Lügen mit Zahlen – Eine Rezension

“Lügen mit Zahlen. Wie wir mit Statistik manipuliert werden”

von Gerd Bosbach und Jens Jürgen Korff. (Taschenbucherstausgabe 09/12.)

München: Wilhelm Heyne Verlag; Euro 18,99.

von Dr. habil. Heike Diefenbach

Luegen mit Zahlen

Eigentlich schreibt man Rezensionen vor allem für diejenigen, die sich für ein Buch interessieren, aber noch unentschlossen darüber sind, ob sie ihre Zeit sinnvollerweise mit der Lektüre dieses Buches verbringen sollten oder sie anderweitig nutzen sollten. Bei dem genannten Buch ist damit zu rechnen, dass einige Leser dieser Rezension es bereits gelesen haben oder zumindest schon von ihm gehört haben: Dem Buch wurde in der Tagespresse (im Vergleich zum durchschnittlichen Sachbuch) große Aufmerksamkeit geschenkt, und es wurde dementsprechend relativ häufig rezensiert oder doch zumindest genannt und kurz beschrieben. Verschiedene Radiosender haben den Erstautoren, Herrn Bosbach, zum Interview geladen, und darüber hinaus hält Herr Bosbach Vorträge, in denen er sein Buch oder bestimmte Themen aus seinem Buch erläutert. Weitere Popularität erhält das Buch dadurch, dass die Autoren des Buches speziell ihm gewidmete Internetseiten – zu finden unter der Adresse http://www.luegen-mit-zahlen.de/ – unterhalten, auf denen das Buch vorgestellt wird, das Presseecho dokumentiert wird und dass ein blog zu finden ist, in dem die Autoren des Buches neue Beispiele für „Zahlenlügen“ präsentieren, aber auch Leser der Seiten eigene „Funde“ präsentieren oder auch nur den Autoren zu ihrem Buch gratulieren können.

Prinzipiell freut es mich, wenn ein in verständlicher Sprache geschriebenes Sachbuch sich an eine breite Öffentlichkeit wendet, um sie darauf aufmerksam zu machen, dass sie mit  Statistiken manipuliert wird, und ihr Kenntnisse an die Hand geben will, die die Manipulation erschweren sollen. Immerhin ist dies etwas, zu dem ScienceFiles ja auch einen Beitrag bringen will. Und trotzdem hinterlässt das Buch bei mir einen zwiespältigen Eindruck. Warum, will ich später begründen. Gehen wir nach der bewährten Methode des Rezensierens vor, die zunächst einmal nach einer schlichten Beschreibung dessen verlangt, was einen Leser eines Buches erwartet, wenn er es zur Hand nimmt.

Die Autoren

Das Buch „Lügen mit Zahlen“ wurde von Prof. Gerd Bosbach gemeinsam mit M.A. Jens Jürgen Korff verfasst. Der Autoreninformation kann man entnehmen, dass Ersterer Statistik, Mathematik „und Empirie“ an der Fachhochschule Koblenz, Standort Remagen, lehrt, und dass Letzterer „studierter Historiker und Politologe, Werbe- und Webtexter [und] Autor …“ ist.

