Klimawandel, Weltenretter, Linksidentitäre: Naturalistische Fehlschlüsse am laufenden Band

Von David Hume stammt der Satz, dass ein „ought“ nicht von einem „is“ geschlossen werden kann. In Deutsch: Aus dem Sein kann kein Sollen folgen. Das „Sollen“, die Welt der Normen und damit die Welt der Moralphilosophie, ist ein umkämpftes Feld. Bringen wir es auf einen etwas provokanten Nenner, und sagen: Wer die Wertvorstellungen und die Verhaltensnormen von Menschen beeinflussen kann, der kontrolliert die Gesellschaft.

Dass Vorstellungen über das gesellschaftliche Miteinander, über die Art und Weise des interpersonalen Austausches, das sind, was die soziale Welt im Innersten zusammenhält, hat Harold Garfinkel mit einigen Experimenten gezeigt, die bis heute eine erhebliche Kraft entwickeln, eines der berühmtesten ist wohl das „Begrüßungsexperiment“.

“The victim waved his hand cheerily
[Das Opfer winkt fröhlich mit seiner Hand]

                (S) ‘How are you?’
[Wie geht es Dir?]

                (E) ‘How am I in regard to what? My health, my finances, my school Work, my peace of mind, my …?’
[Wie geht es mir im Bezug worauf? Meine Gesundheit? Meine Finanzen? Meine Schularbeit? Meinen Seelenfrieden? Mein…?]

                (S) (Red in the face and suddenly out of control) ‘Look! I was just trying to be polite. Frankly, I don’t give a damn how you are’”.
[(Rot im Gesicht und außer Kontrolle) Ich habe nur versucht, höfflich zu sein. Ehrlich gesagt, ist es mir scheissegal, wie es Dir geht!]

Die Enttäuschung dessen, was Garfinkel kulturelle Erwartungen genannt hat, führt zuweilen zu erheblichen Reaktionen. Auch deshalb hat Garfinkel seine entsprechenden Experimente, Erschütterungsexperimente [breaching experiments] genannt. Für einen Teil, vermutlich den überwiegenden Teil der Erwartungen, die wir an einander richten, gilt, dass es sich dabei um Verhaltensnormen handelt, Normen von Anstand, von korrektem Betragen, von Höflichkeit und von Respekt zum Beispiel.

Wo kommen diese Normen, die man als gesellschaftliche Übereinkünfte dazu, wie man sich gegenseitig behandeln soll, betrachten kann, her? Eine gute Frage und vor allem eine heftig umstrittene Frage. Manche denken, Normen seien emergent, d.h. weil viele Menschen sich in einer bestimmten Weise verhalten, z.B. weil ihnen ihr Verstand sagt, dass es immer besser ist, zunächst einmal höflich zu sein, weil man nie weiß, ob man das Gegenüber im weiteren Verlauf des eigenen Lebens noch einmal braucht, entstehen Verhaltensmuster, die sich mit der Zeit zu Normen verdichten. Andere meinen, Normen seien etwas, das als Steintafel und in 10 einzelnen Geboten von semitischen Männern von Bergen mitgebracht wird. Normen seien den Menschen gegeben.

Nun, wir denken, Normen sind menschengemacht, tendieren dazu, dass sie emergent sind und beziehen damit eine Position, die den Vorteil hat, dass man sie testen kann.

Wenn Normen menschengemacht sind, dann sind sie veränderbar und dann steht die Schaffung von Normen der Beeinflussung, der Manipulation offen. Und genau das ist es, was im öffentlichen Diskurs heute und was wohl seit es Menschen gibt, die sich in Gesellschaften zusammenfinden, beobachtet werden kann: Eine Gruppe von Personen, die sich als besonders würdige Vertreter der Gesellschaft präsentieren, als Hohepriester oder Schriftgelehrte oder als Väterchen Stalins, gibt Normen, die die Gesellschaft leiten sollen, vor. Normen über Eigentum, über Ressourcenzugang und heute immer häufiger Normen über das richtige Verhalten, das Verhalten, das von Gesellschaftsmitgliedern gezeigt werden muss, um bestimmten Idealvorstellungen gerecht zu werden.

Die entsprechende Normierung beginnt bei der Körperfülle und hat notwendig den so genannten aktiven Lebensstil und die Essgewohnheiten von Menschen zum Gegenstand, sie führt über die Arten der individuellen Fortbewegung, der richtigen Form der Stromgewinnung bis zur richtigen politischen Gesinnung und dem richtigen Umgang miteinander.

