Der Wohlfahrtsstaat: Too Big to Fail oder zu teuer, um weiter unterhalten zu werden?

Die Finanzkrise, die in den Jahren 2008/2009 ihren Anfang genommen hat, hat eine erhebliche Verquickung zwischen Regierungen der verschiedenen europäischen Staaten und ihren jeweiligen Banken deutlich gemacht. Länder wie Deutschland, Frankreich, die USA und das Vereinigte Königreich waren schnell mit Steuergeldern und Garantien bei der Hand, als es darum ging, ihre Banken “zu retten”. Die Kausalität in diesen Fällen schien klar: Die Regierungen helfen den Banken, die Banken haben die Krise zu verantworten. Was offenkundig scheint, passt nicht ganz auf Länder wie Griechenland oder Portugal wo die ungezügelte Akkumulation öffentlicher Schulden unter dem Deckmantel sozialer Wohltaten dazu geführt hat, dass der Bankensektor in die Knie gegangen ist. Der 50%-Schuldenschnitt, der die Gläubiger des Griechischen Staates getroffen hat, hat die griechischen Banken an den Rand des Bankrotts gebracht, die Verluste von über 28 Milliarden Euro waren mehr als der griechische Bankensektor schultern konnte.

Das griechische Beispiel zeigt, dass die Kausalität nicht ganz so zu sein scheint, wie auf den ersten Blick angenommen. Zwischen Banken und Staaten gibt es ganz offensichtlich eine Verquickung, die man nicht anders als mit dem Adjektiv “ungesund” qualifizieren kann. Ursache dieser Verquickung ist die Angewohnheit sogenannter moderner Staaten, über ihre Verhältnisse zu leben und Schulden anzuhäufen, die sie nur allzugerne der so häufig beschworenen nachwachsenden Generation vererben. Ein Blick auf den Schuldenstand Deutschlands wie ihn Eurostat fein säuberlich dokumentiert, zeigt für das Jahr 2011 öffentliche Schulden in Höhe von 2.570.800.000.000 Euro, also 2.570.800 Millionen Euro. Eine unfassbare Summe. Gerechnet auf die 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ist Deutschland für 20,35% also ein Fünftel der europäischen Schulden verantwortlich. Wie die Abbildung zeigt, ist dieser Schuldenstand keine Folge der Finanzkrise, sondern das Ergebnis dauerhaft höherer Ausgaben als Einnahmen.

Den Löwenanteil staatlicher Ausgaben verschlingt der mit der Überschrift “Soziale Sicherung” versehene Moloch, der allein im Jahre 2009 55,3% der 1.113.124.000.000 Euro öffentliche Ausgaben aufgezehrt hat. Dieser nimmersatte Sozialstaat, den David Cameron in seiner Abschlussrede zum Parteitag der Tories gerade als  Hauptursache dafür ausgemacht hat, dass westliche Staaten immer weiter hinter den neuen Ökonomien Asiens, Südamerikas und Afrikas zurückbleiben, ist eine Hauptursache dafür, dass Regierungen an Kapitalmärkten sogenannte Staatsobligationen feilbieten, und diese Staatsobligationen sind ein Hauptgrund für die staatlichen Bankenrettungsmaßnahmen, die in den Jahren 2008/2009 eingeleitet wurden, um – wie sich zeigt – nicht die Banken, sondern die öffentlichen Haushalte zu retten. Dies ist das Ergebnis, das man einem bemerkenswerten Beitrag von Johannes Pockrandt und Sören Radde entnehmen kann, der – noch bemerkenswerter – im DIW-Wochenbericht veröffentlicht wurde.

Pockrandt und Radde haben untersucht, wer eigentlich die Staatsobligationen kauft, und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass dies hauptsächlich heimische Banken sind. Staaten sind also, wenn es darum geht, ihre übermäßigen Ausgaben am Kreditmarkt zu decken, auf die Kooperation der heimischen Banken angewiesen, die wiederum mit dem Geld ihrer Einleger die Schulden der jeweiligen Regierung aufkaufen, so dass man fast davon sprechen könnte, dass die westeuropäischen Schuldenstaaten, allen voran Deutschland, den heimischen Banken und ihren Anlegern weitgehend gehören. Nun sind Staatsobligationen nicht unbedingt das, was man als renditeträchtige Anlage ansehen kann, was die Frage aufwirft, warum Banken die entsprechenden Obligationen kaufen.

Die Antwort auf diese Frage ist recht einfach und basiert auf verbaler Magie: Es beginnt damit, dass behauptet wird, Staatsobligationen seinen ohne Risiko, eine Behauptung, die seit Griechenland, Irland, Portugal, Spanien, Italien und andere Europäische Länder Mühe haben, ihren Zins-Verpflichtungen, die sie gegenüber den Käufern der Staatsobligationen haben, nachzukommen, eigentlich  ein schlechter Scherz ist. Dessen ungeachtet hält die Europäische Union daran fest und ist sogar bereit, Abstriche von der doch als so wichtig behaupteten Bankenregulation zu machen. Obwohl bereits im Basel-II-Abkommen vorgesehen ist, dass Banken das Risiko der Kredite, die sie ausreichen, bewerten und mit Eigenkapital quasi versichern müssen, 8% der Kreditsumme bei normalem Risiko, bis zu 12% bei riskanten Krediten, weigert sich die Europäische Union nach wie vor, dieselben Spielregeln an Staatsobligationen anzulegen. Wenn Banker demnach so irrsinnig sind (wie die EZB) Griechische Staatsanleihen im großen Stil zu kaufen, dann müssen sie, weil Griechische Staatsanleihen in der Europäischen Union nach wie vor als risikolose Kredite, die von Banken gewährt werden, angesehen werden, kein Eigenkapital dafür hinterlegen.

