Direkte Wahl des Bundeskanzlers und Eignungstests für Abgeordnete?

Eigentlich sind Demokratien eine Art lebender Organismus, obschon die meisten auf einem Kanon fester Regeln, die meist Verfassungsrang einnehmen, basieren – mit Ausnahme der ältesten Demokratie der Erde. Die britische Demokratie basiert auf keiner Verfassung. Es gibt schlicht keine. Es gibt Verfahrensregeln und Traditionen, die sich über Zeit herausgebildet haben, es gibt die Magna Charta als Versicherung der Bürger gegenüber denjenigen, die gerade politische Herrschaft ausüben, aber keine fixe Verfassung. Möglicherweise ist dies ein Zugeständnis an die Tatsache, dass politische Systeme sich mit der Zeit entwickeln, dass bestimmte Verfahrensregeln verändert werden müssen, weil sich über Zeit herausgestellt hat, dass sie für den ursprünglichen Zweck nicht mehr brauchbar sind.

Letztlich ist das Deutsche Grundgesetz eine Reaktion auf veränderte Zeiten, denn nach dem Zweiten Weltkrieg war es schick, der Weimarer Verfassung und denen, die sie geschrieben haben, einen Teil der Schuld am Ende der Weimarer Republik zuzuweisen, hatten ihre Regelungen doch eine Machtverteilung geschaffen, die es Reichspräsidenten seit Friedrich Ebert ermöglicht hat, einen Reichskanzler gegen den Reichstag zu halten, solange der Reichskanzler vom Reichstag nicht abgewählt wurde.

Als Folge dieser Überzeugung haben die Väter des Grundgesetzes eine Reihe von Artikeln verändert, die letztlich die Stellung des Bundeskanzlers einerseits dadurch stärken, dass er nicht mit einfacher Mehrheit, wie das in der Weimarer Republik der Fall war, abgewählt werden kann, andererseits dadurch schwächen, dass er aus der Mitte des Bundestages gewählt werden muss, also keinerlei unabhängige, von den ihn wählenden Fraktionen und Parteien unabhängige Position einnehmen kann. Dagegen wurde der Reichskanzler in der Weimarer Republik vom Reichspräsidenten ernannt und hatte, da der Reichspräsident direkt gewählt war, über diese Schiene eine dem Reichstag gegenüber herausgehobene Stellung.

Wir haben die relevanten Unterschiede zwischen dem Grundgesetz und der Weimarer Verfassung im Hinblick auf die Stellung von Reichskanzler bzw. Bundeskanzler in der folgenden Tabelle zusammengestellt.

WEIMARER VERFASSUNG


Artikel 52.
Die Reichsregierung besteht aus dem Reichskanzler und den Reichsministern.


Artikel 53.
Der Reichskanzler und auf seinen Vorschlag die Reichsminister werden vom Reichspräsidenten ernannt und entlassen.


Artikel 54.
Der Reichskanzler und die Reichsminister bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstags. Jeder von ihnen muß zurücktreten, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß sein Vertrauen entzieht.


Artikel 55.
Der Reichskanzler führt den Vorsitz in der Reichsregierung und leitet ihre Geschäfte nach einer Geschäftsordnung, die von der Reichsregierung beschlossen und vom Reichspräsidenten genehmigt wird.


Artikel 56.
Der Reichskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür gegenüber dem Reichstag die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Reichsminister den ihm anvertrauten Geschäftszweig selbständig und unter eigener Verantwortung gegenüber dem Reichstag.


GRUNDGESETZ


Artikel 62.
Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern.


Artikel 63.
(1) Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestage ohne Aussprache gewählt.
(2) Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich vereinigt. Der Gewählte ist vom Bundespräsidenten zu ernennen.
[…]


Artikel 67.
(1) Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Mißtrauen nur dadurch aussprechen, daß er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen. Der Bundespräsident muß dem Ersuchen entsprechen und den Gewählten ernennen.


Artikel 65.
Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung. Innerhalb dieser Richtlinien leitet jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung. […]


Es ist ein Widerspruch in sich, wenn das Grundgesetz weiterhin dem Kanzler die Richtlinienkompetenz zuweist, ihn aber gleichzeitig in Abhängigkeit von den Fraktionen des Bundestages und damit den politischen Parteien, aus denen sie sich zusammensetzen, hält. Kein Bundeskanzler wird auf eine Idee kommen, die seiner und der ihn tragenden Parteien nicht gefällt. Ergo ist der Durchgriff von Parteien auf die Regierungspolitik institutionalisiert, obwohl angeblich alle Souveränität vom Volke ausgeht. Sie tut es nicht. Parteien sind Dreh- und Angelpunkt für die deutsche Demokratie und somit auch der Anfang vom Ende derselben.

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Wollte man den zweiten deutschen demokratischen Versuch erfolgreich weiterentwickeln, dann könnte eine direkte Wahl des Bundeskanzlers, eine, deren Kandidatur offen ist, so dass die Wahl nicht von Parteien monopolisiert werden kann, als eine mögliche Alternative auffassen, denn durch seine direkte Wahl erwächst dem Bundeskanzler gegenüber den Abgeordneten im Bundestag eine herausgehobene Stellung, die dazu führen könnte, dass Regierungspolitiken nicht entlang politischer Spleens sondern entlang dessen, was für die Entwicklung der deutschen Gesellschaft am besten zu sein scheint, verfolgt werden.

Deshalb stellen wir unseren Leser als erste Frage die nach der Direktwahl des Bundeskanzlers:
Was denken Sie:

Soll der Bundeskanzler direkt gewählt werden?
454 votes
×


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Die direkte Wahl des Bundeskanzlers ist nur eine Maßnahme, die man für notwendig erachten kann, um den Zerfall der Demokratie aufzuhalten.

Eine andere Maßnahme zielt direkt auf die Abgeordneten, die sich im Bundestag einfinden. Obschon sie gewählt wurden, entweder als Wahlkreisabgeordneter oder über eine Landesliste, ist diese Wahl KEINE Garantie dafür, dass diese Leute geeignet sind, um ein politisches Amt auszuüben. Tatsächlich weisen die Belege, die wir in unserer Kategorie “Wahl zum Denkbehinderten des Monats” sammeln, darauf hin, dass eine ganze Reihe von Personen, die als Abgeordnete in den Bundestag eingezogen sind, nicht fit sind, um ein politisches Amt zu bekleiden, weder intellektuell noch psychisch. Vor diesem Hintergrund fragen wir unsere Leser in einem ersten Schritt:

Was meinen Sie:

Personen, die sich um ein Amt im Bundestag oder in einem Landesparlament bewerben, müssen, bevor sie zugelassen werden, einen psychologischen Eignungstest bestehen.
444 votes
×

Die beiden Fragen haben wir in unserem Demokratie-Hub ergänzt.
Wenn Sie noch nicht an den regelmäßigen Abstimmungen teilgenommen haben, dann schauen Sie doch einmal im ScienceFiles-Demokratie Hub vorbei und beantworten die eine oder andere Frage.


 

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