-Störung“ soll durch ein Muster von Spielverhalten mit Bezug auf Computer- oder Videospiele angezeigt werden, das durch eine „eingeschränkte Kontrolle“ über das Spielverhalten „charakterisiert“ sein soll, die sich ihrerseits dadurch äußern soll, dass das Spielen Vorrang vor anderen Interessen und täglichen Aktivitäten gewinnt und auch dann fortgesetzt wird, wenn es „negative Folgen“ zeitigt.

Je nach dem herrschenden Zeitgeist nimmt die WHO manchmal die umgekehrte Position ein und ist sehr darum bemüht, von ihr wahrgenommene Stigmatisierungsgefahr zu vermeiden wie das im ICD-11 mit Bezug auf „Gender Incongruence“, d.h. „Geschlechts-Inkongruenz“ der Fall ist. Sie ist im ICD-11 von den mentalen Erkrankungen in die Klasse der sexuellen Erkrankungen verschoben worden:

„The bulk of the changes centered around the moving of “gender incongruence” from a classification of mental health to one of sexual health. In 2020, we have a better understanding of the issues surrounding this condition, and they are not related to a mental health condition. Treating gender incongruence in a mental health chapter was causing additional stigma for an already stigmatized condition. WHO officials added the hope that adding this condition to a sexual health chapter of the ICD codes would ‘help increase access to care for health interventions’ and ‘destigmatize the condition’.”
„Der Großteil der Änderungen betrifft die Verschiebung von ‚Geschlechtsinkongruenz‘ weg von einer Klassifizierung mit Bezug auf psychische Gesundheit und hin zu einer der sexuellen Gesundheit. Im Jahr 2020 haben wir ein besseres Verständnis für die Probleme, die mit diesem Zustand einhergehen, und sie sind nicht mit einer psychischen Erkrankung verbunden. Die Behandlung der Geschlechtsinkongruenz in einem Kapitel über psychische Gesundheit führte zu einer zusätzlichen Stigmatisierung eines bereits stigmatisierten Zustands. Die WHO-Vertreter fügten die Hoffnung hinzu, dass die Aufnahme dieses Leidens in ein Kapitel über sexuelle Gesundheit der ICD-Codes dazu beitragen würde, ‚den Zugang zu Gesundheitsmaßnahmen zu verbessern‘ und ‚das Leiden zu entstigmatisieren‘.

Das „bessere Verständnis“ von „Geschlechts-Inkongruenz“ ist natürlich das der WHO-Angestellten, und sie scheinen – trotz Abwesenheit entsprechender sozialwissenschaftlicher Forschung – zu meinen, dass sie wüssen, welche Zustände wie stark „stigmatisiert“ sind, und beides zusammen ergibt die Verschiebung von „Geschlechts-Inkongruenz“ in eine andere Klasse von Störungen: Während im ICD vorher von „transsexualism“ („Transsexualismus“) und von „gender identity disorder in children“ („Störung der Geschlechtsidentität bei Kindern“) gesprochen wurde, die als Störungen unter der Rubrik der psychischen Störungen geführt wurden, wird die neu geschaffene „Geschlechts-Inkongruenz“ unter der Rubrik „sexual health“ – d.h. sexueller Gesundheit, geführt, so, als würden im ICD nicht oder nicht nur Krankheiten oder Störungen klassifiziert, sondern als diene die Klassifikation (auch) dazu, die Gesundheit bzw. das Wohlbefinden von Menschen in verschiedenen Lebensbereichen zu fördern. Und die WHO schreibt hier auch ganz offen, dass die Verschiebung von „Geschlechts-Inkongruenz“ ein politischer Akt war, mit dem „WHO-Vertreter“ bestimmte „Hoffnung[en]“ verbinden.

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Diese Beispiele mögen ausreichen, um zu illustrieren, dass der ICD „Krankheiten“ nicht nur klassifiziert und inventarisiert. Vielmehr schafft die WHO selbst neue Krankheiten oder Störungen, indem gesellschaftlich Unerwünschtes als eine Erkrankung festgeschrieben und damit pathologisiert und stigmatisiert wird, ganz so, wie einst sowjetische Ärtze Personen, die ihren Impuls, ihre Unzufriedenheit mit dem kommunistischen System auszudrücken, nicht kontrollieren können (oder wollen), mit „creeping schizphrenia“, d.h. „schleichender Schizophrenie“, diagnostiziert und sie mit starken Dosen von psychoaktiven Drogen behandelt haben (Szasz 1997: 14; s. hierzu auch: Sovietunion admits to abuses of psychiatry).

