Kampf dem kritischen Denken! – auch Online: Wie Kinder und Jugendliche durch „Bad News“ spielend indoktriniert werden sollen, Sander van der Linden

Vorrede

Der Kampf um “Hearts and Minds” wird mitnichten in Ländern wie Afghanistan oder dem Irak geführt. Er wird in westlichen Ländern geführt, in Deutschland, dem Vereinigten Königreich, in Frankreich und den Niederlanden. Im Kampf um Hearts and Minds geht es auch nicht darum, Menschen von den Vorteilen westlicher Werte zu überzeugen, sondern darum, Kinder und Jugendliche von Kritik am derzeitigen Zustand dessen, was gemeinhin das politische System genannt wird, abzulenken, sie gegen Kritik immun zu machen. Sie in einer Variante der brachialen Stimulus-Response-Konditionierung zu intellektuellen Zombies zu verbilden, denen man nur sagen muss, in welche Richtung sie marschieren müssen, damit sie loslaufen.

Zentral ist dabei der Kampf gegen das, was angeblich Fake News sein soll. Dieser Kampf wird derzeit zu einer der größten Indoktrinationswellen der Nachkriegszeit entwickelt, die sich vornehmlich auf Kinder und Jugendliche richtet. 

Dr. habil. Heike Diefenbach hat sich für ScienceFiles mit einem aktuellen Beispiel befasst, einem Spiel, das darauf zielt, Kindern und Jugendlichen eigenständiges Denken abzutrainieren und durch Reflexe auf Begriffe zu ersetzen. Dabei ist ein Text herausgekommen, der von diesem “Spiel” nichts mehr übrig lässt und der den Anschlag auf das eigenständige Denken von Kindern und Jugendlichen sehr deutlich macht, ein Text, den vor allem Eltern lesen sollten, damit sie wissen, welchen perfiden Formen der Propaganda ihre Kinder täglich ausgesetzt sind oder sein können, welchem Gegner sie sich gegenübersehen.

Wir veröffentlichen heute Teil I des Beitrags von Dr. Diefenbach, Teil II folgt morgen.


 

von Dr. habil. Heike Diefenbach

Vor einiger Zeit haben wir hier auf ScienceFiles über die sogenannte „attitudinal inoculation“ bzw. „Einstellungsimpfung“ berichtet, ein geistiges Produkt der Sozialpsychologie, durch die sichergestellt werden soll, dass sich eine Einstellung oder Überzeugung, haben Menschen sie erst einmal geformt oder übernommen, nicht verändert oder durch eine andere Einstellung ersetzt wird: Mit „Einstellungsimpfung“, so ist in einem Lehrbuch für Sozialpsychologie [kein Witz!] nachzulesen,

„… [können] Sie sichergehen […], dass all diese persuasiven Botschaften Sie nicht in ein zitterndes Etwas mit immerfort wechselnder Meinung verwandeln“ (Aronson, Wilson & Akert 2004: 250).

Und wie soll die „Einstellungsimpfung“ funktionieren? Die Grundidee, die im Übrigen auf die Arbeiten von William J. McGuire (1964) zurückgehen, ist die folgende:

„Wenn die Argumente [die für eine andere Überzeugung sprechen als diejenige, die man zu einem bestimmten Zeitpunkt hat,] schon vorher betrachtet worden sind, ist man gegenüber den Auswirkungen der Kommunikation [in der man der anderen Überzeugung ‚ausgesetzt‘ ist,] relativ immun, gerade so, wie eine Schutzimpfung mit einer kleinen, abgeschwächten Dosis des Erregers für Immunität sorgt gegen die eigentliche Erkrankung“ (Aronson, Wilson & Akert 2004: 250),

aber nur dann, wenn die betrachteten „abgeschwächten“ Argumente nicht nur „betrachtet“ wurden, sondern auch für ungültig, falsch, verfehlt, irrelevant oder (sonstwie) nicht überzeugend befunden wurden. Nur dann soll sich der gewünschte Effekt einstellten, dass „stärkere“ Argumente von vornherein abgelehnt, am besten gar nicht  mehr angehört, werden.

