Politische Bulimie: Bundestag XXL kostet Bundesbürger rund 325 Millionen Euro mehr

Wenn Parteien Gesetze ändern, dann tun sie das in der Regel in einer Weise, die ihnen zu gute kommt. So hat der Deutsche Bundestag das Bundeswahlgesetz noch kurz vor der Wahl zum 19. Deutschen Bundestag, zeitgerecht am 8. Juni 2017 geändert.

Im neuen Bundeswahlgesetz findet sich u.a. der folgende § 1 Abs. 1, in dem es heißt:

„(1) Der Deutsche Bundestag besteht vorbehaltlich der sich aus diesem Gesetz ergebenden Abweichungen aus 598 Abgeordneten. Sie werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl von den wahlberechtigten Deutschen nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl gewählt.“

598 Abgeordnete, von denen 299 in direkter Wahl und 299 über die Landeslisten der Parteien bestimmt werden, daraus besteht der Bundestag. D.h. daraus würde der Bundestag bestehen, gäbe es nicht noch den § 6 und seine ersten fünf Absätze, die da lauten:

„(1) Für die Verteilung der nach Landeslisten zu besetzenden Sitze werden die für jede Landesliste abgegebenen Zweitstimmen zusammengezählt. Nicht berücksichtigt werden dabei die Zweitstimmen derjenigen Wähler, die ihre Erststimme für einen im Wahlkreis erfolgreichen Bewerber abgegeben haben, der gemäß § 20 Absatz 3 oder von einer Partei vorgeschlagen ist, die nach Absatz 3 bei der Sitzverteilung nicht berücksichtigt wird oder für die in dem betreffenden Land keine Landesliste zugelassen ist. Von der Gesamtzahl der Abgeordneten (§ 1 Absatz 1) wird die Zahl der erfolgreichen Wahlkreisbewerber abgezogen, die in Satz 2 genannt sind.
(2) In einer ersten Verteilung wird zunächst die Gesamtzahl der Sitze (§ 1 Absatz 1) in dem in Satz 2 bis 7 beschriebenen Berechnungsverfahren den Ländern nach deren Bevölkerungsanteil (§ 3 Absatz 1) und sodann in jedem Land die Zahl der dort nach Absatz 1 Satz 3 verbleibenden Sitze auf der Grundlage der zu berücksichtigenden Zweitstimmen den Landeslisten zugeordnet. Jede Landesliste erhält so viele Sitze, wie sich nach Teilung der Summe ihrer erhaltenen Zweitstimmen durch einen Zuteilungsdivisor ergeben. Zahlenbruchteile unter 0,5 werden auf die darunter liegende ganze Zahl abgerundet, solche über 0,5 werden auf die darüber liegende ganze Zahl aufgerundet. Zahlenbruchteile, die gleich 0,5 sind, werden so aufgerundet oder abgerundet, dass die Zahl der zu vergebenden Sitze eingehalten wird; ergeben sich dabei mehrere mögliche Sitzzuteilungen, so entscheidet das vom Bundeswahlleiter zu ziehende Los. Der Zuteilungsdivisor ist so zu bestimmen, dass insgesamt so viele Sitze auf die Landeslisten entfallen, wie Sitze zu vergeben sind. Dazu wird zunächst die Gesamtzahl der Zweitstimmen aller zu berücksichtigenden Landeslisten durch die Zahl der jeweils nach Absatz 1 Satz 3 verbleibenden Sitze geteilt. Entfallen danach mehr Sitze auf die Landeslisten, als Sitze zu vergeben sind, ist der Zuteilungsdivisor so heraufzusetzen, dass sich bei der Berechnung die zu vergebende Sitzzahl ergibt; entfallen zu wenig Sitze auf die Landeslisten, ist der Zuteilungsdivisor entsprechend herunterzusetzen.
(3) Bei Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 Prozent der im Wahlgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben. Satz 1 findet auf die von Parteien nationaler Minderheiten eingereichten Listen keine Anwendung.
(4) Von der für jede Landesliste so ermittelten Sitzzahl wird die Zahl der von der Partei in den Wahlkreisen des Landes errungenen Sitze (§ 5) abgerechnet. In den Wahlkreisen errungene Sitze verbleiben einer Partei auch dann, wenn sie die nach den Absätzen 2 und 3 ermittelte Zahl übersteigen.
(5) Die Zahl der nach Absatz 1 Satz 3 verbleibenden Sitze wird so lange erhöht, bis jede Partei bei der zweiten Verteilung der Sitze nach Absatz 6 Satz 1 mindestens die bei der ersten Verteilung nach den Absätzen 2 und 3 für sie ermittelten zuzüglich der in den Wahlkreisen errungenen Sitze erhält, die nicht nach Absatz 4 Satz 1 von der Zahl der für die Landesliste ermittelten Sitze abgerechnet werden können. Die Gesamtzahl der Sitze (§ 1 Absatz 1) erhöht sich um die Unterschiedszahl.“

