Nonsense Studies: Wenn die Facebook-Nutzung verschnupft

Haben Sie im Verlauf der letzten 10 Wochen Schnupfen, Husten, eine Bronchitis, eine Grippe oder eine sonstige Erkrankung der Atemwege gehabt? Haben Sie im Verlauf der letzten 10 Wochen regelmäßig oder doch häufig Facebook benutzt? Haben Sie im Verlauf der letzten 10 Wochen Stress empfunden? Und heute, da Sie sich auf ScienceFiles eingefunden haben, um diesen Beitrag zu lesen, gedenken Sie heute den bereitgestellten Link zu Facebook zu benutzen und haben Sie das in den letzten 10 Wochen auch schon einmal getan? Oder lesen Sie am Ende ScienceFiles auf Facebook?

facebook_logoNun, wenn Sie auf alle die gestellten Fragen mit “ja” geantwortet haben, dann könnte es sein, dass sie vom Besuch von ScienceFiles verschnupft sind. Wie? Ganz einfach. Sie haben auf ScienceFiles einen Text gelesen. Sie haben nach dem Lesen auf den Facebook-Button geklickt. Oder Sie folgen ScienceFiles auf Facebook, lesen unsere Text von Facebook aus. Sie haben einen Schunpfen entwickelt. Braucht es noch mehr, um die Kausalität zwischen (ScienceFiles), Facebook und Ihrem Schnupfen zu belegen?

Ich hoffe, niemand der dies liest, denkt, ich würde mir hier einen Spass erlauben. Ich bin tief gekrämt aufgrund des aufkeimenden Verdachts, ich könnte dazu beitragen, dass Leser dieses blogs verschnupft reagieren, wenn sie einen Text von ScienceFiles gelesen haben. Dass ich mich so kräme hat eine Ursache, einen Text, den Jay Campisi, Pamela Bynog, Hope McGehee, Joshua C. Oakland, Shannon Quirk, Carlee Taga und Morgan Taylor in Heft 12 der Zeitschrift “Cyberpsychology, Behavior and Social Networks” im Jahr 2012 veröffentlicht haben. Der Text trägt die Überschrift “Facebook, Stress, and Incidence of Upper Respiratory Infection in Undergraduate College Students” und zeigt nach Ansicht der Autoren, dass intensive Facebook-Nutzung in einem Zusammenhang mit Schnupfen steht.

Na ja, vielleicht bin ich doch nicht so gekrämt, eher ärgerlich ob des Unsinns, der da Eingang in eine Zeitschrift gefunden hat, die sich “wissenschaftlich” nennt. Aber, wie ein weiser Pfälzer gesagt hat, “Nix is so schlächt, als dass es nedd ver ebbes gud iss”. Da die “Studie” von Campisi und all den anderen so richtig alles falsch macht, was man im Forschungsprozess falsch machen kann, will ich an ihr ein kleines Exempel statuieren.

computer-sneeze-1bZuvor muss ich jedoch darauf hinweisen, dass ich keine Ahnung habe, wie man auf die Fragestellung kommt, auf die die Autoren gekommen sind. Ich finde die Annahme einer Korrelation zwischen der Nutzung von Facebook und einer Erkrankung der Atemwege drängt sich nicht unbedingt auf, aber ich gehöre ja auch zu denjenigen, die denken, wissenschaftliche Titel könnten nur an Personen vergeben werden, die das wissenschaftliche Handwerkszeug beherrschen und z.B. zitieren können. Nun denn, stellen wir uns vor, wir hätten nachts geträumt, dass Facebook-Nutzung zu grippalen Infekten führt, und es ist ja auch nichts Schlimmes an diesem Gedanken. Wir können ihn als mutige Antizipation werten und entsprechend zum Ausgangspunkt einer empirischen Prüfung nehmen (Ich bitte die Puristen unter den Lesern die fehlende theoretische Fundierung dieser Antizipation derzeit zu übersehen, denn die fehlende Theorie wird uns wieder einholen.).

Um zumindest dem Anschein nach wissenschaftlich zu prüfen, wie aus Facebook eine Grippe wird, ist es notwendig, ein paar Hypothesen zu erfinden. Das machen wir indem wir zum Beispiel schauen, was man auf Facebook so macht. Nun, man schließt Freundschaften oder man löst sie. Freundschaft ist prima, das lässt sich in soziale Beziehung verallgemeinern und mit dem Prädikat “gut” verbinden. Schon haben wir die erste Hypothese: Wenn Facebook Grippe macht und soziale Beziehungen gut sind, dann haben Facebook-Nutzer mit vielen Freuden, weniger Grippe als Facebook-Nutzer mit wenigen Freunden. Eine sehr gute Hypothese, die auch Spielraum für die Adaption der Ergebnisse lässt, d.h. was wenig oder was viel Freunde sind, bestimmen wir mit der induktiven Methode, die Spötter auch als “data speak to me” bezeichnen.

