Föderale Benachteiligung: Schulleistungsgefälle
Bereits nach der Pisa-2000-Studie haben es die Spatzen von den Dächern gepfiffen: Wer ein billiges Abitur will, der muss nach Bremen gehen, denn in Bremen soll’s an Schulen lustig sein. Mit den nationalen Erweiterungen der Pisa-E-2000, Pisa-E-2003 und Pisa-E-2006 Studien wurde offenkundig, was nicht mehr durch die Kultusministerkonferenz zu verbergen war: Zwischen den Bundesländern herrscht ein massives Bildungsgefälle: “Innerdeutsche Leistungsvergleiche dokumentieren bei Schülern im Alter von fünfzehn Jahren regelmäßig und konstant ein Leistungsgefälle von eineinhalb bis zwei Schuljahren” (Kraus, 2012, S.10).
Die erheblichen Unterschiede im Leistungsniveau der bundesländlichen Bildungsinstitutionen führen zu einer Vierteilung der deutschen Bildungslandschaft: Spitzenreiter sind Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen, das Verfolgerfeld besteht aus Thüringen und Rheinland-Pfalz, Hessen, das Saarland, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen bilden ein Mittelfeld, das den Anschluss an die Schlusslichter, Brandenburg, Bremen, Berlin und Hamburg hält (Kraus, 2012, S.31-32). Folge dieses Süd-Nord-Gefälles der Schulleistungen ist, dass Schüler in den südlichen Bundesländern mehr Leistung erbringen müssen, um einen Abschluss zu erreichen, den Schüler in nördlichen Bundesländern mit deutlich weniger Anstrengung erreichen können. Folge dieses Süd-Nord-Gefälles ist überdies, dass in nördlichen Bundesländern anteilig mehr Schüler mit einer billiger zu erreichenden Hochschulreife ausgestattet werden, als in südlichen Bundesländern. Angesichts der Bedeutung, die Bildungszertifikaten zukommt, ist es erstaunlich, dass Deutschland sich diese Form der föderalen Herstellung sozialer Ungleichheit leistet.
Die berichteten Ergebnisse stammen zum Teil aus einer Studie, die Josef Kraus im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung erstellt hat, also der politischen Stiftung der CDU. Die Studie, die in ihrem deskriptiven Teil eine umfassende Zusammenstellung aller Belege für das Süd-Nord-Leistungsgefälle bietet, bleibt in ihrem Anspruch jedoch nicht bei dieser durchaus guten Beschreibung der Zustände stehen. Kraus will mehr, Kraus will erklären, wie das Süd-Nord-Gefälle zu Stande kommt, wie es zu erklären ist. Dieser zweite Teil der Darstellung leidet darunter, dass Josef Kraus zwar Vorsitzender des Lehrerverbands, aber eben kein Wissenschaftler und schon gar kein empirisch versierter Wissenschaftler ist. Entsprechend versucht er, über die Bildung von Rangreihen, eine Verbindung zwischen einzelnen Variablen herzustellen, von denen er – warum auch immer – annimmt, sie würden die Leistung von Schülern beeinflussen. Zu den Variablen, die Kraus berücksichtigt gehören, u.a.:
- Der Differenzierungsgrad des Schulsystems im Bundesland (u.a. ob ein dreigliedriges Schulsystem vorhanden ist oder die politische Stimmung eher Gesamtschulen favorisiert);
- Die Anzahl der Unterrichtsstunden;
- Der Anteil privater Schulen;
- Der Anteil der Schüler, die sich an einer Ganztagsschule befinden;
- Die politische Couleur der Landesregierung;
Für all die beschriebenen Variablen und noch einige mehr untersucht Kraus im Wesentlichen, ob sie sich in eine Rangfolge bringen lassen, die der Rangfolge der Pisa-Ergebnisse entspricht, d.h. die Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen jeweils oben erscheinen lässt. Interessanter Weise bewertet Kraus seine so erhaltenen Ergebnisse als “Korrelationen”, obwohl er keinerlei Anstrengung unternimmt, Korrelationen zwischen den beiden Variablen, die ihn interessieren, herzustellen. Auf diese eher hausbackende Art der statistischen Analyse kommt Kraus zu dem Ergebnis, dass Bundesländer besser abschneiden, die mehr Unterrichtsstunden anbieten, von der CDU (CSU) regiert werden/wurden und die ein dreigliedriges Schulsystem aufweisen. Ganztagsschulen wirken sich nach den Ergebnissen von Kraus ebensowenig auf die schulische Leistung von Schülern aus, wie der Anteil von Privatschulen.
