Cross-Over-Organlebendspende: Der schöne Schein und die Wirklichkeit

Wir befinden uns im Land der emotionalen Erpressbarkeit.

Vor ein paar Tagen haben wir die Leser auf unserem Telegram-Kanal gefragt, ob sie schon einmal von einer Cross-Over-[Organ]Lebendspende gehört haben. 5% haben schon einmal davon gehört, 95% noch nicht [N = 2.201]. Bei Cross-Over-Organlebendspenden geht es im Wesentlichen um Nieren. Davon hat jeder 2 und die Folklore, die manche Ärzte als Stand der Forschung ausgeben, verspricht, dass man sich weitgehend bedenkenlos von einer trennen und dennoch wie Jung Siegfried gegen Drachen ins Feld ziehen und siegreich zurückkehren kann.

Eine Lebendorganspende ist derzeit an eine Reihe von Voraussetzungen gebunden, die in § 8 des Transplantationsgesetzes nachgelesen werden können:

  • Der Spender muss volljährig sein,
  • über die Folgen der Organspende aufgeklärt worden sein,
  • als Spender geeignet sein,
  • die Spende muss notwendig sein, um das Leben des Empfängers zu erhalten,
  • es darf kein anderes Spenderorgan, von einem Toten, vorhanden sein,
  • ein Arzt muss die Transplantation durchführen,
  • UND :

    “Die Entnahme einer Niere, des Teils einer Leber oder anderer nicht regenerierungsfähiger Organe ist darüber hinaus nur zulässig zum Zwecke der Übertragung auf Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen”.

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Wie so oft, klingen derartige Regelungen gut, finden sich in der Praxis aber oftmals in einer Weise wieder, die man nicht unbedingt als “Aufklärung über die Folgen eines Eingriffes” bezeichnen würde – oder wer von den Massenimpflingen ist der Ansicht, er sei über die Folgen einer mRNA-Spritze ausreichend, wenn überhaupt aufgeklärt worden?

Wann immer ein “Eingriff” ein Geschäft für daran beteiligte Personen ist, findet sich eine mehr oder weniger große Abweichung zwischen Gesetz und Praxis, Schriftgut und Wirklichkeit. Ralf Tietz, der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Lebendnierenspende zeigt dies mit seiner Stellungnahme, die er anlässlich einer Anhörung im Bundestag, die einen Gesetzentwurf der AfD zum Gegenstand hat, der wiederum die Cross-Over-Organlebendspende zulassen will, gehalten hat. Die Interessengemeinschaft, deren Vorsitzender Tietz ist, ist eine Gemeinschaft der Geschädigten, der geschädigten Spender, die man offenkundig unter falschen Angaben dazu breitgeklopft hat, eine ihrer beiden Nieren zu spenden. Tietz selbst hat 2010 eine Niere gespendet, weiß also, wovon er spricht.

Machen wir zunächst mit dem Cross-Over-Organlebendspenden kurzen Prozess:

Die letzte Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Lebendorganspende ist eine enge Beziehung zwischen Spender und Empfänger, eine verwandtschaftliche Beziehung ersten oder zweiten Gerades [ob das eine enge Beziehung ist, ist eine andere Frage] oder eine Beziehung besonderer persönlicher Verbundenheit… was auch immer das sein mag. Damit wird der Kreis der potentiellen Lebendspender eingeschränkt, denn wer eine Niere von einem lebenden Spender erhalten will, der muss in seinem direkten Umfeld suchen und selbst wenn er dort einen willigen Spender findet, ist damit nicht gesagt, dass die Spende auch möglich ist, etwa dann nicht, wenn die Niere, die gespendet werden soll, aus medizinischen Gründen nicht transplantiert werden kann, sich keine Passung zwischen Spenderniere und Empfänger herstellen lässt. In solchen Fällen zwar inniger Beziehungen zwischen Empfänger und willigem Spender aber nicht kompatiblem Organ-Material soll es möglich sein, nach passenden Spender/Empfänger, sich besonders verbundener oder verwandter Paare zu suchen, die mit dem selben Organ-Inkompatibilitätsproblem geschlagen sind, und quasi den Spender aus persönlicher Verbundenheit zu tauschen, ein Kreuztausch, wenn man so will.

Darum geht es bei der Cross-Over-Organlebensspende.
In der Stellungnahme von Ralf Tietz geht es weitgehend um das, was so gerne aus der öffentlichen Diskussion herausgehalten wird, die Risiken für Spender und Empfänger, die mit einer derartigen Transplantation verbunden sind.

