Privatschulen-Bashing – und plötzlich sind mehr Mädchen schlecht

wgvdlEin Beitrag von Holger im gelben Forum hat mich auf einen Text in der FAZ aufmerksam gemacht, in dem Lisa Becker “Privatschulen als Fluch und Segen für das Bildungssystem” bezeichnet – ein klassischer Widerspruch bereits in der Überschrift. Das lässt nichts Gutes für den weiteren Text erwarten, und in der Tat, der Text hält, was die Befürchtung verspricht. Unter Bezug auf Manfred Weiß und dessen nicht näher bezeichnete Studien, berichtet Lisa Becker zum einen Unsinn, zum anderen soll wohl gezeigt werden, dass Privatschulen gar nicht gut, nein, schlecht sind, nein, eigentlich verboten werden sollten, denn sie spalten die Gesellschaft, ziehen eine selektive Schicht der Bevölkerung an und, naja, sind halt Privatschulen.

Bevor ich mich dem im Einzelnen widme, hier ein Beispiel für den Unsinn, den Lisa Becker verbreitet:

“Sein Ergebnis [Manfred Weiß’]: In vielen Ländern kehrt sich der Leistungsvorsprung der Privatschüler in einen Nachteil um, auch in Deutschland. Das heißt, sie schneiden bei Pisa nur deshalb besser ab, weil sie und ihre Mitschüler aus bildungsnahen Elternhäusern kommen”.

FAzWie gesagt, der Widerspruch in der Überschrift hat schon Schlimmes vermuten lassen, und so kommt es: Offensichtlich schneiden Privatschüler in den PISA Studien und im Hinblick auf “literacy” besser ab als Schüler in öffentlichen Schulen. Dieses bessere Abschneiden ist im Gehirn von Becker ein Vorteil. Aus dem Vorteil “besseres Abschneiden” werkelt ihr Gehirn dann einen Nachteil, denn die Privatschüler sind alle aus “bildungsnahen Elternhäusern”. Ja. Verstehen Sie das? Ich nicht. Wie auch immer, “bildungsnahe” Elternhäuser wirken auf Privatschulen zum Nachteil ihrer Kinder führen aber zu besseren Leistungen der Privatschüler im PISA Test. Es ist halt Unsinn, quadrierter Unsinn. (Als wir den Begriff “bildungsnah” vor einiger Zeit auf ScienceFiles eingeführt haben, haben wir das als Reaktion auf den Begriff “bildungsfern” getan und mit einem sarkastischen Hintergedanken, denn bildungsnah, ist ja auch nicht gebildet, sondern nur nah. Es ist schon lustig, welche Karrieren manche im Spaß kreierten Begriffe machen.)

Ich werde weiter unten auflösen, was Becker hier nicht verstanden hat. Nachdem ich den Text in der FAZ gelesen habe und froh darüber war, dass ich die FAZ nicht abonniert habe, sondern umsonst lesen kann (eigentlich müsste man noch etwas dazu bekommen, wenn man solchen Unsinn liest), habe ich mich auf die Suche nach den Werken von Manfred Weiß  gemacht, die in der FAZ zitiert, aber nicht angegeben werden. Gefunden habe ich u.a. eine Veröffentlichung der Friedrich-Ebert-Stiftung (wer hätte das gedacht), erschienen im Netzwerk Bildung und betitelt: “Allgemeinbildende Privatschulen in Deutschland. Bereicherung oder Gefärdung des öffentlichen Schulwesens”, von Manfred Weiß.