Inhalt des Buches

Inhalt Luegen mit StatistikNeben einem Prolog enthält das Buch sechzehn Kapitel, einen Epilog, einen Hinweis zu den Zitaten und Abbildungen, eine Danksagung, Literaturhinweise und ein Register, das sowohl ein Sach- als auch ein Personenregister ist. Im sechs Seiten umfassenden Prolog der überschrieben ist mit „Kriminelle Zahlen“ werden dem Leser zunächst Beispiele für unerwartete Sachverhalte und für typische Fehleinschätzungen mit Bezug auf Wahrscheinlichkeiten gegeben. Anschließend werden die Fragen aufgeworfen, ob „Zahlenangaben stets etwas Rationales“ seien und „[w]arum so viele Menschen an Zahlen [glauben], als ob sie eine Religion wären“ (12). Darauf folgt das Versprechen der Autoren, den Leser zu lehren, die „Dummheit“ im „Gewand von Parametern, Tabellen und Graphen“ zu erkennen: „Wir versprechen Ihnen: Bald werden Sie wissen, mit welchen Tricks der statistischen Schönfärberei, Aufbauscherei, Ausblenderei und Lügerei sognannte Sachzwänge konstruiert und wichtige Entscheidungen beeinflusst werden“ (12). Es folgt ein kurzer Abschnitt über die Erfahrungsgrundlage, von der aus die Autoren dies zu leisten  können glauben, ein weiterer, der nochmals die aufklärerische Absicht des Buches betrifft, und ein m.E. sehr wichtiger, aber ebenfalls sehr kurzer Abschnitt darüber, dass man aber „bitte nicht das Kind mit dem Bade ausschütten [solle]. Zahlen und Statistiken sind und bleiben … ein höchst nützliches Instrument, um wichtige Teile der Wirklichkeit zu beschreiben“ (13). Der nächste Abschnitt im Prolog beschreibt die Art der Darstellung, die im Buch gewählt wurde – „[d]amit dieses Buch … locker bleibt …, schmücken wir es mit zahlreichen persönlichen Erlebnissen aus, die Gerd Bosbach … erlebt hat [, und] Coautor Jens Jürgen Korff sorgt für Lesefreundlichkeit und würzt als Historiker das Werk vor allem mit neugierigen und klugen Zwischenfragen, mit eigenen Beispielen aus dem Umweltbereich sowie mit einem Abstecher in Philosophie und Psychologie der Zahlengläubigkeit …“ (13/14). Dann beschreiben die Autoren kurz den Aufbau des Buches und wünschen den Lesern „so manches Aha-Erlebnis“ (14).

Wie die Autoren im Abschnitt über den Aufbau des Buches selbst bemerken, behandeln die ersten zehn Kapitel „bestimmte[…] Methoden“ (14), allerdings nicht, wie man vielleicht meinen könnte statistische Methoden, sondern Methoden der Täuschung mit Statistiken, und zwar „zunächst an Beispielen und dann prinzipiell“ (14). So wird in Kapitel 1 darauf hingewiesen, dass alles zwei Seiten habe und beispielsweise eine Graphik, in der Zuzüge und Fortzüge nach und aus Deutschland dargestellt sind, einer Graphik, die „einseitig“ (27) nur die Zuzüge zeigt, vorzuziehen sei, weil  mit Letzterer die „Panik vor der ‚Überfremdung‘ geschürt“ (27/28) werde. In Kapitel 2 wird beschrieben, dass ein „Bild schneller lüg[e] als tausend Zahlen“, weil je nachdem, wie die Skalierung in einem Diagramm gewählt wurde, dieselbe (zahlenmässige) Entwicklung sehr steil oder flach verläuft und daher optisch Unterschiedliches suggerieren kann. Kapitel 3 thematisiert das Problem, dass statistische Korrelationen häufig als Kausalitäten interpretiert werden bzw. dass der Entscheidung darüber, was man als Prozentuierungsbasis wählt, eine ausgesprochene oder unausgesprochene Vermutung über eine Kausalität bzw. ihre Richtung zugrunde liegen kann, die dem Sachverhalt (vielleicht) gar nicht angemessen ist. Außerdem wird in Kapitel 3 darauf hingewiesen, dass Zusammenhänge zwischen zwei Größen dadurch zustande kommen können, dass eine dritte Größe mit jeder von ihnen zusammenhängt und daher den Zusammenhang zwischen den ersten beiden, die an sich nicht inhaltlich zusammenhängen, herstellt. Die Abhängigkeit der Aussage relativer Häufigkeiten in Form von Prozentanteilen von den absoluten Zahlen, auf deren Grundlage prozentuiert wird, ist Gegenstand von Kapitel 4. Kapitel 5 geht auf weitere typische Fehler bei der Interpretation von Prozentangaben und vor allem auf Fehlinterpretationen von prozentualen Veränderungen ein. In Kapitel 6 wird dann darauf aufmerksam gemacht, dass es zu Fehlinterpretationen kommen kann, wenn man seine Erkenntnisse über Sachverhalte auf selegierte Stichproben stützt. Kapitel 7 kann als eine Fortsetzung von Kapitel 6 aufgefasst werden, denn in ihm geht es um Wahlprognosen bzw. darum, dass Wahlprognosen „eben nicht die Allgemeinheit der Wähler widerspiegeln“ (111) und daher unzuverlässig sind und dass sie außerdem darunter leiden, dass Befragte auch dann inhaltliche Antworten hinsichtlich ihrer Wahlabsicht geben, wenn sie sich gar nicht sicher darüber sind, wen sie wählen möchten (117). Aufmerksam gemacht wird auch darauf, dass Meinungsforschungsinstitute Auftraggeber haben, und dies einen Effekt auf das haben könnte, was die entsprechenden Institute feststellen (122). Kapitel 7 bereitet seinerseits  Kapitel 8 insofern vor als es in Kapitel 8 um das Problem, Prognosen zu erstellen, im Allgemeinen geht. Die Hauptaussage dieses Kapitels ist, dass Prognosen niemals zuverlässig erstellt werden können, weil „[v]iele Entwicklungen […] ungleichmäßig [verlaufen] (139) und weil es immer intervenierende Größen geben kann, die die zukünftige Entwicklung in der Realität beeinflussen, aber nicht vorhersehbar oder einschätzbar waren. Dementsprechend warnen die Autoren vor „Langfristprognosen“ (243). Kapitel 9 zeigt, wie es zu Fehlschlüssen kommen kann, wenn man Mittelwerte für verschiedene Subgruppen miteinander „verrechnet“ oder wenn man nicht vergleichbare Gruppen miteinander vergleicht bzw. wenn man von gleichen Verteilungen in verschiedenen Gruppen ausgeht, deren Verteilungen tatsächlich nicht gleich sind. In Kapitel 10 sind „[n]eun weitere Zahlentricks“ (161), jeweils relativ kurz, dargestellt. Unter ihnen scheint mir persönlich der Abschnitt über „Definitionen“ (165) am wichtigsten zu sein, weil sich (auch) meiner eigenen Erfahrung nach viele Konsumenten von Statistiken nicht die Zeit nehmen zu prüfen, wer oder was genau in den dargestellten Größen enthalten ist, sondern dahingehend ihrem Alltags- oder Plausibilitätsverständnis folgen.

