Macht Ungerechtigkeit krank? Von einer Persiflage auf Wissenschaft
Gleich vorweg: Gerechtigkeit wird in der Regel als Equität aufgefasst, d.h. ein subjektives Gerechtigkeitsempfinden ergibt sich als Ergebnis eines Vergleichs der Bewertung des Verhältnisses eigener Anstrengung im Verhältnis zu dem damit erzielten Nutzen mit dem Verhältnis von Anstrengungen und Nutzen relevanter Vergleichspersonen.
Diese Konzeptionalisierung macht sehr deutlich, dass Gerechtigkeit kein absolutes, sondern ein relationales Maß ist. Man kann dies angesichts der Legionen unsinniger Publikationen, die Begriffe und Konzepte wild durcheinander werfen und von Chancengerechtigkeit bis Ergebnisgleichheit willkürlich nominale Verbindungen herstellen, nicht oft genug betonen.
Demgemäß lösen sich unsinnige Konzepte wie “soziale Gerechtigkeit” von selbst auf, denn es kann keine Gerechtigkeit als absolute Größe geben, denn dummerweise ist das Empfinden von Menschen bislang nicht durch staatliche Reglementierung steuerbar. Gerechtigkeit ist ein zutiefst individuelles Konzept, das sich nur auf Individuen richten kann und daher keine soziale Ausprägung annehmen kann. Wird Gerechtigkeit sozialisiert, sollen Gruppen z.B. unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit bevorzugt werden, dann geht damit unweigerlich ein Verstoß gegen das Gerechtigkeitsempfinden der Mitglieder der Gruppen, die entsprechend benachteiligt werden, einher. So einfach ist es, Programme zur Förderung von Gruppen wie Frauen als Programme institutionalisierter Ungerechtigkeit zu identifizieren, deren Ziel nicht in Gerechtigkeit besteht, sondern in Bevorzugung und das hat mit Gerechtigkeit nun gar nichts zu tun, aber mit Ungerechtigkeit.
Dies gesagt, gibt es eine auf den ersten Blick interessante Untersuchung zu berichten, die Reinhard Schunck, Carsten Sauer und Peter Valet (2013) erstellt haben. Die Autoren untersuchen den Zusammenhang zwischen empfundener Gerechtigkeit und subjektiver Einschätzung der eigenen Gesundheit. Die Legitimation für die Untersuchung dieses Zusammenhangs entnehmen sie aus dem “Konzept der sozialen Gratifikationskrise”, das unter pompösem Begriffsaufbau die schlichte Erwartung formuliert, dass Personen, die eine Ungerechtigkeit zwischen Aufwand und Ertrag z.B. beim Einkommen empfinden, aus dieser Dissonanz Stress entwickeln und nachfolgend eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, krank zu werden.
Ob eine empfundene Ungerechtigkeit des Einkommens mit einer schlechteren Einstufung der eigenen Gesundheit einhergeht, ist eine empirische Frage, eine Frage, die die Autoren auf der Grundlage der Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) zu beantworten suchen. Und hier beginnen, wie immer, wenn mit dem SOEP gerechnet wird, die Probleme:
Die im SOEP enthaltene Frage nach der empfundenen Gerechtigkeit des eigenen Einkommens, ist keine Frage, die einen Vergleich beinhaltet, vielmehr wird schlicht gefragt: “Ist das Einkommen, das Sie in Ihrer jetzigen Stelle verdienen, aus ihrer Sicht gerecht?” Man muss also hoffen, dass Befragte bei Ihrer Antwort den Vergleich zwischen Aufwand und Ertrag und mit Vergleichspersonen anstellen, der im Konzept gefordert ist.
Die Frage nach dem Gesundheitszustand lautet: “Wie würden Sie ihren gegenwärtigen Gesundheitszustand beschreiben? Sehr gut, gut, zufriedenstellend, weniger gut, schlecht.” Das ist eine typische Form von Manipulation in einer Befragung, die darauf zielt, ein paar Befragte rechts der Mitte, also bei der schlechten Einschätzung der eigenen Gesundheit zu haben. Korrekt wären ab zufriedenstellend die Antwortalternativen schlecht und sehr schlecht.
Irgendwie hat sich die Kenntnis, dass das SOEP ein Paneldatensatz ist, dass es also theoretisch pro Befragtem zu mehr als einem Zeitpunkt Antworten gibt, bei den meisten Autoren, die damit rechnen, gesetzt. Die Art und Weise, in der die Paneldaten genutzt werden, ist jedoch, trotz pompöser Begriffe wie: Hybrid-Modell oder “random effect Regressionsmodell” eher rustikal und reduziert sich darauf, die mehrfachen Angaben von Befragten einfach zu addieren und so zu tun, als hätte man einen Befragten, der zu zwei Zeitpunkten etwas gesagt hat, doppelt. Der Nutzen eines Paneldatensatzes geht damit weitgehend verloren und, die Aussagekraft der Ergebnisse ist schlechter als sie sein könnte.