Aber: Eine Hypothese macht noch keinen Artikel. Wir brauchen noch eine zweite Hypothese. Die zweite Hypothese muss irgendwie sagen, warum Facebook-Nutzung Grippe verursachen soll. Facebook ist ein Internet-Angebot. Internet macht süchtig oder doch zumindest soll das Internet süchtig machen oder irgendwie Stress verursachen, und Stress ist schlecht. Auch prima. Wenn Facebook Stress verursacht, dann haben wir schon eine Erklärung für die Grippe, denn Stress macht anfällig, und wer anfällig ist, wird eher krank. Schon haben wir Facebook über Stress mit der Grippe verbunden; Wirkung: Grippe, Ursache: Facebook, moderierende Variable: Stress. Toll! Diese Form der Hypothesengenerierung ist natürlich meine Adaption. Die Autoren der hier besprochenen Studie haben es selbstverständlich anders gemacht, sind aber dennoch zu den selben Hypothesen gekommen.

HypothesisNun, da die Hyppthesen formuliert sind, müssen wir sie auch prüfen, empirisch versteht sich. Da alle Autoren der Studie entweder am Department of Biology oder am Department of  Neuroscience and Psychology der Regis University in Denver Colorado beschäftigt sind, ist nichts einfacher als Studenten für die Prüfung der Hypothesen zu instrumentalisieren. Genau das haben die Autoren auch getan: 88 Studenten haben den Bitten der Autoren nachgegeben, doch für 10 Wochen ein wöchentliches Tagebuch zu erstellen, in dem sie Erkältungssymptome festgehalten haben, Symptome wie: eine laufende Nase, eine verstopfte Nase, Halsschmerzen, Fieber, Kopfschmerzen usw. (Campisi et al., 2012, S.676). Die Berichte wurden dann von den Autoren kodiert, und zwar so, dass ein Symptom eine milde, vier Symptome eine heftige Erkältung angezeigt haben (Warum vier? Ich weiß es nicht, und die Autoren verraten es nicht, aber warum auch nicht…?).

Neben der Erkältung/Grippe/verstopften Nase ist noch eine weitere Ingredienz für die vorliegende Studiensuppe  notwendig: Stress, Stress, der von Facebook verursacht wird. Hier postulieren die Autoren an, dass Facebooknutzer, die es z.B. nicht mögen, wenn sie ein Freundschaftsangebot eines anderen Nutzers erhalten, die traurig oder ärgerlich sind, wenn ihnen ein anderer Nutzer die “Freundschaft” aufkündigt und die in gleicher Weise traurig oder ärgerlich sind, wie sie eine “Freundschaft” aufkündigen, als unter Stress leidend zu gelten haben. Jetzt ist nur noch eine Messung der Anzahl der Freunde auf Facebook sowie der Zeit, die in Facebook verbracht wird, notwendig. Auch diese beiden Messhürden nehmen die Autoren mit Bravour und kommen zu dem Ergebnis, dass rund 90% ihrer Befragten Facebook mehr oder weniger regelmäßig benutzen und während 59,2% der Befragten (N = 52) angeben, sie hätten zwischen 200 und 999 Freunde auf Facebook, geben 16,3% der Befragten (N = 14) an, sie hätten mehr als 1000 Freunde auf Facebook. Bei derart fein kalibrierten Messgeräten muss ein Ergebnis herauskommen. Und in der Tat, auch Campisi et al. kommen zu einem Ergebnis, mehr noch, zu Ergebnissen:

  • Je mehr Facebook-Freunde die Befragten auf Facebook hatten, desto höher war ihre Gefahr, an einer Erkältung/Grippe zu erkranken.
  • Je mehr Facebook-Freunde und je mehr Facebook-Stress die Befragten hatten, desto höher war ihre Gefahr, an einer Erkältung/Grippe zu erkranken.

Ja.

