Das Problem mit der Denunziation oder: Warum Denunzianten keine Preise erhalten dürfen

Nachdem die Feierlichkeiten zu Ehren einer 15jährigen, deren Verdienst darin besteht, einen Mitschüler bei der Polizei wegen Volksverhetzung angezeigt zu haben, hoffentlich zuende sind, nachdem das limbische System in vielen Gehirnen, die obwohl Zugehörigkeit zum homo sapiens reklamierend, dennoch den Eindruck vermitteln, die Entwicklung des präfrontalen Cortex und damit des rationalen Denkens, sei bei Ihnen entweder im Anfangsstadium stecken geblieben oder in einen von Neuronen gemiedenen Hirnlappen gemündet, können wir uns nun vielleicht dem Zuwenden, was mit Denunziationen verbunden ist: Die Zerstörung des Zusammenlebens in einer Gesellschaft.

Denn mit Denunziation verbinden sich vor allem die folgenden drei Probleme:

Wenn man Hitler 1923 denunziert hat, dann konnte man damit rechnen, von Staatstreuen und Kommunisten gefeiert zu werden. Wenn man ihn 1934 denunziert hat, konnte man damit rechnen, ein Ende in einem Konzentrationslager zu finden.

Das ist eines der Probleme, die sich mit Denunziation verbinden.

Denunziation ist ein asymmetrisches Verhalten. Jemand, der das Vertrauen aufgebracht hat, sich in Gegenwart eines Anderen zu äußern, wir von diesem Anderen hinter dessen Rücken an eine Staatsmacht, die gerade das Gewaltmonopol beansprucht z.B. die Gestapo, die Polizei, die Stasi oder den NKWD verraten.

Es gibt in dem von Lawrence Rees verfassten Buch „The Nazis, A Warning from History“ eine Geschichte über eine mittlerweile betagte Frau, die im Dritten Reich eine Nachbarin bei der Gestapo denunziert hat. Rees zitiert aus den Akten: „Ilse Sonja Totzke is a resident next door to us in a garden cottage. I noticed the above-named because she is of Jewish appearance…. I should like to mention that Miss Totzke never responds to the German Greeting [Heil Hitler]. I gathered from what she was saying that her attitude was anti-German. On the contrary she always favoured France and the Jews. Among other things she told me that the German Army was not as well equipped as the French … Now and then a woman of about 36 years old comes and she is of Jewish appearance … To my mind, Miss Totzke is behaving suspiciously. I thought she might be engaged in some kind of activity which is harmful to the German Reich”.

Die Denunziantin in diesem Fall war Resi Kraus aus Würzburg. Wie man sieht, reicht ein jüdisches Aussehen, das Nichtzeigen des deutschen Grußes und der Besuch einer weiteren Person, jüdischen Aussehens, um Verdacht zu schöpfen und eine Denunziation zu begehen.

Von diesem Beispiel kommt man schnell zum nächsten Problem, das sich mit Denunziation verbindet. Denunziation ist eine Tätigkeit, bei der sich der Denunziant einen Nutzen davon verspricht, dass er den Denunzierten bei der Obrigkeit oder einer Staatssmacht anschwärzt. Der Nutzen kann einerseits in der Genugtuung bestehen, demjenigen, den man denunziert hat, geschadet zu haben oder in direkten Belohnungen, wie sie zwischen Stasi-Führungsoffizier und IMs wie z.B. Annetta Kahane vergeben wurden.

Der Erfolg der Anbiederung eines Denunzianten bei der Obrigkeit hängt natürlich vom Inhalt an, den er denunziert. D.h. man kann die Tätigkeit der Denunziation formal fassen, wie wir das gerade getan haben. Diese formale Struktur ist konstant. Sie verbindet die Denunzianten des Dritten Reiches, der Sowjetunion, der DDR mit heutigen Denunzianten. Was sich unterscheidet ist der Inhalt. Mit Anspielungen auf die Homosexualität der Nachbarin und deren „jüdischem Aussehen“ konnte man im Dritten Reich erfolgreich denunzieren. Heute muss man umgekehrt, Menschen wegen eines vermeintlichen Hasses auf Homosexuelle oder Juden und ihres vermeintlich „rechtsextremen Aussehens oder Outfits“ denunzieren. Und weil sich Inhalte ändern, kann man als Denunziant nicht sicher sein, dass das heutige Lob nicht schon morgen aus der Erinnerung der ehemaligen Opfer zu einem Tadel wird, der sich gewaschen hat. “Times – they are changing”, so hat schon Bob Dylan gewusst.

Es gäbe also ein rationales Argument, das jeden Möchtegern-Denunzianten von einer Denunziation abhalten müsste, denn man kann nicht sicher sein, das die Inhalte, mit denen man sich heute bei der Obrigkeit einschleimen kann, morgen noch gültig sind bzw. nicht morgen schon eine Wirkung in die andere Richtung entfalten. Ein Blick nach Zimbabwe, wo derzeit diejenigen, die sich bei Robert Mugabe eingeschleimt haben, zittern, sollte reichen, um jeden von einem Vorhaben der Denunziation abzubringen.

Es gibt aber einen wichtigeren und vielleicht moralisch integeren Grund, warum man seine Finger von Denunziation lassen sollte. Gesellschaften basieren auf Kooperation. Ist man z.B. als Bürger mit einem totalitären System konfrontiert, dann kann man nur dann Widerstand organisieren, wenn man denen, mit denen man gemeinsam Widerstand leisten will, trauen kann. Es ist also im Interesse einer totalitären Staatsmacht, Misstrauen unter ihren Bürgern zu säen. Die DDR hat dieses Mechanismus’ bedient und es zeitweilig geschafft, dass DDR-Bürger sich nicht vorbehaltlos begegnet sind. Man musste erst eine lange Phase der Vertrauensbildung durchlaufen, ehe offenere Gespräche möglich waren und nicht einmal dann war man vor den IMs der Stasi sicher.