Die Kapitel 11 bis einschließlich 13 „stellen politische Komplexe wie Armut, Gesundheitswesen und Rentenversicherung in den Mittelpunkt. Hier untersuchen wir, wer auf dem jeweiligen Feld welche der bereits bekannten Methoden einsetzt, um bestimmte Ziele durchzusetzen“ (14). Dann folgt der Exkurs „über den Kult der Zahl“, der (m.E. unnötiger- und irritierender Weise) als fiktives Gespräch formuliert ist. Kapitel 14 über „[d]ie Dummen und die Bösen“ (239) präsentiert Beispiele, die zeigen sollen, wie kleine Fehler auf Seiten derer, die Statistiken berichten (wie ein vergessenes Komma in einer Ziffer), aber auch böse, d.h. Fälschungs- oder Täuschungs-, Absicht die Realitätswahrnehmung von Menschen und dadurch, dass Menschen aufgrund dieser Wahrnehmungen handeln, die Realität selbst beeinflusst haben. Kapitel 15 stellt den positiven Teil des Buches dar, denn in ihm stellen die Autoren eine „Checkliste“ bereit, die fünfzehn Punkte enthält und dabei helfen soll, Statistiken zu „prüfen“ (270). Teilweise schlagen sich in dieser Checkliste Argumente nieder, die in den Kapiteln 1 bis 10 gemacht wurden (wie z.B. bei Punkt 10: „Grafiken prüfen: Thema, Achsen, optische Effekte“ (270)), teilweise werden aber auch neue Tipps gegeben, wie z.B. der, dass man „[d]ie Daten hinter den Grafiken anfordern und prüfen“ (270) soll oder – inhaltlich wenig hilfreich – „Ruhe bewahren und nichts überstürzen“ (270) soll. Kapitel 16 enthält zwölf Aufgaben, damit Leser üben können, das „Kennengelernte  auch an[zu]wenden …“ (287). Zu jeder dieser Aufgaben machen die Autoren „Lösungsvorschläge“ (287). Es folgen der oben bereits erwähnte gut eine Seite lange Epilog, der Hinweis zu den Zitaten und Abbildungen, eine Danksagung, eine Seite mit Literaturhinweisen und das Register.

