„Terroranschlag in Mannheim“ – Ein Terrorakt in fünf Aufzügen
Eine Geschichte um Angst, Voyeurismus und Selbstgerechtigkeit
Prelude „Niemand hätte im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert geglaubt, dass das Treiben auf der Erde scharf und genau von Wesen beobachtet wurde, die intelligenter waren als die Menschen und doch nicht minder sterblich; dass die Menschen bei allem, was sie so emsig betrieben, akribisch überwacht und erforscht wurden, vielleicht fast genauso akribisch, wie ein Mensch mit einem Mikroskop die kurzlebigen Kreaturen erforscht, die in einem Tropfen Wasser wimmeln und sich mehren.“
[Original]“No one would have believed in the last years of the nineteenth century that this world was being watch keenly and closely by intelligences greater than man’s and yet as mortal as his own; that as men busied themselves about their various concerns they were scrutinised and studied, perhaps almost as narrowly as a man with a microscope might scrutinise the transient creatures that swarm and multiply in a drop of water.”
Akt I: Die Tat
Hardy Prothmann vom Rhein-Neckar-Blog hat sich inspirieren lassen. Von Orson Welles. Welles hatte sich für Halloween 1938 etwas ganz Besonderes ausgedacht: Eine Hörspielversion von H.G. Wells‘ „War of the World“. Das Hörspiel war so erfolgreich und realistisch, dass es panische Reaktionen unter vielen Hörern zur Folge hatte, die der Meinung waren, die USA seien im Begriff, von Aliens angegriffen zu werden.
Prothmann hat sich diese Aktion zum Vorbild genommen und sein eigenes „Hörspiel“ erfunden.
Nun leben wir im Zeitalter des Internet. Deshalb hat Prothmann nicht das Columbia Broadcast Network genutzt, sondern Facebook, eine andere US-amerikanische Errungenschaft.
In Mannheim (also in MANNHEIM), so behauptet Prothmann gleich in seinem Aufmacher, habe sich gerade der größte Terroranschlag ereignet, den Westeuropa bis dato gesehen habe: 136 Tote, 237 Verletzte, 50 Angreifer, 25 Angriffsorte, ein „Blutbad apokalyptischen Ausmaßes“, die höchste Terrorwarnstufe, Antiterroreinheiten der Bundeswehr auf dem Weg nach Mannheim, Nachrichtensperre. Dennoch berichtet Prothmann als Augenzeuge: „Überall in den Straßen liegen leblose Körper auf dem Boden. In der Luft liegt der Geruch von Blut. Verletzte schreien oder betteln um Hilfe. Menschen rennen ziellos umher … Andere haben sich in Läden verbarrikadiert“. 30 erschossene Angreifer, 20 auf der Flucht, Verkehrschaos rund um Mannheim: „Menschen versuchen, die Stadt zu verlassen“. Die Polizei dementiert den Bericht des Rhein-Neckar-Blogs, woran man sehen könne, so Prothmann, dass die Nachrichtensperre durchgesetzt werden solle: „Soziale Netzwerke werden gezielt blockiert, und Postings werden gelöscht, User gesperrt“.
Pandemonium. Dick aufgetragen. Völlig unglaubwürdig, aber:
Akt II: Die Wirkung
Es wird geglaubt.
Internetnutzer klicken den Server, auf dem das Rhein-Neckar-Blog gehostet wird, in die Knie. Das Wort „Terroranschlag“ übt eine magische Anziehungskraft aus. Dabeisein ist alles, wenn Terroranschläge gerade live und in Farbe zu sehen sind. Öffentlich-Rechtliche beeilen sich gewöhnlich, Live Feeds einzurichten, um das Terrortainment auch vollständig und in Echtzeit an die Schaulustigen in der ersten Reihe zu bringen. Man muss ihn fühlen, den Thrill des Terroranschlages, das Entertainment, das mit dem Wissen verbunden ist, dass Geiselnehmer gerade jetzt Geiseln genommen haben, Kleintransporterfahrer erst vor kurzem durch Fußgängerzonen gefahren sind, ihre Spur der Verwüstung frisch und noch zu sehen ist.
Akt III: Die Nachwirkung
Die Geschichte von Prodtmann ist doch zu wild, als dass sie für viel länger als kurz Bestand haben kann. Selbst unter denen, die nie mehr als die Überschrift durchlesen, macht sich die Kunde breit, dass es sich um einen Hoax handelt. Eine Information, die sie sich selbst und schnell hätten verschaffen können, wenn sie den Text zur Überschrift gelesen hätten. Aber das haben sie nicht, wie Prodtmann weiß: Zum Lesen muss man sich registrieren. Die Anzahl der Erregten ist aber viel größer als die Anzahl der Registrierten. Und nun bricht der Shitstorm über den armen Hardy herein: „Wir wurden von hunderten von Kommentatoren massivst beleidigt und Hardy Prothmann mehrfach als ‚Missgeburt‘, ‚Spast‘ usw. bezeichnet. Gleichzeitig wurden Drogen- und Alkoholprobleme unterstellt und Fragen zur psychischen Verfassung aufgeworfen“.
