Das Kleingedruckte bei Wahlumfragen: Nur die SPD über 20% oder doch nicht?

Die ARD wartet mit der neuesten Wahlumfrage für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus auf. Titel: „Nur die SPD kommt über 20 Prozent“. Die Zahlen, die im Verlauf des Beitrags präsentiert werden, scheinen die Schlagzeile zu bestätigen:

  • SPD: 21%
    CDU: 19%
    Grüne: 16%
    Linke: 15%
    AfD: 15%

Das Kleingedruckte, das neuerdings bei öffentlich-rechtlichen Beiträgen, die Wahlumfragen zum Gegenstand haben, mit gedruckt wird, weckt jedoch Zweifel an der Schlagzeile und nicht nur an der Schlagzeile. Im Kleingedruckten steht:

stupendous yappi1„Fallzahl: 1002 Befragte
Erhebungszeitraum: 06. bis 07. September 2016
Fehlertoleranz: 1,4* bis 3,1** Prozentpunkte
Durchführendes Institut: Infratest dimap

* bei einem Anteilswert von 5 Prozent ** bei einem Anteilswert von 50 Prozent
*** Die Ergebnisse sind auf ganze Prozentwerte gerundet, um falsche Erwartungen an die Präzision zu vermeiden. Denn für alle repräsentativen Befragungen müssen Schwankungsbreiten berücksichtigt werden. Diese betragen im Falle eine Erhebung mit 1000 Befragten bei großen Parteien rund 3 Prozentpunkte, bei kleineren Parteien etwa 1 Punkt. Hinzu kommt, dass der Rundungsfehler für kleine Parteien erheblich ist. Aus diesen Gründen wird deshalb keine Partei unter 3 Prozent in der Sonntagsfrage ausgewiesen.“

Wie gewöhnlich fehlt die Angabe der „validen Antworten“, also des Anteils der 1002 Befragten, die auch tatsächlich eine Wahlabsicht für eine Partei angegeben haben. In der Regel geben 2/3 der Befragten, wenn sie nach der Partei, die sie wählen würden, wenn am nächsten Sonntag die Wahl zum in diesem Fall Berliner Abgeordnetenhaus anstünde, eine Partei an, 1/3 geben keine Partei an. Die tatsächliche Grundlage der dargestellten Parteienanteile ist entsprechend viel kleiner als suggeriert wird.

Aber das ist nur einer der Taschenspielertricks, die von Umfrageinstituten benutzt werden, um aus wenig viel mehr zu machen.

Die anderen Tricks finden sich im Kleingedruckten.

Nehmen wir zunächst den Hinweis auf die Rundung. Er besagt, dass die 21% der SPD gerundete Prozent sind. Es können entsprechend 21,49% oder 20,50% von rund 700 Befragten sein (zwischen 143 und 147 Befragte), die eine Wahl der SPD angegeben haben. Für die anderen Parteien gilt dasselbe, was für die FDP bedeutet: Ihre Rundung ist ein Politikum, denn aus 4,5% werden eben einmal 5% gerundet (vielleicht werden auch aus 5,49% 5%, aber das ist nicht so wahrscheinlich).

Bleibt festzuhalten, wir haben es hier mit einem Wertebereich zu tun, den wir nicht genau kennen. Denn: Es wurde gerundet, ob ab- oder aufgerundet wurde, weiß außer dem Runder niemand.

Hinzu kommen die „Schwankungsbreiten“, die einmal für große Parteien 3% betragen, einmal 3,1% als Fehlertoleranz. Entsprechend schafft es die SPD nicht auf 21%, sondern auf einen Wert, der irgendwo zwischen 17,9% und 24,1% liegt. Dass die Mitte der Schwankungsbreite angegeben wird, ist eine Konvention, die man ebenso gut einhalten kann, wie man sie lassen kann. Letztlich ist die Wahrscheinlichkeit, dass die SPD bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus bei 17,9% endet, ebenso hoch, wie die Wahrscheinlichkeit, dass sie 21% oder 24,1% der abgegebenen Stimmen erhält. Aber diese statistischen Zusammenhänge sind Gift für Journalisten, die gerne eindeutige politische Aussagen machen wollen, z.B.: „Nur die SPD kommt über 20 Prozent“.

Diese Aussage ist mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit richtig wie sie falsch ist. Sie ist schlicht wertlos, wie ein Blick auf die Wertebereiche zeigt:

  • SPD: 17,9% bis 24,1%
    CDU: 15,9% bis 22,1%
    Grüne: 12,9% bis 19,1%
    Linke: 11,9% bis 18,1%
    AfD: 11,9% bis 18,1%

Theoretisch ist es möglich, dass alle fünf genannten Parteien bei 18% der Wählerstimmen enden. Das ist die Folge der „Schwankungsbreite“, von der im Kleingedruckten die Rede ist. Entsprechend ist die Wahlumfrage der ARD nur insofern nützlich, als sie es erlaubt, die Präferenzen derer zu beschreiben, die die Schwankungsbreite in ein politisches Statement umsetzen wollen, mit dem man vielleicht Wähler beeinflussen kann: „Nur die SPD kommt über 20%“ lautet das Statement, das die ARD gerne verbreiten will. Ob es sich dabei um versuchte Wahlhilfe für die Genossen in Berlin handelt, ist eine Frage, die sich jeder selbst beantworten kann.


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