Toleranz ist … andere Meinungen abzuschalten

Wir leben im Zeitalter der Toleranz, der Akzeptanz, der Vielfalt, im Zeitalter der offenen Gesellschaft, in der alles gesagt und gemeint werden darf, ungestraft und ohne Konsequenzen.

Es sei denn, Toleranz und Akzeptanz sind im Hinblick auf abweichende politische Meinungen gefordert.

Dann ist Schluss mit lustig.

zero toleranceDann ist Toleranz und Akzeptanz Schnee von gestern. Dann wird sich eingeigelt, im “echo chamber” der eigenen Meinung und in der “Filterblase” der eigenen Meinung. Vor allem die politische Meinung wird von einem politischen Reinheitsgebot bestimmt: Nie sollst Du Dich mit politisch Andersdenkenden umgeben, nie ihre Meinung tolerieren, akzeptieren, ja nicht einmal hören und zur Kenntnis nehmen sollst Du sie. Die unreine Meinung, sie könnte Deine ideologische Basis erschüttern, sie ins Schwanken bringen, darauf verweisen, dass Deine Meinung weder begründet noch begründbar ist, dass sie, mit anderen Worten, nicht adäquat ist, um einer kritischen und an Argumenten ausgerichteten Auseinandersetzung ausgesetzt zu werden.

Besser man lässt es nicht so weit kommen.

Besser man schaltet alle Meinungen, die politisch nicht passen, ab, umgibt sich mit Gleichmeinenden, mit der Harmonie, die nur die Langeweile des Immerselben herzustellen vermag.

Besser man sitzt in seinem “echo chamber” und schreit sich gegenseitig zu, wie tolerant man ist, wie sehr man andere Meinungen akzeptiert, Meinungen, die aus der eigenen Welt ausgeblendet und verbannt werden.

“I don’t like you anymore”, so haben Nicholas A. John und Shira Dvir-Gvirsman ihren Beitrag überschrieben, der gerade im Journal of Communication erschienen ist.

1013 jüdisch-israelische Facebook-Nutzer haben die beiden Autoren darin untersucht, und zwar im Jahr 2014 und während des letzten Gaza-Konfliktes, der es in die westliche Presse geschafft hat. Dabei haben sich die Autoren besonders dafür interessiert, welche Facebook-Freundschaften in ihrem Beobachtungszeitraum gelöst wurden. 16% der Freundschaften wurden gelöst, so ihr Ergebnis, zumeist aus politischen Motiven.

Diejenigen, die eine Freundschaft auf Facebook durch den entsprechenden Klick beendet haben, waren eher (a) politisch aktiv, hatten eher (b) extreme Einstellungen, hatten (c) vergleichsweise viele Facebook-Freunde, waren (d) auf Facebook vergleichsweise aktiv und (e) vergleichsweise jung.
Rokeach omindDie Autoren werten ihre Ergebnisse als beängstigend, zeigen sie doch eine selbstgewählte Verengung der eigenen Perspektive, einen selbstgewählten Ausschluss von Meinungen, die der eigenen nicht entsprechen. Auf diese Weise bilden sich abgeschlossene Welten, die wir als Meinungsghettos  bezeichnen. In diesen Meinungsghettos leben Inhaber gleicher Meinungen, die abweichende Meinungen nicht nur nicht mehr zur Kenntnis nehmen, sondern über kurz oder lang alle Meinungen, die nicht ihrer Meinung entsprechen, als abweichende, ja illegale Meinung ansehen.

Die Ghettobewohner verlieren jede Fähigkeit, sich mit Inhabern abweichender Meinungen auszutauschen und entsprechend jede Tuchfühlung mit der Realität. Sie hausen im Meinungsghetto, fühlen sich darin wohl und sind allen Ernstes davon überzeugt, tolerant zu sein und abweichende Meinungen zu akzeptieren, bzw. sie sind davon überzeugt, dass sie abweichende Meinungen tolerieren und akzeptieren würden, wenn es sie denn gäbe.

Milton Rokeach hat in ähnlichem Zusammenhang von “the closing of the mind” gesprochen und darin den Nährboden des Totalitarismus gesehen.

Nicholas, John A. & Dvir-Gvirsman, Shira (2015). ‘I don’t Like You Anymore’: Facebook Unfriending by Israelis During the Israel-Gaza Conflict of 2014. Journal of Communication doi: 10.1111/jcom.12188

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