Die Forschung der Satten und Gelangweilten: Corona macht weniger pro-sozial

Nach wir vor gibt es Forschung, die uns auf die Palme bringt.

Wenn Halbgebildete von Bildungsfernen schreiben und die Bildungsferne als erreichten Schulabschluss definieren, dann macht uns das ziemlich ärgerlich, vor allem, wenn man bedenkt, dass viele derjenigen, die von der “Bildungsferne” Anderer schreiben, damit überfordert wären, ein neue Deckenlampe anzuschließen.

Man soll es nicht glauben. Aber der Ärger, der bei uns ausgelöst wird, wenn Bildungsimaginierer von Bildungsferne schreiben, ist noch steigerbar, dann nämlich, wenn derartige Forschung mit politisch korrektem Bullshit wie “prosozialem Verhalten” gemischt wird. Dann kocht uns wirklich die Galle hoch.

So wie bei dieser Pressemeldung:

Zu viel Corona macht weniger pro-sozial – Geteilte Promille ist halbe Trunksucht.

“COVID-19 verschlechtert prosoziales Verhalten unter Jugendlichen aus ärmeren Verhältnissen
Gabriele Meseg-Rutzen Presse und Kommunikation, Universität zu Köln;
Erkrankt ein Familienmitglied an dem Corona-Virus, wirkt sich das besonders auf Jugendliche aus ökonomisch schwächeren und weniger gebildeten Schichten negativ aus. Die Heranwachsenden fallen nicht nur in der Schule zurück, auch ihre nicht-kognitiven Fähigkeiten leiden. Sie sind weniger prosozial als zuvor. Das bedeutet: Sie verhalten sich weniger großzügig, altruistisch und kooperativ. Zudem sinkt ihre Bereitschaft, anderen zu vertrauen. Neben nachlassenden schulischen Leistungen kann auch diese Entwicklung für sie langfristig Nachteile mit sich bringen. Das zeigen Ergebnisse eines Forschungsteams um den Verhaltensökonomen Professor Dr. Matthias Sutter von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät, der unter anderem am Exzellenzcluster ECONtribute an der Universität zu Köln tätig ist. Die Studie ist am Montag, 8. November, in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen.”

PNAS druckt derzeit wirklich alles, solange es ein unter Verbildeten herrschendes Narrativ bedient.
Die Studie, die angeblich gezeigt haben soll, dass Kinder aus Familien mit geringem “sozio-ökonomischem Status”, aus “ärmeren Verhältnissen”, aus “ökonomisch schwächeren”, “weniger gebildeten Schichten” ein “verschlechtertes pro-soziales Verhalten” zeigen, sie trägt den Titel “COVID-19 within famlies amplifies the prosociality gap between adolescents of high and low socioeconomic status“. Verantwortlich für diese Studie sind Camille Terrier (Universität Lausanne), Daniel L. Chen (School of Economics, Toulouse) und Matthias Sutter (Universität zu Köln). Sie haben aus einer Studie, die mit mehr als 5.000 Schülern in Frankreich begonnen hat und mit 363 Schülern geendet ist, Schüler, die alle zwischen 15 und 17 Jahren alt waren, versucht, zu retten, was zu retten ist.

Alles, was die drei zusammengeschrieben haben und das in die Pressmeldung der Universität Köln eingegangen ist, steht komprimiert in der folgenden Tabelle.

Nehmen wir das einmal so hin, wie es da steht und gehen gleich in Spalte 4, die Unterschiede zwischen Jugendlichen aus Familien, denen die Autoren einen hohen ökonomischen Status zugeschrieben haben, und Jugendlichen, deren Familien die Autoren einen niedrigen sozio-ökonomischen Status zugeschrieben haben, dargestellt sind. Die Koeffizienten mit Sternchen geben signifikante Unterschiede an.

Demnach sind Jugendliche aus Familien mit dem, was die Autoren für einen geringen sozio-ökonomischen Status halten (und immer im Vergleich zu Jugendlichen aus Familien, die die Autoren für solche mit einem hohen sozio-ökonomischen Status halten)

  • weniger zur Kooperation mit anderen bereit;
  • weniger altruistisch;
  • weniger großzügig,
  • seltener von einer SARS-CoV-2 Infektion in der Familie betroffen;
  • seltener von der Hospitalisierung eines Familienmitglieds wegen COVID-19 betroffen;
  • häufiger Kinder von Eltern, deren Job durch Kontakt mit anderen Menschen ausgezeichnet ist;
  • seltener mit Eltern im Lockdown konfrontiert;

Ein ziemliches Durcheinander von Effekten, mit denen man nicht wirklich etwas anfangen kann. Welche Theorie soll diese Effekte miteinander verbinden? Ah, Theorie, wir schießen über das Ziel hinaus. Theorien sind “out”. Heute wurschtelt man mit Daten, produziert irgendwelche Ergebnisse und legt alles, was man an ideologischem Müll in sich angesammelt hat, in die Interpretation der Ergebnisse.

Um ein Gefühl dafür zu bekommen, was hier eigentlich getan wurde, hier eine Tabelle aus den Supplementary Materials zu diesem epochalen Werk:

Non-manuel workers und manual workers konstituieren für die Autoren Haushalte mit geringem sozioökonomischen Status, und zwar dann, wenn der “head of houshold”, also bei Familien der Vater des Jugendlichen, einen Beruf in der entsprechenden Kategorie ausübt. Wohlgemerkt für einen Jugendlichen, dessen Vater z.B. Schreiner ist und der deshalb einer niedrigen sozio-ökonomischen Schicht zugeordnet wird, ist nicht bekannt, was der Vater verdient. Es wird angenommen, dass er irgendwo in dem Bereich des mittleren Einkommens liegt, das in der Tabelle angegeben ist. Wenn man so will, machen die Autoren an dieser Stelle ihre einzige mutige Annahme, die nämlich, dass die Eltern der 363 Jugendlichen, für die sie Daten haben, sich nicht von den Eltern unterscheiden, die Grundlage der Erstellung der oben dargestellten Tabelle waren.