Oder der ICD wird benutzt, um bestimmte Phänomene, die im ICD bislang als Krankheiten oder Störungen geführt wurden, zu „entstigmatisieren“ oder um den Markt für physische oder mentale Inventionen für diese Phänomene weiter zu öffnen.

Wie Conrad und Barker(2010: S67) festhalten, ist

“… medical knowledge about illness and disease … not necessarily given by nature but is constructed and developed by claims-makers and interested parties”,

d.h.

„… medizinisches Wissen über Krankheit [ist] nicht notwendigerweise von Natur aus gegeben, sondern wird von Personen, die bestimmte Forderungen stellen, und interessierten Parteien konstruiert und entwickelt“,

und das hat die

“…gradual incorporation of many personal and social problems into the concern of medicine“ (Szasz 1997: 24),

d.h die

„… schrittweise Einbeziehung vieler persönlicher und sozialer Probleme in die Medizin“ (Szasz 1997: 24)

zur Folge.

Dem ICD liegt dementsprechend das zugrunde, was Szasz (1997: 24; Hervorhebung im Original) eine „elastische Definition von Krankheit“ genannt hat, die es ermöglicht, immer weitere Phänomene zu pathologisieren und zu medikamentieren – oder umgekehrt: je nach Zeitgeist oder Ideologie Krankheiten oder Störungen zu entpathologisieren bzw. zu „entstigmatisieren“.

Pathologisieren lässt sich durch den ICD auch das Nicht-Vorhandensein eines bestimmten Zustandes, der von der WHO als ein Mangel interpretiert wird, d.h. als aufgrund eines Fehlens von etwas risikobehafteter Zustand In diesem Fall wird eine Sollstelle vermerkt, die anzeigen soll, dass jemandem etwas fehle, um gesund zu sein oder gesund zu bleiben. Und dementsprechend sind die Codes Z20-Z29 im ICD, hier in Kapitel XXI der deutschen Version ICD-10-GM 2023, die bis zur Einführung des neuen ICD-11 in Deutschland, gilt, zur Vergabe für „Personen mit potenziellen Gesundheitsrisiken hinsichtlich übertragbarer Krankheiten“ bestimmt. (Sehen wir an dieser Stelle über die logisch falsche Bezeichnung von „Risiken“ als „potenziell“ hinweg, logisch falsch deshalb, weil dann, wenn Risiken nicht möglicherweise, sondern mit Sicherheit vorhanden oder nicht vorhanden wären, keine Risiken wären!)

Quelle: ICD-Code.de

Die Codes Z23 bis Z27 werden vergeben, wenn eine „Notwendigkeit der Impfung [Immunisierung] gegen…“von durch Bakterien oder Viren verursachte oder andere Infektionskrankheiten” besteht.

Quelle: ICD-Code.de

Neuerdings sind Bedenken mit Bezug auf die Z-Codes und speziell den Code Z28 im Zusammenhang mit Covid-19 aufgekommen. Eine Vermutung ist, dass Personen mit dem Code Z28 belegt werden, wenn sie eine „Impfung“ gegen Covid-19 verweigern und als solche in die Datenbestände von Krankenversicherern eingehen und dort identifizierbar sind. Dies ist – so allgemein – nicht zutreffend. Aber das bedeutet keineswegs, dass Bedenken mit Bezug auf die jetzige und vor allem auf die in naher Zukunft mögliche Erfassung von nicht gegen Covid-19 „Geimpften“ gänzlich unangebracht wären, wie sich im Folgenden zeigen wird.

Die „Impfung“ gegen Covid-19 müsste unter den Code Z24 oder den Code Z25 fallen, weil Covid-19 von einem Virus verursacht wird. Explizit genannt ist Covid-19 in den Unterpunkten zum Code Z24 und zum Code Z25 nicht (und auch sonst nirgendwo in den Codes Z20 bis Z29). Genannt sind unter den Codes Z24 und Z25 Poliomyelitis, Virusenzephalitis, Tollwut, Gelbfieber, Masern, Röteln und Hepatitis unter Code Z24 sowie Mumps und Grippe (Influenza) unter Code Z25 – in dem auch „sonstige näher bezeichnete einzelne Viruskrankheiten“ erfasst werden sollen, wobei hier jedoch keine nähere Bezeichnung erfolgt, so dass man sich fragen muss, welche von wem wie näher bezeichnete einzelne Viruserkrankheiten unter Unterpunkt Z25.8 geführt werden sollen. (Auf Code Z25.8 wird später noch zurückzukommen sein.)

