Staatliche Stalker und vorauseilender Gehorsam

Wollen Sie Malte Pieper eine Freude machen? Wahrscheinlich wissen Sie nicht, wer Malte Pieper ist. Malte Pieper schreibt Kommentare bei tagesschau.de. Wenn Sie also Malte Pieper eine Freude machen wollen, dann spenden Sie Organe. Post-hum oder sofort, denn täglich, so berichtet uns Malte Pieper, sterben 3 von 12.000 Menschen, die in Deutschland auf ein Spenderorgan warten, und dabei wollen Sie doch nicht zusehen? In dieser Weise kommentiert Pieper auf tagesschau.de eine Entscheidung aus dem deutschen Bundestag, die ihm nicht weit genug geht.

Die im Bundestag versammelten Berufspolitiker, haben gerade in trauter Eintracht beschlossen, dass jeder Bundesbürger ab 16 Jahren, dessen die Krankenkassen habhaft werden können, staatlichem Stalking ausgesetzt wird, in dem ihm regelmäßig alle zwei Jahre ein Brief mit Organspendeausweis nebst der Frage “Sind Sie bereit, Organspender zu werden?” zugeschickt wird. Wenn Sie keine Organe spenden wollen, dann wird ihre Bereitschaft  in zwei Jahren erneut auf die Probe gestellt. Dann haben Sie erneut eine Chance in den Kreis derjenigen aufgenommen zu werden, die sich als mündige und vollwertige zur Organspende bereite Bürger erwiesen haben: denn wie alle Berufspolitiker im Bundestag wissen und Frank-Walter Steinmeier sagt, Organspende ist eine Frage der Mitmenschlichkeit – und wer will sich schon aus dem Kreis der Mitmenschen ausschließen – Sie etwa? Also spenden Sie gefälligst, und wenn Sie nicht spenden wollen, dann überlegen sie “reiflich”, wie Malte Pieper es fordert, wobei reifliche Überlegung für Pieper nur ein Ergebnis zulässt: Die Bereitschaft, Organe zu spenden, und wenn “die Zahl der Organspender plötzlich steigen [würde], würde …[ihn] das sehr freuen”. Ich weiß ja nicht wie es Ihnen geht, ich will schon, dass sich Malte Pieper freut, für Maltes Freude ist mir fast kein Preis zu hoch. Dafür vergesse ich fast alle Probleme, die sich mit der Feststellung des Hirntods bei potentiellen Organspendern verbinden und die dazu führen, dass Organspender sich zuweilen körperlich bester Gesundheit erfreuen, wenn sie explantiert werden (d.h. wenn sie ausgeräumt werden ohne Herztod zu sein).

Ich überlasse es Kommentatoren zum Kommentar von Malte Pieper hier die schnöde Realität einzuführen:

Auf meiner Brust prangt der eintätowierte Schriftzug “No explantation”- möge Gott geben, dass er respektiert wird. Nachdem ich einmal bei einer Organentnahme eines “Hirntoten” dabei war- Nie mehr wieder. Der Puls ist da, er stöhnt und windet sich… Einem Toten kann kein Organ entnommen werden. Hier wird Geschäft gemacht, mit Mitleid. Auch zu Lasten der Empfänger- Ihnen wird nämlich vorenthalten dass sie früh sterben, und lebenslang teuere Medizin schlucken müssen.

Derlei kritisches Hinterfragen des derzeitigen Organspende-Hypes trübt nur die Freude, die Malte Pieper empfinden wird, wenn wir alle unsere zweite Niere spenden. Auch Fakten wie die folgenden, sind nur geeignet, die Freude von Malte Pieper und seine unsägliche Ahnungslosigkeit über die Probleme, die sich mit Organspende verbinden, zu trüben bzw. zu beheben:

