Sprachliche Aufräumarbeiten: Russell zum germanischen Hegel
“The fundamental cause of the trouble is that in the modern world the stupid are cocksure while the intelligent are full of doubt.” Bertrand Russell
Cleddon Hall in Wales, unweit von Tintern, dem Ort mit der berühmten Abbey, ist der Geburtsort von Bertrand Russell, und beide, Cleddon Hall wie Tintern Abbey waren die Ziele, die wir gestern angesteuert haben.
Zu Ehren von Bertrand Russell bringen wir heute einen kurzen Ausschnitt aus seiner Auseinandersetzung mit dem größten deutschen Schwätzer aller Zeiten, Georg Willhelm Friedrich Hegel. Eigentlich ist es keine Auseinandersetzung, sondern ein amüsiertes Zerlegen.
Viel Spaß! Und immer die Ironie, für die Russell so berühmt ist, mitlesen!
“Ich komme nun zu einem besonderen Charakteristikum der Hegelschen Philosophie, wodurch sie sich von Platos, Plotins oder Spinozas Philosophie unterscheidet [ab hier müsste die Übersetzung eigentlich im Konjunktiv erfolgen:]. Obwohl die letzte Wirklichkeit zeitlos und die Zeit nur eine Täuschung ist – hervorgerufen durch unser Unvermögen, das Ganze zu sehen -, besteht doch ein innerer Zusammenhang zwischen dem Fortschreiten der Zeit und dem rein logischen Prozess der Dialektik. Tatsächlich hat sich die Weltgeschichte durch die Kategorien vom reinen Sein in China (von dem Hegel nur wusste, dass es existierte) bis zur Absoluten Idee fortentwickelt, die sich nahezu, wenn auch nicht ganz, im preußischen Staat verwirklicht zu haben schien.
In Hegels eigener Metaphysik finde ich keine Rechtfertigung für diese Ansicht, dass die Weltgeschichte die Übergänge der Dialektik wiederholt, wiewohl das die These ist, die er in seiner Philosophie der Geschichte entwickelt hat. Es war eine interessante These, die den Umwälzungen in menschlichen Angelegenheiten Einheit und Sinn verlieh. Wie andere Geschichtsphilosophien bedingte auch diese, um plausibel wirken zu können, eine gewisse Verdrehung der Tatsachen und ein beträchtliches Maß an Unwissenheit. Beides finden wir bei Hegel und später bei Marx und Spengler. Es mutet seltsam an, dass ein Prozess, der für kosmisch gehalten wird, sich ausschließlich auf unserem Planeten und hauptsächlich in der Nähe des Mittelmeeres abgespielt haben soll. Wenn die Wirklichkeit zeitlos ist, liegt auch gar kein Grund vor, in den späteren Teilen dieses Prozesses die Verkörperung höherer Kategorien zu sehen als in den früheren – es sei denn, man hege die blasphemische Vermutung, das Universum habe sich allmählich Hegels Philosophie zu eigen gemacht.
[…]
Der Geist und der Gang seiner Entwicklung ist die Substanz der Geschichtsphilosophie. Die Natur des Geistes lässt sich erkennen, wenn man ihn seinem Gegenteil, nämlich der Materie gegenüberstellt. Das Wesen der Materie ist Schwere; das Wesen des Geistes ist Freiheit. Die Materie ist außerhalb ihrer selbst, während der Geist seinen Mittelpunkt in sich selbst trägt. ‚Der Geist ist das Bei-sich-selbst-sein‘. Wenn das nicht klar ist, dann dürfte vielleicht die folgende Definition verständlicher sein: ‚Was ist aber der Geist? Er ist das Eine, sich selbst gleiche Unendliche, die reine Identität, welche zweitens sich von sich trennt, als das andere ihrer selbst, als das Für-sich- und In-sich-sein gegen das Allgemeine‘ [Dass Russell selbst nach dem Zitieren solcher Stellen, die an die Äußerungen eines Irren erinnern, ernst bleibt, höchstens etwas ironischer wird als gewöhnlich, ist eine der größten Leistungen in der Geschichte der Philosophie. Dass Hegel in die Klasse derer gehört, die den Nationalsozialismus vorbereitet haben, wird u.a. an seiner Lobhudelei über den „germanischen Geist“ deutlich:]
[…]
‚Die Weltgeschichte ist die Zucht von der Unbändigkeit des natürlichen Willens zum Allgemeinen und zur subjektiven Freiheit. Die Orientalen wussten und wissen auch heute nur, dass einer frei ist; die griechische und römische Welt wusste nur, dass einige frei sind; die germanische Welt weiß, dass alle frei sind‘. Man sollte annehmen, dass die Demokratie die geeignet Staatsform wäre, wo alle frei sind; aber dem ist nicht so. Die Demokratie wie die Aristokratie gehören zu dem Stadium. in dem manche frei sind; der Despotismus rechnet zu dem Stadium, in dem einer frei ist, und die Monarchie zu dem, in welchem alle frei sind. Das hängt damit zusammen, dass Hegel das Wort ‚Freiheit‘ in höchst sonderbarem Sinne gebraucht. Für ihn (…) gibt es keine Freiheit ohne Gesetze; er neigt jedoch dazu, diesen Satz umzukehren und zu behaupten, wo immer das Gesetz herrsche, da sei Freiheit. Und so sieht er in der ‚Freiheit‘ eigentlich nur das Recht, dem Gesetz gehorchen zu dürfen.
