Brexit-News: Zwei notwendige Ergänzungen zu Halbwahrheiten

Weil uns viele Leser darum gebeten haben, versuchen wir derzeit, soweit es unsere Ressourcen zulassen, die neuesten Entwicklungen im Zusammenhang mit Brexit mehr oder weniger regelmäßig darzustellen.

Wir haben gestern bereits darüber berichtet, dass Boris Johnson und sein Chefunterhändler David Frost die Schlagzahl erhöht haben: Ist bis zum 15. Oktober keine Einigung erreicht, dann werden die Verhandlungen mit der EU abgebrochen. Handelsbeziehungen werden dann ab dem 1. Januar 2021 auf WTO-Basis abgewickelt.

Heute nun gibt es in der ARD-tagesschau zwei Meldungen, die man so nicht stehen lassen kann, weil sie einen falschen Eindruck vermitteln:

Beginnen wir mit Jonathan Jones, eine Art “Sir Humphrey” ( für alle, die Yes Minister kennen) des “Legal Departments”, der seinen Rücktritt erklärt hat.



Die ARD schreibt zu Jones:

“Im Streit über das weitere Vorgehen in der Sache wirft der Chefjurist der britischen Regierung einem Zeitungsbericht zufolge das Handtuch: Jonathan Jones liege im Streit mit dem Büro von Premier Johnson über die angeblichen Pläne, Teile des Abkommens mit Bezug zu Nordirland zu untergraben, berichtete die “Financial Times” unter Berufung auf Insider.”

Jonathan Jones ist einer der Civil Servants, also der ministerialen Angestellten in leitender Funktion, die zur Fraktion der Remainer gehören. Unter Theresa May ist es dieser Fraktion gelungen, die Brexit-Bemühungen der Regierung, sofern es sie tatsächlich ernsthaft gegeben hat, erfolgreich zu torpedieren und dafür zu sorgen, dass ein Vertrag (Withdrawal Agreement), der nicht umsonst als Neuauflage des “Versailler Vertrages” bezeichnet wurde, als Ergebnis zweijähriger Verhandlungen zwischen der EU und der Regierung May präsentiert wurde.



Als Boris Johnson zum Prime Minister gewählt wurde und vor allem, nachdem er der die Wahlen im Dezember 2019 gewonnen hatte, war klar, dass ein Reihe von Top-Angestellten in Ministerien wird gehen müssen. Jonathan Jones ist einer davon. Er hat wohl die Gelegenheit der Spekulationen um das Gesetz, das Johnson morgen vorstellen will, genutzt, um sich einen mehr oder minder guten, in jedem Fall einen öffentlichkeitswirksamen Abgang zu verschaffen und seiner Entlassung zuvorzukommen.

Jonathan Jones ist die Nummer 6 in der Reihe des Remainer-Clearouts der Britischen Regierung, in dessen Verlauf bislang sechs “Behördenleiter” ihren Posten räumen mussten oder von sich aus geräumt haben:

Guido Fawkes
    1. Jonathan Jones; Legal Department
    2. Mark Sedwill, Cabinet Secretary (Sir Arnold, für Kenner von Yes Minister);
    3. Simon McDonald, Foreign Office;
    4. Philip Rutnam, Home Office;
    5. Richard Heaton, Justice;
    6. Jonathan Slater, Education;

Es ist also nicht so, dass Jones weil er mit Boris Johnson und seiner Regierung im Streit darüber liegt, wie mit dem Withdrawal Agreement weiter verfahren werden soll, gegangen ist. Mit Sicherheit hat er dazu eine andere Ansicht als Johnson. Es ist eher so, dass Jones seiner Entlassung zuvor gekommen ist.

Die zweite Meldung, die man so nicht stehen lassen kann, betrifft Brandon Lewis, den Secretary of State for Northern Ireland:

“Vor allem der britische Nordirland-Minister Brandon Lewis sorgte mit Äußerungen vor dem Parlament für neue Irritationen: Einerseits betonte er, seine Regierung stehe zu ihren internationalen Verpflichtungen. Zugleich räumte er ein, dass eine von London geplante Änderung am Brexit-Abkommen gegen internationales Recht verstoßen würde. “Ja, das verletzt internationales Recht in einer sehr spezifischen und begrenzten Weise”, sagte Lewis vor dem Parlament in London. Es gebe jedoch “klare Präzedenzfälle” für einen solchen Schritt.”

