Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass diejenigen, die am lautesten nach Diversität, Pluralismus, Akzeptanz und Toleranz rufen, diejenigen sind, die am wenigsten in der Lage sind, Diversität, Pluralismus, Akzeptanz und Toleranz zu ertragen?
Nein, wir wollen heute gar nicht das Neubau-Wohngebiet-Argument machen. Sie wissen schon. Toleranz, Akzeptanz, Pluralismus und Diversität ist vor allem in der Mittelschicht schick, aber wehe, ein Türke, dessen Frau ein Kopftuch trägt, kauft das Nachbarhaus, stört die Monotonie aus Vorgarten und Kinderspielburg durch Abweichung, durch Pluralität.
Nein, wir haben heute am Frühstückstisch über etwas diskutiert, was im Neo-Institutionalismus und mit Bezug auf Erving Goffman als Vorder- und Hinterbühne bekannt ist. Neo-Institutionalisten gehen davon aus, dass Erwartungen und Normen, die in Form von Institutionen an Akteure herangetragen werden, deren Verhalten beeinflussen, wenn nicht determinieren. Da Erwartungen, die von unterschiedlichen Institutionen ausgehen, die dumme Eigenschaft haben, nicht homolog zu sein, führen Akteure eine Trennung zwischen dem ein, was sie auf der Vorderbühne darstellen, den anderen erzählen, und dem, was sie auf der Hinterbühne ausführen.
Man kann das auch Heuchelei nennen, aber irgendwie klingt die neo-institutionalistische Darstellung besser.
Wie dem auch sei: Viele Deutsche geben auf der Vorderbühne den Toleranten, den sich an Diversität Freuenden, den Pluralismus-Enthusiasten, den Akzeptanz-Fetischisten, um dann auf der Hinterbühne zum intoleranten Akteur zu werden, dessen einziges Ziel darin besteht, Pluralismus einzuschränken, Diversität zu unterbinden, Akzeptanz auf die Dinge zu beschränken, die ihm genehm sind, und Toleranz für sich einzufordern, aber nicht anderen entgegen zu bringen.
Hier ein paar Beispiele
Seit Jahren wird gegen ein Feindbild zu Felde gezogen, das unter den Bekämpfern als Maskulinität bekannt ist. So hat Joane Nagel im Jahr 1998 einen Beitrag zusammengeschrieben, in dem sie Maskulinität, Nationalismus und Militarismus als Ausgeburt derselben Quelle dingfest macht. Ein wahres Fest für alle Intoleranten, die nunmehr losgezogen sind, um Maskulinität mit den unterschiedlichsten negativ konnotierten Ismen und sonstigen Verwerflichkeiten zu füllen: von Stolz und Ehre bis zu Standhaftigkeit und Prinzipientreuen, von Machismo bis Hanteltraining. Daraus haben sie dann die Notwendigkeit abgeleitet, Maskulinität und alles, was sie als Äußerung davon ansehen, zu bekämpfen. Wir finden hier zwei psycho-pathologische Prozesse am Wirken: Einerseits wird die eigene Angst und Abwehr von Dingen, die als fremd und gefährlich wahrgenommen werden, unter einem übernommenen Label, hier Maskulinität, gesammelt, andererseits wird die Behauptung, Maskulinität sei schlecht und z.B. über die Verbindung mit Nationalität anti-pluralistisch, anti-divers oder intolerant gegenüber anderen, zum Anlass für eine eigene Projektion genommen, die sich gegen das, was man als Maskulinität versteht, richtet, ihm mit Intoleranz und nicht-Akzeptanz gegenübertritt und somit die Vielfalt menschlicher Ausdrucksformen zerstört. Die Lehre vom neuen, gleichgeschalteten Mann löst die Vielfalt früherer Entwürfe von Männlichkeit ab. Der dürre mittelalte Familienvater ohne erkennbare Züge (you would pass him on the street without noticing) tritt an die Stelle des markanten Kerls.