Nun wäre dies alles vergleichsweise unproblematisch, wenn diese Codes Personen mit „Notwendigkeit der Impfung“ erfassen würden, die beim Arzt vorstellig werden, um sich prophylaktisch gegen eine bestimmte Krankheit impfen zu lassen, die in die Kategorien Z23-Z27 fallen, also Personen, die von sich aus beim Arzt vorstellig werden, weil sie das Bedürfnis verspüren, sich gegen eine bestimmte Krankheit impfen zu lassen. Allerdings wäre es (auch) in diesem Zusammenhang unglücklich, von „Notwendigkeit“ zu sprechen, denn im Vortext zu den Codes in Kapitel XXI wird ja festgehalten, dass die Personen, auf die diese Codes angewendet werden sollen, nicht krank sein müssen bzw. keine bestehende Krankheit oder Schädigung bei ihnen gegeben sein muss. So betrachtet besteht also keine „Notwendigkeit“ zu irgendeiner Form von Behandlung dieser Personen. Tatsächlich wird in eben diesem Vortext der Fall erwähnt, in dem „… eine Person, wegen einer Krankheit oder ohne krank zu sein, das Gesundheitswesen zu einem speziellen Zweck in Anspruch nimmt, … um … sich prophylaktisch impfen zu lassen“.

Aber das ist nicht alles, denn im Vortext zu den Codes in Kapitel XXI wird explizit festgehalten, dass „irgendwelche Umstände oder Problemen …, die den Gesundheitszustand einer Person beeinflussen, an sich aber keine bestehende Krankheit oder Schädigung sind“ „… bei Reihenuntersuchungen der Bevölkerung festgestellt werden, … oder sie werden als ein Zusatzfaktor dokumentiert, der dann berücksichtigt werden muss, wenn die Person wegen irgendeiner Krankheit oder Schädigung behandelt wird“ (Hervorhebungen d.d.A.)

Personen kann also eine „Notwendigkeit“ einer Impfung quittiert werden, wenn sie einen Arzt wegen einer von der Impfung gänzlich unabhängigen Angelegenheit aufsuchen, oder sogar ohne ihr Wissen, wenn im Rahmen von Reihenuntersuchungen der „Zusatzfaktor“, der tatsächlich in einer Abwesenheit (also gerade nicht in einem „Zusatz“) besteht, erhoben oder sonstwie festgestellt wird, vielleicht anhand einer Blutuntersuchung, die (tatsächlich oder angeblich) zu einem ganz anderen Zweck durchgeführt wird.

Und auch das ist nicht alles, denn in Code Z28 werden Gründe für eine nicht durchgeführte Impfung festgehalten, nämlich „Glaubensgründe“, „Gruppendruck“, „Kontraindikation“ und „vom Patienten unabhängige Gründe“.

Quelle: ICD-Code.de

Die erste Kategorie macht schwerlich Sinn im Rahmen des Szenarios, in dem jemand die Initiative ergreift, den Arzt aufzusuchen, um sich, sagen wir, gegen Grippe impfen zu lassen, denn vercodet werden sollen hier ja die Gründe für eine nicht durchgeführte Impfung, und wer geht zum Arzt, um sich impfen zu lassen, nur, um dann unverrichteter Dinge wieder zu gehen, weil er gerade noch rechtzeitig entdeckt hat, dass sein Glauben ihm die Impfung verbietet?! „Glaubengründe“ für eine Abweisung einer Impfung vorzusehen, macht nur Sinn, wenn Personen einer Impfung unterzogen werden sollen, die die Impfung nicht selbst angeregt oder nachgefragt haben. Und damit dürfte klar sein, dass im ICD-10 vorgesehen ist, dass die „Notwendigkeit einer Impfung“ gegen eine übertragbare Krankheit bei einer Person durchaus von anderen Personen festgestellt werden kann, und der Zu-Impfende sich gegen die Intervention unter Angabe von Gründen wehren muss – und diese Gründe im Code Z28 abgelegt werden können.