Der derzeitige Kulturkampf, der von Linken geführt wird, hat generell Normen zum Gegenstand:

  • Du sollst Schwule nicht diskriminieren, nicht einmal kritisieren.
  • Du sollst Frauen bevorzugen.
  • Du sollst Ausländer lieben wie Dich selbst.
  • Du sollst keine SUVs fahren.
  • Du sollst keine viel Zucker und Fett enthaltenden Nahrungsmittel genießen.
  • Du sollst Müll trennen.
  • Du sollst nur von Linken genehmigte Worte benutzen.
  • Du sollst die EU ehren und feiern.
  • Du sollst freudig Steuern zahlen.
  • Du sollst keine andere Ideologie haben als die linke.

All diesen Normen ist gemeinsam, dass sie oktroyiert werden sollen, von denen vorgegeben werden sollen, die sich für das politische Establishment halten und dass sie mit angeblichen Notwendigkeiten, die sich im Hier und Jetzt finden begründet werden.

Der Klimawandel, der von Menschen gemacht sein soll, verlange Einschränkungen von den jetzt Lebenden, Verzicht und vor allem die Finanzierung der Kosten, die durch Klimaaktivisten und Maßnahmen zur Erdenrettung entstehen.

Die Notwendigkeit, so lange wie nur möglich in die Sozialversicherungssysteme einzuzahlen, verlange eine lange Gesundheit durch aktives Leben, Joggen, Radfahren, korrektes Essen, korrektes Gewicht, korrekte Lebensführung.

Die Notwendigkeit wirtschaftlicher Prosperität, die es nur in der EU geben solle, verlange es, jede Regulation durch die EU, jede Beschränkung der Freiheit durch die EU ohne Murren, mit einem Hurra auf den Lippen und freudig hinzunehmen.

Und so weiter.

All diese Ableitungen konkreter Verhaltensnormen aus angeblich richtigen Beschreibungen der Realität haben eines gemeinsam: Es handelt sich bei ihnen ausnahmslos um naturalistische Fehlschlüsse, bei denen das Sollen aus dem Sein abgeleitet wird. Den was getan werden soll, kann nicht aus dem, was getan wird, abgeleitet werden.

Um mit Hume zu sprechen:

“I cannot forbear adding to these reasonings an observation, which may, perhaps, be found of some importance. In every system of morality, which I have hitherto met with, I have always remark’d, that the author proceeds for some time in the ordinary way of reasoning, and establishes the being of a God, or makes observations concerning human affairs; when of a sudden I am surpriz’d to find, that instead of the usual copulations of propositions, is, and is not, I meet with no proposition that is not connected with an ought, or an ought not. This change is imperceptible; but is, however, of the last consequence. For as this ought, or ought not, expresses some new relation or affirmation, ’tis necessary that it shou’d be observ’d and explain’d; and at the same time that a reason should be given, for what seems altogether inconceivable, how this new relation can be a deduction from others, which are entirely different from it. But as authors do not commonly use this precaution, I shall presume to recommend it to the readers; and am persuaded, that this small attention wou’d subvert all the vulgar systems of morality, and let us see, that the distinction of vice and virtue is not founded merely on the relations of objects, nor is perceiv’d by reason.” (244-245)

Das, was ist, kann nie das was sein soll begründen, wäre dem so, man müsste schließen, dass auch Kriege und Gewalt, Kriminalität und Diebstahl sein sollen, wobei Sozialisten dem Diebstahl von Eigentum als Norm ja aufgeschlossen gegenüberstehen. Damit stoßen sie jedoch auf Widerstand, was belegt, dass das was ist, das was sein soll, nicht begründen kann. Dass naturalistische Fehlschlüsse (nicht nur) heute an der Tagesordnung sind, hat einen einfachen Grund:

Wer seine Interessen zur Norm, zur moralischen Angelegenheit machen kann, der ist bar jeder Begründungspflicht. Er muss nicht mehr Belege dafür bringen, dass der Verzicht, den er Menschen, wegen seiner Sache und heute auferlegt, morgen auch nur einen positiven Effekt zeitigt, überhaupt einen positiven Effekt jenseits dessen, dass er am Verzicht der anderen verdient, hat.

Wer seine Interessen zur Norm, zur moralischen Angelegenheit stilisieren kann, hat all die Opportunisten, die Anbiederer und – wie man früher gesagt hat: Speichellecker auf seiner Seite, die versuchen, sich mit ihrer Untertänigkeit zu empfehlen und über die Masse der anderen zu erheben.

Wer seine Interessen zur Norm, zur moralischen Angelegenheit stilisieren kann, bringt damit alle, die ihn kritisieren, in Rechtfertigungszwang, ohne seine Position auch nur angemessen begründen zu müssen: Wie, Du kritisierst die Gleichstellung von Frauen, den Feminismus? Wie, Du zweifelst am menschengemachten Klimawandel? Wie, Du betest einen anderen Gott als den, den wir zur Norm erhoben haben, an?

Das ist übrigens auch der Grund dafür, dass die ARD sich vom moralischen Framing so viel verspricht.

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