Fake Journalismus zu “Fake Science”: Fake News-Märchenstunde bei der ARD

Nicht auf dem Kinderkanal – bei der Tagesschau findet sich das folgende Märchen:

Es war einmal eine wissenschaftliche Wahrheit. Die war schüchtern, aber stolz. Sie war so schüchtern, dass sie sich nur in Teilen zu erkennen geben wollte. Und nur ausgewählten Priestern der Wahrheit wollte sie sich zu erkennen geben. Nun begab es sich aber, dass sehr viel über die wissenschaftliche Wahrheit spekuliert und vor allem: geschrieben wurde. Zu viel für die eitle Wissenschaft, die nur autorisierte und wahre Aspekte ihrer Wahrheit preisgeben wollte. Also wandte sich die wissenschaftliche Wahrheit an rechtschaffene Männer, die in rechtschaffenen Verlagen nur rechtschaffene Schriften herausgaben und gab ihnen auf, mit einem Peer Review Prozess dafür zu sorgen, dass nur die korrekten Teile der wissenschaftlichen Wahrheit ans Tageslicht der Öffentlichkeit gelangen.

Soweit das Vormärchen.

Weiter bei der Tagesschau:

Gretel und Seppl, nein, Svea Eckert und Peter Hornung vom NDR haben den Räuber Hotzenplotz gefunden. Der Räuber Hotzenplotz betreibt mindestens fünf Verlage und veröffentlicht dort wissenschaftliche Artikel, die gar nicht Peer reviewed sind. Das behaupten zumindest, Gretel und Seppl, sorry: Eckert und Hornung. Auf ihren Recherchen sind sie auf „400.000 Forscherinnen und Forscher“ getroffen, darunter „mehr als 5.000 Forscherinnen und Forscher deutscher Hochschulen“ (also z.B. 399.999), die in den „wertlosen Online-Fachzeitschriften scheinwissenschaftlicher Verlage“, wo „jeder veröffentlichen“ kann, „was er will“, genau das getan haben, veröffentlicht, was sie wollen, Un-Peer-Reviewed.

So jedenfalls die Behauptung von Eckert und Hornung vom NDR, die viel heiße Luft verbreiten, aber wenig Konkretes. Verlage in Südasien, der Golfregion, in Afrika oder der Türkei würden harmlose, gutgläubige und wahrheitsfürchtige deutsche Wissenschaftler dazu bringen, bei ihnen zu veröffentlichen, mit dem Versprechen, die Veröffentlichung sei Peer reviewed, was sie jedoch nicht ist, wie Eckert und Hornung behaupten, ohne Beleg und lediglich mit dem Verweis auf OMICS ein Unternehmen, dem die Federal Trade Commission der USA vorwirft, Wissenschaftler mit der Behauptung, ihre Beiträge würden vor der Veröffentlichung Peer reviewed, in die Irre zu führen, da die Review nie erfolge. OMICS bestreitet diese Vorwürfe.

Das hindert Eckert und Hornung nicht daran, ihre Geschichte weiter zu spinnen und darauf hinzuweisen, dass vor allem Klimaskeptiker und deutsche Pharmafirmen sich der „scheinwissenschaftlichen Verlage“ bedienten. Die Erzählung aus 1001 Phantasie, 2002 Boshaftigkeit und 3003 Naivität, endet mit dem üblichen zu-Wort-Kommen deutscher Wissenschaftler, die einmal mehr versuchen, einer Qualle Konkurrenz in Rückgrat zu machen. Man habe nicht gewusst, wo man veröffentliche, sagt einer von ihnen.

Genug der Märchen.

Fassen wir die wesentlichen Punkte zusammen, die Eckert und Hornung ihren Lesern weismachen wollen:

  • Es gibt Forscher, die in Zeitschriften veröffentlichen, die nicht Peer reviewed sind.
  • Nur Peer reviewed Zeitschriften beinhalten wissenschaftliche Texte von Qualität alle anderen Zeitschriften sind “scheinwissenschaftlich”.
  • Die Peer Review ist ein Prozess, in dessen Verlauf, wie Eckert und Hornung schreiben, ein Beitrag, der zur Veröffentlichung eingereicht wurde, auf Wissenschaftlichkeit geprüft wird. „Sind die Erkenntnisse neu? Ist die Forschungsfrage und die Methodik passend? Sind die Ergebnisse reproduzierbar?”

[“Haben Eckert und Hornung den Arsch offen?”]

Sorry, das war ein O-Ton aus der Redaktion, der hier eigentlich nicht hätte veröffentlicht werden sollen, schließlich sind unsere Texte Peer reviewed.
Ist der Beitrag von Eckert und Hornung eigentlich Peer reviewed oder kann bei der Tagesschau jeder schreiben, was er will, ohne dass die Qualität dessen, was geschrieben wurde, geprüft wird oder gar die Folgen?

Die haben nicht alle Tassen im Schrank ist übrigens eine der Meinungen aus der Redaktion, die man eher hätte veröffentlichen können. Auch „Die haben von Wissenschaft keine Ahnung“ wäre eine sozial verträglichere Formulierung gewesen als „Die haben den Arsch offen“. Zum Glück sind wir Peer reviewed und können diesen Lapsus hiermit beseitigen, vergessen Sie also, dass Sie es gelesen haben.