FES WeissDie Arbeit ist erstaunlich neutral und deskriptiv. Selbst die Zusammenfassung liest sich – trotz des Titels – über weite Strecken wie ein wissenschaftlicher Text, so dass man sich verwundert die Augen reibt und sich fragt, was bei der Friedrich-Ebert-Stiftung los ist. Aber das Wundern endet mit dem Erreichen von Kapitel 8: “Privatschulen aus systemischer Perspektive”. Die “systemische Perspektive”, das ist die Perspektive, die immer dann eingenommen wird, wenn man Individuen sagen will, dass das, was sie tun, für sie vielleicht einen Vorteil hat, aber systemisch betrachtet, verdammenswert ist, wobei die “systemische Betrachtung” zumeist die ideologisch gewünschte Betrachtung ist. Man kann also bei “systemischen Betrachtungen”, die in einer Veröffentlichung der FES über Privatschulen angestellt werden, vorhersagen, dass sie für Privatschulen nicht positiv ausfallen werden. Und in der Tat, die Erwartung wird nicht enttäuscht.

Privatschulen selektieren die Bevölkerung negativ: Sie tragen dazu bei, dass “bildungsnahe” (Ha!) Eltern ihre Kinder vermehrt auf Privatschulen schicken. Vor allem Mädchen finden sich häufiger auf Privatschulen. Das überlässt den benachteiligten öffentlich-rechtlichen Schulen die “bildungsfernen Kinder” und die Jungen. Schon interessant, welche Wendung manche Diskurse so nehmen und wie sich plötzlich, wenn es ideologisch passt, die selbe Institution, die gegen die Anerkennung der Nachteile von Jungen im schulischen Bildungssystem heftig agitiert, also die FES, plötzlich die Vorteile die Mädchen auf Privatschulen haben, gar nicht mehr gut findet.

Privatschulen haben einen weiteren Nachteil, denn sie geben den Eltern eine Wahlmöglichkeit und führen entsprechend dazu, dass Eltern wählen. Ergebnis: Weniger Migranten auf Privatschulen, ein höherer Anteil von Migranten auf öffentlichen Schulen. Mehr noch: Eltern wollen ihren Kindern auf Privatschulen Vorteile durch Distinktion verschaffen. Unglaublich, wo wir doch alle im Einheitsbrei der öffentlichen Schulen versinken wollen.

Diese beschriebenen negativen Wirkungen von Privatschulen, die Deutschland auf den “Weg in eine neue Art von Klassengesellschaft” schicken, sind bedenklich, wenn man Manfred Weiß folgt, und sie sind der Preis, der für die Existenz von Privatschulen nach seiner Ansicht zu zahlen ist. Das ist, was Weiß selbst am Ende seines Beitrags schreibt, und wäre er nicht so sehr darauf fixiert, den ideologischen Kanon der FES nachzubeten und etwas Schlechtes an den Privatschulen zu finden, er hätte vielleicht ein paar Möglichkeiten erwogen, die in den USA seit Jahrzehnten genutzt werden, um schlechte Lehrer an öffentlichen Schulen zu besserer Leistung zu zwingen.

schooling for moneyAber dazu gleich. Zunächst zum Weltbild des Herrn Weiß, in dem es Junk und nicht-Junk, nein, “bildungsnahe” und “bildungsferne” Kinder gibt. Die bildungsfernen Kinder und natürlich die Migranten, den Junk, die will niemand, nicht einmal öffentliche Schulen, aber sie enden mit ihnen, wenn Privatschulen die Sahne der “bildungsnahen” Kinder abschöpfen. Nettes Weltbild! Die Leistungen einer Schule hängen also davon ab, welche Kinder die entsprechende Schule besuchen. Da stellt sich doch die Frage, was an Schulen anderes als das Zementieren sozialer Unterschiede erfolgt. Wenn man die Verbissenheit betrachtet, mit der “Bildungsforscher” nach “bildungsnah” und “bildungsfern” selektieren, dann kann man nicht anders als heftigste Befürchtungen zu haben, besonders dann, wenn man der Ansicht ist, dass die schulische Vermittlung von Inhalten die Person und die sozialen Hintergründe eines Kindes nicht in Rechnung stellen soll, nein darf. In Deutschland ist wohl alles anders.

