Betrug und Fälschung in der Wissenschaft – häufiger als man denkt

Bislang haben wir die Angebotsseite der Peer Review betrachtet, wobei sich gezeigt hat, dass die Peer Review so ziemlich an allem leidet, was den Prozess verzerren kann: geringe Verlässlichkeit des Ergebnisses der Peer Review, geringe Verlässlichkeit der Reviewer, geringe Verlässlichkeit des Verfahrens, kurz: nichts von dem, was mit einem Peer Review-Verfahren sichergestellt werden soll, wird mit einem Peer Review Verfahren sichergestellt.

Heute drehen wir die Perspektive und betrachten die Nachfrage-Seite. Wie jede Institution, die – so unsinnig wie sie auch sein mag – den Zugang zu Ressourcen bewacht, so sehen sich auch die Herren über das Peer Review-Verfahren mit illegitimen Versuchen von Seiten der Nachfrager konfrontiert, das Verfahren zu ihren Gunsten zu verfälschen.

Heute nimmt uns Dr. habil. Heike Diefenbach mit auf eine Reise in die Welt von Betrug und erschreckend offen betriebener Versuche von Fälschung und Manipulation: Nicht nur ist das Peer Review-Verfahren unzuverlässig, es ist auch Gegenstand von Betrugsversuchen, die ein Ausmaß erreichen, das erschrecken muss!


 

“Peer reviewed” – kein Qualitätssiegel! 

von Dr. habil. Heike Diefenbach

TEIL 5
hier geht es zu TEIL 1, hier zu TEIL 2 , hier zu TEIL 3 , hier zu TEIL 4 und zu Teil 5.


3.5 Vom Mangel zum Betrug: Bewusste Manipulationen des „peer reviewing”

Was bislang dargestellt wurde, fällt sehr weitgehend in den Bereich dessen, was am „peer reviewing“ mangelhaft ist und die Herausgeber- oder Gutachterseite des Prozesses betrifft. Bewusste Täuschung, bewusster Betrug durch Herausgeber oder Gutachter ist im Rahmen des üblichen „peer reviewing“ selbstverständlich möglich, aber bislang wurde es vor allem als Problem angesehen, dass Herausgeber oder Gutachter nicht im Stande sind – oder aufgrund praktischer Probleme, z.B. mit dem Zugang zu Daten, die einem Manuskript zugrunde liegen, gar nicht im Stande sein können –, Täuschung oder Betrug auf Seiten der Autoren zu identifizieren, der in der Erfindung oder Fälschung von Daten bestehen kann, im Plagiieren, in der Fälschung von Autorenschaft u.a.m. bestehen kann.

Organisationen wie VroniPlag in Deutschland und Computerprogramme zur Prüfung von Manuskripten daraufhin, ob es sich bei ihnen vollständig oder teilweise um Plagiate handelt, helfen diesbezüglich sicherlich weiter, aber ihr Nutzen scheint vor allem in einer Abschreckungswirkung zu bestehen, denn nicht alle plagiierten Sätze oder Absätze in Manuskripten werden von solchen Programmen korrekt identifiziert (s. z.B. Stapleton 2012 mit Bezug auf das weit verbreitete Programm Turnitin).

Die kriminelle Energie von Autoren erschöpft sich auch keineswegs in dem, was einige Autoren neuerdings als „traditional fraud and misconduct“ (Biagioli & Lippman 2020: 2) wie es z.B. das Plagiieren ist, bezeichnen, denn inzwischen gibt es neue Formen des Betrugs oder der Manipulation, die teilweise direkt in einen speziellen „peer review“-Prozess eingreifen oder stattfinden, nachdem ein Manuskript zur Publikation akzeptiert worden ist.

So kommt es z.B. vor, dass Autoren, wenn sie von der Identität der Gutachter, die ihr Manuskript begutachten sollen, erfahren, oder wenn sie selbst mögliche Gutachter vorgeschlagen haben, die von den Herausgebern als Gutachter in diesem Fall akzeptiert wurden, falsche e-mail-Adressen einrichten und als falsche Gutachter ihre eigenen Papiere begutachten – selbstverständlich positiv. Es liegt in der Natur der Sache, dass man hiervon nur dann erfährt, wenn der Versuch fehlschlägt, und über die tatsächliche Häufigkeit, mit der gefälschte Gutachten die Grundlage von Entscheidungen über die Veröffentlichung eines Manuskriptes in einer Fachzeitschrift bieten, lässt sich nur spekulieren.

