Angriff auf Syrien? Warum nicht – die Folgen tragen andere

SyrienZwischenzeitlich ist es etwas ruhiger geworden. Die Aufbruchsstimmung, die noch vor kurzem in einen schnellen Militärschlag gegen Syrien zu münden schien, ist verflogen. Das Britische Unterhaus hat sich gegen eine Beteiligung des Vereinigten Königreichs an welcher Form von militärischer Intervention auch immer ausgesprochen, und Barack Obama sucht die Rückendeckung des US Congress, um einen begrenzten Militärschlag gegen Syrien, nein, nicht Syrien, sondern das Regime von Bashar al-Assad zu führen. Hinter den Euphemismem verbirgt sich – wie gewöhnlich – eine andere Realität, denn natürlich wird nicht das Regime von al-Assad unter der Militäraktion leiden. Es werden ganz normale Menschen sein, Zivilisten, Soldaten, Menschen, denen man, ginge man durch die Straßen von Damaskus, begegnen könnte.

Es braucht nicht allzuviel Empathie, um zu der Einsicht zu kommen, dass auch bei begrenzten Militärschlägen eingesetzte Hochpräzisionsbomben die dumme Angewohnheit haben, wenig präzise zu explodieren und alles in einem bestimmten Bereich zu zerfetzen. Aber die moderne Kriegsführung hat uns, abgesehen von gelegentlichen Meldungen über in die Luft gesprengte Hochzeiten, gelehrt, an den Mythos vom begrenzten Militärschlag zu glauben. Und es ist wichtig, daran zu glauben, denn nur so ist es möglich, sich die Illusion des gerechten Krieges, die seit den Predigten von Bernhard von Clairvaux, mit denen er zum heiligen Kreuzzug aufgerufen hat, die westliche Welt beherrscht, aufrecht zu erhalten. Und gerecht muss er sein, der Krieg, sonst wäre man ja nicht besser als die, die man bekriegt, sonst wäre man auch nur ein schlichter Mörder von Unschuldigen und diese Rolle gebührt doch dem Regime von al-Assad und nur ihm.

Denn ist es nicht al-Assad, der mit chemischen Waffen gegen seine Bevölkerung vorgeht? Ist es nicht al-Assad, der der neue Saddam Hussein ist, den der Westen aus dem Amt befördern muss, weil seine Unterstützung innerhalb von Syrien offensichtlich zu groß ist, als dass es die syrische Opposition schaffen würde? Entsprechend basteln die Medien an der Schuld des syrischen Regimes und präsentieren Bilder von Opfern eines Giftgasangriffes und den Verursacher gleich mit: Das Regime. Und der US-Außenminister John Kerry präsentiert unerschütterliche Beweise dafür, dass das Giftgas von al-Assad versprüht wurde. Wer fühlt sich hier eigentlich nicht an die unerschütterlichen Beweise erinnert, die der damalige US-Außenminister Colin Powell dem Sicherheitsrat der UN vorgelegt hat, um zu beweisen, dass Saddam Hussein “Weapons of Mass Destruction” in seinem Arsenal hat, geheime Weapons of Mass Destruction, so geheim, dass sie sich auch nach der Invasion nicht auffinden ließen?

Aber, all das scheint die deutsche Öffentlichkeit, wenn man der Tagesschau glauben kann, nicht zu beeindrucken. So schreibt Tagesschau.de:

Die Mehrheit der Deutschen wünscht sich einen internationalen Militärschlag gegen das Regime von Syriens Präsident Assad, die Mehrheit ist aber ebenfalls unter allen Umständen gegen eine deutsche Beteiligung an solchen Aktionen. Ganz offensichtlich haben die Bilder von Opfern des Giftgaseinsatzes in der Nähe von Damaskus Wirkung gezeigt.

giftgas-angriff-in-syrien-t-tet-1-300-menschenIst das nur dumm formuliert, oder steht hier wirklich, dass man mit wohlgesetzten Bildern eine bestimmte Reaktion hevorrufen kann, dass man mit Bildern und der Behauptung einer Bilderverursachung eine Mehrheit dazu überreden kann, sich einen “internationalen Militärschlag” zu wünschen? Und welche Wendung des NIMBY-Phänomens (Not In My BackYard), sich zu wünschen, dass andere dafür sorgen, dass man sich selbst besser fühlt und dass andere die Kosten dafür übernehmen. Wie entfremdet von der Realität, die reale Soldaten auf reale Soldaten oder Zivilisten schießen sieht, mit dem Effekt, dass Tote zu beklagen sein werden, kann man eigentlich sein, wenn man sich einen Militärschlag wünscht? Ich finde das einfach nur erschreckend.