Kritische Würdigung des Buches

M.E. ist jedes Buch, dessen Anliegen es ist oder das dabei helfen will (und kann), Kritikfähigkeit zu fördern, im Prinzip positiv zu bewerten. Insofern das Buch von Bosbach und Korff die Kompetenz im Umgang mit Statistiken und Graphiken tatsächlich fördert, ist es  ein verdienstvolles Buch. Die Frage, die sich mir stellt, ist aber, ob es das tatsächlich tut.

Auf einer Ebene ist die Frage zu bejahen: Wer sich noch nie mit Wahrscheinlichkeitsrechnung beschäftigt hat (oder wieder vollständig vergessen hat, was er darüber gelernt hat,) oder sich noch nie gefragt hat, wie eigentlich die Größen definiert sind, über die berichtet wird, z.B. „Sozialausgaben“, und wer noch nie darauf gekommen ist, dass ein hergestellter Zusammenhang vielleicht in die andere Richtung als die dargestellte gehen könnte, dem mag dieses Buch von Nutzen sein. Wie viele Menschen das sind, vermag ich nicht zu beurteilen, aber mir scheinen die „Tricks der der statistischen Schönfärberei, Aufbauscherei, Ausblenderei und Lügerei [mit deren Hilfe] sogenannte Sachzwänge konstruiert und wichtige Entscheidungen beeinflusst werden“ (12), auf die die Autoren die Leser hinweisen, doch eher leicht erkennbar zu sein, wenn man über ein wenig Kritikfähigkeit und hinreichend Interesse an der Sache, die in einer Statistik oder Graphik mitgeteilt wird, verfügt. Im Englischen würde man wohl sagen, dass das, was die Autoren berichten, alles „pretty basic“ ist. Das spricht nicht gegen das Buch als solches, denn wenn es jemandem nützlich ist, hat es auch eine Existenzberechtigung – keine Frage.

chickenstonesAuf einer anderen Ebene habe ich Zweifel, ob dieses Buch Kritikfähigkeit tatsächlich fördern kann oder will. An vielen Stellen des Buches wird dies explizit behauptet, und es gibt zunächst keinen Grund, den Autoren diesbezüglich mit Misstrauen zu begegnen. Zumindest scheint es mir aber zweifelhaft, ob sie ihren eigenen Anspruch, so sie ihn denn haben, einlösen konnten oder hinreichend Sorgfalt gezeigt haben, um dieses Ziel zu erreichen. So fällt auf, dass die Autoren an vielen Stellen im Buch widersprüchliche Botschaften senden: Einerseits betonen sie mehrfach, dass Statistiken nützliche Instrumente seien (13), dass nicht „resigniert“ werden solle im Umgang mit Statistiken etc. Sie zitieren den „Statistiker Dieter Hochstädter“ (239) mit seiner Aussage, dass nicht die Statistik schlecht sei, sondern die Kenntnisse, die zu ihrer korrekten Interpretation nötig seien, oft nicht vorhanden wären, oder die Interpretationen Interessen beeinflusst seinen (239/240). Andererseits werden bereits in der Überschrift zum Prolog Zahlen als „kriminell“ (9) bezeichnet, so, als seien Zahlen als solche abzulehnen, eben weil sie „kriminell“ seien oder zumindest suspekt, und in der Überschrift zu Kapitel 2 werden auch Bilder des Lügens bezichtigt; „[e]in Bild lügt [sogar] schneller als tausend Zahlen“ (31). Auch Behauptungen wird von den Autoren ein schlechter Charakter unterstellt: „Besondere Vorsicht ist also geboten bei Behauptungen nach dem Muster: ‚Seit ich in der Mannschaft spiele, haben wir nicht mehr verloren‘ … oder allgemein: Seit A gilt, können wir auch B feststellen. Selbst wenn der zeitliche Zusammenhang gilt, ist damit A noch lange nicht die Ursache für B“ (66; Hervorhebung im Original). Genau das wird in der Behauptung aber gar nicht behauptet. Behauptet wird ja tatsächlich nur der Zusammenhang als solcher. Wer eine andere Bedeutung in diese Aussage hineinliest, begeht einen Fehler, aber es ist der Fehler der Person, die dies tut, nicht der Behauptung.

