Altruismus und Egoismus sind kein Gegensatz

SCOTT GARRETT: Look out your window, Agent Mulder. You see
the lights? Now, imagine if one of those lights flickered off. You’d
hardly notice, would you? A dozen… two dozen lights extinguished.
Is it worth sacrificing the future, the lives of millions, to keep a few
lights on? (X-Files, Series 4, Max)

Die Erfindung des Wortes “Altruismus” wird August Comte zugeschrieben. Comte wollte mit dem Begriff selbstloses Denken und Handeln beschreiben “Vivre pour autrui”, Leben für den anderen, wie er das nannte. In dieser Bedeutung hat sich Altruismus als “Uneigennützigkeit, Selbstlosigkeit oder als durch Rücksicht auf andere gekennzeichnete Denk- und Handlungsweise” in der westlichen Kultur, und vor allem in deutschsprachigen Ländern festgesetzt. Nicht nur das, er hat sich alltagssprachlich als Gegenbegriff zu Egoismus etabliert.

Egoismus wird von den meisten Philosophen als Ausdruck eines menschlichen Selbsterhaltungstriebes gefasst. In der politischen Ökonomie und bei Philosophen wie Thomas Hobbes, David Hume oder auch Immanuel Kant hat sich Egoismus in Form einer individuellen Rationalität niedergeschlagen, die man als auf die Maximierung des individuellen Nutzens gerichtete Tätigkeit beschreiben könnte, die freilich innerhalb vorgegebener Rahmen geübt werden muss. Den vorgegebene Rahmen nennt Kant die menschliche Moral, für Hobbes, der keine auf uns gekommene Moral kennt,  ist der vorgegebene Rahmen durch die menschliche Vernunft gesteckt.

Während für Kant die Moral ein menschliches Entwicklungsgebot darstellt und kein Mensch, der sich nicht moralisch verhält, für sich in Anspruch nehmen kann, “Person” zu sein, ist es für Hobbes gerade die Einsicht in die Grenzen des eigenen Egoismus, die Menschen zu Vernunft und zu Abstrichen bei der Durchsetzung eigener Ziele kommen lässt. Obwohl Hobbes jedem Menschen das Recht und die Macht auf alles zuschreibt, geht er dennoch davon aus, dass die Vernunft von Menschen zur Etablierung von Verhaltensregeln und Normen führen wird. Während das Verbot zu töten, für Kant eine moralische Verpflichtung darstellt, die sub-individuell vorhanden ist, ist das Verbot zu töten für Hobbes das Ergebnis einer vernünftigen Entscheidung, die jeder für sich selbst getroffen hat (Da jeder das Recht auf alles hat, ist für Hobbes die Einsicht zwangsläufig, dass durch Mord nur kurzfristige Vorteile erlangt werden können, die durch die Unsicherheit, selbst Opfer eines Mordes zu werden, mehr als aufgewogen werden.).

Interessant an beiden so unterschiedlichen Philosophien ist, dass Sie ohne Altruismus auskommen, denn beide kommen letztlich bei dem an, was Kant den kathegorischen Imperativ genannt hat: Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte. Anders formuliert, verhalte dich so gegenüber anderen, wie du erwartest, dass andere sich gegenüber dir verhalten. Kants Menschen unterwerfen sich dem kathegorischen Imperativ, weil sie eine entsprechende moralische Entwicklungsstufe erreicht haben, Hobbes Menschen tun dasselbe, weil sie eingesehen haben, dass nur auf diese Weise der individuelle Nutzen auf Dauer zu maximieren ist. Weder Kant noch Hobbes stellen die individuelle Entscheidungsfreiheit, sich moralisch bzw. vernünftig zu verhalten, in Frage. Für beide ergibt sich, das, was man heute als altruistisches Verhalten bezeichnen würde, aus der Maximierung des je eigenen Nutzens. Ein Gegensatz zwischen Egoismus und Altruismus ist daher nicht vorhanden.

Wenn nun regelmäßig ein Gegensatz zwischen Altruismus und Egoismus konstruiert wird, dann fragt man sich unwillkürlich: Warum? Die Antwort auf diese Frage findet sich, völlig uncashiert und in aller Deutlichkeit in einem Spiegel-Beitrag überschrieben mit dem Titel “Die Suche nach dem Guten in uns”, den Gerald Traufetter geschrieben hat. Der Beitrag beginnt wie folgt: “Wie können Menschen zu selbstlosem Handeln und Mitgefühl gebracht werden? Dieser eine Satz offenbart das komplette und erschreckende Prämissengerüst, auf dem Altruismus-Kreuzritter aufbauen:

  • Menschen sind von sich aus nicht zu selbstlosem Handeln und Mitgefühlt fähig.
  • Menschen müssen daher zu selbstlosem Handeln und Mitgefühl gebracht werden.
  • Altruismus-Kreuzritter wähnen sich im Besitz der Erkenntnis, worin selbstloses Handel und Mitgefühl besteht.
  • Altruismus-Kreuzritter sind selbstlos und gütig genung, dieses Wissen mit anderen zu teilen und diese anderen, ganz selbstlos auf den richtigen Weg zu führen.

Und plötzlich offenbart sich alles Gerede um den Altruismus als Strategie der einfachen Manipulation, als Strategie, bei der man für sich den moral highpoint reklamieren kann, um anderen zu sagen, was sie zu tun haben. Denn: Du wirst doch nicht deine Steuergelder der Umverteilung an Bedürftige entziehen wollen? Umverteilung an bedürftige Landwirte und Alleinerziehende ist ein Gebot der Nächstenliebe, keine Form der Vorteilsnahme, das würden nur Egoisten denken, aber wir sind doch besser als das, wir sind Altruisten. Oder: Wer wird sich wohl weigern, seine Organe zu spenden, wo doch Organe Leben erhalten können, vielleicht sogar, Gipfel der Seligkeit, das Leben eines Kindes? Das Spenden von Organen ist altruistisch, nicht zu spenden egoistisch und einen Organhandel, den gibt es ebenso wenig, wie es sich für Krankenhäuser lohnt, Organe zu Spendenzwecken zu entnehmen. Altruismus als positiv belegter Begriff, den sich kaum jemand absprechen lassen will, denn wer hat schon den Mut zu sagen, ich bin mir wichtiger als mein Nachbar, eignet sich vorzüglich, um Menschen von der Richtigkeit von was auch immer zu überzeugen, sie zu paternalisieren, zu unfreien, leicht leitbaren Marionetten zu machen, die im Streben danach, sich gut zu verhalten und sich als Altruist zu qualifizieren, für alle Ziele missbraucht werden können, für die gerade definiert wurde, dass sie selbstloses Handeln darstellen und Mitgefühl zum Ausdruck bringen.

Ich halte es lieber mit Kant und Hobbes, die ihren Anfang bei individueller Autonomie nehmen und die Entscheidung darüber, ob jemand und auf welche Weise er moralisch oder vernünftig sein will, dem Einzelnen überlassen. Das hat den Vorteil, dass der Einzelnen für seine Handlungen verantwortlich ist, und es hat den Vorteil, dass der Einzelne nicht als kollektive Verfügungsmasse vor den derzeit gerade opportunen Karren der Selbstlosigkeit und des Mitgefühls gespannt werden kann.

Bildnachweis:

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