Es geht ein Ergebnis auf Medienreise
Wie kommen Themen in die Medien? Anders gefragt, nach welchen Kriterien wählen Medienschaffende die Themen ihrer Beiträge aus? Noch anders gefragt, anhand welcher Kriterien durchsuchen sie die tägliche Flut von mehr oder weniger belangloser Information nach dem, was sie für die “Nuggets” halten? Eine Antwort auf diese Frage hat Niklas Luhmann in der ihm eigenen kaum verständlichen Sprache gegeben (das “kaum” macht hier den Unterschied).
In meiner, zugegebenermaßen prosaischen Sprache kann man Luhmanns “Theorie” als Konzept der im eigenen Saft bratenden Medienschaffenden bezeichnen: Redakteuer A geht mit Redakteur B zum Essen, und weil es der Anstand will, dass man miteinander redet, fängt A von einem Thema an, von dem er denkt, dass B und nicht nur B es für relevant hält obwohl er selbst der Meinung ist, es sei eher uninteressant. B hält das Thema zwar für einen absoluten Langweiler, will aber nicht unhöflich sein und ist sowieso der Überzeugung, er sei der einzige, der zu der Einsicht fähig sei, dieses Thema sei ein Langweiler, also unterhalten sich beide angeregt über ein Thema, das keinen der beiden so richtig interessiert, und gehen nach dem Essen auseinander in der festen Überzeugung, dass das Thema relevant sei, wie das Gespräch mit A respektive B unwiderlegbar gezeigt habe. So gestärkt gehen beide mit dem nunmehr für relevant gehaltenen Thema auf die Medienkonsumenten los.
Diese “Theorie” halte ich für falsch, denn sie geht davon aus, dass Medienschaffende aktive Nachrichtenmacher sind. Das sind sie aber nicht, denn Medienschaffende sind Gegenstand ideologischer Beeinflussungen, die ihre Quellen intern im Sender oder extern in der PR-Abteilung der Bundesregierung, IG-Metall oder von Greenpeace haben. Und um nun zur oben mehrfach gestellten Frage zurückzukommen, zwei Variablen sind es, die die Auswahl von Inhalten durch Medeinschaffende zu erklären vermögen: Opportunismus und Ideologie. Medienschaffende vom Typ “Opportunismus” übernehmen Meldungen von dpa oder aus den Pressestellen, von denen sie denken, sie seien dem innerbetrieblichen Status und Aufstieg förderlich. Medienschaffende vom Typ “Ideologie” übernehmen Meldungen von dpa oder aus Pressestellen, von denen sie denken, sie seien dem eigenen ideologischen Kreuzzug förderlich. Das ist, wenn man so will, mein Transfer der ökonomischen Theorie der Demokratie von Anthony Downs auf den Bereich der Medien. (Eine Reihe Hinweise auf Studien, die belegen, dass die Arbeit von Journalisten vornehmlich im News-Management besteht, d.h. darin, aus dem, was Presseabteilungen täglich bei ihnen abladen, nach bestimmten Kriterien zu wählen, und dass die Wahl dabei in den seltensten Fällen vom Motiv einer möglichst neutralen Berichterstattung getragen ist, finden sich bei: Balcytiene & Vinciuniene, 2010).
Dieses duale System der Medieninhalts-Erklärung hat einiges für sich, denn auf diese Weise kann man z.B. erklären, warum die ARD alles schlecht redet, was mit dem Vereinigten Königreich zu tun hat (bis hin zu Schmäh-Beiträgen zu Robert Huth, der es wagt, in Stoke-on-Trent Fussball zu spielen und deshalb natürlich keine Chance hat, jemals wieder in der Nationalmannschaft zu kicken). Es erklärt, warum Kommentare, die auf Unterlassungen bzw. falsche Darstellungen hinweisen, bei tagesschau.de weg-zensiert werden, und es erklärt die manische Weise, in der Medienschaffende ihre Konsumenten mit bestimmten Themen verfolgen: die schreckliche alles zerstörende Kraft der Atomkraft ist ein Beispiel, die furchtbare Benachteiligung von Frauen in der deutschen Gesellschaft ein weiteres und der endemische sexuelle Missbrauch von Kindern in allen Bereichen der Gesellschaft, aber vornehmlich in Schulen, ein letztes. Schließlich kann diese Erklärung genutzt werden, um zu erklären, wie es dazu kam, dass nahezu alle deutschen Tageszeitungen am 5. Januar gemeldet haben, was die Berliner Zeitung mit Verweis auf eine Pressemeldung der IG-Metall und dpa mit Verweis auf die Berliner Zeitung am 5. Januar 2012 verbreitet haben: “Junge Frauen profitieren laut IG Metall nicht vom Aufschwung” (Berliner Zeitung) bzw. “Aufschwung am Ausbildungsmarkt geht an Frauen vorbei” (dpa).