Gleichzeitig hat die Leistung, die Schüler erbringen, im Weltbild von Herrn Weiß offensichtlich überhaupt nichts mit der Leistung von Lehrern zu tun. Wäre dies anders, er käme vielleicht auf die Idee, das schlechte Abschneiden von bestimmten Schülern an öffentlichen Schulen hätte etwas mit der Leistungsfähigkeit und -bereitschaft der Lehrer zu tun, und der Wettbewerb mit privaten Schulen wäre genau das, was genutzt werden könnte, um schlechte Lehrer loszuwerden und das Lehrniveau in öffentlichen Schulen zu steigern. Aber es geht ja nicht darum, Lehrniveaus zu steigern, sondern den Anteil von Junk-Schülern in Grenzen zu halten. Folglich kommt Weiß auf diese naheliegende Idee nicht.

Außerdem ist diese Idee, private Schulen würden durch Wettbewerb zu einem höheren Niveau des gesamten schulischen Bildungssystems beitragen, natürlich ideologisch nicht gewünscht, und wäre entsprechend und mit hoher Wahrscheinlichkeit von er FES-Redaktion gestrichen worden. Also besser, man hat solche subversiven Ideen erst gar nicht. Und demenstprechend endet Weiß seinen Beitrag mit einer Darstellung des schwedischen (!sic) Schulsystems, die nicht vorteilhaft für die Schweden ist. In Schweden, ja, im gleichheitsfanatischen Schweden, gibt es nämlich seit Jahren ein Schulsystem, in dem private und öffentliche Schulen miteinander konkurrieren. Schüler und Eltern erhalten Bildungsgutscheine und suchen sich eine Schule aus, von der sie sich eine gute Wissensvermittlung erwarten.

Gabriel Sahlgren hat für dieses schwedische Bildungssystem nicht nur nachgewiesen, dass  der Wettbewerb zwischen privaten und öffentlichen Schulen das Gesamt-Bildungsniveau der Schüler erhöht, sondern auch, dass der Wettbewerb dazu führt, die Lesitungsunterschiede zwischen Schülern aus der Unterschicht und Schülern aus der Mittel- und Oberschicht zu nivellieren, also genau das Gegenteil dessen, was Weiß als Folge der Privatschulen ausmacht, ist, was in Schweden durch Privatschulen erreicht wird. Wie nicht anders zu erwarten, fehlen die Arbeiten von Sahlgren in der Arbeit von Weiß. Entweder er kennt sie nicht oder er will sie nicht kennen.

weiss privatschulen
aus: Weiß, 2011, S.43

Bleibt noch auf den Unsinn von Lisa Becker zurückzukommen. Lisa Becker hat die neben stehende Abbildung nicht verstanden. Dort wird für Schüler aus unterschiedlichen Schulen versucht, die bessere Leistung von Schülern auf Privatschulen hinwegzurechnen. Dies geschieht dadurch, dass man private und öffentliche Schulen im Hinblick auf die soziale Herkunft ihrer Schüler und das Geschlecht ihrer Schüler standardisiert. Dann, wenn man dies tut, schneiden Schüler an öffentlichen Schulen immer noch schlechter ab als Schüler an privaten Schulen, ganz im Gegensatz zu dem, was Becker behauptet. Erst wenn die Nachbarschaft der Schulen einbezogen wird (warum man das tun sollte, weiß ich nicht), schneiden öffentliche Schulen besser als private Schulen ab, was kein Wunder ist, denn private Schulen finden sich eher nicht in Berlin-Prenzlauer Berg. Aber wenn es darum geht, öffentliche Schulen gut und private Schulen schlecht zu reden, dann ist offensichtlich jedes Mittel recht.

Weiß, Manfred (2011). Allgemeinbildende Privatschulen in Deutschland. Bereicherung oder Gefährdung des öffentlichen Schulwesens? Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, Schriftenreihe des Netzwerk Bildung.

Dazu auch unsere aktuelle Umfrage am rechten Rand in der Widget-Leiste.

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