Aber fest steht: Eckert und Hornung haben keine Annung von der Welt wissenschaftlicher Peer Review, über die sie hier schreiben und den Stab brechen wollen. Sie wissen nicht, dass es in der Wissenschaft seit Jahren eine Diskussion darüber gibt, ob es noch sinnvoll ist, Peer Reviews durchzuführen, geschweige denn, ob es jemals sinnvoll war.

Warum?

Der Prozess ist lange, eingereichte Beiträge warten oft Jahre auf eine Veröffentlichung und sind, wenn sie dann veröffentlicht werden, regelmäßig veraltet oder von der Entwicklung überholt.

Diejenigen, die Peer Reviews durchführen, sind oftmals nicht qualifiziert, um das, was andere geforscht haben, tatsächlich beurteilen zu können, oder sie sind nicht motiviert genug, um das, was andere geschrieben haben, komplett zu lesen und nachzuvollziehen. Als Konsequenz erhalten die Autoren von Beiträgen oft hanebüchene oder an Allgemeinheit und Nutzlosigkeit kaum zu überbietende Hinweise zu ihren Beiträgen oder – wenn eine Feministin als Peer reviewed – häufig den Hinweis, dass ihr die Ergebnisse nicht gefallen haben. Das Problem der Eignung derer, die Peer Reviews erstellen sollen, ist deshalb ein heiß diskutiertes Problem. Aber das wissen Eckert und Hornung natürlich nicht. Einer der großen alten Männer der Sozialpsychologie, Thomas F. Pettigrew, dessen Kompetenz niemand in Frage stellen wird, hat schon vor Jahren aufgehört, in Peer reviewed Zeitschriften zu veröffentlichen. Die Gründe haben wir gerade dargelegt.

Peer Reviews haben mitnichten zur Folge, dass die veröffentlichten Texte wissenschaftlichen Qualitätskriterien der Validität und der Reliabilität genügen. (Übrigens prüft kein Peer die „Reproduzierbarkeit der Ergebnisse“ im Peer Review Prozess, wie die ahnungslosen Eckert und Hornung behaupten. Dazu benötigte man die Rohdaten und müsste die Vorgehensweise replizieren, was den sowieso schon langsamen Review-Prozess auf Jahre zum Stillstand brächte). Die beiden Beispiele dafür sind die Arbeit von Alain Sokal und von Peter Boghossian und James A. Lindsay. Sokal hat 1996 einen Beitrag mit dem Titel „Transgressing the Boundaries: Toward a Transformative Hermeneutics of Quantum Gravity” in der Zeitschrift “Social Text” veröffentlicht. Der Text besteht aus einer Ansammlung von Zitaten bekannter französischer und amerikanischer angeblicher Philosophen der Postmoderne. Sokal hat den “Glue” geliefert, der die Zitate in all ihrer Absurdität und Falschheit aneinanderreiht. Der Text ist ein Scherz, der keinerlei Sinn transportiert, im Gegenteil, widerspricht das, was Sokal schreibt, einer Vielzahl etablierten Erkenntnisse. Der Text wurde dennoch veröffentlicht. Nach einer Peer Review.

Ein anderes Beispiel ist der konzeptionelle Penis, den Peter Boghossian und James A. Lindsay erfunden haben. Sie zeigen in einer Studie, dass Penisse nicht existieren, dass sie ein inkohärentes Konstrukt sind. Der Text wurde in „Cogent Social Science“ veröffentlicht, einer Zeitschrift, die damit wirbt, „fully peer reviewed“ zu sein.

Nur Ahnungslose, Obrigkeitsgläubige oder Bürokraten können der Ansicht sein, in Peer reviewed Zeitschriften fänden sich wissenschaftliche Texte mit Gütesiegel und Haltbarkeitsgarantie.


Aber weiter im Text:


Wir haben auf ScienceFiles unzählige wissenschaftliche Beiträge aus Peer reviewed Zeitschriften besprochen und als Junk Science entlarvt.


Das Blog „Retraction Watch“ sammelt seit Jahren die Beiträge, die aus „Peer reviewed Zeitschriften“ zurückgezogen werden, weil sich die Daten als falsch erwiesen haben, der Text Fehler enthält, die Autoren sich einen Besseren besonnen haben oder der Verlag kein Peer Review Verfahren durchgeführt hat, sondern ein „Fake Peer Review Verfahren“. Springer hat gerade 107 Beiträge aus der Zeitschrift „Tumor Biology“ zurückgezogen, weil die Peer Review, die angeblich durchgeführt worden sein soll, nie durchgeführt wurde.

Der Jahresrücklick für 2017 aus Peer reviewed Zeitschriften zurückgezogener Texte, den Retraction Watch regelmäßig erstellt, kann übrigens hier gefunden werden.

Eine Suche in der Datenbank von Retraction Watch, die Artikel zum Gegenstand hat, die Springer allein 2017 zurückgezogen hat, erbringt 237 Artikel.