„Einstellungsimpfung“, d.h. also Immunisierung gegen Meinungs-/Einstellungs-/ Überzeugungsänderung durch Verabreichung „einer kleinen, abgeschwächten Dosis“ von Argumenten, die für eine andere Meinung/Einstellung/Überzeugung sprechen und für falsch, irrelevant … befunden werden, ist der Traum jedes totalitären Regimes, würde sie doch dafür sorgen, dass Menschen sozusagen bei der ideologischen Stange bleiben, wenn sie erst einmal entsprechend indoktriniert worden sind, immer vorausgesetzt, dass erstens die Indoktrination gelingt und zweitens die „Einstellungsimpfung“ funktioniert.

Manipulateure und Indoktrinationswillige dürften sich die größten Chancen für eine gelingende „Einstellungsimpfung“ bei Kindern und Jugendlichen ausrechnen, denn sie sind mental noch hinreichend formbar, um zu willigen Werkzeugen für eine Sache gemacht zu werden, die nicht ihre eigene ist, und haben voraussichtlich noch eine relativ lange Lebenszeit, die sie mit dem treuen Engagement für die Sache verbringen können. Gleichzeitig kann Indoktrination von Kindern und Jugendlichen als pädagogische Maßnahme dargestellt werden, die die Zielgruppe vor irgendetwas schützen oder irgendetwas bei ihr fördern will oder soll. Diese Darstellung ist zwar ein Gemeinplatz, aber sie kann vermutlich dennoch eine Immunisierungsfunktion erfüllen, d.h. die Barrieren hochsetzen, die einer Offenlegung der Indoktrination als solcher oder einer Kritik an ihr entgegenstehen.

Und wahrscheinlich sind das die Gründe dafür, dass eine „Impfung“ gegen „fake news“ durch das Online-Spiel „Bad News“ speziell auf Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 15 und 35 abzielt – was man den Spielinformationen (unter: https://getbadnews.de/#intro) sowie der sprachlichen Form des Spiels entnehmen kann – und außerdem in einer Junior-Version erstellt wurde, die auf Acht- bis Zehnjährige abzielt.

 

Die Spielentwickler von „Bad News“

Das Spiel wurde von DROG entwickelt, das sich selbst als „… a multidisciplinary team of academics, journalists and media-experts” beschreibt und zu dem u.a. Jon Roozenbeek gehört, der an der University of Cambridge an der Faculty of Modern and Medieval Languages and Linguistics angestellt ist. Jon Roozenbeek und Sander van der Linden, der ebenfalls an der University of Cambridge angestellt ist, und zwar am Department of Psychology, sind diejenigen, die als Entwickler von „Bad News“ in Interviews in Erscheinung treten, für das Spiel werben und gemeinsam einen Artikel im Journal of Risk Research (Roozenbeek & van der Linden 2018) über ein Experiment mit „The Fake News Game“, das wohl ein oder der Vorläufer von „Bad News“ gewesen ist, veröffentlicht haben.

Wie eine Internet-Recherche gezeigt hat, existiert DROG im Internet nur unter dem Titel „DROG – Platform voor kritische nieuwsconsumenten“ unter der Adresse

https://wijzijndrog.nl

und in einer englischen Version unter dem Titel

„DROG – The resistance to disinformation“ und unter der Adresse

https://aboutbadnews.com.

Tatsächlich findet Google DROG erst nach einigen Versuchen, weil es zunächst darauf insistiert, dass dem Suchenden ein Fehler unterlaufen sei und der eigentlich „DRUG“ als Suchwort hätte eingeben wollen. Hat man „DROG“, die von Roozenbeek & van der Linden 2018: 3) als „group of specialists who provide education about disinformation“ beschrieben werden, endlich gefunden, dann stellt man fest, dass das Internet-Angebot von DROG nur aus einer einzigen Seite besteht, die neben einer sechszeiligen Selbstbeschreibung die Konterfeis der acht DROG-„Spezialisten“ (außer einem) zeigt, die übrigens alle sehr jung aussehen, was zeigt, dass man anscheinend schon in sehr jungem Alter ein „Spezialist“ in Sachen Aufklärung bzw. Bildung sein kann und „Spezialistentum“ im 21. Jahrhundert nichts mit Lebens- oder beruflicher Erfahrung als elementarem Bestandteil von Humankapital zu tun hat.