Der Zeitgeist will es so, dass Normalitäten früherer Jahre heute als Rassismus oder Frauenfeindlichkeit oder was auch immer interpretiert werden. Wieder wird die Etikettierung konkreter Inhalte, wie z.B. der Zeichnungen in Tim und Struppi, der Worte “Neger” oder “Zigeuner” als Rassismus, also eine Zuschreibung durch Betrachter, Leser oder Zuhörer, benutzt, um Vielfalt, Akzeptanz, Diversität und Pluralismus zu feiern und die Feier der Vier zum Anlass zu nehmen, sie einzuschränken, wenn z.B. Neger und Zigeuner als Begriffe aus Kinderbüchern beseitigt werden oder abwertende Zeichnungen von z.B. Schwarzen zum Anlass genommen werden, um Kinderbücher umzuschreiben oder gleich ganz aus dem Verkehr zu ziehen. Haben Kinder eigentlich kein Recht auf Geschichte, kein Recht darauf, zu sehen, dass zu anderen Zeiten bestimmte Ansichten geherrscht haben, die man heute als falsch oder rassistisch ansieht? Ist es wirklich notwendig, den Zeitgeist und die eigene Zuschreibung dessen, was z.B. rassistisch oder frauenfeindlich sein soll, so zu überhöhen, dass sie für andere zum Gesetz wird und deren Freiheit auf Wahrnehmung einschränkt, ihnen eine brave new world vorgaukelt, die es nicht gibt und nie gegeben hat?Man muss sich unwillkürlich fragen, wie weit die entsprechenden Gutmenschen ihre eigene Psychose eigentlich treiben wollen, wie lange es dauert, bis sie merken, dass sie nicht sonderlich glaubwürdig sind, wenn sie auf der Vorderbühne Toleranz, Akzeptanz, Pluralismus und Diversität verkünden und auf der Hinterbühne Toleranz, Akzeptanz, Pluralismus und Diversität bekämpfen.
Nehmen wir die Baden-Württembergische Landesregierung und ihren Bildungsplan 2015 als letztes Beispiel. Die Akzeptanz und Toleranz der Baden-Württembergischen Landesregierer, ihre Achtung vor dem Freien Willen ihrer Bürger und deren Fähigkeit, selbständig zu denken, ist so groß, dass sie bestimmte Gegenstände erst gar nicht zulassen wollen. Die Vorstellung, es könnte Menschen geben, die weder Homosexuelle noch Intersexuelle mögen, ist ihnen so ein Graus, dass sie die Entsprechenden stigmatisieren und zu Abnormitäten deklarieren, denen man nicht tolerant gegenüber treten könne, die man nicht akzeptieren könne. Der Ruf nach Akzeptanz und Toleranz gegenüber nicht-Herosexuellen führt dazu, dass die Welt in Schulbüchern bereinigt wird und diejenigen, die nicht-Heterosexuelle ablehnen, einfach getilt werden.
Die drei Beispiele zeigen, wie vermeinliche Kämpfer für Toleranz, Akzeptanz, Diversität und Pluralismus, das, wofür sie zu kämpfen vorgeben, in ihrem Kampf beseitigen und Gleichstellung betreiben: Gleichstellung des richtigen Mannes, der richtigen Art, wie ein neuer Mann sich zu gerieren hat. Abweichung ist nicht vorgesehen; Gleichstellung der Geschichte, indem Darstellungen vergangener Jahrhunderte gefälscht werden und eine Auseinandersetzung mit anderem Denken verunmöglicht wird, Gleichstellung der sozialen Welt, indem das Recht, bestimmte Lebensstile nicht zu mögen, beseitigt wird.
Es ist schon seltsam, wie emsig die vermeintlichen Pluralisten an der Beseitung von Pluralismus arbeiten, wie sie die Diversität immer dann, wenn sie ihnen nicht passt, durch Normierung des einzig Richtigen beseitigen und Akzeptanz und Toleranz immer da verweigern, wo im Ergebnis soziale Gleichschaltung vermieden würde.
Und ganz schnell sind die Kämpfer mit dem Ruf nach oder dem Entwurf einer Regelung bei der Hand, sind sie bereit, die Einschränkungen, die sie dem Leben anderer auferlegen wollen, verbindlich zu machen. Regelungen und Gesetze sind kodifizierte Handlungserwartungen. Wenn Rassismus unter Strafe gestellt wird, verbindet sich damit die Erwartung, dass niemand mehr rassistisch ist (was immer das auch konkret bedeuten mag). Regelungen sorgen für Sicherheit im Alltagsleben. Die Erwartungen, die man dem Verhalten Dritter entgegenbringt, haben nun eine hohe Wahrscheinlichkeit, erfüllt zu werden. Und damit sind wir am Kern der ganzen Psychose, die viele Kämpfer für Toleranz und Akzeptanz, für Pluralismus und Diversität anzutreiben scheint: Es ist ihre eigene Angst vor den Konsequenzen von Toleranz und Akzeptanz, ihre Angst für Pluralismus und Diversität.