Mit Hilfe der der Datenbank, die von Adam Marcus und Ivan Oransky, den Gründern und Betreibern des blogs Retraction Watch, seit 2010 geführt wird, sowie Datenbanken von PubMed und Google Scholar konnten Qi, Deng und Guo (2017) in ihrer Studie 250 Texte identifizieren, die aufgrund gefälschter Gutachten zurückgezogen werden mussten. Dass es sich bei diesen Texten vor allem um Texte aus den „life sciences“ handelt, hat mit der Ausrichtung von Retraction Watch zu tun, das sich (bislang) stark auf die „life sciences“ konzentriert, was Marcus und Oransky wie folgt begründen:

“… 1) we’re both medical reporters in our day jobs, so our sources and knowledge base are both deeper in the life sciences and 2) there are more papers published in the life sciences than in other areas”.

Die von Qi, Deng und Guo identifizierten Texte waren in 48 verschiedenen Fachzeitschriften von fünf verschiedenen Verlegern veröffentlicht worden. Die meisten dieser Texte, insgesamt 57 Prozent der 250 identifizierten Texte, waren in Fachzeitschriften gedruckt worden, die von SAGE (mit 77 oder 31 Prozent der zurückgezogenen Texten in ihren Fachzeitschriften) oder von Springer (mit 66 oder 26 Prozent der zurückgezogenen Texten in ihren Fachzeitschriften) verlegt wurden. Zehn der Fachzeitschriften, in denen Texte, für die Gutachten gefälscht wurden, veröffentlicht wurden, hatten mehr als fünf solcher Texte veröffentlicht (Qi, Deng & Guo 2017: 499). Drei Viertel der 250 zurückgezogenen Texte waren von chinesischen Autoren verfasst worden (Qi, Deng & Guo 2017: 500). Das Jahr mit der größten Anzahl von aufgrund gefälschter Gutachten zurückgezogener Texte war das Jahr 2014, auf das 102 oder 40,8 Prozent der Texte entfielen.

Es ist unklar, was genau diese Verteilungen bedeuten, d.h. ob sie z.B. bedeuten, dass bestimmte Verleger oder bestimmte Fachzeitschriften mit Bezug auf die Begutachtung von Manuskripten besonders einfach zu täuschen sind oder es auf andere Faktoren oder schlichten Zufall zurückzuführen ist, dass Texte, für die gefälschte Gutachten erstellt wurden, bei diesen Verlegern oder Fachzeitschriften besonders häufig aufgeflogen sind. Festhalten lässt sich aber:

“In conclusion, there is a disproportionate distribution of retracted papers due to faked peer reviews among different journals and countries. Journal editors should greatly improve the peer review mechanism, ….” (Qi, Deng & Guo 2017: 502).

Es kommt ebenfalls vor, dass die Datenbanken von Zeitschrift gehackt werden, um dafür zu sorgen, dass das eigene Manuskript veröffentlicht wird, z.B. indem falsche, positive Gutachten eingestellt werden, oder um den eigenen Namen in der Autorenzeile für ein Manuskript, das zum Druck vorbereitet wird, ein- oder anzufügen (Biagioli & Lippman 2020: 2). Der Eintrag als Mitautor kann auch zum Kauf bzw. angeboten bzw. erkauft werden.

Es gibt außerdem Manipulationen, die das „peer reviewing“ nicht direkt betreffen, aber Herausgeber und ggf. Gutachter, auch, wenn sie insgesamt gesehen kompetent sind und aufrichtig agieren, zu täuschen geeignet sind, z.B. dann, wenn Autoren sogenannte Zitierringe bilden, d.h. vereinbaren, sich gegenseitig zu zitieren, um damit die Zahl der eigenen Zitationen künstlich in die Höhe zu treiben. Dies kann über statusbezogene Verzerrungseffekte auf Herausgeber und Gutachter wirken, wenn sie Entscheidungen über Manuskripte solcher Autoren treffen sollen.

Darüber hinaus können Herausgeber oder Gutachter selbst Zitationen der eigenen Arbeiten oder von Arbeiten von Autoren, mit denen Herausgeber oder Gutachter Zitierringe unterhalten, den Autoren, die ein Manuskript eingereicht haben, abpressen oder zumindest empfehlen, wobei Autoren, die ihr Manuskript veröffentlicht sehen wollen, gut daran tun, der Empfehlung nachzukommen (Teixeira da Silva 2017).




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