  • Die besten Organspender sind jungen Menschen. Organe von alten Menschen haben eine hohe Wahrscheinlichkeit, zur Transplantation nicht brauchbar zu sein oder abgestoßen zu werden. Dies ist ein Grund, warum 16jährige ihre Organe spenden dürfen, obwohl sie nicht volljährig sind.
  • Eine Transplantation von Organen, so zeigen die Zahlen des US-Department of Health and Human Services, überleben 93,8% der Patienten, die eine Spender-Niere erhalten haben, 90,5% derjenigen, denen eine Bauchspeicheldrüse transplantiert wurde, 82,4% derjenigen, denen ein Herz transplantiert wurde, 76,7% derjenigen, denen eine Leber transplantiert wurde, 68,4% derjenigen, die eine Spender-Lunge erhalten haben und 57%, die eine Herz- und Lungen-Transplantation haben über sich ergehen lassen.
  • Die heile Traumwelt von Malte Pieper, dem Helfer aller, die auf ein Spenderorgan warten, wird weiter getrübt durch die Tatsache, dass Transplantations-Patienten ein Leben mit Medikamenten erwartet, die ihr eigenes Immunsystem unterdrücken und sie entsprechend deutlich anfälliger für Infektionen aller Art machen (was im Zusammenhang mit AIDS noch als erhebliches Problem wahrgenommen wurde) und insbesondere ein sehr hohes Risiko, an Hautkrebs zu erkranken, mit sich bringen (deshalb sollen Transplantationspatienten nach Empfehlung von US-amerikanischen Transplantationskliniken nur mit langen Ärmeln, langen Hosen, Sonnenbrille, Sonnenschutzcreme im Gesicht und Handschuhen an den Händen ins Freie gehen).
  • Die häufigsten Infektionen, die innerhalb von vier Wochen nach einer Transplantation auftreten, sind Wundinfektionen, oder Infektionen der Harnwege, nach einem bis sechs Monaten stellen sich häufig Infektionen der Atemwege ein, außerdem haben Patienten eine erhöhte Gefahr, sich das Epstein-Barr Virus zuzuziehen, das sich nicht mehr aus dem Körper entfernen lässt und bei Patienten mit geschwächtem Immunsystem bzw. Patienten, deren Immunsystem unterdrückt wird, u.a. zu Krebs führt. Die häufigsten Infektionen sechs Monate nach der Transplantation sind Pilzinfektionen und Gürtelrosen.
  • Viele transplantierte Organe werden innerhalb der ersten 24 Stunden trotz aller Maßnahmen zur Unterdrückung des Immunsystems vom Aufnahmekörper abgestossen. Dieser “hyperacute rejection” folgt die “acute rejection”, die den Aufnahmekörper das transplantierte Organ innerhalb von einer Woche abstoßen sieht. Auch wer die erste Woche überlebt, hat keine Gewissheit, dass sein Körper das transplantierte Organ akzeptiert, denn eine chronische Abstoßung kann noch Monate oder Jahre nach der Transplantation erfolgen.
  • Wiederum US-amerikanische Daten zeigen, dass 5 Jahre nach einer Transplantation noch 86,3% der Patienten, denen eine Niere transplantiert wurde, am Leben sind, während nach 10 Jahren noch 65,7% am Leben sind. Von den Patienten, denen eine Leber transplantiert wurde, sind nach 5 Jahren noch 69,3% am Leben, nach 10 Jahren sind es noch 52,2%, die Überlebensraten für Lungen-Transplantationen sind: 5 Jahre: 55,6%, 10 Jahre: 25,9%, für Herz-Transplantationen: 5 Jahre: 74,2%, 10 Jahre: 55,2% und für Herz-Lungen-Transplantationen: 5 Jahre: 38,8%, 10 Jahre: 22,5%.
Black Markets

Man hätte erwartet, dass Informationen wie die zusammengestellten, für die ich mich bei Dr. habil. Heike Diefenbach herzlich bedanke, von Journalisten, die doch informieren wollen, zusammengestellt werden. Man hätte von Journalisten erwartet, dass sie mehr sind als die  Clakeure von Politiken, über die sie sich persönlich freuen. Aber nicht nur das, von z.B. einer kritischen Soziologie, die es auch in Deutschland für kurze Zeit gab (bevor sich Soziologen auf ihr geistiges Altenteil zurückgezogen haben, um sich dort mit weitgehend irrelevanten und entsprechend unkritischen Themen wie “Vielfalt und Zusammenhalt” zu beschäftigen), erwartet, dass sie die Frage nach den Interessen stellen, die hinter der so heftig betriebenen Kampagne zur Spende von Organen stehen. 12.000 Menschen, die auf ein Spenderorgan warten, haben eine Einheitsfront von Politikern geschaffen, die erstaunlich ist, und auf die man z.B. wenn es darum geht, die Ursachen der kürzeren Lebenserwartung von Männern zu erkunden und vielleicht sogar zu beseitigen, vergeblich wartet. Entsprechend stellt sich die Frage, was haben all die Berufspolitiker davon, wenn Klaus Vollmer seine Niere spendet? Dass sie sich über die Spende freuen wie kleine Kinder oder wie Malte Pieper wird ja wohl niemand glauben. Also wäre es an kritischen Soziologen, den Weg, den Spenderorgane nehmen, die Interessen, die hinter der Organspende stehen und den Gewinn, den man mit Organspende erzielen kann, aufzuzeigen – wenn es sie gäbe.

Dagegen ist die Frage, wieso Journalismus heutzutage darin besteht, sich öffentlich zu freuen und was Journalisten wie Malte Pieper motiviert, sich öffentlich als Retter der Organbedürftigen und Mahner der Organspendemuffel aufzuspielen, keine Frage, mit der man Soziologen traktieren muss, denn diese Frage wurde von Psychologen und Soziologen in ihren Studien zur autoritären Persönlichkeit, der Persönlichkeit, die die eigene Identität dadurch gewinnt, dass Sie sich einem höheren Guten, einem Kollektiv zuordnet, um von diesem gesicherten Punkt aus sich im Besitz der verbalen oder auch physischen Herrschaft (die freilich von Dritten ausgeübt werden muss) über andere wähnen zu können, längst beantwortet: Kleiner Mann ganz groß eben.

Daten zur Organspende in Hülle und Fülle gibt es beim US Department of Health and Human Services

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