Man stelle sich den Einbruch afrikanischer Lebensfreude in ein schniekes Wohngebiet in Paderborn vor, oder das Erschrecken des Pluralisten, wenn er mit einem Polizeibeamten konfrontiert ist, dessen Eltern aus Angola nach Deutschland gekommen sind. Stellen Sie sich die Schwierigkeit vor, die es dem selbsterklärten Intellektuellen bereitet, seinem Kind bestimmte Darstellungen in Kinderbüchern in ihren historischen Bezügen zu erklären. Schlimmer noch: Was tun, wenn die Tochter einen Freund mit nach Hause bringt, der nach allem äußeren Anschein aus dem Maghreb stammt?
Nein, zuviel Diversität und Pluralismus, zu viel Akzeptanz und Toleranz ist nicht gut für die Seele und den Geist der Kämpfer für Diversität und Pluralismus und Akzeptanz und Toleranz. Zuviel davon bringt ihr inneres Gleichgewicht durcheinander und ihre Angst davor, dass etwas anders als erwartet sein könne, in Wallung. Deshalb: Verbieten, alles verbieten, vor allem Diversität und Pluralismus.
Eigentlich ist es logisch recht einfach zu argumentieren, warum ein allumfassendes Gut wie “Freiheit”, “Diversität” oder “Pluralismus” nicht eingeschränkt werden kann, denn es gibt keine %ige Freiheit, kein richtiges Maß für Diveristät und keine korrekte Menge an Pluralismus. Es gibt alles nur uneingeschränkt. Eingeschränkte Freiheit ist keine Freiheit, reglementierte Diversität ist keine Diversität und normierter Pluralismus kein Pluralismus. Wenn logische Zusammenhänge, die derart offensichtlich sind, dennoch nicht eingesehen werden, dann gibt es in der Regel zwei Erklärungen: Entweder die Nicht-Einsichtigen sind krank oder sie wollen Dritte beherrschen. Bitte wählen Sie!
Nagel, Joane (1998): „Masculinity and Nationalism: Gender and Sexuality in the Making of Nations”. In: Ethnic and Racial Studies, Nr. 21, S. 242-269.
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Es kann keine der beiden Erklärungen sondern die logisch Dritte gewählt werden (worden sein). Die folgenden Formulierungen wurden in “Inhaltliche Deutung der dyadischen Wahrheitswertfunktoren” von Döhmann (dort) übernommen, in “Grundriss der Logistik” (3. Aufl. 1935), sie gefallen mir und sind zutreffend:
Präpendenz, jedenfalls nicht das eine (gleichgültig ob auch das andere);
Postpendenz, jedenfalls nicht das andere (gleichgültig ob auch das eine);
Postnonpendenz, keinenfalls das andere (gleichgültig ob das eine);
Pränonpendenz, keinesfalls das eine (gleichgültig ob das andere).
Auf den Beitrag übertragen: das Mass an Freiheit wird als gleichgültig angesehen, das Mass an Diversivität wird als gleichgültig angesehen, dass Mass an Pluralismus wird als gleichgültig angesehen. Ist doch logisch, oder?
P.S. diese Wahrheitswertfunktoren werden gerne benutzt, ja eigentlich sind sie unersetzbar, z.B. in J. Posegga, Deduktion mit Shannongraphen für Prädikatenlogik erster Stufe, Inx Verlag, Sankt Augustin, 1993.
Der BW-Kultusminister und Schulvernichter Stoch hat 4 schulpflichtige Kinder die allesamt auf eine private Waldorfschule gehen(meiner Meinung nach zweifelhaftes pädagogisches Konzept,aber man ist unter seinesgleichen).