Staaten, die Widerstand durch ihre Bürger vorbeugen wollen, werden darauf hinarbeiten, ihre Bevölkerung in Gruppen zu teilen, die sich gegenseitig bekämpfen, die nicht miteinander sprechen, die Gute in Böse teilen und auf der Grundlage, dass es vom Staat und den ihn tragenden Nutznießern askribierte Gute gibt, Denunziation ermutigen. Wir sehen diese Entwicklung heute in vielfältiger Weise. Gesellschaftliche Gruppen werden mit Steuergeldern die Bundesministerien in großen Beträgen ausgeben, einerseits viktimisiert, das sind die Guten, andererseits kriminalisiert, das sind die Bösen. Auf diese Weise wird nicht nur darauf hingewirkt, dass ein Riss die Gesellschaft durchzieht, der damit einhergeht, dass Bürger untereinander feindlich sind, nur deshalb, weil sie unterschiedliche politische Einstellungen haben, es soll auch verhindert werden, dass Kooperation unter Bürgern stattfindet, die sich gegen kontrollierende Maßnahmen des Staates richtet.

Da, wo Solidarität von Bürgern gegen Zwangsmaßnahmen des Staates notwendig wäre, gegen die Eingriffe in bürgerliche Freiheiten, wie sie über Bildungspläne in Schulen erfolgen, gegen Zwangsgebühren für Leistungen, die viele nicht wollen, wird diese Solidarität durch die Teilung der Bevölkerung in Gute und Böse erschwert. Und wie immer hat der Staat Helfer, die dumm genug sind, diesen Mechanismus nicht zu durchschauen, Helfer, die Zwietracht säen, die für totalitäre Systeme so wichtig ist, Helfer die Bürger aufrufen, andere zu denunzieren, die dazu aufrufen, Meinungen, die nicht in den Kanon offiziell geduldeter Meinungen fallen, zur Anzeige zu bringen, Handreichungen bereit stellen, um missliebige Bürger mundtot zu machen, beruflich zu behindern oder auf eine andere Weise zum Schweigen zu bringen und zu guter letzt Helfer, die Preise ausloben, die an Denunzianten vergeben werden.

Wer es gut findet, Denunziation zu belohnen, der muss qua definitionem Anhänger eines totalitären Systems sein. Wäre er es nicht, es würde ihn erschrecken, dass Meinungs-Konflikte zwischen Individuen, zwischen Schülern in diesem Fall, auf eine Weise bewusst eskaliert werden, die Zwietracht zwischen Individuen sät und eine wirksame Gegenwehr gegen einen Staat, der immer tiefer in die persönliche Freiheit eindringt und immer mehr Rechte von Bürgern außer Kraft setzt, erschwert.

Auch dazu haben wir eine kleine Geschichte, die uns ein Leser zugeschickt hat. Es ist seine eigene Erfahrung, die er gemacht hat, als er noch Schüler in der damals noch existenten DDR war.

“Meine Geschichte ist folgende: Meine Schwester, 9 Jahre älter als ich, ist zu Zeiten des Kalten Krieges in den Westen abgehauen. Es war das Jahr 1982. Meine Eltern waren schon immer sehr Anti-Zone, mein Vater mit Doppeldiplom als Maschinenbauingenieur sollte in die Partei eintreten, damit er “Abteilungsleiter” werden kann. Hat er abgelehnt!, und mein Bruder und ich wurden eines Tages von meinen Eltern in meinem Zimmer zur Seite genommen und meine Mutter heulend: C. ist in den Westen abgehauen. Wir waren alle verzeifelt… es war doch unsere große geliebte Schwester!

Das als kurze Vorgeschichte.

Ich war schon immer sehr opportun in der Zone, war in der Punkszene etc… 1984 wurde eine Abschlussreise für die ganze Klasse nach Ungarn geplant. Dass meine Schwester in den Westen abgehauen ist, war schon lange kein Geheimnis mehr. Jedenfalls sagte ich mal so lapidar im “Klassenverbund”: “Da kann ich mich in Budapest ja mit meiner Schwester treffen!”.

Es war einfach nur so daher gesagt. Was kam war: Eine Woche später, es war ein Wochenende, meine Eltern waren auf der “Datsche”, klingelte es an unserer Wohnungstür. Ein Typ stand da und bat um Einlass.. es ginge um eine Aussage, die ich getätigt hatte. Ich war da noch sehr naiv, 16, und mir wurde Angst und Bange. Er befragte mich, wie gesagt OHNE, DASS MEINE ELTERN DABEI WAREN!!!!, wie ich das mit meiner Schwester gemeint hatte. Ich kann das nicht mehr genau nachvollziehen, aber Fakt war, dass mich da jemand verpfiffen hat. Ich weiß heute natürlich WER es war, und es war auch ein Mädchen.

Das Ende vom Lied war, dass ich wirklich am Boden zerstört war, komplett den Glauben an meine Klassenkameraden verloren hatte. Aber ich durfte zur Klassenfahrt mit, da ich dem Stasi-Heini glaubhaft und eingeschüchtert gesagt habe, dass es nur ein “Scherz” war. Also so ganz genau habe ich das sicher nicht gesagt, ich war einfach nur baff.”

Vielleicht kommt ja so mancher, der es gewohnt ist, nur sein limbisches System zu nutzen und das Denken entsprechend zu unterlassen, aus diesem Gefühls-Ghetto heraus und in der Welt des rationalen Denkens und im präfrontalen Kortex an.

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