Das Risiko für den Empfänger besteht zunächst einmal darin, dass die Transplantation umsonst sein kann, weil sein Organismus das neue Organ nicht annimmt. Aber selbst wenn es mit der Annahme keine Probleme gibt, ist damit keine Normalität im Leben hergestellt, lediglich der Gang zur Dialyse ist gespart, was durchaus eine Erleichterung sein kann, die aber damit erkauft werden muss, dass der Empfänger der Spenderniere Zeit seines Lebens mit Medikamenten leben muss, die sein Immunsystem unterdrücken, ihn zwangsläufig anfälliger für Infektionen machen und mit einem erhöhten Krebsrisiko einhergehen.

Dazu Tietz:

“Allerdings bedeutet die Transplantation einer Niere keine Heilung im medizinischen Sinn. Der Organempfänger erfährt vorübergehend eine Steigerung der Lebensqualität und mitunter eine Lebensverlängerung gegenüber der Lebensdauer unter der Dialyse. Der Preis hierfür ist die Einnahme von immunsupprimierenden Medikamenten, welche das Immunsystem kontrolliert schwächen, um eine Abstoßung des Transplantates zu verhindern, bzw. um viele Jahre zu verzögern. Die Funktionsdauer der Niere ist sehr unterschiedlich und kann nicht genau vorhergesagt werden. Manche Nieren arbeiten nur wenige Jahre, andere wiederum auch zwei oder fast drei Jahrzehnte.

Der Durchschnitt wird mit ca. 15 Jahren angegeben. Die Medikamente führen für den Organempfänger zu einer deutlich erhöhten Infektanfälligkeit und zu einem signifikant steigenden Krebsrisiko.”

Eine Transplantation ist, wenn man so will, das Versprechen auf ein einfacheres, vielleicht auch ein Überleben, aber sie ist kein Versprechen dafür, dass das leichtere oder Überleben die Dauer hat, die man aufgrund der durchschnittlichen Lebenserwartung vielleicht erwarten würde. Und die Risiken für den Empfänger sind nur die eine Seite der Lebendorganspende. Derjenige, der sich von einer Niere trennt, trägt ein eigenes Risiko, z.B. das Risiko, nach der Spende nun seinerseits an einer Nierenerkrankung zu leiden. Ein nicht unerheblicher Teil der Lebendorganspender wird nach Spende selbst zum Behandlungsfall. Hinzukommt das, was seit ein paar Monaten und aus offenkundigen Gründen ausschließlich im Zusammenhang mit einer vorausgehenden Erkrankung an COVID-19 diskutiert wird: das Fatigue Syndrom, eine Erkrankung, die sich aus einer großen Zahl von Gründen einstellen kann, was denjenigen nicht in den Kram passt, die COVID-19 unbedingt als furchtbare Krankheit darstellen wollen, die selbst für diejenigen eine Gefahr mit sich bringen soll, die bestenfalls milde Erkrankungssymptome hatten.

Dazu Tietz:

“Ein bedeutsames Risiko ist die deutlich sinkende Nierenfunktion (im Durchschnitt um 37 Prozent) nach der Spende. Bei nachlassender Nierenfunktion kann es zu Leistungsverlusten und abnehmender Lebensqualität kommen. 50 Prozent der deutschen Spender sind laut der Safety of Living Kidney Donor-Studie (SoLKiD) nach der Spende nierenkrank im Stadium CKD III (Glomeruläre Filtrationsrate, kurz GFR < 60 ml/min).  Dies kann schnellere Ermüdbarkeit, schlechtere Konzentration und weitere kognitive Einschränkungen zu[r] Folge haben. Es fehlen Reserven für das Alter und die Risiken kardiovaskulärer Krankheiten und Ereignisse steigen.”

Wer zu einer Lebenorganspende bereit ist, hat somit eine fifty-fifty-Chance, nach Nierenspende Nierenkrank zu sein und mit dauerhaften Verluste seiner Leistungsfähigkeit leben zu müssen.

Wo ein Organgeschäft ist, sind Handel und Missbrauch nicht weit.

Mehr noch:

“Ein weiteres ernst zu nehmendes Risiko ist das Fatigue-Syndrom […]

Nach einer US-Studie leiden anfänglich bis zu 70 Prozent der Nierenlebendspender für einige Monate unter Fatigue. Diese Information ist vor allem für Berufstätige sehr wichtig. Eine monatelange Rekonvaleszenz ist unbedingt einzuplanen. Diese Akutphase kann bis zu sechs Monate oder länger dauern. In der US-Studie wurde festgestellt, dass 12 Prozent der untersuchten Spender 24 Monate nach der Spende immer noch an einer besonders schweren Form des Fatigue-Syndroms litten.”

