Kulturkampf: Anton Hofreiter rottet Insekten aus

Was uns an Politikern häufig regelrecht den Atem nimmt, ist die Sicherheit, mit der sie über Dinge schwadronieren, von denen sie keinerlei Ahnung haben. Sie klären ihre Zuhörer über ökonomische Zusammenhänge auf, kennen alle Motive, die menschliches Leben in Handlungen zum Ausdruck bringen kann, wissen immer genau was richtig ist und haben ihre grenzenlosen und zweifelsfreien Wissensbestände häufig ohne jede Form der entsprechenden Ausbildung erworben. Viele Politiker sind eben wahre Monster des Wissens, der Kompetenz und der kognitiven Einsicht. Da fragt man sich nur, warum sie ihre vielen Kompetenzen und Kenntnisse als Politiker verschwenden, wo sie doch in jedem beliebigen Bereich, den sie sich wählen, ein Vermögen nach dem nächsten aufgrund ihrer guten Ideen anhäufen können?

Vielleicht bilden sich viel, die meisten, alle [Unzutreffendes streichen]Politiker ja nur ein, sie wüssten etwas, tatsächlich wissen sie aber gar nichts. Vielleicht sind viele, die meisten, alle [Unzutreffendes streichen] Politiker einfach nur Spruchbeutel, die ihre Zuhörer für dumm halten und denken, sie kämen mit jedem Unsinn, den sie von sich geben, durch.

Szenenwechsel.

Ein Leser, der sich große Verdienste in der Erforschung lokaler Artenvielfalt erworben hat, besonders um Bachläufe herum, hat einem Vortrag von Anton Hofreiter, seines Zeichens grüner Bundestagsabgeordneter, gelauscht, einem Vortrag über Artenvielfalt und Insektensterben, in dessen Verlauf Hofreiter verkündet hat, dass die Insekten zu 75% gestorben sind. 75%, weder mehr noch weniger.

Unser Leser hat dies zum Anlass genommen, die folgende Frage zu stellen:

“Sie haben hier vom Insektensterben in Höhe von 75 % in den letzten Jahren gesprochen. Ich nehme mal an, dass es sich um die Studie von Hallmann handelt. Diese vergleicht die Werte von 1989 und 2016. Kritiker stellen fest, dass das Sterben im Vergleich zu 2014 nur rund 23% bedeutet hätte. Demnach müsste der größte Teil des Sterbens in den zwei Jahren danach stattgefunden haben. Wo sehen Sie die Ursache?”

Unser Leser berichtet weiter:

„Es folgten drei andere Fragen. Danach übertrug der Moderator ihm das Wort. Herr Hofreiter sagte gleich, dass er meine Frage zuerst beantworten wolle. In einem relativ strengen Tonfall belehrte er mich, dass so ein Sterben in Wellenform stattfinde und man durch solche Kurven einen Mittelwert ziehen müsse. 2014 wäre eben ein besonders gutes Jahr für Insekten gewesen, deshalb fiele das Ergebnis deutlich niedriger aus, der Mittelwert sei dann aber besagte 75 %.“

Es kommt eben nicht zusammen, was nicht zusammengehört.
Hofreiter und der Mittelwert sind inkommensurabel. Nichts vermittelt zwischen der Kenntnis, die ein ordinärer Mittelwert von seinem Nutzer erwartet und den Kenntnissen, die Hofreiter hier Andere belehrend, von sich zu geben können glaubt.

Die Rechnung von Hofreiter basiert auf den folgenden Bekannten:

  • Wir haben die Jahre von 1989 bis 2016.
  • Im Vergleich der Jahre 1989 und 2014 sind 23% weniger Insekten gefunden worden.

Das hat unser Leser vorgegeben, und Hofreiter hat es akzeptiert, wie seine Antwort zeigt.
Hofreiter ergänzt:

  • Insektensterben verläuft wellenförmig.
  • 23% stünden eben für ein gutes Jahr.
  • Der Mittelwert über die Jahre betrachtet sei aber 75%.

Wir haben auf Grundlage dieser Informationen einmal berechnet, wie das vermeintliche Insektensterben von 1989 bis 2016 jährlich ausgefallen sein müsste, um (1) wellenförmig zu verlaufen, (2) 2014 den Wert 23% anzunehmen und (3) insgesamt einen Mittelwert von 75% aufzuweisen.

Die Rechnung findet sich in der folgenden Tabelle.

Im ersten Beispiel nehmen wir eine Welle mit den Amplituden von 23% und 85% an. Problem: Der Mittelwert beträgt nur 53,64% bleibt damit deutlich unter 75%. Also haben wir die Verteilung gestaucht: 33% und 65% sind es nun, zwischen denen das Insektensterben oszilliert. Der Mittelwert ist noch geringer, beträgt nur 49%. Die Wellenbewegung zwischen 90% und 45% erbringt, wie man in Spalte fünf sehen kann, einen Wert, der schon nahe an die 75% herankommt, aber immer noch hinter dem Ziel zurückbleibt. Nicht einmal Werte von 95% und 55% reichen aus, um den Wert, den Hofreiter als Mittelwert verkaufen will, zu erreichen.

Nun verbindet sich, wie die folgende Abbildung zeigt, mit dem Ganzen ein kleines Problem, denn in allen Fällen, in denen wir versucht haben, den Hofreiterschen Mittelwert zu erreichen, haben wir nach nur wenigen Jahren, die komplette Insektenpopulation ausgerottet. In der Regel dauert es nur sechs Jahre, ehe, nach der Hofreiterschen Logik, keine Insekten mehr vorhanden sind. Nachdem wir uns draußen vergewissert haben, dass es noch Insekten gibt, müssen wir somit feststellen, dass Hofreiter offensichtlich Unsinn erzählt.

Aber vielleicht tun wir ihm Unrecht und er denkt, das Insektensterben habe seit den 23%, von denen unser Leser berichtet, also seit 2014 so viel Fahrt aufgenommen, dass mittlerweile im Mittel 75% der Insekten ausgestorben sind. Dummerweise, so zeigt die letzte Spalte der Tabelle, wird auch so kein statistischer Schuh daraus. Damit wir 75% der Insektenpopulation im Durchschnitt der Jahre 1989 bis 2016 verschwinden lassen können, müssen wir die Insektenpopulation im Jahre 2015 statistisch 4,5 Mal ausrotten und im Jahr darauf gleich – for good measure – noch einmal 10 Mal.

Es führt kein Weg daran vorbei.

Hofreiter hat Unsinn erzählt, großen Unsinn. Er hat dies nach dem Bericht unseres Lesers in einem belehrenden Ton getan, was vermuten lässt, dass er geglaubt hat, was er erzählt hat.

Was ist nun schlimmer: Ein Politiker, der den Unsinn glaubt, den er verbreitet oder ein Politiker, der weiß, dass er nichts weiß, aber denkt, dass er nichts weiß, weiß außer ihm niemand, weshalb er versuchen kann, sein Nichtwissen Dritten als Kenntnis zu verkaufen und diese Dritten auch noch zu belehren?

Die Studie, auf die sich Hofreiter bezieht, haben wir hier besprochen.


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