In Deutschland ist es nicht gut angesehen, wenn man Menschen zu Opfern ihrer eigenen Vorurteile bloßstellt…
Akt IV: The Curate: Das Auftauchen der Selbstgerechten
„’It is just, O God’, he would say, over and over again. ‘It’s just. On me and mine be the punishment laid. We have sinned, we have fallen short. There was poverty, sorrow; the poor were trodden in the dust, and I held my peace. I preached acceptable folly – my God, what folly! – when I should have stood up, though I died for it, and called upon them to repent – repent!” (HG Wells, War of the Worlds).
Der Curate fragt sich, in wie weit er Mitschuld an den Ereignissen, also der Invasion der Aliens trägt. Er fragt sich das, im Rahmen seines Glaubens.
Fragen und Selbstzweifel, am Ende noch die Frage, ob man für was auch immer Verantwortung mittragen könnte, solche Fragen und Selbstzweifel kennen die Selbstgerechten, die nun aus ihren öffentlich-rechtlichen Löchern kommen, nicht. Sie wissen. Sie wissen, dass sie die überlegene Lebensform sind, der es zusteht, andere zu bewerten und die selbst über jede Bewertung erhaben ist:
Harold Garfinkel hat mit der Ethnomethodologie eine Sparte der Soziologie begründet, die zu den gefährlichsten Sparten der Soziologie gehört. Warum gefährlich? Weil man mit ethnomethodologischen Forschungen Dinge herausfinden kann, die ganz und gar nicht mainstream sind, die auf wenig Gegenliebe stoßen und die man nicht nutzen kann, um sich bei Ministerien anzudienen. Alles Gründe, warum man schöne Methoden, wie die Erschütterungsexperimente in den deutschen Sozialwissenschaften heute umsonst sucht.
Man findet sie in Blogs. Hier oder (wahrscheinlich unabsichtlich) bei Hardy Prothmann.
Zunächst zu Harold Garfinkel. Wir zitieren:
„The victim waved his hand cheerily (S) ‘How are you?’ (E) ‘How am I in regard to what? My health, my finances, my school work, my peace of mind, my …?’ (S) (Red in the face and suddenly out of control) ‘Look! I was just trying to be polite. Frankly , I don’t give a damn how you are’” (Garfinkel 1996: 44).
Minimales Lernziel: Enttäuschte kulturelle Erwartungen führen zu heftigen Reaktionen.
Als Ergebnis dieser öffentlichen Aufmerksamkeit, die Terroranschlägen gewidmet wird, die es gar nicht gibt, gibt es mindestens drei Gruppen in der Bevölkerung: die Ängstlichen, die blutgierigen Voyeure und die Angewiderten. Letztere brauchen wir hier nicht weiter zu berücksichtigen, denn ihnen ist Terrortainment zuwider. Deshalb werden sie, wenn sie vom Rhein-Neckar-Hoax erfahren, bestenfalls mit den Schultern zucken.
Die Ängstlichen sind das Ergebnis der Hysterie, die durch Terrortainment geschürt wird. In der Kriminologie ist seit langem bekannt, dass vor allem diejenigen, die die geringste Wahrscheinlichkeit haben, Opfer einer Straftat zu werden, Angst davor haben, Opfer einer Straftat zu werden. Kriminalitätsfurcht ist ein seltsames und nur mit großer Vorsicht zu behandelndes Phänomen. Wenn es aber um Terrorismus geht, dann geht die Geilheit mit den Medienmachern durch, dann verlässt sie jede Vor- und Einsicht und sie schüren mit großen Haken die Furcht vor Terror in Deutschland.
Damit sind wir bei den blutgierigen Voyeuren, denen, die ihr Voyeurismus auf Worte wie „Terroranschlag“ reagieren lässt. Das Blut und die Blutspur, sie sind nur einen Mouseclick away. Dabeisein ist alles. Echte Splatters sind besser als solche aus der Konserve, bei denen man weiß, Opfer sind nicht tot und Blut ist nicht echt. Im Terrortainment ist das anders. Deshalb ist der Anteil der Voyeure hier hoch.
Mit seinem Hoax hat Prothmann also vornehmlich zwei Gruppen von Menschen angesprochen: ängstliche Menschen und Voyeure Beide sind einer emotionalen Kondition auf den Leim gegangen, die sie auszeichnet. Erstere haben mit Angst reagiert und später erfahren, dass sie sich umsonst als die Ängstlichen geoutet haben, die sie nun einmal sind. Letztere haben ihren Voyeurismus befriedigen wollen und recht bald gemerkt, dass es nichts gibt, das sie befriedigen kann.
Wie das Opfer bei Garfinkel, sind beide Gruppen ihren eigenen Erwartungen, ihren Vorurteilen, die sie an die Welt herantragen, aufgesessen, und wie das Opfer bei Garfinkel reagieren sie heftig darauf, bloßgestellt und enttäuscht worden zu sein. Hardy Prothmann kann nun ein Lied davon singen.