Wählern und Bürgern erzählt man im Hinblick auf einen derart verquasten Blödsinn, das sei alles notwendig, um die Repräsentativität des Bundestages herzustellen, um sicherzustellen, dass die Zweitstimmen, die ja über die Zusammensetzung des Bundestages bestimmen, durch das Problem, dass die Anzahl der Mandate, die eine Partei über die direkte Wahl eines Wahlkreisbewerbers erhält, deren Anteil an den Zweistimmen übersteigt, verzerrt werden kann. Also wird gebügelt.- Schon seit 1949 wird gebügelt. Indes wird erst seit kurzem in einer Art und Weise gebügelt, die man nicht anders als Parteien-Binge oder politische Bulimie bezeichnen kann. Parteien haben offensichtlich eine Fresssucht entwickelt, wenn es darum geht, erwerbstätige Steuerzahler um ihr hart erarbeitetes Geld zu erleichtern.

Wir haben vor einiger Zeit einmal zusammengerechnet, was ein Bundestagsabgeordneter, der dem 16. Deutschen Bundestag angehört hat, die Steuerzahler pro Jahr kostet und sind bei der stattlichen Zahl von 732.251 Euro angekommen. Ein Bundestag, der besetzt ist, wie in § 1 Abs. 1 des Bundeswahlgesetzes festgelegt, der also 598 Abgeordnete umfasst, kostet die Steuerzahler 437.886.098 Euro in einem Jahr, also 1.751.544.392 Euro in einer Legislaturperiode.

Weil Parteien aber aus einer Vielzahl hungriger Mäuler bestehen, die über die Parteienfinanzierung und die Finanzierung der politischen Stiftungen der Parteien, die sich ebenfalls auf rund 1 Milliarde Euro pro Jahr summieren, nicht alle gestopft werden können, gibt es besagte Änderung des Wahlgesetzes, die dazu geführt hat, dass der 19. Bundestag um die stattliche Anzahl von 111 Abgeordneten aufgebläht wird. Die Kosten für die Steuerzahler erhöhen sich durch diese Fresssucht der Parteien auf 519.165.959 Euro pro Jahr bzw. 2.076.663.836 Euro pro Legislaturperiode. D.h. es entstehen Mehrkosten von 325.119.444 Euro pro Legislaturperiode bzw. 81.279.861 Euro pro Jahr.

Ob man außer an den Kosten, die dieser aufgeblähte Bundestag verursacht, noch an anderen Dingen bemerken wird, dass sich anstelle von 598 nun 709 Hanseln in den Bundestag quetschen bzw. denselben durch ihre (dauerhafte) Abwesenheit zieren, ist eine empirische Frage, die wir, angesichts der Fraktionsdisziplin, die bei fast allen Abstimmungen herrscht, hypothetisch und entsprechend begründet mit einem klaren Nein beantworten.

Der Bundestag war einst die Legislative der deutschen Demokratie, das Herzstück, wenn man so will. Er ist erst zum gleichgeschalteten Zustimmungsorgan, in dem die Politik der Regierung abgesegnet wird, verkommen und dann zur Quasselbude, in der Halbgebildete ihre Defizite zur Schau stellen und ihren Kampf mit der deutschen Sprache führen. Nun wird die Quasselbude auch noch gebläht, und jeder der sich schon einmal überfressen hat, der weiß, dabei kommt nichts Gutes heraus.

So setzen sich die Kosten für einen Abgeordneten zusammen:

Diäten 104.761 Euro
Kostenpauschale 50.476 Euro
Mitarbeiter von MdBs 321.151 Euro
Geschäftsbedarf / Büromaterial 12.048 Euro
Zuschuss zu Krankheitskosten 12.373 Euro
Übergangsgeld 818 Euro
Beitrag zur Rentenversicherung 72.183 Euro
Kostenerstattung f. Nutzung ÖPNV 3.487 Euro
Reisekostenerstattung 21.111 Euro
Zuschuss an die Fraktionen 133.843 Euro
Gesamtkosten eines MdB pro Jahr 732.251 Euro

Das entspricht monatlichen Kosten von 61.021 Euro pro Bundestagsabgeordnetem bzw. monatlichen Gesamtkosten von 43.263.889 Euro alleine dafür, die 709 Abgeordneten des 19. Bundestages bei Laune zu halten.

©ScienceFiles, 2017

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