Schließlich zeigt sich in den Analysen von Schunck, Sauer und Valet, was sich bei Analysen mit dem SOEP immer zeigt: Man startet voller Zuversicht und stellt rasch fest, dass bei näherer Betrachtung nicht viel bleibt – vom Panel. Magere 2 Beobachtungen pro Befragtem sind für die Analysen von Schunck, Sauer und Valet vorhanden, es ist, mit anderen Worten, nicht viel Panel übrig geblieben, was die Erklärung dafür zu sein scheint, dass die Autoren ihren Datensatz nicht wirklich als longitudinalen Datensatz behandeln.
Dies gesagt, hier die Ergebnisse – Zunächst für die Frage: Wer ist der Ansicht, die Höhe seines Einkommens sei ungerecht?
Ein Drittel aller 12.268 Befragten ist der Ansicht, ihr Einkommen sei nicht gerecht.
Die Wahrscheinlichkeit, das eigene Einkommen als ungerecht zu empfinden, sinkt mit geringer werdendem Einkommen.
Personen mit mittlerer und niedrigerer Bildung haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, ihre Einkommen als ungerecht zu bewerten als Personen mit hoher Bildung.
Vollzeiterwerbstätige haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, ihr Einkommen als ungerecht zu empfinden, als Teilzeiterwerbstätige.
Ostdeutsche empfinden ihr Einkommen mit höherer Wahrscheinlichkeit als ungerecht als Westdeutsche.
Es gibt keinerlei Unterschied zwischen Männern und Frauen im Hinblick auf die Bewertung des eigenen Einkommens
Was die Einschätzung des eigenen Gesundheitszustandes angeht und den Zusammenhang mit der Einschätzung der Gerechtigkeit des eigenen Einkommens, so ist vorwegzuschicken, dass die Ergebnisse auf 57,4% der Befragten basieren, die ihren Gesundheitszustand als “gut” oder “sehr gut” einschätzen, und 42,6%, die ihren Gesundheitszustand als “zufriedenstellend”, “weniger gut” oder “schlecht” bezeichnen. [Warum zufriedenstellend zu “schlecht” und nicht zu “gut” geschlagen wurde, ist eine offene Frage, deren Antwort vermutlich: Fallzahl lautet. Wären alle, die ihre Gesundheit als zufriedenstellend bezeichnen, der Kategorie “gut” zugeschlagen worden, dann wären vermutlich nicht viele Befragte für die Kategorie “schlecht” übrig geblieben.] Untersucht wird demnach nicht, guter und schlechter Gesundheitszustand sondern bestenfalls besser im Vergleich zu schlechter eingeschätzer Gesundheitszustand. Wie so oft, bewegen wir uns im Bereich der Daten-Ambiguität, die verhindert, dass man so richtig weiß, was man eigentlich gemessen hat – geschweige denn, wie man es interpretieren soll.
Auf Basis dieser Daten-Ambiguität kann festgestellt werden, dass zwischen denen, die ihre Einkommen als gerecht empfinden und denjenigen, die ihr Einkommen als nicht gerecht empfinden, ein Unterschied im Hinblick auf die Einschätzung ihrer Gesundheit als besser oder schlechter von gerade einmal 3,9% (60,9% im Vergleich zu 57%) besteht.
Und nun kommt die fast schon unvermeidliche logistische Regression, dieses Mal im Gewand einer logistischen Hybrid Panelregression (klingt gut, oder?). Die logistische Hybrid Panelregression ergibt, dass eine bessere Einschätzung der eigenen Gesunheit:
vom Einschätzung, ein ungerechtes Einkommen zu erhalten, beinträchtigt wird,
von der Zufriedenheit mit dem eigenen Arbeitsplatz befördert wird,
von mittlerer und höherer Bildung befördert und
von geringerem Alter behindert wird.
Anders formuliert: Zwischen der Einschätzung des eigenen Einkommens als gerecht und der Einschätzung der eigenen Gesundheit, scheint ein Zusammenhang zu bestehen. Das ist ein Ergebnis der Analysen, die Schunck, Sauer und Valet gerechnet haben.
Diese Analysen haben sie unter dem Titel “Macht Ungerechtigkeit krank? Gesundheitliche Folgen von Einkommens(un)gerechtigkeit” publiziert. Eine grobe Fälschung oder sagen wir eine innovative und von ihren Ergebnissen in keiner Weise gestützte Interpretation, die man wohl der Tatsache zurechnen muss, dass die Analysen von der Hans Böckler Stiftung finanziert wurden. Nichtsdestotrotz handelt es sich hier um eine grobe Verfälschung ihrer Ergebnisse, denn die Autoren haben “Ungerechtigkeit” weder untersucht noch gemessen, und sie haben auch keine gesundheitlichen Folgen von Einkommens(un)gerechtigkeit gemessen.