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Dieselbe Argumentation trifft die zweite Kategorie: Wer geht zum Arzt, um sich impfen zu lassen, um ungeimpft wieder zu gehen, weil während seines Aufenthaltes beim Arzt eine “Gruppe” “Druck” auf ihn ausgeübt hat, sich doch nicht impfen zu lassen?! Auch “Gruppendruck” als Grund für eine nicht durchgeführte Impfung macht nur Sinn, wenn Personen von anderen Personen zur Impfung bestellt werden und sich die Zu-Impfenden gegen die Impfung wehren.

In jedem Fall kann festgehalten werden, dass medizinisch relevant nur die dritte Kategorie, also „Kontraindikation“ ist, denn nur bei Vorliegen derselben kann oder muss ein Arzt einer Person, die zu ihm kommt, um sich gegen eine bestimmte Krankheit impfen zu lassen, also um einem „potenziellen“ „Risiko“ zu begegnen, in seiner Eigenschaft als Arzt die Impfung verweigern.

Die Betrachtung der Z-Codes im Zusammenhang mit Covid ist im Zusammenhang mit Impfungen und speziell im Zusammenhang mit einer “Impfung” gegen Covid-19 aber nicht die einzig relevante. Der ICD-10-GM-2023 enthält auch einen der bis dahin im ICD weitgehend unbenutzten U-Codes, bei denen es sich um „[v]orläufige Zuordnungen für Krankheiten mit unklarer Ätiologie, belegte und nicht belegte Schlüsselnummern“ handelt. Der Code U11 enthält im ICD-10-GM-2023 einen einzigen Unter-Code, nämlich den Code U11.9, und dieser Code bezeichnet die „Notwendigkeit der Impfung gegen COVID-19“ (obwohl die Ätiologie von Covid-19 schwerlich als „unklar“ gelten kann und die U-Codes doch für Krankheiten mit unklarer Ätiologie vorgesehen sind).

Quelle. ICD-Codes.de

Mit Code U11.9 wird, wie man der beigegebenen Information entnehmen kann, versehen, wer „das Gesundheitswesen zum Zweck der COVID-19-Impfung in Anspruch nimmt“. Wenn in den Informationen zum Gebrauch von Code U11.9 auf den Code Z25.8 zurückverwiesen wird, der „primär“ benutzt werden soll, „[f]ür den Fall, dass im vorgenannten Geltungsbereich die COVID-19-Impfung selbst Anlass der Inanspruchnahen ist, …“, dann kann man daraus mit Bezug auf die Covid-19-„Impfung“ Folgendes schließen:

Zum einen wissen wir nun, dass die „Notwendigkeit“ einer „Impfung“ gegen Covid-19 „primär“ in den Z-Codes im Code Z25.8 abgelegt wird, der für die „Notwendigkeit der Impfung gegen sonstige näher bezeichnete einzelne Viruskrankheiten“ vorgesehen ist, wenn eine Person die Initative ergreift, das Gesundheitswesen in Anspruch zu nehmen, um sich gegen Covid-19 impfen zu lassen. Aber dann machen – wie oben bemerkt – die beiden im Code Z28 zuerst genannten Gründe für eine nicht erfolgte Impfung keinen Sinn. Und aufgrund des Informationstextes zu Code U11.9 wissen wir weiter, dass in diesem Fall eine zusätzliche Meldung eben unter Code U11.9 erfolgt. Durch die zusätzliche Vergabe von Code U11.9 ist es daher möglich, Personen zu kategorisieren, die sich speziell gegen Covid-19 haben impfen lassen wollen, ganz so, wie es der Fall wäre, wenn die „Notwendigkeit der Impfung“ gegen Covid-19 in einem eigenen Untercode (z.B. Z25.2) neben Mumps (in Code Z25.0) und Grippe (in Code Z25.1) erfasst würde.

