Schönwetter-Demokratie einmal anders: Unsinn mit Methode

Wissenschaft ist jenes Unterfangen, bei dem versucht wird, den menschlichen Erkenntnisfortschritt voranzutreiben. Ressourcen, Zeit, Geld, Gehirnschmalz, werden eingesetzt, um neues Wissen zu generieren, das sich nutzenbringend einsetzen lässt. Wissenschaftliche Ergebnisse sollen die Welt verbessern, sie effizienter machen. Das ist die Theorie.

In der Praxis findet man Beiträge wie den von Michael Mutz und Sylvia Kämpfer (2011), der es in die Zeitschrift für Soziologie geschafft hat, was man damit erklären kann, dass die von Lucius & Lucius verlegte Zeitschrift Probleme hat, ihre Seiten zu füllen, damit, dass die Zeitschrift sich ab und zu einen Scherz mit ihren Lesern erlaubt oder damit, dass ein geheimes Projekt läuft, das untersucht, wie viel Unsinn man den Lesern einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift zumuten kann, bis sie aufschreien. Falls letzteres der Fall sein sollte, dann bitte ich mich als “Aufschreier” zu zählen, denn die Genickstarre, die sich vom Kopfschütteln eingestellt hat, hat dazu geführt, dass ich Schmerzensverlautbarungen von mir gegeben habe, was zeigt, dass der Artikel von Mutz und Kämpfer kausal für physischen Schmerz ist und Anlaß zu Schmerzensgeldforderungen geben kann. Aufmerksame Leser dieses Blogs wissen, das war das Framing dessen, was ich nunmehr ganz neutral darstellen werden.

Der Artikel von Mutz und Kämpfer beginnt mit der Feststellung, dass Jürgen Rüttgers die Wahl in Nordrhein-Westfalen an einem Regentag verloren hat. Regen, so lernt der Leser im Verlauf des Beitrags, wirkt sich nicht nur über das Serontonin-Level auf Wahrnehmung und Zufriedenheit der dem Regen Ausgesetzten aus, sondern auch auf politisches Verhalten. Das zumindest suggerieren die Autoren zu Beginn ihres Beitrags, wenn sie schreiben: “Wäre der 9. Mai [der Tag der Wahlniederlage] ein sonniger und warmer Frühlingstag gewesen, hätte dies möglicherweise das knappe Wahlergebnis zugunsten der Regierungskoalition beeinflusst” (209). Es folgt über Seiten hinweg die Ausbreitung von Annahmen darüber, wie Wetter die Stimmung von Menschen beeinflusst und darüber, dass schlechtes Wetter sich negativ auf politische Einstellungen auswirkt, genauer: “Wer an einem sonnigen Tag befragt wird, schätzt die Wirtschaftsentwicklung der Bundesrepublik überdurchschnittlich positiv ein, … ist mit der Demokratie überdurchschnittlich zufrieden … und schätzt die Arbeit der Bundesregierung überdurchschnittlich positiv ein” (214). Wer an einem regnerischen Tag befragt wird, der schätzt die drei genannten Dinge überdurchschnittlich negativ ein.

Der Weg von der Wahlniederlage Rüttgers an einem Regentag zur Beeinflussung der Einstellung von durch wen auch immer Befragten, ist ein ziemlich weiter, und wie die Autoren dahin gelangen, weiß ich nicht, aber es scheint ihnen nahe zu liegen, zu denken, Sie, ich, wir alle, seinen wetterfühlige Deppen ohne feste Meinung, die je nach Sonnenintensität die Regierungsleistung positiv oder negativ einschätzen. Und diese wetterabhängigen Einschätzungen, so reklamieren die Autoren, würden in “sozialpsychologischen Erklärungsansätzen des Wahlverhaltens … als Prädiktoren der Wahlentscheidung verstanden” (213). Was die Autoren vergessen zu erwähnen, ist, dass die entsprechenden Ansätze zwar davon ausgehen, dass es Wähler gibt, die feste Einstellungen zu politischen Themen haben und die Partei wählen, die diesen Einstellungen am nächsten kommt, dass daneben aber die Parteiidentifikation die wichtigste Variable ist, die Wahlverhalten zu erklären vermag. In jedem Fall verlangen die von den Autoren zitierten sozialpsychologischen Ansätze jedoch fixe Einstellungen, also gerade keine Einstellungen, die vom Wetter beeinflusst werden können. Dies gilt insbesondere für die von den Autoren zitierten und im Büchlein von Campbell, Converse, Miller und Stokes (1980) versammelten Konzepte.

Aber verglichen mit dem was dann kommt, ist diese Fehlinterpretation eindeutiger Forschungsergebnisse und der daraus resultierende Widerspruch, dass fixe Einstellungen mal eben als durch das Wetter veränderbar angesehen werden, eine Kleinigkeit. Was folgt ist ein methodischer und statistischer Unsinn, der einen Preis verdient. Der Unsinn gipfelt in einer Regressionsanalyse. Eine (multiple) Regressionsanalyse untersucht, in welcher Weise ein Punkteraum, der durch eine abhängige Variable, die dichotom oder metrisch zu sein hat und eine Reihe von unabhängigen Variablen aufgespannt wird, durch eine Gerade, also eine lineare Kombination abgebildet werden kann. Da man immer eine lineare Kombination finden kann, ist es wichtig, die Qualität anzugeben, mit der die gefundene Gerade die Punktewolke abbildet. Dies erfolgt durch die Angabe der erklärten Varianz. Eine erklärte Varianz, die gegen Null geht, zeigt, dass die lineare Kombination keine geeignete Darstellung der Punktewolke ist, d.h. dass die unabhängigen Variablen die abhängige Variable nicht linear zu erklären vermögen. Eine erklärte Varianz, die gegen 100% geht, zeigt, dass die Gerade die Punktewolke fast identisch abzubilden vermag.

