Der krude mathematische Trick, mit dem das Statistische Bundesamt Übersterblichkeit zum Verschwinden bringt

Offiziell ist Entwarnung:

Nicht, dass Sie denken, es gäbe irgendetwas, weswegen man sich Sorgen machen müsste.
Nein.
Alles in Butter.

Die kompetente Bundesregierung und die nachgeordneten Behörden haben alles in der Hand, und deshalb gibt es auch keine Übersterblichkeit mehr. Sie liegt, wie das Statistische Bundesamt mitteilt, im Bereich von +1% des mittleren Wertes der Vorjahre.

Für diejenigen, die diesen Kauderwelsch verstehen, gibt es zwei Seltsamkeiten:

  • Beim Statistischen Bundesamt bezieht man sich auf den “mittleren Wert der Vorjahre”, weist aber den Median als Standard in Abbildungen aus, nicht etwa den Mittelwert;
  • “der mittlere Wert der Vorjahre” kann sich auf die unterschiedlichsten Vorjahre beziehen.

Warum diese Seltsamkeiten?

Beginnen wir mit dem Mittelwert, links und stellen den Median, rechts, gegenüber.

Mittelwert
Median

Augescheinlich ergeben sich keine großen Unterschiede, doch der Teufel liegt – wie so oft – im Detail. Betrachtet man die Sache grundsätzlich, dann gilt,

  • dass der Mittelwert generell präziser ist als der Median;
  • und weil ein Mittelwert präziser ist als ein Median, ist er empfindlicher für Ausreißerwerte oder Messfehler als der Median und deshalb
  • hat man nur dann vielleicht einen Vorteil vom Median, wenn die Stichprobe viele Ausreißerwerte (Extremwerte) aufweist, man Messfehler nicht finden will, auf die der Median weniger empfindlich reagiert als ein Mittelwert.

Indes: Aureißerwerte bei Sterbezahlen sind außerhalb von Krieg und Pest gemeinhin nicht vorhanden und wenn man, wie im vorliegenden Fall, ohnehin Median oder Mittelwert über mehrere Jahre bildet, dann sind Ausreißerwerte ohnehin kein Problem. Ergo stellt sich die Frage, warum man bei statistischen Ämtern plötzlich so verliebt in den Median ist. Das einzige, was uns einfällt, das Spielzeug kann auch von mathematischen Legasthenikern verstanden werden, als der Wert, der eine Verteilung in zwei gleichgroße Teile teilt …

Man soll bekanntlich nichts ausschließen.

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Die Seltsamkeit der “Vorjahre” findet sich als vertikale Linie mit der Beschriftung “Wechsel des Bezugsrahmens” in der Abbildung oben wieder. Das nächste Verständnisproblem: Warum sollte man absichtlich dafür sorgen, dass Daten links der  horizontalen Linie mit den Daten rechts der horizontalen Linie nicht vergleichbar sind, weil der Bezugsrahmen geändert wurde?

Nun, mit einem steten Wechsel des Bezugsrahmens ist es problemlos möglich, eine wachsende Sterblichkeit als Normalität auszugeben, als etwas, das keine Übersterblichkeit darstellt, sondern innerhalb von 1% des Bereichs der mittleren Werte der Vorjahre zu finden ist.

Wie das geht, zeigen wir nun am Beispiel des Jahres 2023.

Im Jahr 2023 sind immer gleichviel Menschen in Deutschland verstorben, nämlich 1.015.987 Menschen. Indes, aus diesen 1.015.987 Toten kann man einfach nur dadurch, dass man den Bezugsrahmen wechselt, Übersterblichkeit bzw. keine Übersterblichkeit machen.

Wie das geht?
So:

Was Sie hier sehen, ist die Berechnung der Übersterblichkeit in unterschiedlichen Altersgruppen auf Basis unterschiedlicher Referenzjahre, nämlich dem Durchschnitt der Jahre 2016 bis 2019, 2017 bis 2020 und 2018 bis 2021. Die Vorgehensweise ist mit der Vorgehensweise des Statistischen Bundesamts, das den “Bezugsrahmen” wechselt, identisch. Wir haben unsere Berechnungen auf Grundlage von Altersgruppen durchgeführt, um die leidige Diskussion der “Altersstandardisierung” zu vermeiden. Sie kommt uns aus den Ohren heraus.

Wie man sieht, hat der Wechsel der Referenzjahre den Effekt, dass die Übersterblichkeit bzw. Untersterblichkeit zurückgeht. Wohlgemerkt, die Übersterblichkeit bzw. Untersterblichkeit für die einzelen Altersgruppen ist immer auf Basis der selben Todeszahlen für das Jahr 2023 berechnet. Indes, der Wechsel der Referenzjahre führt dazu, dass 2020 und 2021, zwei Jahre, in denen moderate (2020) und erhebliche (2021) Übersterblichkeit vorhanden war, in den Referenzzeitraum eingehen, was letztlich die Latte für Übersterblichkeit in den Folgejahren höher legt. Man sieht das sehr deutlich daran, dass die Übersterblichkeit in den Alterskohorten ab 60 Jahre massiv zurückgeht. Um es noch einmal zu sagen: Die Anzahl der 2023 in den Altersgruppen Verstorbenen hat sich nicht verändert. Verändert hat sich die Berechnung der Übersterblichkeit. Ein statistischer Trick bringt sie zum Verschwinden. Es wird nach wie vor auf hohem Niveau gestorben, aber das Sterben wird nicht mehr als Übersterblichkeit ausgewiesen.

Wir haben schon des öftern darauf hingewiesen, dass man dann, wenn es darum geht, die ENTWICKLUNG von Übersterblichkeit nachzuvollziehen, dieselben Jahre als Referenzgröße wählen muss. Aber das Bemühen, eine ungünstige Sterbeentwicklung wegzurechnen, ist offenkundig größer.

Die folgende Abbildung zeigt für die 75 bis 89jährigen, welchen Effekt der Bezugsrahmenwechsel des Statistischen Bundesamts auf die Höhe der Übersterblichkeit in dieser Altersgruppe hat.

Abgetragen ist IMMER die kumulierte Übersterblichkeit der 75-89jährigen für das Jahr 2023. Lediglich die Referenzjahre wurden variiert, mit dem Effekt, dass die Übersterblichkeit immer geringer wird, einfach deshalb, weil Übersterblichkeit der Vorjahre normalisiert und zur Grundlage der Berechnung der Übersterblichkeit der Folgejahre gemacht wird. Auf diese einfache Weise kann man Übersterblichkeit, die nach wie vor in erheblichem Ausmaß vorhanden ist, zum Verschwinden bringen.

Und natürlich fallen Pressemeldungen wie die Eingangs zitierte, bei Polit-Darstellern, die in aller Regel keine Ahnung haben, wie Übersterblichkeit berechnet wird, auf fruchtbaren Boden, und ab einer solchen Pressemeldung, kann man auch die Faktenchecker, die noch weniger Ahnung haben als Polit-Darsteller, die einfach nur das sind, was Frau Clinton “nützliche Idioten” nennt, aufmarschieren lassen, um all diejenigen, die die nach wie vor vorhandene Übersterblichkeit anmahnen, zu Verbreitern von Fake News zu machen.

So einfach ist es in der Welt der Dummen, die Realität zu unterdrücken.


 

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