Zum anderen wissen wir, dass eine „Impfung“ gegen Covid-19 erfolgen und abgerechnet werden kann auch in dem Fall, dass die Covid-19-„Impfung“ nicht selbst Anlass der Inanspruchnahme des Arztes bzw. „des Gesundheitswesens“ gewesen ist, aber die Person den Arzt oder das Gesundheitswesen dennoch mit Bezug auf eine “Impfung” gegen Covid-19 “in Anspruch [ge]n[o]mm[en]” hat. Diese Konstellation besteht, wenn  jemand nicht von sich aus beim Arzt vorstellig geworden ist, um sich gegen Covid-19 „impfen“ zu lassen, sondern die „Notwendigkeit der Impfung gegen COVID-19“ vom Arzt, den die Person wegen etwas anderem aufgesucht hat, festgestellt wird und die „Impfung“ auf die Initiative des Arztes hin erfolgt. Die Information, die zum Gebrauch von Code U11.9 gegeben wird, läßt keinen anderen Schluss zu als den, dass der Code U11.9 speziell für diese Situation vorgesehen ist und in dieser Situation keine Meldung unter Code Z25.8 erfolgt.

Es müsste durch den Abgleich von Einträgen in Code Z25.8 und Code U11.9 also möglich sein, diejenigen Personen zu identifizieren, die nicht von sich aus eine „Impfung“ gegen Covid-19 nachgefragt haben, sondern von einem Arzt oder einem anderen Mitarbeiter im Gesundheitswesen zur Impfung motiviert, vielleicht überredet, wurden oder die Impfung gegen den Willen oder das Wissen oder ohne Einverständnis der „geimpften“ Person erfolgt ist, vielleicht, weil sie in einem Pflegeheim lebt und an Alzheimer leidet. Es müsste außerdem für Krankenversicherer möglich sein, festzustellen, für welche ihrer Versicherten eine Abrechnung einer „Impfung“ gegen Covid-19 aufgrund einer Meldung von Code Z25.8 oder von Code U11.9 vorliegt und für welche nicht.

Aber bis auf Weiteres sollte dies praktisch nur eingeschränkt möglich sein, denn die kassenärztlichen Vereinigungen, bei denen die Abrechnungsunterlagen von Ärzten gesammelt werden, leiten zwar die Information an die Krankenversicherer weiter, für welche der bei ihnen Versicherten medizinische Leistungen abzurechnen sind, aber nicht die Informationen darüber, welche medizinischen Leistungen genau für welche der Versicherten abgerechnet werden. Krankenhäuser, Optiker und andere Erbringer medizinischer Leistungen übermitteln ihre Abrechnungsdaten aber samt der Spezifika der Behandlung (und in diesem Zusammenhang oft auch der Diganose) direkt an die Krankenkassen. Darüber hinaus müssen Krankenkassen seit 2021 elektronische Patientenakten, sogenannte ePA, die korrekt Versichertenakten heißen müssten, anlegen und obwohl der Zugang zu ihnen und ihr Gebrauch derzeit im Patientendaten-Schutz-Gesetz (PDSG) relativ restriktiv geregelt ist, ist klar, dass die Sicherheit digitaler Daten prinzipiell prekär ist, eben weil es digitale Daten sind.

Und natürlich gibt es unabhängig von der Form, in der Daten gespeichert werden, eine Reihe von Ausnahmen von den festgesetzten Regeln im Umgang mit Daten. So müssen personenspezifische Informationen  (u.a. Name, Geschlecht, Geburtsdatum, Anschrift, Diagnose oder Verdachtsdiagnose) mit Bezug auf eine ganze Reihe von Krankheiten, selbst dann, wenn nur der Verdacht auf das Vorhandensein dieser Krankheiten besteht, entsprechend des zuletzt am 20.12.2022 veränderten Infektionsschutzgesetzes (IfSG)  gemeldet werden, darunter (der Verdacht auf) eine Erkrankung an Covid-19 (s. IfSG §6(1)1.t. Für (den Verdacht auf) eine Erkrankung an Covid-19 wird im IfSG unter §9(1)1.n festgehalten, dass die namentliche Meldung auch das Behandlungsergebnis und des „Serostatus in Bezug auf diese Krankheit“ enthalten muss. Wenn im Infektionsschutzgesetz in §20(1) weiter festgehalten wird, dass

„[d]ie Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die obersten Landesgesundheitsbehörden und die von ihnen beauftragten Stellen sowie die Gesundheitsämter […] die Bevölkerung zielgruppenspezifisch über die Bedeutung von Schutzimpfungen und andere Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe übertragbarer Krankheiten [informieren] [und] [b]ei der Information der Bevölkerung […] die vorhandene Evidenz zu bestehenden Impflücken berücksichtigt werden [soll]“,

dann erfordert es nicht viel Phantasie, sich vorzustellen, dass, sofern der politische Wille vorhanden ist, Mittel und Wege gefunden werden, die “Impflücken” zu stopfen, vielleicht durch die Einführung einer Meldepflicht weiterer Daten. Immerhin wird gemäß §20(6)

„… [d]as Bundesministerium für Gesundheit … ermächtigt[!], durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist“.