[…]
‘Der germanische Geist ist der Geist der neuen Welt, deren Zweck die Realisierung der absoluten Wahrheit als der unendlichen Selbstbestimmung der Freiheit ist, der Freiheit, die ihre absolute Form selbst zum Inhalte hat‘. Das ist eine Freiheit ganz exquisiter Art. Sie beinhaltet nicht, dass man etwa nicht in Konzentrationslager kommen könne. Sie begreift auch nicht die Demokratie, die Pressefreiheit oder sonst eine der üblichen liberalen Parolen ein, die Hegel verächtlich ablehnt.
[Fügt man nunmehr noch die Idealisierung des Staates, die sich bei Hegel findet und wie sie von Russell herausgearbeitet wird, hier an, dann hat man ein sehr ungutes und zugleich äußerst aktuelles Bild einer totalitären Gesellschaft entworfen, das zu sehr an die Jetztzeit erinnert, als dass man es als das Geschwätz eines irren deutschen Philosophen abtun könnte.]
Wir lesen in der Philosophie der Geschichte: ‚Der Staat ist das vorhandene, wirklich sittliche Leben‘, alle geistige Wirklichkeit, die ein Mensch besitzt, hat er allein durch den Staat. ‚Denn seine geistige Wirklichkeit ist, dass ihm sein Wesen – das Vernünftige – gegenständlich sei … Denn das Wahre ist die Einheit des allgemeinen und subjektiven Willens; und das Allgemeine ist im Staate in den Gesetzen, in allgemeinen und vernünftigen Bestimmungen. Das Göttliche des Staates ist die Idee, wie sie auf Erden vorhanden ist‘. Weiter: ‚So ist der Staat die vernünftige und sich objektiv wissende und für sich seiende Freiheit‘ … ‚ Der Staat ist die geistige Idee in der Äußerlichkeit des menschlichen Willens und seiner Freiheit‘.
[…]
Das ist Hegels Staatslehre, eine Lehre, die – sobald man sie gelten lässt – jegliche Tyrannei im eigenen Land und jede denkbare Aggression nach außen rechtfertigen würde. Seine große Voreingenommenheit in dieser Beziehung zeigt sich darin, dass seine Theorie in hohem Maße seiner eigenen Metaphysik widerspricht und dass all diese Widersprüche auf eine Rechtfertigung von Grausamkeit und internationalem Räubertum hinauslaufen. Es ist verzeihlich, wenn jemand zu seinem eigenen Bedauern durch die Logik zu Schlüssen gezwungen wird, die er selbst missbilligt; unentschuldbar aber ist es, wenn er von der Logik abweicht, um ungehindert Verbrechen befürworten zu können“. (Russell, 1999: 742-749)
Wer sich mit Hegel beschäftigt, sieht nicht nur in relativ kurzer Zeit, wo linke und rechte Extremisten zu einem ununterscheidbaren Konglomerat verschmelzen, er sieht auch, dass manche Linke bis heute nicht über Hegel und seinen ganz eigenen Totalitarismus hinausgekommen sind. Das wiederum ist ein Widerspruch zur Hegelschen Auffassung, wonach die Entwicklung vom Unvollkommeneren zum Vollkommeneren verläuft.
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