Journalisten beim ZDF – Alle miteinander unzuverlässig

Eigentlich wollten wir diesen Post mit „Oh Herr, schmeiß Hirn“ überschreiben, aber dann hat Dr. habil. Heike Diefenbach darauf hingewiesen, dass vom Himmel fallendes Hirn die Fähigkeit, es auch aufzufangen und zu nutzen, voraussetzt. Also wieder nichts.

BREXIT the movieEntsprechend haben wir uns für den oben genannten Titel entschieden, der eine Kolportage auf den unglaublich differenzierten Titel „Brexit-Umfragen allesamt unzuverlässig“ ist, mit dem der angebliche Kenner der Materie, Andreas Stamm, seinen Beitrag bei heute.de überschrieben hat. Denn ein Kenner der Materie muss Stamm sein, schließlich weiß er genau, dass Briten und vor allem die britischen Umfrageinstitute alle mit einander unzuverlässigen Blödsinn erfragen, oft per telefonischer Befragung, wie er in seinem Text anmerkt. Ganz im Gegensatz zum ZDF, dessen Politbarometer Umfragen, die die Forschungsgruppe Wahlen per Telefon durchführt, natürlich immer zuverlässig sind. Vor allem die Hochrechnungen der Ergebnisse von Volksabstimmungen und von Wahlabsichten sind beim ZDF immer ganz akkurat – in den monatlichen telefonischen Umfragen. Ganz anders im Vereinigten Königreich: Dort herrscht der Umfragen-Dilettantismus wie Stamm offensicht weiß, weil er sich täglich mit all den verschiedenen Befragungsinstituten und ihren falschen Methoden beschäftigt. Oder schreibt er am Ende nur Beiträge aus englischen Tageszeitungen wie dem Guardian ab?

Wie auch immer, Stamm ist ein Kenner der Materie. Und deshalb beginnt er seinen Beitrag damit, dass er das Britische Wahlsystem und die Schwierigkeiten, die sich für Umfragen damit verbinden, dass es ein first-past-the-post-Wahlsystem gibt, beschreibt. Das ist für Brexit-Umfragen zwar vollkommen irrelevant, aber für Stamm ist es relevant. Er nähert sich quasi seinem Thema, erarbeitet sich das unbekannte Land und kommt nach dem unnötigen Umweg beim britischen Wahlsystem schlussendlich bei den angeblich unzuverlässigen Umfragen zum Brexit an.

Warum interessieren sich Stamm und das ZDF überhaupt für die entsprechenden Umfragen, wo Stamm doch selbst schreibt: „Die Unsicherheit ist groß“? Oder: Die Umfragen sind das Ergebnis von Langeweile? Oder: „In Großbritannien wird täglich eine neue ‚Umfrage-Sau“ durchs Dorf getrieben“? Warum also beteiligt sich Stamm am Sau-Treiben, warum wird er selbst zum Sau-Treiber in seinen Worten?

ManipulationstechnikenDie Antwort liegt auf der Hand: Die Leave-Campaign hat in den letzten Wochen Fahrt aufgenommen. Der Vorsprung der Befürworter eines Verbleibs in der EU, er ist von Woche zu Woche geschmolzen, und jetzt ist er ganz weg. Die Poll of Polls, eine Zusammenstellung aller Befragungen zum Brexit, die man bei der BBC findet, sie zeigt erstmals keinen Vorsprung der Befürworter eines EU-Verbleibs. Die BBC berechnet die Poll of Polls aus Einzelergebnissen und man kann angesichts der offenkundigen ideologischen Ausrichtung der BBC sicher sein, dass die Berechnung nicht zu Gunsten derjenigen erfolgt, die die EU verlassen wollen. Schlimmer noch, telefonische Befragungen, die für Stamm noch die zuverlässigen unter den Unzuverlässigen sind, wenngleich natürlich nicht so zuverlässig wie die ZDF-Politbarometer-Telefonbefragung, die immer akkurate Ergebnisse bringt [das war Sarkasmus, für alle, die es nicht gemerkt haben], sie erbringen erstmals eine Mehrheit für einen Austritt aus der EU: Bei ICM votieren 45% der telefonisch Befragten für einen Austritt, 42% wollen in der EU bleiben, 13% sind unentschieden.

Die letzten Wochen haben einen stetigen Zugewinn der Befürworter eines EU-Austritts gesehen und einen stetigen Rückgang derjenigen, die in der EU bleiben wollen. Selbst bei der BBC ist das angekommen. Das ist nicht nur das Motiv, das erklärt, warum Andreas Stamm plötzlich und nach wochenlangem Schweigen zu den unzuverlässigen Umfrage-Säuen, die in Großbritanninen doch täglich durchs Dorf getrieben werden, nun die angebliche Unzuverlässigkeit der Umfragen thematisiert (ganz im Gegensatz zu den immer zuverlässigen Umfragen des ZDF).