Wie gesagt, die “Berechnungsmethode” von Kraus ist etwas altertümlich, weshalb ich die Korrelationen für einige der Variablen, die Kraus benutzt, auf der Grundlage seiner Daten ausgerechnet habe. Dabei zeigt sich, dass die Anzahl der Unterrichtsstunden sehr hoch (r = .787) mit einem guten Abschneiden des entsprechenden Bundeslandes im Pisa-Test korreliert, der Anteil von Schülern an integrierten Gesamtschulen sich (r = -.755) negativ auf das Abschneiden des Bundeslandes im Pisa-Test auswirkt, Ganztagsschulen in der Tat keinen positiven oder negativen Effekt auf das Abschneiden ausüben (r = .155),von privaten Schulen jedoch, entgegen der Annahme und Mutmaßung von Kraus durchaus ein positiver Effekt auf das Abschneiden im Pisa-Test ausgeht (r = .618). Für Kraus steht, nachdem er Teile dessen produziert habe, was ich als Ergebnisse meiner Korrelationsanalyse erhalten habe, fest, wo die Ursachen für das schlechte Abschneiden der nördlichen Bundesländer und vor allem der Stadtstaaten zu suchen sind: zu wenig Unterricht, Gesamtschule und SPD-geführt (Kraus, 2012, S.10-11).
Daran merkt man, dass Kraus kein Wissenschaftler ist. Wäre er Wissenschaftler, er hätte die Korrelation nicht für eine Kausalität genommen und sich gefragt, wie um aller Götter Willen soll sich die quantitative Zahl von Unterrichtsstunden auf die Leistung von Schülern auswirken? Er hätte sich gefragt, wie die politische Ausrichtung der Landesregierung auf die Mathematikleistung von Peter Braun durchschlägt und wieso sich der Besuch einer Gesamtschule auf die Leistung der dortigen Schüler negativ auswirken wird. Er wäre über kurz oder lang bei der Erkenntnis angekommen, dass die von ihm gefundenen Variablen bestenfalls Randbedingungen vorgeben, die konkret und vor Ort (d.h. in der Schule) zu füllen sind.
Unterrichtsstunden, die mit der Einübung gendergerechter Sprachstörungen vergeudet werden, haben ebenso wenig einen positiven Einfluss auch die Rechenleistung von Schülern wie dies für den Aktionstag gegen “Rechts” bzw. den Informationstag zu sexuellem Missbrauch der Fall ist. Kurz: Es ist plausibel anzunehmen, dass die Inhalte, die in den Schulstunden vermittelt werden, einen Effekt auf die Leistung der Schüler haben. Und wenn Josef Kraus nicht der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes wäre, dann wäre ihm vielleicht auch eingefallen, dass nicht nur die Inhalte, die in Schulen vermittelt werden, einen Effekt auf die Leistung von Schülern haben können, sondern auch die Art in der sie vermittelt werden und die Kompetenz und Motivation, mit der sie vermittelt werden. Dies führt unweigerlich zur black box der deutschen Schulforschung, zum größten Tabu der deutschen Schulforschung überhaupt, zu den Lehrern und ihrer Lehrkompetenz und Lehrmotivation.
Hat man sich nunmehr zu der Hypothese vorgewagt, dass die oben gefundenen Randbedingungen, einen Rahmen stecken, innerhalb dessen Lehrer agieren, dann stellen sich so interessante Frage wie: Warum können manche Lehrer in weniger Unterrichtsstunden mehr vermitteln als andere in vielen Unterrichtsstunden? Warum führt die Bezeichnung eines Gebäudes als Gesamtschule dazu, dass die schulische Leistung von Schülern sinkt? Welche Rolle spielen Lehrer, ihre Kompetenzen und Motivation dabei, dass Gebäude, die als Gesamtschule bezeichnet werden, die Leistungsstärke von Schülern senken? Und welchen Effekt hat der Missbrauch des schulischen Curriculums zur Vermittlung ideologischer und politisch-korrekter Inhalte auf die Leistung von Schülern? Und wenn wir schon dabei sind, welchen Effekt haben politisch überladene und umgestaltete Curricula auf die Motivation von Lehrern und die Chance, kompetente und motivierte Lehrer überhaupt für den Schuldienst zu gewinnen?
All dies sind Fragen, die sich auch ein Präsident des Deutschen Lehrerverbandes stellen darf, aber vielleicht arbeitet Josef Kraus ja bereits an einer Expertise für die Konrad-Adenauer-Stifung, in der er die gestellten Fragen und noch viele mehr beantwortet.
Kraus, Josef (2012). Das Schulleistungsgefälle in Deutschland – Fakten, Diagnosen, Hintergründe.
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Etwas interssantes hat mir ein Freund berichtet, der in der Schweiz unterrichtet. Er wurde dort als Lehrer mindestens einmal pro Schuljahr vom Direktor und einigen Personen vom Schulamt hospitiert und danach mit feeback, sowohl positiv, als auch mit Verbesserungsvorschlägen versehen. Seiner Meinung nach habe dies zu einer Verbesserung seiner Motivitation geführt. In Deutschland, so meinte er, würden Lehrer allein gelassen und jeder arbeite so vor sich hin. Die Motivation hängt dann allein vom guten Willen des Lehrers ab. Auch sei die Kooperationsbereitschaft innerhalb des Kollegiums größer, wie auch die technische Ausstattung und das technische Wissen der Lehrer nicht auf dem Niveau der 80er stehengeblieben, wie in Baden-Württemberg, seiner Heimat.