Gerade bei dem eher unbedarften Leser, auf den das Buch zielt – die Autoren solidarisieren sich im Prolog mit ihren Lesern gegenüber denen „da oben“ (12), die man doch eigentlich für „kluge Leute“ (12) halten solle –, können solche irreführenden Darstellungen wie die, vor Aussagen, die eine bestimmte Form haben, sei immer Vorsicht geboten, zu der Fehleinschätzung führen, dass jemand, der eine solche Aussage macht, prinzipiell im Unrecht sei oder eigentlich etwas ganz anderes sagen wollte als das, was die Aussage tatsächlich beinhaltet.

Ein weiteres Zitat zeigt, wie die Autoren Statistiken bzw. Aussagen mit einem Eigenleben ausstatten, das sie schlicht nun einmal nicht haben: „Wir hoffen, Sie verstehen jetzt unsere Skepsis gegenüber dem öffentlichen Umgang mit Langfristprognosen. Meisten lenken sie von heutigen Problemen ab oder verstecken aktuelle, kurzfristige Interessen im Nebel einer angeblichen Schau in die Zukunft. Das heißt aber nicht, dass wir grundsätzlich gegen Prognosen seien. Wir brauchen sie, um für die Zukunft zu planen“ (143). Dieses Zitat ist in mehrerer Hinsicht typisch für das Buch: Es illustriert wieder den paternalistischen Ton, den die Autoren dem Leser gegenüber anschlagen, es bewertet (sicherlich größtenteils zurecht) den „öffentlichen Umgang“ mit Statistiken negativ, kritisiert dann aber nicht eben diesen Umgang, sondern unterstellt statt dessen den Statistiken eine Ablenkungs- und Vernebelungsabsicht, die sie schwerlich von sich aus haben können, und schließlich relativieren die Autoren dann ihre eigene negative Einschätzung. Das Ganz liest sich wie der sprichwörtliche Eiertanz. Mit viel gutem Willen könnte man das für eine Ungeschicklichkeit in der Darstellung halten, aber falls es eine ist, ist sie so groß, dass das, was das Buch an Aufklärung bewirkt, Gefahr läuft durch das aufgewogen zu werden, was es an neuen Irrtümern und Missverständnissen provoziert.

Leider wird man bei der Lektüre das Gefühl nicht los – falsch, das Gegenteil ist der Fall: es wird bei fortschreitender Lektüre immer stärker –, dass es sich hier nicht nur um Ungeschicklichkeit handelt, sondern die Autoren ideologisch geprägt sind und die Bewertung von Dingen durch die Autoren unangemessen ausfällt, weil sie sie mit dem ideologischen Feind assoziieren. Beispielsweise lassen die Autoren ihre Warnung vor Behauptungen „nach dem Muster: ‚Seit ich in der Mannschaft spiele, haben wir nicht mehr verloren‘ … oder allgemein: Seit A gilt, können wir auch B feststellen“, direkt der Bemerkung folgen, dass „Faschisten und andere Demagogen […] es manchmal besonders geschickt [machen] und […] in einer Diskussion gar nicht offen eine Kausalität [behaupten]. Sie sagen also nicht: Die Ausländer sind häufig kriminell; deshalb müssen sie verschwinden. Sondern sie sagen etwa: Seit die vielen Ausländer da sind, ist die Kausalität stark gestiegen. …“ (66). Es scheint, dass die Autoren meinen oder dem Leser nahelegen möchten, sogar formal solche Aussagen zu vermeiden, die „Faschisten und andere Demagogen“ (wie die Autoren, oder wen genau zählen die Autoren hierzu?) benutzen, denn man will ja nicht wie diese sprechen. Auf diese Weise gerät das Buch, das zum kritischen Denken anhalten wollte, in bedenkliche Nähe zur Anleitung zum politisch korrekten Sprechen.