Und weil der BREXIT nicht nur für Stamm und das ZDF langsam zu einer Möglichkeit wird, mit der sie nicht im Entferntesten gerechnet haben und zudem eine Welle der BREXIT-Panik durch das kontinentale Europa schwappt, deshalb muss Stamm in die unterste Kiste journalistischer Manipulationsversuche greifen. Entsprechend erklärt er Nigel Farage zum „Vater des Referendum[s]“, jenes Referendums, das David Cameron versprochen und anberaumt hat. Deshalb schafft er eine falsche Dichotome zwischen der United Kingdom Independence Party (UKIP), die er als allein für einen Austritt votierend darstellen will und den guten Menschen in all den anderen Parteien. Und deshalb stellt der die falsche Behauptung auf, dass im Leave-Camp keinerlei politische Strategie vorhanden sei, für die Zeit nach dem BREXIT: „Alles wird gut, wenn wir nicht mehr in der EU sind“, sei das, was die Leave-Campaign anzubieten habe und Stamm hat hier nicht mehr als eine Übersetzung einer Behauptung von David Cameron anzubieten, um das vermeintliche Fehlen von Konzepten zu belegen.

Bei so viel manipulativer Verdrehung weiß man gar nicht, wo man anfangen soll. Vielleicht am besten da, wo die Insinuation von Stamm endet: Die Leave-Campaign wird nicht von den angeblichen Rechtspopulisten der UKIP getragen, die außer Dagegensein keine politischen Konzepte haben, wie Stamm nahelegen will. Da er angeblich in London sitzt, sollte es ihm zumindest ab und zu möglich sein, den Fernseher einzuschalten und dann festzustellen, dass u.a. Michael Gove der derzeitige Lord Chancellor and Secretary of State for Justice, also der britische Justizminister, Boris Johnson, der frühere Londoner Bürgermeister und designierte Nachfolger von David Cameron und Daniel Hannan, der profilierteste Europaabgeordnete der Conservatives, sich für einen Austritt aus der EU stark machen, und zwar mit guten Argumenten. Nigel Farage und UKIP sind somit ein Teil der Leave-Campaign, weite Teile der Conservative-Party ein anderer Teil und selbst in derLabour Party gibt es Abgeordnete und Mitglieder, die aus der EU austreten wollen.

Die krude Formel, nach der es in Großbritannien eine Abstimmung geben wird, die zeigt, wie groß der Einfluss von angeblichen Rechtspopulisten auf die britische Bevölkerung ist, die Stamm gerne unter die Deutschen bringen will, sie trifft schlicht nicht zu. Der BREXIT ist ein Gegenstand, der quer durch alle Parteien diskutiert wird, und wenn sich in den letzten Wochen etwas verändert hat, dann ist dies eine wachsende Zustimmung dazu, dass es bei der Abstimmung auch um die Wirtschaft und um Migration geht, dass es aber vor allem eine Entscheidung zwischen persönlicher Freiheit mit vielleicht kurzfristigen negativen wirtschaftlichen Folgen und zunehmender Kontrolle mit vielleicht kurzfristigen positiven Folgen ist. Immer mehr Briten ziehen die Freiheit vor, eine Offensichtlichkeit, die Stamm eigentlich mitbekommen müsste, so wie er mitbekommen müsste, dass man bei Briten durch „scaremongering“, also durch Angstmachen eher das Gegenteil von dem, was beabsichtigt ist, erreicht.

Dass immer mehr Briten die Freiheit außerhalb der EU der Kontrolle innerhalb vorziehen, das zeigen auch die Bookies, die Buchmacher, diejenigen, die Andreas Stamm wohl in einem Anfall von geistiger Umnachtung zu Experten ernennt, die für die Odds (die Wettquoten) verantwortlich sind (neben Angebot und Nachfrage, wie er einräumt). Sie, so Stamm, sähen die Remainer in Führung: 77% Wahrscheinlichkeit für einen Verbleibt, sieht einer der von Stamm zu Experten ernannten Buchmacher. Tatsächlich sind auch die Odds ständig im Wandel, und tatsächlich sieht man auch bei den Wetten, dass die Zahl derer, die auf einen Verbleibt wetten, zurückgeht, während die Zahl derer, die auf einen Austritt wetten, weil sie den Austritt für wahrscheinlicher halten, steigt. Bei BetFair hat sich die Wahrscheinlichkeit für einen BREXIT in den letzten Tagen um 28% erhöht.

Ob der Beitrag von Andreas Stamm als Beschwörungszauber gemeint ist, der dazu führen soll, den Brexit zu verhindern, das wissen wir nicht, dass er von der ersten bis zur letzten Zeile kaum etwas enthält, das den Tatsachen entspricht und in manipulativer Absicht erstellt wurde, dagegen schon.


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