Ibn Rushd (Averroes): Einer der ersten Schubser/Nudger

Die Welt ist voller guter Menschen. Die guten Menschen, von denen wir sprechen, Gutmenschen, wissen immer ganz genau, was für andere gut ist. Sie haben keinen Zweifel daran, dass sie das wissen. Sie wissen, dass alle Menschen ganz alt werden wollen, gesund bleiben wollen, koste es, was es wolle, dass alle Menschen fit sein wollen, sich im Fancy-Fahrraddress lächerlich machen wollen, dass alle Menschen gleichwertig sind, der Schmarotzer so sehr wie derjenige, der ihn durchfüttert, ein Mörder so sehr wie ein Notarztwagenfahrer. Gutmenschen wissen, dass es gut ist, Organe zu spenden, gut für die, die die Spenderorgane entnehmen, sie verdienen daran. Gut für die, die die Spenderorgane transportieren. Sie verdienen daran. Gut für die, die die Spenderorgane einsetzen. Sie verdienen daran. Und gut für die, die sie erhalten, sofern ihr Körper das Spenderorgan auch annimmt.

Gutmenschen kennen keine Zweifel, und sie dulden keinen Widerspruch. Aus reiner Toleranz werden angeblich Rechte mundtot gemacht, Rauchern werden ihre Sargnägel madig gemacht, Kinderfreie müssen zusätzlich in die Pflegeversicherung berappen, weil Kinder natürlich gut sind, alle und überall, aber nicht gut genug, um selbst ihren Zuckerkonsum verantworten zu können, deshalb muss auch der Zuckerkonsum geregelt werden, wie der Arzt- und Zahnarztbesuch, der Besuch beim Einwohnermeldeamt, die Freude an Flüchtlingen und die Lust, öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu finanzieren, denn: falls Sie es nicht wissen, der öffentliche Rundfunk ist gut, hat eine Bildungsauftrag. Deshalb zahlen sie dafür, nicht wegen der Soaps…

Aber Gutmenschen haben es auch schwer. Der herkömmliche Mensch will nicht einsehen, was gut für ihn ist. Er will sein Trinken nicht auf den vorgesehenen Alkoholkonsum beschränken, nicht täglich durch die Gegend hüpfen, um fit zu bleiben, keine Organe spenden, mag keine Flüchtlinge, hat ein Herz für Tradition und Konservative, zuweilen Verständnis für Rechte, isst Marsriegel in unverantwortlicher Menge und will seit neuestem nicht einmal mehr die von „Experten“ vorgeschriebene Menge Schlaf zu sich nehmen.

Man muss Menschen zu ihrem Glück zwingen.

Deshalb haben findige Ökonomen das Nudgen erfunden, Schubsen zu Deutsch. Eine Methode, Menschen so zu manipulieren, ohne dass sie es nicht merken sollen. Zu ihrem Besten manipulieren natürlich, denn, Gutmenschen wissen, was für die anderen, also für Sie und uns gut, ja das Beste ist. Sie würden, könnten sie unser Leben leben, unser Leben natürlich besser und effizienter Leben als wir das tun. Der Kern des Nudgens besteht darin, der dummen Masse aus Trinkern, Rauchern, Nicht-Organspendern, Rechten, Schlafverweigerern und Nicht-Radfahrern die Vorteile der entsprechenden Tätigkeiten so aufzuzwingen, dass sie denken, es sei ihre Wahl gewesen.

Die formale Struktur des Nudging benötigt demnach einen Experten, der die Wahrheit weltlichen Tuns erblickt hat und nun genau weiß, was andere zu tun haben und sie benötigt eine dumme Masse, die von Experten geleitet werden will oder muss, je nach Perspektive.

Derartiges Nudging ist jedoch nicht neu.

Tatsächlich ist es uralt.

Schon Ibn Rushd, Averroes für seine europäischen Zeitgenossen bzw. Anhänger, war ein Nudger, ein Schubser. Die Welt des Ibn Rushd bestand aus drei Arten von Menschen, Mitgliedern der Masse, Theologen und Philosophen. Mitglieder der Masse, so Ibn Rushd, sind bestenfalls zu deskriptiver Einsicht fähig, wissen, wenn sie ein Pferd sehen, dass sie ein Pferd sehen, kennen, besser: erkennen jedoch nicht, was die Welt im Innersten zusammenhält und das Pferd zum Pferd macht. Derart dialektische Einsicht ist den Philosophen vorbehalten. Sie sind in der Lage, die Wahrheit des Universums anzuzapfen und sich per Konsens auf die korrekte Wahrheit festzulegen, wobei die Wahrheit für Ibn Rushd im Koran zu finden war, die Auslegung des Koran somit zur Quelle der Wahrheit wurde. Diese Wahrheit, von den Philosophen in dialektischer Einsicht erblickt, sollte von den Theologen aufgenommen und der Masse vermittelt werden. Theologen verfügen bei Ibn Rushd über rhetorische Einsicht, sie sind die Marketingabteilung der Philosophen, die der Masse die Welt erklären und sagen, was gut für sie ist.

So wie das heute Gutmenschen tun, die heute natürlich nicht mehr die Marketingabteilung der Philosophen sind. Sie sind die Marketingabteilung von Ideologen, die gerade ein Interesse daran finden, anderen den Zuckerkonsum zu vergällen oder das Rauchen abzugewöhnen, deren Freude es ist, die eigene Wahrheit dazu zu benutzen, die Mitglieder der dummen Masse zu erziehen, zu gängeln und zu malträtieren. Ideologen haben Philosophen ersetzt, Gutmenschen sind zur Marketingabteilung der Ideologen geworden, die ebenso wie letztere über keinerlei Skrupel und keinen Zweifel verfügen und genau wissen, was für die Mitglieder der dummen Masse richtig und vor allem gut ist. Also verkünden sie ihre Wahrheit, dulden keine Abweichung von der Wahrheit (wenn es doch Abweichung gibt, drohen finanzielle Sanktionen) und erwarten absoluten Gehorsam.

So war dies auch zu Ibn Ruschds Zeiten. Abweichung von der damaligen Heilslehre, die es u.a. in der muslimischen und christlichen Variante gab, wurden als Häresie angesehen und bestraft, so wie heute Kritik und Abweichung bestraft wird. Damals, das war im 12. Jahrhundert. Man sieht, 800 Jahre haben nicht wirklich etwas verändert…

Und warum sollte es? Menschliche Gesellschaften haben immer Trittbrettfahrer hervorgebracht, solche, die auf Kosten von anderen leben wollen. Es entspricht einfach der menschlichen Natur, genauer: der Trägheit von Menschen, die lieber andere machen lassen als selbst zu tun, die lieber anderen sagen, was gut für sie ist als selbst die eigene bittere Pille zu schlucken.

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