Außerdem enthält die Seite noch einen link auf das Spiel „Bad News“ – und das ist, zumindest bislang, der einzige Inhalt der DROG-Internetseite. Normalerweise gilt eine solche „Ein-Seiten-Seite“ als klarer Fall von clickbait, was eine gewisse Ironie hat, beschreiben Roozenbeek und van der Linden (2018: 3) den „clickbait manager“ doch als einen von vier Typen „… to reflect common ways in which misinformation is presented in a misleading manner“. Soll man daraus schließen, dass mit „Bad News“ bzw. von DROG Fehlinformationen verbreitet werden sollen?! Jedenfalls weckt die Art und Weise, in der das Spiel und seine Entwickler präsentiert werden, nicht gerade Vertrauen in seine/ihre wissenschaftlichen Grundlagen bzw. in ein „Spezialistentum“ in irgendeiner Hinsicht.

Wie eine weitere Internet-Recherche ergeben hat, ist das „Bad News“-Spiel trotz der Bemühungen in entsprechend interessierten Netzwerken bislang nicht auf allzu große Resonanz gestoßen, obwohl es in mehrere Sprachen, darunter Deutsch und Esperanto [!], übersetzt wurde. Zu den Einrichtungen, die Interesse an dem Spiel befördern und als relevante Strategie zur Bekämpfung von „fake news“ – aus Naivität oder wider besseren Wissens – präsentieren wollen, gehört das Europäische Informations-Zentrum (eiz) Niedersachsen, das „[…] Sie fit für Europa [macht]“ und Teil des Niedersächsischen Ministerium für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung (MB) ist, sowie Politico Europe mit Sitz in Brüssel, das im April 2015 gegründet wurde und ein joint venture von Politico USA und Axel Springer ist und sich (trotzdem) als „a global non-partisan politics and policy news agency“ beschreibt.

Die deutsche Version des Spiels hat uns Wissenschaft im Dialog (WiD) beschert und ist unter der Adresse https://getbadnews.de/ zu finden – und spielbar für jeden. Spielen Sie das Spiel, und genießen Sie, falls Sie alt genug sind, die Erinnerungen an MS DOS 3.0 – einige Mitglieder der ScienceFiles-Redaktion fanden den Vergleich unangemessen positiv und prägerierten den Vergleich mit MS DOS 1.0 – und vielleicht an Color Graphics Adapter Monitore, die sich bei Ihnen beim Anblick des Spiels vermutlich einstellen werden! Allen Jüngeren sei geraten, sich möglichst nicht an der Präsentation des Spieles, die an die „Steinzeit“ der Computertechnik erinnert, zu stören, denn bekanntermaßen soll man nicht von der Verpackung auf den Inhalt schließen (und sei die Verpackung noch so suspekt oder auch nur dilettantisch). Betrachten wir im Folgenden also das Spiel selbst!

 

Mangelnde theoretische Fundierung

Die Zielsetzung, die die Entwickler mit dem Spiel verbinden, beschreibt van der Linden so:

 “We wanted to see if we could pre-emptively debunk, or ‘pre-bunk’, fake news by exposing people to a weak dose of the methods used to create and spread disinformation, so they have a better understanding of how they might be deceived”

 

Das Spiel ist also als präventive Maßnahme gedacht, die bei den Spielern die Fähigkeit entwickeln sollen, in Zukunft Nachrichten als „fake news” zu erkennen und die entsprechenden Nachrichten (daher) keiner weiteren Betrachtung, geschweige denn: Überlegung, zu unterziehen. „Erkannt“ werden sollen „fake news“ an der Verwendung von sechs Merkmalen, die die Spielentwickler als Strategien oder Methoden präsentieren, die Falschmelder verwenden, um Leute zu täuschen; im Spiel werden sie bezeichnet als „Identitätsbetrug“, „Emotion“, „Polarisierung“, „Verschwörung“, „Verruf“ und „Trollen“ – dazu später mehr.

Wie das Zitat von van der Linden zeigt, wollen die Spielentwickler an die oben angesprochene „Einstellungsimpfung“ anschließen, aber der Anschluss ist kein theoretischer, sondern bloß ein rhetorischer: Das sozialpsychologische Konzept der „Einstellungsimpfung“ bezieht sich auf die Verabreichung einer „schwachen Dosis“ von Argumenten, die für eine andere Einstellung sprechen (könnten) als diejenige, die man gerade hat, und deren Abweisung. Es bezieht sich nicht auf die Präsentation allgemeiner Strategien oder Methoden, die – zumindest vorgeblich – mit Inhalten und Argumenten nichts zu tun haben. Was die Spieler von „Bad News“ verabreicht bekommen, ist aber eine Dosis – und im Übrigen eine ziemlich starke Dosis – von vermeintlichem Rezeptwissen über Strategien oder Methoden, die verwendet werden, um „fake news“ zu kreieren oder zu verbreiten.