“Nur für Frauen
Berlins erste Ruhestätte nur für Lesben
01. April 2014 09:54 Uhr, Kerstin Hense und Lukas Breitenbach | Aktualisiert 09:54 Die Grünen finden es “romantisch”. Die CDU ist dagegen. Am Sonntag wird Berlins erster Lesben-Friedhof eingeweiht. …
“Wir leben mit Lesben zusammen und wollen auch mit Lesben begraben werden”, sagt eine der Organisatorinnen zur B.Z. Auf der 400 Quadratmeter großen Bestattungsfläche ist Platz für 80 Tote. Sowohl Urnen- als auch Erdbestattungen sollen nach Angaben der Initiatoren möglich sein. …”
?? http://www.bz-berlin.de/bezirk/prenzlauerberg/berlins-erste-ruhestaette-nur-fuer-lesben-article1823118.html
“Man kann das auch Heuchelei nennen, aber irgendwie klingt die neo-institutionalistische Darstellung besser.”
Das Soziologen-ABC brav gelernt – und den Nagel auf den Kopf getroffen!
Vielen Dank für diesen Artikel, vorallem aber für die mir aus der Seele sprechende, griffige Zusammenfassung: “Eingeschränkte Freiheit ist keine Freiheit, reglementierte Diversität ist keine Diversität und normierter Pluralismus kein Pluralismus”. !
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“… zwei Erklärungen: Entweder die Nicht-Einsichtigen sind krank oder sie wollen Dritte beherrschen. Bitte wählen Sie!”
Es kann keine der beiden Erklärungen sondern die logisch Dritte gewählt werden (worden sein). Die folgenden Formulierungen wurden in “Inhaltliche Deutung der dyadischen Wahrheitswertfunktoren” von Döhmann (dort) übernommen, in “Grundriss der Logistik” (3. Aufl. 1935), sie gefallen mir und sind zutreffend:
Präpendenz, jedenfalls nicht das eine (gleichgültig ob auch das andere);
Postpendenz, jedenfalls nicht das andere (gleichgültig ob auch das eine);
Postnonpendenz, keinenfalls das andere (gleichgültig ob das eine);
Pränonpendenz, keinesfalls das eine (gleichgültig ob das andere).
Auf den Beitrag übertragen: das Mass an Freiheit wird als gleichgültig angesehen, das Mass an Diversivität wird als gleichgültig angesehen, dass Mass an Pluralismus wird als gleichgültig angesehen. Ist doch logisch, oder?
P.S. diese Wahrheitswertfunktoren werden gerne benutzt, ja eigentlich sind sie unersetzbar, z.B. in J. Posegga, Deduktion mit Shannongraphen für Prädikatenlogik erster Stufe, Inx Verlag, Sankt Augustin, 1993.
http://www.youtube.com/watch?v=2_2lGkEU4Xs
Viel Spass…
Der BW-Kultusminister und Schulvernichter Stoch hat 4 schulpflichtige Kinder die allesamt auf eine private Waldorfschule gehen(meiner Meinung nach zweifelhaftes pädagogisches Konzept,aber man ist unter seinesgleichen).
Die Haltung der Gutmenschen zur Freiheit kann man wunderbar am Umgang mit Sarrazin ablesen. Danach weiß man wohin der Zug fährt.
“Nur für Frauen
Berlins erste Ruhestätte nur für Lesben
01. April 2014 09:54 Uhr, Kerstin Hense und Lukas Breitenbach | Aktualisiert 09:54 Die Grünen finden es “romantisch”. Die CDU ist dagegen. Am Sonntag wird Berlins erster Lesben-Friedhof eingeweiht. …
“Wir leben mit Lesben zusammen und wollen auch mit Lesben begraben werden”, sagt eine der Organisatorinnen zur B.Z. Auf der 400 Quadratmeter großen Bestattungsfläche ist Platz für 80 Tote. Sowohl Urnen- als auch Erdbestattungen sollen nach Angaben der Initiatoren möglich sein. …”
??
http://www.bz-berlin.de/bezirk/prenzlauerberg/berlins-erste-ruhestaette-nur-fuer-lesben-article1823118.html
“Man kann das auch Heuchelei nennen, aber irgendwie klingt die neo-institutionalistische Darstellung besser.”
Das Soziologen-ABC brav gelernt – und den Nagel auf den Kopf getroffen!
Vielen Dank für diesen Artikel, vorallem aber für die mir aus der Seele sprechende, griffige Zusammenfassung: “Eingeschränkte Freiheit ist keine Freiheit, reglementierte Diversität ist keine Diversität und normierter Pluralismus kein Pluralismus”. !
p.S.: ich erlaube mir, diesen Artikel auf meinem Blog (http://zwischenstuehlen.wordpress.com/) in einem neuen Post zu verlinken.