Zersetzung: Stasi-Konzept in neuer Blüte

Viele Menschen haben ein kurzes Gedächtnis, und selbst der Versuch, die Erinnerung an Ereignisse, die sich vor einigen Jahren oder Jahrzehnten abgespielt haben, wach zu halten, ist meist nicht von Erfolg gekrönt. Insbesondere die Erinnerung an das Scheitern sozialistischer Versuche und die Methoden, die in sozialistischen Staaten benutzt wurden, um ein Terrorregime über die Bevölkerung zu errichten, hat eine erstaunlich kurze Halbwertzeit, so dass meist nach nur einer kurzen Phase des Stillhaltens der nächste Versuch, das sozialistische Paradies auf Erden zu errichten, in Angriff genommen wird.

Über kurz oder lang wird vergessen, mit welchen Terrormitteln die Staatssicherheit von Erich Mielke die eigene Bevölkerung unterdrückt und drangsaliert hat, und in fast noch kürzerer Zeit werden aus ehemaligen Konsorten Mielkes, die sich jahrelang als dessen Innoffizielle Mitarbeiter verdingt und ihre engsten Bekannten und Freude ausspioniert haben, nur 19-Jährige, Systemopfer oder auf eine andere Weise gesäuberte nur-Mitläufer.

StasiDamit nicht ganz vergessen wird, welches Überwachungsregime das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) implementiert hatte, damit nicht vergessen wird, dass das MfS sein Überwachungs- und Terrorsystem ohne die Hilfe vieler Inoffizieller Mitarbeiter (IM) nicht hätte aufrecht erhalten können und um zu zeigen, dass IMs ein integraler Bestandteil dieses Systems waren, dokumentieren wir im Folgenden einen Teil der Richtlinie Nr. 1/76 zur Entwicklung und Bearbeitung Operativer Vorgänge (OV) des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und daraus Punkt 2.6 „Die Anwendung von Maßnahmen der Zersetzung“.

Dass der Begriff der Zersetzung, der die Zerstörung eines Organismus bezeichnet, sorgfältig gewählt wurde, machen die Maßnahmen der Zersetzung deutlich.

Maßnahmen der Zersetzung zielen darauf, „feindlich-negative Kräfte“, also z.B. DDR-Bürger, die eine andere, als die herrschende Meinung haben, die sich z.B. der Kritik am Regime schuldig gemacht haben (in der DDR nannte man das staatsfeindliche Hetze, heute lässt man das „staatsfeindlich“ weg), zu “zersplittern”, zu “lähmen”, zu “desorganisieren” und zu “isolieren”. „Zersetzungsmaßnahmen können sich sowohl gegen Gruppen, Gruppierungen und Organisationen als auch gegen einzelne Personen richten“. Anders formuliert: Zersetzende Maßnahmen können sich gegen jeden DDR-Bürger richten, niemand ist davor sicher. Im Einzelnen listet die Richtlinie des MfS die folgenden Maßnahmen als „[b]ewährte … Formen der Zersetzung“ auf:

  • Amadeu Hetze 1Eine „systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes, des Ansehens und des Prestiges auf der Grundlage miteinander verbundener wahrer, überprüfbarer und diskreditierender sowie unwahrer, glaubhafter, nicht widerlegbarer und damit ebenfalls diskreditierender Angaben“
    Das Anschwärzen von Personen, die nach Ansicht des Anschwärzers einen Hasskommentar abgesetzt haben, selbst das Anschwärzen von Personen, denen man nur einen Hasskommentar unterstellt, ist somit eine moderne Variante dieses bewährten Mittels des MfS.
  • Die „systematische Organisierung beruflicher und gesellschaftlicher Misserfolge zur Untergrabung des Selbstvertrauens einzelner Personen;“ Boykottaufrufe, die darauf abzielen, bestimmten Autoren die Möglichkeit, ihre Bücher zu verlegen, zu nehmen oder Rezensionen der Bücher bestimmter Autoren mit einzig dem Ziel, den Autor als geistig defizitär oder voller Hass oder mit einer sonstigen Art der Minderbemittelung behaftet zu diskreditieren, fallen in diese Klasse. Akif Pirincci mag sich hier wiederfinden.
  • Eine „zielstrebige Untergrabung von Überzeugungen im Zusammenhang mit bestimmten Idealen, Vorbildern usw. und die Erzeugung von Zweifeln an der persönlichen Perspektive“;Die konsequente Infantilisierung von Teilen des öffentlichen Diskurses z.B. dadurch, dass Gruppenbildung „wir/die“ zum Rassismus erklärt werden oder von Ideologien der Ungleichwertigkeit fabuliert wird, die ebenfalls Rassismus begründen würden (und zwar von Leuten, die besser bezahlt werden als z.B. ein Müllfahrer) sind Beispiele, die sich hier aufdrängen.
  • Das „Erzeugen von Misstrauen und gegenseitigen Verdächtigungen innerhalb von Gruppen, Gruppierungen und Organisationen;“
    Die Piraten können sicher ein entsprechendes Lied singen; Die Entfernung bzw. Zerstörung der Sozialwissenschaften durch die Installierung radikalfeministischer Positionsinhaber, deren Verbindung zu Wissenschaft in etwa der Verbindung von Iwan Alexandrowitsch Serow zur Wissenschaft entspricht, mag dem ein oder anderen als weiteres Beispiel dienen.
  • “Das „Erzeugen bzw. Ausnutzen und Verstärken von Rivalitäten innerhalb von Gruppen, Gruppierungen und Organisationen durch zielgerichtete Ausnutzung persönlicher Schwächen einzelner Mitglieder;“
    Man fühlt sich an die Grabenkämpfe in der AfD und abermals an den schnellen Aufstieg und noch schnelleren Niedergang der Piraten erinnert.