Die theoretische Fundierung des Spiels, das angeblich an das sozialpsychologische Konzept der „Einstellungsimpfung“ anschließt, ist dementsprechend nicht vorhanden. Und wenn die theoretische Fundierung fehlt, dann ist unklar, warum und wie das Spiel, das bestimmte Methoden der Informationsvermittlung vorstellt und als Methoden derjenigen darstellt, die „fake news“ vermitteln wollen, irgendeine kurz-, mittel- oder langfristige Wirkung dahingehend haben sollte, dass die Spieler „fake news“ in Zukunft nicht mehr glauben. Das ist der erste Kritikpunkt, der an dem Spiel anzubringen ist. Und aus wissenschaftlicher bzw. sozialpsychologischer Sicht betrachtet ist das Spiel damit sinnlos, und es gibt nichts weiter zu dem Spiel zu sagen.

 

Indoktrination zum systematischen Fehlschließen: Die Bejahung des konsequens als modus operandi

Aber das Spiel ist ein „fact of life“, und insbesondere Kindern und Jugendlichen droht, mit dem Spiel konfrontiert zu werden, was für sie im besten Fall langweilig oder lästig ist, sie im schlimmsten Fall aber indoktrinieren kann, wenn wir als Charakteristikum von „Indoktrination“ – Green (2010[1972]: 34) folgend – festhalten wollen:

„In indoctrination, the conversation of instruction is employed only in order that fairly specific and predetermined beliefs may be set. Conflicting evidence and troublesome objections must be withheld because there is no purpose of inquiry”.

Im “Bad News”-Spiel gibt es keinen “purpose of inquiry”, d.h. es geht nicht darum, irgendeine Fragestellung zu bearbeiten, eine konkrete Frage zu beantworten, geschweige denn, das Für und Wider mit Bezug auf verschiedene mögliche Antworten auf die Frage zu geben, sondern allein darum, dass Spieler die Überzeugungen übernehmen, die die Spielentwickler als die „richtigen“ vorgeben. Das Spiel ist daher – der Definition von Green folgend – ein Mittel der Indoktrination.

Übrigens würde das auch dann gelten, wenn man meinen würde, dass die Überzeugungen, die die Spielentwickler als die „richtigen“ vorgeben, tatsächlich „richtig“ sind. Warum? Die Begründung hierfür hat wieder Green m.E. sehr gut zusammengefasst:

„It is possible … to indoctrinate people into the truth. The only problem is that they will not know that it is the truth. They will only know that it is a correct belief. That is to say, they will hold to certain true beliefs, but will be unable to give any adequate reasons for them, any clear account for them, or offer any sound evidence in their support beyond the logically irrelevant observation that they are commonly held beliefs. And yet we cannot be said to know that a belief is true, if we cannot give any reason for it, any explanation of it or any evidence to support it. In short, even though the beliefs one holds are true, one cannot be said to know they are true, if they are believed in this non-evidential fashion. They can only be known to be correct beliefs, and that is one of the features of beliefs held as a consequence of indoctrination” (Green 2010[1972]: 34; Hervorhebungen im Original).

Und das ist ein wichtiger Punkt, den es vorab festzuhalten gilt:

Egal, wie man zu den einzelnen, von den Spielentwicklern gesetzten Inhalten – ob richtig oder falsch – steht, es handelt sich bei “Bad News” in jedem Fall um ein Indoktrinationsmittel, weil es in ihm nicht darum geht, bei den Spielern eigene Urteilsfähigkeit unter Betrachtung und Abwägung verschiedener Aspekte der in Frage stehenden Sache zu entwickeln, sondern lediglich darum, den Glauben daran zu entwickeln, dass Behauptungen oder Nachrichten falsch sein müssten, wenn die Art ihrer Präsentation auf bestimmte Weise erfolgt, und diesen Glauben könnten die Spieler letztlich nicht anders begründen als dadurch, dass ihnen beigebracht wurde, dass Behauptung oder Nachrichten mit diesen oder jenen Merkmalen falsche Behauptungen oder Nachrichten sein müssten. In „Bad News“ werden – noch dazu fingierte – Informationen „… only for the purposes of persuasion [gegeben], never for purposes of arriving at conclusion“ (Green 2010[1972]: 34; Hervorhebung im Original).