Skewed distributionWeitere ihrer politische Feinde sprechen die Autoren im Kapitel 7 an, das Wahlprognosen behandelt. Hier fragen die Autoren, nachdem sie die Unzuverlässigkeit der Wahlprognosen illustriert haben: „Wer sind eigentlich die Auftraggeber? Im Fall Allensbach ist es die Frankfurter Allgemeine Zeitung, also ein politisch eindeutig konservatives Presseorgan. Bei der Forschungsgruppe Wahlen ist es das ZDF, dem ebenfalls eine traditionelle Nähe zur CDU nachgesagt wird. Die ARD beauftragt Infratest/dimap, ‚Stern‘ und RTL beauftragen Forsa, der Fernsehsender N24 beauftragt EMNID. Einige dieser Medien zitieren auffällig häufig FDP-Politiker, namentlich Guido Westerwelle. Von daher passt es schon ganz gut zusammen, wenn die Forschungsinstitute regelmäßig CDU/CSU und FDP mit guten Umfragewerten herausputzen“ (122). Eigentlich sind die hier gewählte Sprache („passt schon ganz gut“, „herausputzen“) und die Mitteilung völlig irrelevanter Informationen („namentlich Guido Westerwelle“) selbstredend, aber ich kann es mir dennoch nicht verkneifen, zu fragen, wieso die Autoren hier dieselben Tricks anwenden, gegen die ihre Leser doch eigentlich immunisieren möchten, beispielsweise der Trick der „vergessenen zweiten Seite“, der gleich in Kapitel 1 thematisiert wird: Offensichtlich haben die Autoren gänzlich „vergessen“, den Medien-Mega-Konzern der SPD daraufhin zu betrachten, wie er agiert, um „Herauszuputzen“. Wieder drängt sich das schlechte Gefühl auf, dass Wahlprognosen nur deshalb oder so lange unzuverlässig und abzulehnen sind wie sie denjenigen Parteien Wahlstimmen prognostizieren, die die Autoren nicht mögen.

Bedauerlicherweise ziehen sich solche peinlichen Fehler samt der zugehörigen Kampfsprache, die die Autoren „peppiger“ (309) finden als eine der Sache angemessene Darstellung durch das gesamte Buch. Alles, was nicht der Ideologie und Politik der SPD entspricht, kommt in dem Buch sehr schlecht weg. Sofern eine Abweichung von SPD-Ideologie nach links thematisiert wird (was sehr selten passiert), wird sie aber immerhin in eine Form gegossen, die die (angeblichen oder vermeintlichen) Täuschungen mit Zahlen nicht mehr als solche, sondern als „Kniffe“ bezeichnet und sie darüber hinaus als Fähigkeit und Kenntnisreichtum darstellt: „Dass sich auch Linke auf solche statistischen Kniffe verstehen, bewies der Politologe und frühere PDS-Abgeordnete Winfried Wolf …“ (77). Ganz andere Worte finden die Autoren für „FDP, Unternehmerverbände und Wirtschaftsprofessoren“ (22) und „Westerwelle [, der] glauben machen will, …“ (209) und „behauptete …, Hartz-IV-Empfänger bekämen zu viel Geld“ (208). Was die Autoren hier bemerken, spricht nicht für oder gegen Aussagen, die in Form von Statistiken gemacht werden, und klärt über nichts auf, außer darüber, dass die Autoren liberales Gedankengut ablehnen (weswegen man sie per definitionem auch als Faschisten bezeichnen könnte, wenn man es denn in irgendeinem Zusammenhang für sachdienlich hielte,) und insbesondere Herrn Westerwelle nicht mögen und eine so große psychologische Not fühlen, dem Ausdruck zu verleihen, dass sie zeitweise vergessen, worüber sie eigentlich ein Buch schreiben wollten. Vielmehr wird die Lektüre des Buches dadurch und aufgrund der ständigen Bemühung derselben Feindbilder zunehmend langweilig, frustrierend oder ärgerlich (je nach persönlicher Tagesform des Lesers).

Ein Rezensent des Buches hat das Buch (auf den Internetseiten zum Buch wie oben angegeben) zusammengefasst als „Viel Ideologie, wenig Information“, und ich kann – gelinde gesagt – nachvollziehen, wie er zu diesem Eindruck kommt. Das Problem mit diesem Buch ist aber nicht nur, dass man sich die wenige Information durch das Durchleiden völlig überflüssiger und abstoßender ideologischer Tiraden erkaufen muss, sondern auch und vor allem, dass das Buch aufgrund seiner ideologischen „Schlagseite“ suggeriert, politische Korrektheit oder das, was die Autoren dafür halten, sei ein Ergebnis kritischen Denkens bzw. ihre Weltanschauung sei das, was sich ergeben müsse, wenn man selbst nicht zu den „Dummen und … Bösen“ (wie es in der Überschrift von Kapitel 14 heißt) gehört, also zu all denen, die nicht die Weltanschauung der Autoren teilen.