Und haben alle diejenigen, die sich einen Militärschlag aus welchen Gründen auch immer wünschen, vergessen, was Militärschläge der Vergangenheit an Leid angerichtet haben?

Iraq_provinces_mapWir befinden uns im 10. Jahr nach dem Sturz von Saddam Hussein im Irak und von einem normalen demokratischen Staat (Sie erinnern sich, das war das Ziel der US geführten Koalition) ist der Irak vermutlich so weit entfernt, wie er es unter Saddam Hussein war. Mit Nouri al-Maliki herrscht ein Autokrat in Bagdad, der sich bestens darin versteht, Kontrahenten und Gesetze, die ihm nicht gefallen, durch seine Justiz kriminalisieren zu lassen oder zu beseitigen. So hat er nicht nur seinen Vize-Präsidenten Tariq al-Hashemi in Abwesenheit zum Tode verurteilen lassen, er hat auch ein Gesetz, das das Irakische Parlament verabschiedet hat und das ihn auf zwei Amtszeiten als Premierminister reduziert hätte, per Gerichtsbeschluss beseitigen lassen.

Der Irak ist auch zehn Jahr nach der Invasion der “westlichen Befreier” ein tief zerstrittenes Land, in dem die politischen Eliten um Ressourcenzugänge streiten, während die Bevölkerung mit Stromknappheit, Versorgungsknappheit und der nahezu täglichen Explosion umgehen muss. So berichtet die UN Assistance Mission Iraq (UNAMI), dass 2013 bislang zu den blutigsten Jahren nach Hussein gehört:

Baghdad, 1 September 2013 – According to casualty figures released today by UNAMI, a total of 804 Iraqis were killed and another 2,030 were wounded in acts of terrorism and violence in August. The number of civilians killed was 716 (including 106 civilian police), while the number of civilians injured was 1,936 (including 195 civilian police). A further 88 members of the Iraqi Security Forces were killed and 94 were injured. “Despite the decrease in casualty figures in August, compared to July, the impact of violence on civilians remains disturbingly high, with almost 5,000 civilians killed and 12,000 injured since the beginning of 2013,” the Deputy Special Representative of the United Nations Secretary-General for Iraq, Ms. Jacqueline Badcock, warned. Baghdad was the worst-affected governorate in August with 1,272 civilian casualties (317 killed and 955 injured), followed by Salahuddin, Ninewa, Diyala, and Anbar (triple digit figures). Kirkuk, Babil, Wasit and Basra also reported casualties (double-digit figures)”.

Das beschreibt den Alltag im “befreiten” Irak. Die Zahl der Opfer, die seit der “Befreiung” zu beklagen sind, dürfte die Zahl der Opfer, die Saddam Hussein hinterlassen hat, bereits erreicht, wenn nicht überschritten haben. Und von einer Stabilität im Irak ist weit und breit nichts zu sehen, geschweige denn von einem demokratischen System. Aber der Westen hat den Irak vergessen. Kein Wort war in westlichen Medien von Demonstrationen in Anbar und Nineveh zu lesen, die von al-Malikis Sicherheitskräften blutig unterdrückt wurden. 43 Tote waren alleine in Hawijah zu beklagen, als Sicherheitskräfte ein Zeltlager von Demonstranten stürmten (Katzman, 2013, S.13).

Propaganda_BernaysAber an diesen Toten hat der Westen das Interesse verloren. Duch die Medien gehen derzeit andere Leichen, Bilder von eingewickelten Körpern, die Opfer eines unterdrückerischen Systems, dieses Mal des Systems von Bashar al-Assad sein sollen, und die die guten Menschen im Westen dazu bewegen, sich einen Militäreinsatz zu wünschen, um das Unrecht, das zwar nicht ihnen, aber doch geschehen ist, zu vergelten. Wenn ein vermeinliches virtuelles Unrecht durch gute Waffen aus dem Westen vergolten wird, dann hat dies wohl einen positiven Effekt auf das Wohlbefinden von manchen Deutschen, die ja weder vom Unrecht noch von den Folgen des Vergeltens betroffen sind und sich entsprechend gut fühlen können.

Die in diesem Beitrag beinhalteten Informationen zum Irak sind – zugegebener Maßen – nicht leicht zugänglich. Aber gerade deshalb muss man sich fragen, was Zeitgeschichtler an Universitäten eigentlich tun, und vor allem muss man sich fragen, was Politikwissenschaftler tun, die sich mit Demokratietheorien oder politischen Systemen befassen, aber anscheinend nicht an den Folgen westlich oktroyierter Demokratisierung interessiert sind.

Katzman, Kenneth (2013). Iraq: Politics, Governance and Human Rights. Washington: Congressional Research Service, 7-5700.

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