Sie haben die subjektive Einschätzung, ob das eigenen Einkommen gerecht ist und die subjektive Einschätzung der eigenen Gesundheit untersucht. Wer die eigene Gesundheit als “zufriedenstellend” einschätzt, ist sicher nicht krank, nicht einmal eine Einstufung von “weniger gut” hat notwendig eine Krankheit zur Ursache. Und empfundende Einkommensgerechtigkeit hat in der Regel überhaupt nichts mit realer Einkommensungerechtigkeit zu tun. Erstere liegt dann vor, wenn ein Arbeiter seine Leistung im Vergleich zu anderen als besser bewertet, sein Einkommen im Vergleich zu anderen jedoch nicht. Letztere ist dann gegeben, wenn ein Arbeiter für die selbe Leistung ein geringeres Gehalt erzielt, was die “Einkommensgerechtigkeit” als das normative und weltfremde Makrokonzept ausweist, das sie nun einmal ist, denn: wo finden sich denn die identischen Menschen mit gleicher Leistung, die unterschiedlich bezahlt werden? Was die Fälschung und die Suggestion, die mit dem Titel versucht wird, noch ärgerlicher macht, ist die klägliche Qualität der Logistischen Hybrid Panelregression, die in einem Nagelkerke R-Quadrat von .133 ausgewiesen ist. Da Nagelkerkes R-Quadrat schon von Haus aus der Notnagel für schlechte Modelle ist, ist die Tatsache, dass nicht einmal dieser Wert eine relevante Höhe erreicht, für das gerechnete Modell weitgehend tötlich.
Dass die phantasierten Makro-Gerechtigkeitskonzepte keine Basis in der realen Welt haben und eigens dazu erfunden werden, um z.B. über ein phantasiertes Gender Pay Gap diskriminierende Maßnahmen wie eine Frauenquote zu fordern, wird sogar in den Ergebnissen von Schunck, Sauer und Valet deutlich:
“Interessanterweise unterscheiden sich Männer und Frauen nicht hinsichtlich der Berwertung ihres Einkommens: Sowohl ein Drittel der männlichen Beschäftigten als auch ein Drittel der weiblichen Beschäftigten geben an, dass ihr Erwerbseinkommen, gemessen an den Leistungen, die sie erbringen, zu gering sei. Angesichts des sogenannten gender-wage-gaps … war dieser Befund nicht erwartbar” (8).
Erwartbar ist dieser Befund dann, wenn man das Gender-Wage-Gap oder Gender-Pay-Gap als die Erfindung von Ideologen akzeptiert, die es nun einmal ist und die Realität, wie sie sich aus den Antworten von Befragten ergibt, dagegen stellt. Dann bleibt vom erfundenen Gender-Pay-Gap ebenso wenig wie von Phantasmen einer Makro-Gerechtigkeit oder sozialen Gerechtigkeit, die angeblich Gruppen und nicht Individuen zu gute kommen sollen.
Und was heißt das Ganze nun für die Eingangs gestellte Frage, ob Ungerechtigkeit krank macht? Nichts, denn leider wurde nicht Krankheit, sondern das subjektive Gesundheitsempfinden gemessen, und es wurde nicht Ungerechtigkeit, sondern Gerechtigkeitsempfinden gemessen. Entsprechend kann nur gesagt werden, dass es wohl unter denen, die sich subjektiv und im Hinblick auf ihr Einkommen ungerecht behandelt vorkommen und denjenigen, die von sich sagen, ihre Gesundheit sei zufriedenstellend, weniger gut oder schlecht, eine schwache Korrelation gibt.
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Wieder ein sehr gutes Essay über den deutschen “Gesinnungsbalast”.
“…denn dummerweise ist das Empfinden von Menschen bislang nicht durch staatliche Reglementierung steuerbar. Gerechtigkeit ist ein zutiefst individuelles Konzept, das sich nur auf Individuen richten kann und daher keine soziale Ausprägung annehmen kann….”
Dazu besagt das “Tocqueville-Paradoxon”: …mit dem Abbau (vermeintlicher) sozialer Ungerechtigkeiten erhöht sich gleichzeitig die Sensibilität gegenüber verbleibenden (vermeintlichen) wahrgenommenen Ungerechtigkeiten.
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Wieder ein sehr gutes Essay über den deutschen “Gesinnungsbalast”.
“…denn dummerweise ist das Empfinden von Menschen bislang nicht durch staatliche Reglementierung steuerbar. Gerechtigkeit ist ein zutiefst individuelles Konzept, das sich nur auf Individuen richten kann und daher keine soziale Ausprägung annehmen kann….”
Dazu besagt das “Tocqueville-Paradoxon”: …mit dem Abbau (vermeintlicher) sozialer Ungerechtigkeiten erhöht sich gleichzeitig die Sensibilität gegenüber verbleibenden (vermeintlichen) wahrgenommenen Ungerechtigkeiten.
Ein kleiner Aufsatz über das selbe Thema: http://liberalerfaschismus.wordpress.com/2014/03/22/gute-taten-sind-das-gleitmittel-des-bosen/