Was macht man nun mit diesen Ergebnissen? Schwierig. Wie kann man willkürlich gewonnene Korrelationen mit Sinn füllen? Wirklich schwierig. Die Autoren versuchen es. Dass die Anzahl der Facebook-Freundschaften mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einhergeht, an Grippe/Erkältung zu erkranken, passt nicht zu ihren Annahmen. Facebook-Freunde sind für sie soziale Beziehungen. Soziale Beziehungen sind gut, also müsste sich die Gefahr einer Erkrankung in ihrem Weltbild mit der Anzahl der Facebook-Freunde reduzieren. Aber das tut sie nicht. Was tun? Ad hoc Hypothesen sind gefordert, und die Autoren finden sie auch: Mit mehr Freunden in Facebook, so sinnieren sie, könnte auch eine höhere Wahrscheinlichkeit einhergehen, direkte Freundeskontakte zu haben. Und mehr direkte Kontakte mit Freunden erhöhen die Wahrscheinlichkeit, mit einem Freund zusammen zu treffen, der erkältet ist und nichts besseres zu tun hat, als seine Erreger zu verteilen. Macht fast Sinn. Fast. Wenn man jedoch bedenkt, dass die drei Klassen der Facebook-Freundesbesitzer 0-199 Freunde, 200 bis 999 Freunde und mehr als 1000 Freunde zusammengefasst gesehen haben, dann kommen die ersten Zweifel ob der Annahme, die Facebook-Nutzer mit mehr als 1000 Facebook-Freunden hätten eine höhere Wahrscheinlichkeit, mit echten Freunden aus Fleisch und Blut konfrontiert zu sein als die Facebook-Nutzer, die nur auf 200 bis 999 Freunde in Facebook zurückgreifen können. Ob jemand mit 750 Freunden in Facebook tatsächlich eine höhere Wahrscheinlichkeit hat, sich bei physisch anwesenden Freunden mit Schnupfen anzustecken, als ein Faecebooknutzer mit 1.234 Freunden, nun, ich wage es zu bezweifeln.

Genau so trist ist die Erkenntnislage mit Blick auf den Facebook-Stress, der sich weigert annahmegemäß mit der Anzahl der Freunde mit geringer werdender Wahrscheinlichkeit zu Verschnupfung zu führen. Abermals sehen sich die Autoren mit einem Ergebnis konfrontiert, das sie nicht zu deuten wissen. Und dieses Mal geben sie auf: “In conclusion, the results of the current study indicate that the virtual social network size might influence human health … How and why Facebook might induce the physiological stress response remains a topic of investigation” (Campisi et al., 2012, S.680, Hervorhebung von mir). Außer Spesen, so kann man also feststellen, ist nichts gewesen. Und das ist nicht verwunderlich.

Causes-of-the-Common-ColdVermutlich könnte man Wembley Football Stadium mit den Wissenschaftlern füllen, die darauf verwiesen haben, dass ein Forschungsprozess nicht nur mit einer Frage beginnen muss, die einem gerade eingefallen ist und die man gerne beantwortet haben möchte, sondern dass diese Frage in einen theoretischen Rahmen eingebunden werden muss. Im konkreten Beispiel wäre es notwendig gewesen theoretisch zu argumentieren, warum die Nutzung von Facebook, die Wahrscheinlichkeit einen Schnupfen zu bekommen, erhöhen soll. Hätte man diese Frage beantworten können, woran ich meine Zweifel habe, dann wäre bei der Operationalisierung der Hypothesen vielleicht einem der “Forscher” aufgefallen, dass es notwendig ist, andere Ursachen von Schnupfen, außer Facebook, die ja durchaus vorhanden sein können (ich meine, es gab ja auch vor Facebook schon Schnupfen), auszuschließen.

Weder haben die Autoren es für notwendig gehalten, ihre an sich schon abstruse Fragestellung in einen theoretischen Rahmen einzuordnen noch ist ihnen eingefallen, dass Schnupfen nicht monokausal auf Facebook zurückführbar ist. Beide Gründe sind eher kapitale Unterlassungen, die letztlich kein anderes Verdikt zulassen, als dass es sich bei der vorliegenden Studie um Unsinn, um eine Nonsense Study handelt, die man besser dem Vergessen überantworten sollte.

Campisi, Jay, Bynog, Pamela, McGehee, Hope, Oakland, Joshua C., Quirk, Shannon, Taga, Carlee & Taylor, Morgan (2012). Facebook, Stress, and Incidence of Upper Respiratory Infection in Undergraduate College Students. Cyberpsychology, Behavior, and Social Networks 15(12): 675-681.


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