Wenn man sich die Flächenländer anschaut, sieht man, dass wirtschaftlicher Erfolg eines Bundeslandes und Erfolg des Schulsystems zusammenzuhängen scheinen.
Hier scheint es auch jahrzehntelange Traditionslinien zu geben, die mit der Etablierung und Fortführung einer Wissenstradition durch den Staat (Schweiz, Bayern, Nordeuropa), also dem Willen nach sozialem Aufstieg einer ganzen Gesellschaft oder früher Industrialisierung in Verbindung und einer Tradition des Perfektionismus und der Verantwortlichkeit (Sachsen, Baden-Württemberg) zu tun haben könnten.
Dass Länder ehemaliger Schwerindustrie und Agrarländer (NRW, Saarland, Holstein) schlechter abschneiden als alte intakte Ingenieurkulturen (Sachsen, Baden-Württemberg) verwundert wenig. Der Zwang Wissen zu erwerben ist bei ersteren seit jeher geringer.
Interessant scheint aber zu sein, dass Agrarstaaten durch jahrzehntelange intensive Beschulung und dem allgemeinen Willen zum Aufstieg den Übergang zu Ingenieurkulturen schaffen können, wie Bayern, die Schweiz und Skandinavien zeigen.
Seit dem Jahr 606 findet in China jährlich eine zentrale Prüfung statt, deren Ergebnis über die Zulassung der Bewerber in den ehemals kaiserlichen Beamtenstand und heute quasi die Hochschulzulassung darstellt.
Abgesehen von der maoistischen Kulturrevolution, hält man sich in China traditionell an das was in diesem Riesenreich erwiesener maßen prima funktionierte.
Nun zu vermuten, dass ehemalige deutsche Maoisten später im Schuldienst unter kamen und dort „den langen Marsch antraten“, ist nicht unbedingt abwegig, bei dem was im deutschen Bildungswesen an Grabenkämpfen und Schlachten um Schulformen, bahnbrechenden pädagogischen Konzepten und vor allem förderalistischen, Landestypischen Prüfungen praktiziert wird.
Wo Leer- und Löhrstühle der Pädagogik, wo Kultusministerien und Kultusminiter-Konferenzen, wie den dramatisch effizienten Schulkonferenzen ständig stattfinden. Um die Bildung wichtig zu nehmen wird ein großer Aufwand getrieben und trotzdem misst der Pisa-Test leider nur ob die Schüler was können, obwohl doch alle Politiker sich mit Vorliebe auf die Bildungspolitik als Anliegen konzipieren, und würde der Test die Lehrer auch einbeziehen, was käme dann erst ans Licht?
Wie „übel es wäre wenn es bundesweite, zentrale Prüfungen gäbe“, kann jeder Lehrer einschätzen, der in seinem Fall zwei Prüfungsvorschläge an sein Dezernat schicken muss, zur Strafe in aller Ausführlichkeit und nach strengen Vorschriften. Einer dieser Vorschläge, welcher, ist bis zum Prüfungstag geheim, kommt dann drann. Deshalb hat dieser Lehrer seit einem Dreivierteljahr die Lösungen beider Vorschläge mit den Schülern geübt, denn der muss sich „warm anziehen“ falls seine Schüler durchfallen, der versaut denen ja ihr Abitur.
Das Ergebnis steht also in Deutschland umgekehrt proportional zum Aufwand.
Kurioser ist es, das ein abgelehntes Zentralabitur automatisch einheitliche Anforderungen stellt, so wie die Industrie- und Handelskammern seit x-Jahrzehnten verfahren und die Prüfungsergebnisse deutschlandweit, durch exakt gleiche Aufgaben vergleichbar sind. Aber ohne
Kultusbürokratie und allem Bildungstrallalla in sechzehn facher Ausführung, was sollen diese hoch besoldeten Tagungstiger denn sonst machen, wenn nicht beim Staat „ander Bildung wirken“.
Schaut man ins Ausland und passt nicht auf wo man hinguckt, dann stehen da Schüler ordentlich, höflich und diszipliniert in Schuluniformen mit Respekt vor Lehrpersonal im Business-Dress – huch! das ist ja aber „Autobahn“ für deutsche Bildungs-Bekümmerer, das „geht ja gar nicht“ das erinnert ja an militärische Erziehung, wo Menschen aus unteren Schichten erfolgreich zu …. Soldaten gemacht werden – oder manche erinnert es ja auch vielleicht an Hundeschulen, wo sie ihren Vierbeinern Erziehung angedeihen lassen, für die sich selbst zu schade sind.
Schade eigentlich, das der Pisa-Test nicht die „pädagogisch revolutionären Sympathie für unangepasste Clochards, auch schon im jungen Alter“ der deutschen Lehrerinnen und Lehrer misst, da wären wir in Relation des Nord-Südgefälles klar spitze.