Tietz bezieht sich auf diese Studie:

Rodrigue, James R., Aaron Fleishman, Jesse D. Schold, Paul Morrissey, James Whiting, John Vella, Liise K. Kayler et al. (2020). Patterns and predictors of fatigue following living donor nephrectomy: Findings from the KDOC Study. American journal of transplantation 20(1): 181-189.

Und weiter:

“Die SoLKiD-Studie kam über einen Beobachtungszeitraum von 12 Monaten zu ähnlichen Ergebnissen. Von den in 20 deutschen Transplantationszentren untersuchten 336 Nierenlebendspendern entwickelten 18,4 Prozent noch 12 Monate nach der Spende eine „generelle Fatigue“ (Erschöpfung, chronische Müdigkeit, kognitive Einschränkungen). 6,3 Prozent davon hatten schon vor der Spende entsprechende Probleme, was die Frage aufwirft, warum diese zur Spende zugelassen wurden. Für 12,1 Prozent der Nierenlebendspender bedeutet diese Fatigue eine neue, durch die Spende verursachte, schwere körperliche Erkrankung”

Immer noch Tietz

  • An der Charité in Berlin wurde 2016 ermittelt, dass je nach Operations-Methode (laparoskopisch bzw. offene Operation) zwischen 8 und 17 Prozent der Spender langfristig (!) am „Chronic-Fatigue-Syndrom“, so die Wortwahl der Autoren, leiden.
  • Ebenfalls an der Charité wurde bereits 2004 festgestellt, dass 42 Prozent der Nierenlebendspender noch sieben Jahre nach der Spende von Beeinträchtigungen berichten.
  • Eine Studie der Medizinischen Hochschule Hannover von 2021 hat festgestellt, dass unabhängig von der Nierenfunktion die untersuchten Nierenlebendspender bei Tests zum Arbeitsgedächtnis, zur parallelen Verarbeitung von Reizen und zur anhaltenden Aufmerksamkeit, schlechter abschnitten als die Kontrollgruppe.
  • Die Sterblichkeit von Spendern ist nach einer norwegischen Studie deutlich erhöht.
  • Das Dialyserisiko für Spender ist nur geringgradig erhöht.

Wer die Studien nachlesen will, kann das hier tun:

Friedersdorff, Frank, Lisa Kothmann, Philipp Manus, Jan Roigas, Carsten Kempkensteffen, Ahmed Magheli, Jonas Busch et al. (2016). Long-term donor outcomes after pure laparoscopic versus open living donor nephrectomy: focus on pregnancy rates, hypertension and quality of life. Urologia Internationalis 97(4): 450-456.Schostak, M., H. Wloch, M. Müller, M. Schrader, G. Offermann, and K. Miller (2004). Optimizing open live‐donor nephrectomy–long‐term donor outcome. Clinical transplantation 18(3): 301-305.

Mikuteit, Marie, Faikah Gueler, Iris Pollmann, Henning Pflugrad, Meike Dirks, Martina de Zwaan, and Karin Weissenborn (2022). Assessment of cognitive functioning after living kidney donation: A cross-sectional pilot study. Plos one 17(2): e0264284.

Mjøen, Geir, Stein Hallan, Anders Hartmann, Aksel Foss, Karsten Midtvedt, Ole Øyen, Anna Reisæter et al. (2014). Long-term risks for kidney donors. Kidney international 86(1): 162-167.

Muzaale, Abimereki D., Allan B. Massie, Mei-Cheng Wang, Robert A. Montgomery, Maureen A. McBride, Jennifer L. Wainright, and Dorry L. Segev (2014). Risk of end-stage renal disease following live kidney donation.Journal of the American Medical Association 311(6): 579-586.

Ob diejenigen, die sich zu einer Lebendnierenspende bereit erklären, dies auf Basis einer umfassenden Aufklärung tun, damit sie in der Lage sind, eine umfassend informierte Entscheidung zu treffen? Eine solche zu treffen, ist ohnehin schwierig, wenn emotionaler und psychologischer Druck im Spiel sind … und das wird mit Sicherheit der Fall sein.


Featured Image: Daily Mail: Inside the illegal hospitals performing thousands of black market organ transplants every year for $200,000 a time

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