Mutz und Kämpfer lassen ihr Statistikprogramm Regressionen rechnen und versuchen zunächst, die Zufriedenheit mit der wirtschaftlichen Entwicklung, der Demokratie und der Arbeit der Bundesregierung durch das Wetter, unterschieden nach sonnigen und nach regnerischen Tagen zu erklären. Die Ergebnisse sind das, was jedem Statistiker ein “Ha!” von den Lippen gehen lässt: Die erklärte Varianz beträgt jeweils 1%, mit anderen Worten, hier besteht kein Zusammenhang. Die Einstellungen zu den genannten Bereichen und das Wetter haben nichts miteinander zu tun. Von diesem Ergebnis wenig beeindruckt, greifen die Autoren in die Trickkiste und phantasieren, dass z.B. in Stuttgart, das eine bessere wirtschaftliche Situation vorzuweisen hat als z.B. Dresden, auch mehr Sonnentage vorhanden sein können und entsprechend eine “Verzerrung” der Ergebnisse zu erwarten ist. Warum die Autoren die eigene Hypothese, nach der das Wetter einen Effekt auf die Einstellung hat, nunmehr als Verzerrung werten, kann nur gemutmaßt werden. Allerdings hat die Beseitigung der “Verzerrung” von Sonnen- und Wirtschaftsunterschieden und damit die Ansicht, dass z.B. die Einstellungen zur wirtschaftlichen Entwicklung weder mit Sonne noch mit tatsächlicher wirtschaftlicher Entwicklung zusammenhängt, den Effekt, den derartige Datenmanipulationen immer haben: Da nunmehr die unabhängige Variable so verändert wurde, dass sie bereits enthält, was in der abhängigen Variablen erklärt werden soll, steigt die “Qualität” des Modells. Allerdings ergeben sich auch nach der Manipulation nur erklärte Varianzen von 8%, 10%, und 12%. Auch nach Manipulation der Daten weigert sich das Wetter also, einen relevanten Effekt auf die Einstellung von Befragten auszuüben.

Aber für das Ziel der Autoren, auf das hin der Beitrag geschrieben wurde, ist der winzige Sprung von “gar nichts erklären” zu “manipuliertem kaum etwas Erklären” bedeutsam: “Aber auch das politische Meinungsklima, das regelmäßig anhand von Indikatoren wie eben der Zufriedenheit mit der Regierungsarbeit oder Beliebtheit einzelner Politiker dokumentiert wird, kann in geringem Maße, wie wir gezeigt haben, von Wetterlagen beeinflusst sein. Wer die politische Stimmung in Deutschland korrekt messen will, wäre also gut beraten, sowohl besonders sonnige Tage als auch regnerische Tage zu meiden, weil diese die Ergebnisse im ersten Fall beschönigen oder im zweiten Fall ‘verhageln’, also negativ verzerren können” (222). Wie sich zeigt, hat der Unsinn in diesem Artikel Methode, denn der soeben zitierte Vorschlag zur korrekten Messung politischer Stimmung in Deutschland stammt von denselben Autoren, die ihren Artikel damit begonnen haben, über den Einfluss des Regens auf die Abwahl von Jürgen Rüttger zu spekulieren. Offensichtlich wäre es, in der Eigenlogik dieses Unsinnsbeitrags gerade wichtig, um den Ausgang von Wahlen korrekt vorherzusagen,  bei schlechtem Wetter zu befragen. Entsprechend müsste man entweder das Wahlwetter vorherbestimmen oder die Wahl an Regentagen aussetzen. Aber das ist nur ein weiterer Widerspruch, der angesichts der Legion  vorausgehender Widersprüche kaum mehr ins Gewicht fällt.

Was allerdings ins Gewicht fällt ist die Tatsache, dass derartiger Unsinn in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht wird, noch dazu in “peer reviewed” Zeitschriften, was einmal mehr deutlich mach, wie wenig zeitgemäß dieses System doch ist und einmal mehr zeigt, dass die Kriterien, die einen wissenschaftlichen Text auszeichnen, weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Schade um die Bäume, die für den Abdruck dieses Textes gefällt werden mussten, schade um die Arbeitszeit von Mitarbeitern in Produktion, Disposition und Logistik, die für Herstellung und Vertrieb dieses Unsinns notwendig gewesen ist und schade, dass mit Unsinn wie diesem, das Bild der Sozialwissenschaft, das sowieso nicht gerade das beste ist, weiter beschädigt wird.

Campbell, Angus, Converse, Philip E., Miller, Warren E. & Stokes, Donald E. (1980). The American Voter. Chicago: Chicago University Press.

Mutz, Michael & Kämpfer, Sylvia (2011). …und nun zum Wetter: Beeinflusst die Wetterlage die Einschätzung von politischen und wirtschaftlichen Sachverhalten? Zeitschrift für Soziologie 40(4): 208-226.

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