Bei der Planung und Durchführung der Zersetzungsmaßnahmen griff das MfS regelmäßig auf die Informationen zurück, die durch IMs erlangt wurden, und es waren IMs, die für die Umsetzung der Zersetzungsmaßnahmen eingesetzt wurden (mit oder ohne ihr Wissen). Wer vor diesem Hintergrund wie Anetta Kahane behauptet, er habe 8 Jahre für das MfS gearbeitet ohne dabei einem Menschen zu schaden, den kann man nur auffordern, dafür den Nachweis zu führen und alle 800 Seiten der eigenen Stasi-Akte der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Schließlich erinnert die Aufstellung der “[b]ewährten Mittel und Methoden der Zersetzung“, für die „geeignete IM einzusetzen“ sind, an so manche Kampagne, die in den letzten Monaten aus öffentlich-rechtlichen Medien heraus gestreut wurde, z.B. im Hinblick auf die Verbreitung unwahrer Behauptungen oder deren Einmengung im Rahmen einer oberflächlich betrachtet, angemessenen Berichterstattung. Die “[b]ewährten Mittel und Methoden der Zersetzung” sind die folgenden:

Amadeu Hetze 2
Dazu heißt es in der Anleitung zur Denunziation der Amadeu Antonio Stiftung: “Es besteht grundsätzlich die Möglichkeit, eine Anzeige auch anonym aufzugeben” (9)

 

  • “die Verwendung anonymer oder pseudonymer Briefe, Telegramme, Telefonanrufe usw., kompromittierender Fotos, z. B. von stattgefundenen oder vorgetäuschten Begegnungen;
  • die gezielte Verbreitung von Gerüchten über bestimmte Personen einer Gruppe, Gruppierung oder Organisation;
  • gezielte Indiskretionen bzw. das Vortäuschen einer Dekonspiration von Abwehrmaßnahmen des MfS;“

Wer erinnert sich nicht, an das bewusste Missverstehen einer Rede von Akif Pirincci, das ihn in medialer Geschlossenheit getroffen hat und deren gerichtliche Revision zu einem Zeitpunkt erfolgt ist, zu dem kaum jemanden noch daran interessiert war? Wie ist es mit der Vorverurteilung von Jörg Kachelmann, den Versuchen, Donald Trump oder Boris Johnson lächerlich zu machen? Erkennt jemand Gemeinsamkeiten im Vorgehen mit den „bewährten Formen, Mitteln und Methoden“ des Ministeriums für Staatssicherheit?

Es wäre sicher lohnenswert, wenn sich ein Student der Soziologie oder der Geschichte mit der Frage beschäftigt, welche Weiterführungen der Richtlinie aus dem Ministerium für Staatssicherheit sich für Deutschland finden lassen, und wer die Hauptakteure sind, die für die Kontinuität von Stasi-Methoden verantwortlich sind. Vielleicht findet sich dann noch ein zweiter Student, der sich dafür interessiert, was aus all den hauptamtlichen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit geworden ist, die nach der Vereinigung so plötzlich und mit all ihrem Wissen über z.B. Arten, Mittel und Methoden der Zersetzung verschwunden oder untergetaucht sind…



 

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