Brexit: The Untold Story – jedenfalls in Deutschen Medien

Wer hat noch Überblick darüber, was in Sachen Brexit Sache ist?

Sache ist: Am Freitag, den 29. März um 23.00 Uhr GMT wird das Vereinigte Königreich die Europäische Union, das europäische Freundeshaus, verlassen und für u.a. Verbraucher billigere Ufer bereitstellen.

Bislang sieht es nach einem Hard Brexit aus.

Denn, am 20. Dezember 2017 hat das Unterhaus dem Amendment 381 vom David Davies, damals noch EU-Minister, zugestimmt mit 328 zu 297 Stimmen, das da lautet:

Secretary David Davis
381
Clause  14,  page  10,  line  25,  leave out from “means” to “(and” in line 26 and insert
“29 March 2019 at 11.00 p.m.”
Member’s explanatory statement
This amendment removes the power for a Minister of the Crown to appoint exit day by regulations
and ensures that exit day is fixed at 29 March 2019 at 11.00 p.m. for all purposes.

In Clause 14(1) ist der “exit day” zuvor definiert worden als: “such day as a Minister of the Crown may by regulations appoint”. Dies hätte der Regierung die Möglichkeit gegeben, den Exit-Day eigenständig und ohne Rückendeckung durch das Parlament zu bestimmen. Durch das Amendment ist der Termin des Austritts aus der EU zu einem festen Bestandteil der EU-Withdrawal Bill geworden und somit Gesetz: 29. März 2019, 23.00 Uhr GMT means leave.

Wie in jeder Demokratie, kann man Gesetze nur durch parlamentarischen Mehrheitsbeschluss aufheben. Einen solchen hat es bislang nicht gegeben. Gegeben hat es eine Abstimmung darüber, ob der Austrittstermin verschoben werden soll. Der Text dieser „Motion“ ist der Folgende:

Wie man sieht, gibt es zwei Szenarien. Szenario I, Mays mit der EU ausgehandelter Deal findet im Parlament im dritten Anlauf eine Mehrheit, das ist ungefähr so wahrscheinlich wie Ostern und Weihnachten am selben Tag. In diesem Fall will May bei der EU um eine Verlängerung der Verhandlungen bis zum 30. Juni bitten, also zu Kreuze kriechen. Wenn May abermals mit ihrem Versuch, den Abgeordneten einen Deal aufzuschwatzen, den sie nicht wollen, weil die Mehrheit der Abgeordneten und der Bevölkerung eben der EU nicht mehr traut, scheitert, dann muss von irgendwoher ein „clear purpose“, also ein klarer Verhandlungsgegenstand gefunden werden, den man der EU gegenüber als Grund für den Wunsch nach weiteren Verhandlungen präsentieren kann.

Nun, der Grund aller bisherigen Nachverhandlungen und der Grund dafür, dass viele Briten ein großes Problem mit Mays Deals haben, ist der Backstop, es war der Backstop von Anfang an und es ist der Backstop bis heute [Was der Backstop ist, das haben wir hier erklärt]. Die EU hat sich als vollkommen unbeweglich und verhandlungsunwillig erwiesen, und das wird auch weiterhin so sein. Nichts Neues also und vor allem kein „clear purpose“.

Aber selbst, wenn es einen „clear purpose“ von irgendwoher gäbe, den die Abgeordneten im Unterhaus in aller Schnelle mehrheitlich absegnen, um ihn der EU präsentieren zu können, bliebe doch das Problem, dass alle EU-Mitgliedsstaaten einer Verlängerung zustimmen müssten. Das ist, wie Elmar Brok, das EU-Parlamentsrelikt, das die Medien nun, nachdem er Jahrzehnte im EU-Parlament verbracht hat, ohne groß aufzufallen, entdeckt haben, insofern fraglich, als es Gerüchte über eine Verschwörung gibt, eine zwischen Nigel Farage und dem italienischen Innenminister und Vize-Ministerpräsidenten Matteo Salvini, wonach abgesprochen sei, dass Italien die Verlängerung mit einem Veto verhindern solle.

Brok hält das für möglich. Wir kommentieren es an dieser Stelle nicht.