Wer aber zu dem Glauben indoktriniert worden ist, dass man von der Art der Präsentation oder Verbreitung einer Nachricht oder Behauptung zuverlässig oder auch nur einigermaßen zuverlässig darauf schließen könne, ob die Nachricht oder Behauptung wahr oder unwahr ist bzw. zutreffend oder unzutreffend, „real news“ oder „fake news“ ist, begeht den logischen Fehlschluss der Bejahung des konsequens, der oft durch das folgende einfache Beispiel illustriert wird (s. z.B. Salmon 1983: 57-58):

  • Wenn es regnet, wird die Straße nass.
  • Die Straße ist nass.
  • ALSO muss es geregnet haben.

Das ist natürlich falsch, weil die Straße z.B. deswegen nass sein kann, weil sie gerade gereinigt wurde.

Bezogen auf das Spiel sollen die Spieler z.B. lernen, dass gelte:

  • Wenn jemand bewusst eine falsche Behauptung in einem sozialen Medium platzieren will, dann wählt er einen polarisierenden Inhalt oder eine polarisierende Formulierung.
  • Eine Behauptung in einem sozialen Medium hat einen polarisierenden Inhalt oder ist polarisierend formuliert.
  • ALSO muss die Behauptung falsch sein (und der Verfasser bewusst die falsche Behauptung im sozialen Medium platziert haben).

Das ist falsch, denn ein Inhalt oder eine Formulierung kann auch – oder gerade?! – polarisierend wirken, wenn der entsprechende Satz wahr ist (oder wenn er falsch ist, aber derjenige, der den Satz platziert hat, sich dessen nicht bewusst war).

Oder:

  • Wenn jemand in einem Tweet eine falsche Behauptung glaubwürdig machen will, dann spendiert er dem Tweet durch Bots eine große Anzahl von „Likes“.
  • Ein Tweet hat eine große Anzahl von „Likes“.
  • ALSO muss das, was im Tweet behauptet oder ausgesagt wird, eine falsche Behauptung sein.

Dieser Fehlschluss ist sogar auf doppelte Weise falsch: Erstens kann eine große Anzahl von „Likes“ für einen Tweet darauf zurückzuführen sein, dass vielen Menschen der Tweet – möglicherweise aus den unterschiedlichsten Gründen – gefallen hat, also gar keine Bots für die vielen „Likes“ verantwortlich sind. Und zweitens kann das, was in einem Tweet ausgesagt wird, auch dann wahr sein, wenn der Verfasser des Tweets selbst es war, der dem Tweet (aus welchen Gründen auch immer) mit Hilfe von Bots eine große Menge von „Likes“ verschafft hat.

Aber zu genau dieser Art von Fehlschlüssen aufgrund vermeintlichen Rezeptwissens erziehen die Spielentwickler die Spieler systematisch. Nur dann, wenn man – zumindest! – systematisch den Fehlschluss der Bejahung des konsequens begeht, kann man meinen, aus der bloßen Beobachtung, dass eine Behauptung polarisiert, ein Tweet viele „Likes“ hat oder in einem Tweet die Existenz einer Verschwörung behauptet wird (dazu später mehr), etwas über die Wahrheit oder Falschheit der Behauptung/des Tweets ableiten oder schließen und damit lernen zu können.

Das Spiel „Bad News“ ist selbst ein Fall von Verbreitung von Falschem bzw. „fake news“, nämlich der falschen Behauptung, dass es möglich sei, von der Art der Präsentation oder Verbreitung einer Nachricht/ Behauptung darauf schließen, ob die Nachricht oder Behauptung wahr oder unwahr bzw. in der Realität zutreffend oder unzutreffend ist. Aus diesem Grund kann das Spiel „Bad News“ nur dann pädagogisch wertvoll sein, wenn es dazu benutzt wird, den Spielern zu vermitteln, wie Spielentwickler Leute indoktrinieren oder dahingehend manipulieren, dass sie logische Fehlschlüsse als korrekte Schlussfolgerungen ansehen sollen und sich auf dieser Grundlage gegen bestimmte Behauptungen, Inhalte oder Quellen abschotten.