Bereits im noch geltenden ICD-10-GM kann man nachlesen, dass das Vorliegen von „Umstände[n] oder Probleme[n] …, die den Gesundheitszustand einer Person beeinflussen, an sich aber keine bestehende Krankheit oder Schädigung sind“, „[…] bei Reihenuntersuchungen der Bevölkerung festgestellt werden [kann]“.

Im in Deutschland noch nicht in Kraft getretenen ICD-11 sind in der Entwurfsfassung aus den „Reihenuntersuchungen der Bevölkerung“ „Bevölkerungsbefragungen“ geworden, und es wird festgehalten, dass „… ein Umstand oder Problem, das den Gesundheitszustand der Person beeinflusst …“ – das durch Bevölkerungsbefragungen oder sonstwie festgestellt wurde „… als zusätzliche Information aufgezeichnet werden …“ kann – „zusätzlich“ wozu und durch wen? Und falls ein solcher Umstand im Rahmen von Bevölkerungsbefragungen festgestellt werden soll, wie wird dann die Teilnahme an solchen Bevölkerungsbefragungen geregelt werden? Wird sie verpflichtend sein? Wenn ein entsprechender politischer Wille angesichts (einer offiziellen Erzählung von) einer Pandemie herrscht, darf man davon ausgehen, dass dies der Fall sein wird.

Interessanterweise, so könnte man meinen, ist die Übersetzung bzw. Anpassung des ICD-11 ins Deutsche bzw. für Deutschland bislang nur bis einschließlich Kapitel 22 im Entwurf fertiggestellt, so dass bislang unbekannt ist, was in den Kapiteln 24 und 25 bzw. unter den (ehemaligen?) Z-Codierungen und ggf. den (ehemaligen?) U-Codierungen stehen wird. Ein Blick in die englischsprachige Originalversion des ICD-11 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sollte einen Eindruck davon geben, was uns diesbezüglich erwartet. Aber merkwürdigerweise sind auch in der hier veröffentlichten englischsprachigen Originalversion die Codes nur bis einschließlich Kapitel 22 enthalten.

Auf einer anderen Seite der WHO kann man immerhin einer Abbildung entnehmen, dass die „Notwendigkeit“ einer „Impfung“ gegen Covid-19 aus dem U-Code, den Schlüsselnummern für besondere Zwecke, herausgenommen und in den Code QC01.9 überführt wurde. Damit wurde die „Notwendigkeit“ einer „Impfung“ gegen Covid-19 normalisiert, denn – wie man einer Seite entnehmen kann, zu der ich Zugang erhalten habe – entspricht der Code QC01 dem „alten“ Code Z25, und in den Untercodes QC01.0 bis QC01.8 sind all diejenigen Krankheiten aufgezählt, die in den „alten“ Codes Z24 und Z25 genannt sind (s. Abbildungen unten und oben.). Es sei darauf hingewiesen, dass bislang Angaben darüber, wie mit dem Code mit Bezug auf Fälle, die in den Code ein- oder ausgeschlossen werden sollen (wie in der Abbildung unter “Inclusions” und “Exclusions” zu sehen) , fehlen, also (noch?) nicht spezifiziert oder (noch?) nicht veröffentlicht sind.