Es liegt in der Natur der Sache, dass dann, wenn man nationales Recht verabschiedet, dessen Gegenstand die Herstellung juristischer Oberhoheit über die eigene Politik ist, Regelungen in Verträgen, die Rechtsfragen unter internationale Jurisdiktion stellen, gebrochen werden. Offensichtlich wird das Gesetz, das Boris Johnson morgen vorstellen wird, eine Passage enthalten, die britischen Gerichten den Weg nach Europa, zum European Court of Justice zumacht. Rechtsfragen, die Großbritannien betreffen, müssen entsprechend in Großbritannien und nicht in Den Haag oder Luxemburg entschieden werden. Eigentlich eine ganz normale Sache für ein Land, das souverän ist.

Brandon Lewis hat dazu heute im House of Commons Folgendes gesagt:

““Yes this does break international law in a very specific and limited way. We are taking the power to disapply the EU law concept of direct effect required by Article 4 in a certain, very tightly-defined circumstance.

There are clear precedents for the UK and other countries needing to consider their international obligations as circumstances change. I would say to honourable members here, many of whom would have been in this house when we passed the Finance Act 2013, which contained an example of treaty override, it contains provisions that expressly disapply international tax treaties to the extent that these conflict with the general anti-abuse rule.

We are determined to ensure we are delivering on the agreement we have in the protocol and our leading priority is to do that through the negotiations and through the joint committee work. The clauses that will be in the bill tomorrow are specifically there for should that fail, ensuring we’re able to deliver on our commitments to the people of Northern Ireland.”

Der angesprochene Artikel 4 des Withdrawal Agreement umfasst die folgenden Regelungen:

“Methoden und Grundsätze in Bezug auf die Wirkung, die Durchführung und die Anwendung dieses Abkommens

(1) Die Bestimmungen dieses Abkommens und die aufgrund dieses Abkommens anwendbaren Bestimmungen des Unionsrechts entfalten für das Vereinigte Königreich und im Vereinigten Königreich die gleichen Rechtswirkungen wie innerhalb der Union und ihrer Mitgliedstaaten. Dementsprechend können juristische oder natürliche Personen sich insbesondere unmittelbar auf die Bestimmungen berufen, die in diesem Abkommen enthalten sind oder auf die dort verwiesen wird, welche die Voraussetzungen für eine unmittelbare Wirkung nach dem Unionsrecht erfüllen.

(2) Das Vereinigte Königreich gewährleistet durch innerstaatliche vorrangige Gesetzgebung die Einhaltung von Absatz 1, einschließlich in Bezug auf die Befugnisse, die erforderlich sind, damit seine Justiz- und Verwaltungsbehörden widersprüchliche oder unvereinbare innerstaatliche Vorschriften nicht anwenden.

(3) Die Bestimmungen dieses Abkommens, die auf Unionsrecht oder Begriffe oder Bestimmungen des Unionsrechts verweisen, werden im Einklang mit den Methoden und allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts ausgelegt und angewandt.

(4) Die Bestimmungen dieses Abkommens, die auf Unionsrecht oder darin enthaltene Begriffe oder Bestimmungen verweisen, werden in ihrer Umsetzung und Anwendung unter Einhaltung der vor dem Ende des Übergangszeitraums ergangenen einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgelegt.

(5) In der Auslegung und Anwendung dieses Abkommens tragen die Justiz- und Verwaltungsbehörden des Vereinigten Königreichs der nach dem Ende des Übergangszeitraums ergangenen einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union gebührend Rechnung

Eine Reihe von Kommentatoren hat darauf hingewiesen, dass die Regelungen in Artikel 4 ein effektives Einfallstor für die EU darstellen, das genutzt werden kann, um auch weiterhin UK-Recht unter EU-Recht zu stellen, und zwar sowohl von innerhalb des UK als auch von außerhalb. Wir tippen also daher, dass das Gesetz, das Boris Johnson morgen vorlegen wird, diese Tür, besser: dieses Einfallstor für die EU zumachen wird. Die Passage ist einer der Restbestände, die von der vorherigen Administration von Theresa May verbockt wurden.

Insofern ist es nur konsequent, wenn der Chef-Angestellte des Legal Department die Konsequenzen aus diesem “Plunder” zieht und zurücktritt.



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