 

Indoktrination durch implizite Prämissen: „Fake News“ gibt es nur online, in sozialen Medien

Dafür, dass das Spiel ein Mittel zur Indoktrination der Spieler ist, gibt es eine Menge weiterer Belege, die dem Spiel selbst oder den Informationen zum Spiel zu entnehmen sind. Im Folgenden kann ich nur einige beschreiben, die für mich „highlights“ darstellen (aber unmöglich alle weiteren anführen).

So gehen die Entwickler des Spiels von vornherein davon aus und suggerieren den Spielern, dass „fake news“ etwas seien, das nur Online und in sozialen Medien verbreitet wird, ohne dass diese Annahme an irgendeiner Stelle klar identifiziert, geschweige denn: problematisiert, würde. So heißt es in den Spielformationen in der deutschen Übersetzung:

„In diesem Spiel schlüpfst du in die Rolle des Bösen. Lass deine moralischen Einwände fallen[,] und werde Verbreiter von Desinformationen. Halte die beiden Zähler im Blick, die deine Followerzahl und deine Glaubwürdigkeit messen. Dein Ziel ist es, möglichst viele Follower zu gewinnen, ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Offensichtliche Lügen kosten Punkte“

„Followerzahlen“ gibt es online in sozialen Medien. Und weiter unten in den Informationen zum Spiel heißt es:

„Die niederländische Organisation DROG entwickelt Programme und Kurse, um Medienkompetenzen zu stärken. Ihr Fokus liegt vor Allem auf Falschmeldungen im Internet“

Da DROG wie oben beschrieben nur aus einer einzigen Seite besteht und dort keinerlei Aktivitäten außer dem Hinweis auf das Spiel zu finden sind, kann man festhalten, dass bislang der „Fokus“ von DROG ausschließlich auf „Falschmeldungen im Internet“ liegt.

Und dazu passt, dass das Spiel die Spieler in die Rolle einer „[b]ösen“ Person versetzt, die – aus welchen Gründen auch immer – „… mit Desinformationen das Internet aufmischen“ will, wie man gleich, nachdem man angefangen hat zu spielen, mitgeteilt bekommt. Der Spieler hat zwei Möglichkeiten, hierauf zu antworten, nämlich entweder mit „Genau!“ oder mit „Wie bitte?“. Wählt man „Wie bitte?“, erhält man die folgende Antwort:

„Desinformation hat viele Aspekte. Dabei sind Falschmeldungen nur der Anfang. Aber keine Sorge, es wird dir bald klar sein“,

und auf diese weitgehend inhaltsleeren Aussagen wird nur eine einzige Antwort angeboten, nämlich die Antwort „Verstanden!“.

Ich muss zugeben, dass ich nicht verstanden habe, was mir diese weitgehend gehaltlosen Sätze mitteilen wollen und welchen Bezug sie zur Absicht, „das Internet aufzumischen“, haben sollen. Da das Spiel „für Menschen im Alter von 15-35 Jahren entwickelt“ wurde, bin ich vielleicht einfach zu alt, um „Neusprech“ zu verstehen bzw. zu verstehen, wie und auf welche Gehalte genau weitgehend inhaltsleere Sätze wie die oben zitierten hinweisen sollen. Aber, nein:

Doch auch Ältere können natürlich gerne spielen“,

und dass die Entwickler damit rechnen, dass „auch Ältere“ das Spiel spielen, wird deutlich erkennbar daran, dass die Befragung, die dem Spiel, bevor es richtig beginnt, vorgeschaltet ist und an der man teilnehmen kann oder nicht, ganz, wie man möchte, bei der Altersabfrage entsprechende Kategorien enthält.

Aber zurück zur Annahme, dass „fake news“ etwas seien, das nur oder typischerweise Online in sozialen Medien kreiert und verbreitet wird. Sie ist eindeutig falsch. Beispielhaft hierfür sei das Video mit dem Titel „How the News Lies to Youvon YouTuber „Thoughty2“ empfohlen oder – für diejenigen, die lieber lesen – Baum & Zkukov 2015; Bennett 2016; Lasorsa & Lewis 2010; Myers & Caniglia 2004; Peelo 2006; Peelo et al. 2004 (und dies ist nur eine sehr kleine Auswahl an diesbezüglicher Literatur).