Diese bereits in den Titeln abweichenden und nur darin übereinstimmenden Meldungen, dass junge Frauen bzw. Frauen als solche, Frauen halt (wozu jenseits des Geschlechtsteils differenzieren?), von einem allgemeinen (Berliner Zeitung) bzw. speziellen (dpa) Aufschwung nicht profitieren (Berliner Zeitung) bzw. gemieden werden (dpa), basiert auf einer Analyse der IG Metall, die sich wiederum auf den Ausbildungsmarkt des Jahres 2011 bezieht. Der Aufschwung, von dem die Berliner Zeitung fabuliert, und der wie die dpa weiss an Frauen vorbei geht, besteht darin, dass im Jahr 2011 12.900 Ausbildungsverträge mehr abgeschlossen werden konnten als im Jahr davor ( = 2010 ). Dass “junge Frauen” nicht von diesem “Aufschwung” profitieren, bzw. “Frauen” vom “Aufschwung am Ausbildungsmarkt” gemieden werden, ergibt sich daraus, dass im Jahresvergleich die Anzahl der mit weiblichen Auszubildenden geschlossenen Ausbildungsverträge um 2.700 zurück gegangen ist. Dieser Rückgang, der ausgereicht hat, um in der deutschen Presselandschaft den nationalen Notstand auszurufen, wird von den Autoren der IG-Metall Studie u.a. damit erklärt, dass weibliche Auszubildende in wenigen frauentypischen Ausbildungsberufen klumpen und trotz aller Girls Day und sonstiger Versuche, sie für Männerberufe (und die dazu gehörenden Aufsichtsratspöstchen) zu begeistern, die notwendige Flexibilität vermissen lassen. Dies führt dazu, dass die IG-Metall in mehrern Berufen Nachwuchssorgen ausgemacht hat. So blieben zwischen 15% und 26% der Ausbildungsplätze als “Restaurantfachmann/-frau, Fachmann/-frau für Systemgastronomie, Klempner/-in, Fachverkäufer/-in im Lebensmittelhandwerk, Fleischer/-in und Gebäudereiniger/-in” unbesetzt.
Müsste vor diesem Hintergrund die Schlagzeile, wenn man schon seine Geschlechtsteilfixierung anderen in schwarzen Lettern zumuten will, nicht lauten: Junge Frauen wollen nicht Fleischerin werden! oder “Auch in Zukunft ist die Klempnerin die Ausnahme” oder so ähnlich? Ich meine, eine solche Schlagzeile hätte doch auch etwas für sich. Die ganzen Diversity-Hanseln könnten sich sofort ans Schreiben von Anträgen machen, die von ESF und BMFSFJ finanzierte Projekte zur Förderung weiblicher Fleischer und Klempner z.B. unter dem Motto “Matthias findet Erfüllung als Erzieher in der Kindertagesstätte, Powergirl Isabell bringt Schwung in den Abfluss” oder ähnlich kreativen Überschriften zum Gegenstand haben, die sich wegen Diversity natürlich an beide Geschlechter richten müssen. Aber nein, eine phantasielose Übernahme des ersten Punkts der Pressmeldung der IG-Metall ist alles, was den Redakteuren in Berliner Zeitung und dpa einfällt. Und diese Phantasielosigkeit kann man dieses Mal nicht einmal der IG Metall anlasten, denn die weiteren Punkte der Pressemeldung, die man auch hätte wählen können, lauten:
- “Der Ausbildungsmarkt hat sich 2011 berappelt”
- “Unbesetzte Plätze, ungenutzte Potentiale”
- “Demographie-Effekt: Bewerber Potential schmilzt”
- “Berufe mit Looser-Image”
- “Zahl der Jugendlichen im Übergangsbereich geht endlich zurück”
- “Migrant ist nicht Migrant”
Angesichts der Liste der Möglichkeiten, die der Berliner Zeitung und dpa auf der Grundlage derselben IG-Metall Pressemeldung zur Verfügung standen, um ihrerseite eine Meldung zu schreiben, ist es kaum mehr jenseits der Psychiatrie zu erklären, dass ausgerechnet oder ausschliesslich, “Junge Frauen ziehen den Kürzeren” es in das Bewusstsein der jeweilgen Redakteure geschafft hat. Oder man erklärt mit meiner dualen Erklärung: Opportunismus: Die IG-Metall Pressemeldung beginnt mit dem angeblichen Leid der jungen Frauen. Was oben steht, muss wichtig sein. Also übernehmen wir die erste Meldung der sowieso zu langen Pressemitteilung. Ideologie: “Man kann es dem dummen Volk da draußen nicht oft genug einhämmern, dass Frauen in dieser Gesellschaft benachteiligt sind, ich bin eine, ich muss es wissen”. Eine andere Erklärung, die das Explanandum im normalen Leben und nicht im Sanatorium “Geistesruh” verortet, fällt mir, wie gesagt, nicht ein.
Balcytiene, Ankse & Vinciuniene, Ausra (2010). Assessing Conditi0ns for the Homogenisation of the European Public Sphere: How Journalists Report, and Could Report, on Europe. In: Bee, Christiano & Bozzini, Emanuela (eds.). Mapping the European Public Sphere. Institutions, Media and Civil Society. Farnham: Ashgate, pp.141-158.
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