Die Reaktionen waren indes vorhersehbar. Ein wenig soziologische Grundbildung und soziale Reaktionen sind vorhersehbar, vor allem, wenn es um Themen geht, die unter dem Ladentisch der öffentlich-rechtlichen Aufmerksamkeit gehandelt werden. Und die Frage, ob es eine tatsächliche Terrorgefahr in way out places wie Mannheim gibt, sie ist eine solche Frage, die nicht berührt wird, mit der „die Menschen“ alleine gelassen werden.
Insofern es Prothmanns Ziel war, eine Diskussion in dieser Richtung anzustoßen, ist dies ein edles Ziel, wenngleich ein unrealistisches Ziel, denn sein Mittel ist dazu nicht geeignet. Mit einem Hoax wie seinem, kann man Ängstliche und Voyeure gegen sich aufbringen und man kann den öffentlich-rechtlichen Saubermännern eine Gelegenheit geben, sich in ihrer Selbstgerechtigkeit zu sonnen. Mehr nicht.
Darüber, dass der Hoax gezeigt hat, dass es viele Menschen in Deutschland gibt, die einen Terroranschlag selbst in Mannheim für möglich halten und darüber, wie man das erklären und was man dagegen tun kann, diskutiert niemand und wird auch keiner der öffentlich-rechtlichen Medienmacher diskutieren. Dazu haben sie zu wenig Rückgrat.
Er habe auch, so Prothmann, ein Bewusstsein dafür wecken wollen, dass viele Texte liken, die sie gar nicht gelesen haben. Es ist ihm sicher gelungen zu zeigen, dass das der Fall ist. Ob er deshalb ein Bewusstsein geweckt hat oder gar verändert hat? Wir bezweifeln das. Die Theorie der kognitiven Dissonanz, die Leon Festinger schon Anfang der 1950er Jahre veröffentlicht hat, sie spricht dagegen: Wenn ein enttäuschter Voyeur seine Enttäuschung verarbeitet, dann führt er diese in der Regel nicht darauf zurück, dass ihn sein Eifer in die Irre geführt hat und er es versäumt hat, sich zu informieren, sondern darauf, dass er von fiesen Menschen, von einem „Spast“ getäuscht wurde: … Shitstorm.
Das alles gesagt ist Hardy Prothmann eher jemand, der als Journalist durchgeht als die öffentlich-rechtlichen Duckmäuser, die nun über ihn herfallen, jene Duckmäuser, die mehrere 100 Jahre nach der Aufklärung behaupten, Frauen würden beim Verdienst benachteiligt, jene Duckmäuser, die Journalismus für eine Andienfunktion bei politischen Positionsinhabern halten und deren ständige Selbstinszenierung in vermeintlicher Gut- und Überlegenheit so schal geworden ist, dass sich nicht einmal Maden, von denen bekannt ist, dass sich alle Leichen gleichbehandeln, noch dafür interessieren.
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Bliebe noch nachzutragen: “Staatsanwaltschaft prüft Anfangsverdacht gegen “Rheinneckarblog” (Augsburger Allgemeine 26.3.2018 14:19 Uhr, Ursprungsquelle: dpa)
Orson Welles hatte Glück. Heute würde er wegen des “Krieg der Welten”-Hörspiels im Gefängnis landen!
BTW: Ich denke es sind wohl Geiselnehmer und Geiseln gemeint, Geißeln sind eine Form von Peitschen!
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Eine solche Projektion wird geheimdienstlich orchestriert….alles klar??
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Bliebe noch nachzutragen: “Staatsanwaltschaft prüft Anfangsverdacht gegen “Rheinneckarblog” (Augsburger Allgemeine 26.3.2018 14:19 Uhr, Ursprungsquelle: dpa)
Orson Welles hatte Glück. Heute würde er wegen des “Krieg der Welten”-Hörspiels im Gefängnis landen!
BTW: Ich denke es sind wohl Geiselnehmer und Geiseln gemeint, Geißeln sind eine Form von Peitschen!
Nun ich gehöre zu den “Angewiderten”, Fakt ist höre ich von wo auch immer was über Terror, höre ich auch gleich weg. Aber klar ist schon ein Terrorangriff kann überall erfolgen, ist ja gerade der Sinn von Terror ein permanente Unsicherheit zu erzeugen. Und ja die Unsicherheit wird natürlich instrumentiert um sich für die an Macht interessierten noch ein größeres Stück von Macht zu sichern. Man muß ja auch Bedenken selbst der Gesetzgeber trägt zur Unsicherheit massivst bei: https://www.bundestag.de/blob/196202/ee30d500ea94ebf8146d0ed7b12a8972/kapitel_10_01_statistik_zur_gesetzgebung-data.pdf oder https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2013/46598866_kw37_statistik/213446
Diese Ungewissheit verunsichert und macht es allen Rattenfängern leichter….