Dass Broks vielleicht bei Gerüchten und Verschwörungen informiert ist, nicht jedoch, wenn es um Kenntnisse parlamentarischer Praktiken oder überhaupt der Vorgänge im Unterhaus geht, zeigen die folgenden Aussagen:

Der Mann hat eine große Klappe, aber keine Ahnung. Im Zusammenhang mit den Brexit-Abstimmungen im Unterhaus von einem „parteipolitischen Spiel“ zu sprechen, zeigt nicht nur, dass Brok offenkundig überhaupt nicht weiß, was in Britannien im Unterhaus vor sich geht, es zeigt auch, dass er nicht in der Lage ist, sich auch nur vorzustellen, dass es in anderen Parlamenten anders sein könnte als im Europaparlament oder im Bundestag, in denen die Abgeordneten nicht einmal im Traum auf die Idee kämen, nicht mit der Partei zu stimmen, für die sie im Parlament sitzen.

Nun, im britischen Parlament sitzen keine Parteisoldaten, die auf Zuruf aufstehen und die Hand in die Höhe halten. Das genau ist das Problem. Weder May noch Corbyn können sich darauf verlassen, dass alle Abgeordneten, die sie zu ihrer Fraktion zählen auch für sie stimmen.

Hier ein Beispiel:

Man sieht, die Tories stimmen zum Teil mit Labour, zum Teil gegen Labour. Die Motion von oben konnte May somit mit Hilfe von Labour und gegen die Mehrheit der eigenen Partei durchsetzen.

Ein anderes Beispiel zeigt, wie Labour-Abgeordnete sich gemeinsam mit den Tories gegen ein zweites Referendum aussprechen.

Weder Corbyn noch May sind Herr im eigenen Laden, denn Parteidisziplin ist ein eher unbekanntes Konzept im Vereinigten Königreich, in dem Abgeordnete zwar auf Parteiticket gewählt werden, aber in einer Mehrheitswahl, in der sie als Person, nicht als Parteizugehöriger antreten. Deshalb sind sie ihren Wählern direkt verantwortlich und die Wähler zögern nicht, ihre Abgeordneten zu „deseaten“, also sie davon abzuhalten, ein weiteres Mal als Kandidat z.B. der Tories zu kandidieren, wenn sie der Ansicht sind, die Abgeordneten würden ihre Interessen nicht vertreten. Derzeit sehen sich Abgeordneten der Tories und von Labour mit Misstrauensvoten in ihren Wahlkreisen konfrontiert, die dazu führen sollen, dass sie im nächsten Parlament nicht mehr vertreten sind.

Diese Unkenntnis parlamentarischer Gepflogenheiten, ja des gesamten parlamentarischen Systems des Vereinigten Königreichs, die wir in Deutschland seit Beginn der Berichterstattung über den Brexit beobachten, an der sich seither nicht viel geändert hat, ist letztlich der Grund dafür, dass deutsche Medien ihren Konsumenten ein mehr oder weniger heftig verzerrtes Bild der Vorgänge, Ursache der Vorgänge und Wahrscheinlichkeiten im Vereinigten Königreich präsentieren, die Unkenntnis und natürlich der von Anfang an vorhandene Versuch, die demokratische Entscheidung von 17,4 Millionen Briten zu diskreditieren und die Uhr zurückzudrehen.

Denn nach dem Brexit fangen die Probleme für die EU erst an, nicht nur im Hinblick auf die Finanzierung der EU, der 13 Milliarden Euro pro Jahr fehlen, auch im Hinblick auf die Gewichtsverteilung und die schlichte Relevanz der EU in der Welt: Wer nimmt zum Beispiel eine Europäische Armee ernst, die hauptsächlich aus Bundeswehreinheiten besteht, deren Panzer nicht fahren, Hubschrauber nicht fliegen und Tornados aus Sicherheitsgründen nicht starten dürfen? Das UK steht, wenn es um die Schlagkraft der Armee geht, an vierter Stelle in der Welt, hinter den USA, China und Russland, wäre die Britische Armee Teil eines europäischen Kontingents, man könnte Europa als Militärmacht ernst nehmen. Nach dem Brexit ist das nun nicht mehr der Fall.

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