Wer auf die Tricks der Autoren nicht hereinfällt, weil er sie durchschaut, könnte das Buch gefahrlos lesen, aber dann hätte er die Lektüre kaum nötig und würde ggf. nur seine Zeit mit ihm verschwenden. Wer auf die Tricks der Autoren hereinfällt, kann sich in seiner Ideologie bestätigt fühlen, wenn auch nur deshalb, weil die Autoren die weltanschaulichen Gegner als (angebliche oder tatsächliche) Lügner, Täuscher und Manipulateure entlarvt haben. Das ersetzt aber keine positive Begründung für die eigenen Überzeugungen und Behauptungen, und es hilft niemandem dabei, seine Einschätzungen rational, also auf der Basis einer Abwägung von Argumenten und Gegenargumenten, zu formulieren. Und deshalb ist mein Eindruck der, dass das Buch mehr Schaden als Nutzen stiftet, aber auch deshalb, weil es suggeriert, dass man Statistiken angemessen beurteilen könne, wenn man nur den Tipps der Autoren folge, auch, wenn man keine Ahnung von Statistik hat. Das ist nicht so: Statistiken heißen Statistiken, weil sie mit Statistik zu tun haben! Kritisch über sie nachdenken kann letztlich nur, wer ihre Aussage beurteilen kann, und das kann man nicht, wenn man nicht „rechnen“ kann bzw. die mathematischen Grundlagen von Statistik kennt. Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Autoren ihrem Buch keinen echten positiven Teil beigegeben haben, wie und warum man sachlich angemessene, das heißt gute im Sinne von qualitätvolle Statistiken präsentiert.

Alles in allem muss ich in Abwandlung eines Kommentars auf den Internetseiten zum Buch für meinen Teil feststellen: „Guter Zweck (so hoffe ich jedenfalls), schlechte Umsetzung: fragwürdiges Buch“.

Alternativ würde ich zur Lektüre eine Einführung in die Statistik empfehlen. Alles, was Bosbach und Korff als manipulative Tricks beschreiben, sind Fehler auf Seiten der Konsumenten von Statistiken, die leicht korrigierbar bzw. vermeidbar sind, wenn man sich dem widmet, was Statistik macht, will und kann bzw. was sie nicht macht, will und kann.

Bildnachweis:
Tutor Vista
Savage Chickens

Einige Einführungen in die Statistik sind:

Für alle, die lieber das Original lesen:
Krämer, Walter (2011). So lügt man mit Statistik. München: Piper

Für alle, die Konzepte der Statistik verstehen wollen, ohne nennenswerte mathematische Kenntnisse zu haben:

Rowntree, Derek (1991). Statistics without Tears An Introduction for Non-Mathematicians. London: Penguin.

Für Leser, die Statistik vom Grund auf verstehen wollen:

Benninghaus, Hans (2007). Deskriptive Statistik: Eine Einführung für Sozialwissenschaftler (Studienskripten zur Soziologie). Wiesbaden: VS-Verlag.

Bortz, Jürgen (2010). Statistik für Human- und Sozialwissenschaftler (Lehrbuch mit Online-Materialien). Berlin: Springer.

Bücher, die sich an eine ähnliche Klientel richten wie das rezensierte Buch:

Rumsey, Deborah (2004). Statistik für Dummies: Grundlagen der Statistik. Weinheim: Wiley-VCH.

(Man vergleiche Kapitel 21 in diesem Buch mit der 15-Punkte-Checkliste in Kapitel 15 des rezensierten Buches von Bosbach und Korff.)

Rumsey, Deborah (2010). Statistik für Dummies. Weinheim: Wiley-VCH.

Rumsey Deborah (2012). Weiterführende Statistik für Dummies. KINDLE-Edition. Weinheim: Wiley-VCH.

Besser sind jedoch die Originale (wegen flapsiger Übersetzung und Sinnveränderungen in den deutschprachigen Ausgaben):

Rumsey, Deborah J. (2010). Statistics Essentials for Dummies. Hoboken: Wiley.

Rumsey, Deborah J. (2011). Statistics for Dummies. Hoboken: Wiley.


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