Im selben Zeitraum hat Sage 33 Artikel zurückgezogen.

Wie man auf die Idee kommen kann, eine Peer Review würde sicherstellen, dass veröffentlichte Texte seltener Junk sind als Text, die den Prozess der Peer Review nicht durchlaufen haben, ist uns nur dann nachvollziehbar, wenn wir den beiden Ahnungslosen vom NDR zugute halten, dass sie a) nicht von einem Verlag, der ein Interesse daran hat, andere Verlage in einem schlechteren Licht erscheinen zu lassen, als man selbst sich gerade in einem findet, für ihre Recherche bezahlt wurden und dass sie b) eine autoritäre Sehnsucht nach einem Stempel auf einem wissenschaftlichen Text haben, der ein für alle Mal garantiert, dass die Erkenntnisse, von denen im Text berichtet wird, korrekt und allzeit gültig sind, so dass sie auch ein Journalist, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, in die Welt posaunen kann.

Aber so funktioniert die Wissenschaft nicht.

Die Grundlage von Wissenschaft ist die Urteilsfähigkeit, die Fähigkeit eines Wissenschaftlers, sich zu einem Thema ein Urteil zu bilden.

Wissenschaft ist ein kumulativer Prozess, der davon lebt, dass über Ergebnisse und angebliche Erkenntnisse gestritten wird, dass diskutiert, hinterfragt, geprüft und im Ende: Verbessert wird. Deshalb ist es schlicht egal, wo ein Text veröffentlicht wurde, ob er und wenn ja, in welcher Zeitschrift ein Text veröffentlicht wurde, ob er Peer reviewed wurde oder nicht. Man bildet sich als Wissenschaftler ein Urteil über den Inhalt eines Beitrags, nicht über den Erscheinungsort. Wären Eckert und Hornung nicht so endlos weit von der Wissenschaft entfernt, sie wüssten das.

Sie wüssten dann auch, dass Herausgeber einen Peer Review Prozess nutzen können, um sicherzustellen, dass keine Texte veröffentlicht werden, die dem, was sie für richtig halten, widersprechen. Soll ein Text veröffentlicht werden, dann schickt man ihn an Reviewer, von denen man weiß, dass sie das Thema mögen und jeden Junk, der sich damit beschäftigt, veröffentlicht sehen wollen. Will man verhindern, dass ein Text veröffentlicht wird, dann schickt man z.B. einen Text, in dem quantitative Daten verarbeitet werden, an einen eingeschworenen qualitativen Fetischisten, der sowieso der Ansicht ist, man könne die Komplexität der Wirklichkeit nur 1:1 und im tiefenpsychologischen Gespräch erfassen.

Und nach all dem, was wir hier zusammengetragen haben und dabei haben wir das Problem der vielen Texte, die in Peer Review Zeitschriften veröffentlicht, aber von Computer-Software zusammengeschnippelt wurden, gar noch nicht angeschnitten, kann man Eckert und Hornungs Beitrag nur als Fake News und Fake Journalismus einordnen und sich fragen, was dahinter steht.

  • Naivität?
  • Ahnungslosigkeit?
  • Unkenntnis?
  • Boshaftigkeit?
  • Oder ist die fehlende Peer Review bei der Tagesschau im Allgemeinen und beim NDR im Besonderen die Ursache dafür, dass derartige Fake News verbreitet wird?

Fake News mit Konsequenzen übrigens:
Nehmen wir die Forderung, wissenschaftliche Texte müssten einen Prozess der Peer Review durchlaufen, damit sie als solche anerkannt werden können, einmal ernst.

Das bedeutet, dass die Bundesministerien alle Gutachten und sonstigen Beiträge, die sie als wissenschaftlich verkaufen wollen, einstampfen müssen, weil sie nicht Peer reviewed sind.

Das bedeutet, dass die Tagesschau nicht mehr voller Euphorie das aufnehmen kann, was ihr oftmals ideologisch so gut in den Kram passt, die angeblichen Studien zum Rassismus, Antisemitismus, zu Bildung und Armut, wie sie von Bertelsmann-Stiftung, Amadeu-Antonio-Stiftung, universitären Anhängseln, institutionalisierten Wissenschaftlern, die sich als Legitimationsbeschaffer für Ministerien verdingen, von dubiosen Institutionen wie dem Institute for Strategic Dialogue en masse verbreitet werden. Nichts davon ist Peer reviewed. Nichts davon par ordre du mufti Wissenschaft.

Aber vielleicht ist es genau das, was Eckert und Hornung vorschwebt, ein staatliches Siegel, eine ISO 9877126, das für die Texte vergeben wird, die staatsdienlich sind und deshalb als wissenschaftlich verkauft werden sollen. Dann hätten sie das Problem, sich ein Urteil bilden zu müssen, wo ihnen die Kompetenz, sich ein Urteil zu bilden, fehlt, ein für alle Mal und auf eine Weise gelöst, die ihnen scheinbar nahe ist. durch Gehorsam und Obrigkeitshörigkeit.

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