Covid-19 ist also in die Liste der seit Langem geführten Viruserkrankungen, für die die „Notwendigkeit“ der Impfung besteht, aufgenommen worden. Offensichtlich soll uns die „Notwendigkeit“ einer „Impfung“ gegen Covid-19 als neue Normalität präsentiert und als solche bis auf Weiteres erhalten bleiben. Und diese Normalisierung bedeutet, dass im ICD-11 mit Bezug auf eine nicht erfolgte „Impfung“ gegen Covid-19 festgehalten wird, warum sie nicht erfolgt ist, denn im ICD-11 entsprechen die Codes QC10 bis QC12 sowie die Codes QC1Y und QC1Z den Gründen für nichterfolgte Impfung, die im ICD-10 im Z28-Code enthalten sind, wobei im Code QC11 des ICD-11 Glaubensgründe und „Gruppendruck“ zusammengefasst sind, aber eben weiterhin als Kategorien vorgesehen sind. Und dass sie das sind, ist ein Hinweis darauf, dass (auch) eine “Impfung” gegen Covid-19 durchaus nicht von der Person, die den Arzt oder “das Gesundheitswesen” aufsucht, nachgefragt worden sein muss, sondern vom Arzt oder “im Gesundheitswesen” vorgeschlagen oder gar gefordert wird. Die Belegung einer Person mit Code QC11 oder mit  Code QC12 bedeutet notwendigerweise, dass diese Person die vom Arzt oder “dem Gesundheitswesen” vorgeschlagene oder geforderte Impfung abgelehnt hat, er ein sogenannter Impfverweigerer ist.

 

Bislang ist kaum abzusehen, was die Veränderungen, die im ICD-11 mit Bezug auf die Verwaltung von Covid-19 vorgenommen worden sind oder noch werden, datentechnisch und lebenspraktisch für diejenigen bedeutet, die sich bislang der „Impfung“ gegen Covid-19 entzogen haben bzw. entziehen konnten. Die Einführung dreier neuer diagnostischer Codes in Verbindung mit einer „underimmunization“, d.h. „Unterimpfung“, gegen Covid-19 – bis auf Weiteres – „for tracking purposes only“, d.h. „nur zum Zwecke der Nachverfolgung“ – durch das National Center for Health Statistics (NCHS) des Center for Disease Control and Prevention (CDC) in die U.S.-amerikanische Version des ICD-10 (den ICD-10-CM), die seit dem 1. April 2022 in Kraft ist, mag einen Eindruck davon geben.

Quelle: Wake Forest University

 

Es steht außer Frage, dass die Codes in den neueren Versionen des ICD-10 und im neuen ICD-11 die Identifizierung von sogenannten Impfverweigerern mit Bezug auf Covid-19 im Prinzip ermöglichen. Die entscheidende Frage ist, inwieweit sie mit namentlichen Meldungen verbunden sein werden. Covid-Erkrankungen und sogar der Verdacht auf eine Covid-Erkrankung sind jetzt schon mit personenspezifischen Informationen verbunden, und es bedarf nur einer Revision bzw. Ergänzung z.B. im deutschen Infektionsschutzgesetz, um in Zukunft im ICD-11 die durch die Codes QC11 und QC12 identifizierbaren “Impfverweigerer” samt Anschrift und anderen persönlichen Daten zu identifizieren – oder einer Regelung dahingehend, dass Daten, die im Rahmen von in der deutschen Entwurfsversion des ICD-11 genannten “Bevölkerungsbefragungen” gewonnen werden, nicht anonymisiert werden.

Wie heißt es bei der WHO hinsichtlich der Vercodung mit Bezug auf Covid-19 so treffend!? „It all starts with a code ….“ Angesichts der Erfahrungen aus den letzten Jahren im Zusammenhang mit (der Erzählung von) der Covid-19-Pandemie kann man schwerlich anders denn diesen Satz als eine Drohung aufzufassen, denn mit  einem Code beginnt im ICD längst nicht mehr nur die Klassifizierung von Krankheiten, sondern auch die Pathologisierung des Zustandes, gegen etwas nicht geimpft zu sein. Damit wird physische Integrität als Mangel definiert, als ein Ungenügen, und damit wiederum dürfte jede einigermaßen sinnvolle Grenzziehung zwischen Gesundheit und Krankheit verwischt sein.


Literatur

Conrad, Peter, & Barker, Kristin K., 2010: The Social Construction of Illness: Key Insights and Policy Implications. Journal of Health and Social Behavior 51(S): S67-S79.

Hirsch, Joshua A., Nicola, Gregory N., McGinty, Geraldine, et al., 2016: ICD-10: History and Context. American Journal of Neuroradiology 37(4): 596-599.

Szasz, Thomas, 1997: Insanity: The Idea and Its Consequences. Syracuse, NY: Syracuse University Press.


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