Um die Aussage, dass Jugendliche aus Familien, von denen die Autoren annehmen, dass sie einen niedrigen sozio-ökonomischen Status haben, weniger pro-sozial sind als Jugendliche aus Familien, von denen die Autoren annehmen wollen, dass sie einen hohen sozio-ökonomischen Status haben, treffen zu können, werden noch Maße für Kooperation, Altruismus, und Großzügigkeit benötigt. Die Maße stammen aus einem Online-Spiel, das die Autoren mit den 363 Jugendlichen gespielt haben:

Kooperation:
Spiel umfasst vier Runden.
Zwei Spieler.
In jeder Runde entscheiden die beiden Spieler simultan, wie viel einer Geldeinheit, sie ihrem Partner zukommen lassen wollen. Die Summe der zugewiesenen Geldeinheit wird verdoppelt. Die Qualität der Kooperation wächst mit den zugewiesenen Geldeinheiten. Je mehr beide Spieler zuweisen, desto besser die Kooperation.

Altruismus:
Spiel umfasst fünf Runden.
Ein Spieler.
In den fünf Runden stehen 2, 4, 6, 8 und 10 Geldeinheiten zur Verfügung.
In jeder Runde entscheidet der Spieler, wie viel der Geldeinheiten er an UNICEF für Masernimpfungen spendet.
Wer am meisten spendet ist König der Altruisten.

Großzügigkeit:
Jedem Spieler wird eine Gesamtsumme seines Gewinns in vorausgegenagen Spielrunden genannt. Ihm wird die Möglichkeit gegeben, einer von fünf Wohlfahrtsorganisationen einen Teil oder die volle Summe zu spenden.

Wir haben somit die folgende Situation:

  • Kooperation ist eine Funktion von Geldaustausch: Je mehr ausgetauscht wird, desto besser die Kooperation.
  • Altruismus ist eine Funktion von Geldaustausch: Je mehr verschenkt wird, desto großzügiger der Altruismus.
  • Großzügigkeit ist eine Funktion von Geldaustausch: Je mehr verschenkt wird, desto ausgeprägter die Großzügigkeit.

Das ist nicht unbedingt das, was man eine glückliche Operationalisierung nennt. Aber selbst wenn man die Probleme übersieht, die sich daraus ergeben, dass hier Variationen desselben Inhalts gemessen wurden, so kann man doch feststellen, dass Jugendliche, die Geld nicht in großem Ausmaß zur Verfügung haben, die nicht einfach ein Iphone kaufen können, weil ihnen die entsprechenden Mittel fehlen, etwas sorgsamer mit Geld, das ihnen anvertraut ist, umgehen. Sie rechnen eben nicht damit, dass sie auf Forscher treffen, die ihnen Sorgfalt und Sparsamkeit als a-soziales Verhalten auslegen, weil sie der Ansicht sind, dass ein pro-sozialer Mensch vor allem dadurch ausgezeichnet ist, dass er mit Geld um sich wirft. Eine äußert seltsame Vorstellung, die die Autoren hier an den Tag legen. Fast so abenteuerlich wie die Behauptung, dass eine Analyse, deren Werdegang mehr oder weniger in den Supplementary Materials versteckt wird, gezeigt habe, dass das pro-soziale Verhalten von Jugendliche (also das gerade dargestellte) aus Familien mit niedrigem sozio-ökonomischem Status DURCH COVID-19 verschlechter worden sei. Eine Annahme, die so wild ist, dass man die Ausdrucke dieses Werkes am Schreibtisch festnageln muss, um sie vor dem Davonfliegen zu schützen.

Das angebliche Ergebnis versteckt sich in dieser Tabelle:

In der ersten Tabelle ganz oben ist ein “Prosociality Index” enthalten, der für den ersten Zeitpunkt (Oktober/November 2019), zu dem die Jugendlichen die oben dargestellten Spiele gespielt haben, einen Wert von -.328 ausweist. Zum zweiten Zeitpunkt beträgt der Wert -.368. Die Tabelle “Table S.2” enthält die Ergebnisse unterschiedlicher Regressions-Modelle, die die Differenz von .040 erklären sollen. Das ist mehr als ein schlechter Witz, das ist Nano-Statistik. Die Behauptung, pro-soziales Verhalten sei bei Jugendlichen aus Familien mit gerigem sozio-ökonomischem Status geringer geworden, basiert auf genau einem Koeffizienten, der den Wert 1.723 aufweist und eine Differenz von .040 erklären soll. Das ist keine Nano-Statistik, das ist Glaskugel-Nano-Statisik – in jedem Fall ist es nicht lauter.

Fassen wir zusammen:

  • Eine dubiose Zuordnung von Jugendlichen zu Haushalten mit hohem oder niedrigem sozio-ökonomischem Status,
  • eine Operationalisierung von pro-sozialem Verhalten als Geldverschleuderung und
  • ein Modell, dass einen Miniaturunterschied von .040 erklären soll,

sind Grundlage einer Pressemeldung geworden: “COVID-19 verschlechtert prosoziales Verhalten unter Jugendlichen aus ärmeren Verhältnissen“.

Wenn es nicht so traurig wäre, dann müsste man über diese traurigen Gestalten, die Forschung dazu missbrauchen, ihre Statusängste zu bekämpfen, herzlich lachen.



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