Wäre es so, dass die Entwickler gegen „fake news“ im Allgemeinen – und damit auch in allen Arten von Medien – „immunisieren“ wollten, aber sich im Spiel „Bad News“ auf Falschmeldungen speziell im Internet beschränken wollten, dann würde man eine diesbezüglichen klärenden Satz irgendwo in den Spielinformationen, wenn nicht im Spiel selbst, erwarten. Und man würde gerade nicht erwarten, dass zu einem späteren Zeitpunkt im Spielverlauf die sogenannten mainstream-Medien – die übrigens kaum mehr als solche bezeichnet werden könnenexplizit dem bösen „fake news“-Verbreiter entgegengesetzt werden, wie es der Fall ist, wenn der Spieler später im Spiel für seinen Erfolg beim Verbreiten von „fake news“ wie folgt gelobt wird:

„Volltreffer. [Hier müsste natürlich ein Ausrufezeichen stehen!] Gute Arbeit. [Hier ebenfalls!] Und schau: auch die blöden Mainstream-Medien wollen ein Stück vom Kuchen [Und hier ein drittes Mal! Ich bin anscheinend zumindest für Willkür in der Rechtschreibung eben doch zu alt …]“ (Hervorhebung d.d.A.).

 

Indoktrination durch implizite Prämissen: Zahl der „Follower“ bedeutet Glaubwürdigkeit

Eine weitere unhaltbare Annahme, die die Spielentwickler den Spielern unterschieben und die besonders bemerkenswert ist, wenn sie von jemandem gemacht wird, der angeblich Sozialpsychologe ist, ist die, nach der die Anzahl von „Followern“, also die Größe der Gefolgschaft, dasselbe bedeute wie Glaubwürdigkeit bzw. Erstere ein zuverlässiges Maß für Glaubwürdigkeit sei, denn in der oben zitierten Information zum Spiel heißt es ja:

Halte die beiden Zähler im Blick, die deine Followerzahl und [!] deine Glaubwürdigkeit messen“.

Dieselbe Größe soll beides ausdrücken. Man sollte meinen, dass jeder von uns  aus persönlicher Erfahrung weiß, dass es eine ganze Menge verschiedener Gründe dafür gibt, einem Medium oder einer Person in einem sozialen Medium zu folgen. Beispielsweise kann man dem YouTuber Praveen Mohan und seinem Kanal „Phenomenal Travel“ auch dann folgen, wenn man nicht glaubt, dass die Menschheit in vor-antiker Zeit weit fortgeschrittene Technologien kannte und verwendet hat, einfach, weil man – visuell sehr ansprechende – Einblicke in Altertümer und archäologische Stätten in Indien und die Lebensweise der Menschen vor Ort bekommt, die man selten oder gar nicht in Medien präsentiert bekommt. Die Annahme der Spielentwickler, dass man nur liest oder ansieht, was man uneingeschränkt „glaubt“, ist bestenfalls erschreckend naiv, aber angesichts der weiteren Belege für indoktrinatorische Absicht vermutlich in eben dieser gemacht worden.

Wenn die Anzahl der „Follower“ mit Glaubwürdigkeit identisch sein soll oder als identisch behandelt wird, dann ergibt sich außerdem ein logischer Widerspruch, wenn es weiter heißt:

Dein Ziel ist es, möglichst viele Follower zu gewinnen, ohne an Glaubwürdigkeit zu verlieren“,

denn per definitionem durch die Spielentwickler bedeutet ja die Erhöhung der Zahl der Follower einen Zugewinn an Glaubwürdigkeit (und ein Verlust an Followern ein Verlust an Glaubwürdigkeit), so dass eine Situation, in der es möglich wäre, Follower hinzuzugewinnen und gleichzeitig Glaubwürdigkeit zu verlieren, logisch ausgeschlossen ist. Und wie gesagt ist es im realen Leben auch nicht ausgeschlossen (wie am oben stehenden Beispiel von „Phenomenal Travel“ illustriert).


Ende des ersten Teils, morgen geht es weiter mit: Das „Spiel“ ist kein Spiel, sondern spielerische Indoktrination.



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