Der Sinn hinter dieser irrsinnigen Regelung ist klar: Wären Banken genötigt, Regierungen in der gleichen Weise zu behandeln, wie sie z.B. Hans X und Unternehmen Y behandeln, müssten sie also dem Risiko der Kreditausreichung an Staaten entsprechend, Eigenkapital hinterlegen, sie würden deutlich weniger in Staatsobligationen investieren, und dies würde unweigerlich dazu führen, dass die westlichen Regierungen Probleme hätten, ihre Schuldenpolitik an den Kreditmärkten zu finanzieren. Also sind Europäische Politiker gerne bereit, die von ihnen für so wichtig behauptete Bankenregulierung und die Regeln, die doch angeblich garantieren sollen, dass Banken nicht unverantwortlich mit dem Geld der Einleger umgehen, da zu biegen und zu vergessen, wo es an die eigene Not, die Staatsschulden zu finanzieren, geht. Damit der Verkauf von Staatsschulden gesichert ist, wird Banken weiterhin und in unverantwortlicher Weise ein Anreiz gesetzt, in Staatsobligationen zu investieren. Die geringe Rendite von Staatsobligationen wird durch die Tatsache, dass Banken im Gegensatz zu allen anderen Krediten, die sie ausreichen, das Kreditrisiko nicht bewerten müssen, was sie per se um 8% Eigenkapital besser stellt als bei Krediten an Private oder Unternehmen, ausgeglichen. Zudem gelten die meisten Staatsobligationen durch die Verbalmystik, die sie umgibt, nach wie vor als sicheres Kollateral, so dass sie als Sicherheit für kurzfristige Kredite, die Banken ständig z.B. am Repo-Markt einwerben müssen, hinterlegt werden können.

Da private Investoren die entsprechenden Staatsobligationen jedoch nicht mit der gleichen Mystik betrachten, wie dies Regierungen und die Europäische Union tun, sind Staatsanleihen aus Griechenland oder Portugal im Wert rapide gesunken, was den Banken, die sie hinterlegt haben, erhebliche Verluste beschert hat und dazu geführt hat, dass Regierungen, die zu ihrer Rettung geeilt sind, um mit noch mehr Schulden, die Schulden zu finanzieren, die Banken nunmehr gegenüber privaten Investoren hatten, die die bisherigen Staatschulden nicht mehr zur Sicherung weiterer Schulden akzeptieren wollten, weitere Schulden machen mussten (was wiederum die Kosten zur Finanzierung vorhandener Schulden erhöht hat). Wie lange man dieses Spiel der Besicherung von Schulden mit weiteren Schulden betreiben kann, ehe Banken und Regierungen gemeinsam den Weg in den Bankrott antreten müssen, ist eine offene Frage. Derzeit sind Banken aus Deutschland und Griechenland einsame Spitzenreiter im Aufkaufen von Staatsschulden (siehe Abbildung), und entsprechend muss man nicht lange überlegen, um die Verflechtung der Interessen von Politikern und Banken zu erkennen. Erstere brauchen Letztere, um ihre Füllhornpolitik, ihr unbändiges Ausgeben und Verteilen zu finanzieren, Letztere benötigen stabile Regierungen und stabile finanzielle Verhältnisse, weil es völlig ausgeschlossen ist, dass sie auch nur einen geringen Wertverlust der von ihnen gehaltenen Staatsobligationen überleben können.

Politik und Banken sind in übermäßigen Wohlfahrtsstaaten, wie es Deutschland nun einmal ist, in Staaten, die weit über ihre Verhältnisse leben, zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden, und so ist es kein Wunder, wenn Pockrandt und Radde schreiben, dass “eine Abkehr von der gegenwärtigen Regulierungspraxis dringend geboten ist” (20). Was dieser Euphemismus eigentlich meint, ist: Regierungen müssen aufhören, über ihre Verhältnisse zu leben, und sie müssen damit aufhören, Banken dafür zu belohnen, dass sie die unverantwortliche Ausgabenpolitik von Staaten wie Deutschland finanzieren. Ob das Maß an Vernunft, das notwendig ist, um die notwendigen Einschnitte in die Ausgaben zu treffen und den Wohlfahrtsstaat so zurecht zu stutzen, dass er finanzierbar ist (was dann erreicht ist, wenn Regierungen nicht mehr ausgeben als sie einnehmen), jemals in Parteiführungen und Regierungen einzieht, ist eine Frage, die man nach der Erfahrung der Vergangenheit mit “nein” beantworten muss.

Solange Regierungen und Politiker die Möglichkeit sehen, die Folgen ihrer Schuldenpolitik auf nachwachsende Generationen zu verschieben, (während sie gleichzeitig ihren Bürgern immer höhere Steuerlasten mit dem Hinweis auf die nachwachsenden Generationen und die Umwelt aufzwingen), werden sie das tun, und entsprechend gibt es wohl keine Alternative zum gemeinsamen Bankrott von Regierungen und Banken.

Radde, Sören & Pockrandt, Johannes (2012). Reformbedarf in der EU-Bankenregulierung: Solvenz von Banken und Staaten entkoppeln. DIW-Wochenbericht 42.

Bildnachweis:
Timiacono

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