Die Illusion vom Datenschutz

Datenschutz ist einer der Bereiche, die sich hervoragend dazu eignen, öffentliche Illusionen aufzubauen, die sich wiederum hervoragend dazu eignen, um Bürgerrechte im Namen des Datenschutzes einzuschränken. Datenschutz ist derzeit für Regierungen ein Win-Win-Spiel, denn wenn Regierungen zum Datenschutz blasen, dann ist ihnen die Zustimmung ihrer Bürger, in vielen Fällen die begeisterte Zustimmung sicher.

Zwar haben die jüngsten Ereignisse gezeigt, dass man, so man sich um seine Daten sorgt, sich vor allem gegen die eigene Regierung und deren Verbündete verteidigen und sichern muss, das hindert aber viele nicht daran, bei Datenschutz neben den USA in erster Linie an Unternehmen wie Facebook, Twitter, Tesco oder Google zu denken, sammeln Letztere doch Daten von Ihren Kunden, um sie z.B. für Werbezwecke einzusetzen.

personalausweisSo hat das ZDF vor kurzem beklagt, dass der britische Supermarkt-Riese Tesco Daten seiner Clubcard-Besitzer nutzt, um z.B. deren Einkaufverhalten in den Supermärkten oder deren Sehverhalten im Tesco-eigenen Fernsehen aufzuzeichnen, und den Kunden, dann ihren Seh- und Kaufgewohnheiten entsprechende Angebote zu machen. Für Torsten Dewi, der den Beitrag für das Hyperland des ZDF geschrieben hat, eine Unglaublichkeit. Gleichzeitig, so ist zu vermuten, findet Dewi nicht viel dabei, zum Ordnungsamt zu laufen und dort eine ganze Menge von persönlichen Daten zu hinterlassen, damit er anschließend mit einem ganz eigenen Personalausweis durch deutsche Lande wandeln darf. Eine Unvorstellbarkeit für jeden Briten, einen Personalausweis ständig mit sich zu führen. Das nennt man dann wohl kulturelle Unterschiede.

Datenschutz liegt auch bei Facebook im Argen, wie man beim grünen badenwürttembergischen Kultusministerium weiß. Deshalb wurde Lehrern kurzerhand die Nutzung von Facebook in ihrer Funktion als Lehrer und somit letztlich komplett verboten. Der Datenschutz bei Google ist nach Ansicht des Hamburger Datenschützers, Johannes Caspar, ein Unding, weshalb er ein Verwaltungsverfahren gegen das Unternehmen eingeleitet hat. Und die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben die Tatsache, dass die US-amerikanische NSA wohl auch ihre Emails mitliest, zum Anlass genommen, um eine Aussetzung der Übermittlung von Daten an die USA zu fordern. In einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel schreiben sie als Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder:

“Deshalb fordert die Konferenz die Bundesregierung auf, plausibel darzulegen, dass der unbeschränkte Zugriff ausländischer Nachrichtendienste auf die personenbezogenen Daten der Menschen in Deutschland effektiv im Sinne der genannten Grundsätze begrenzt wird.”

bndMan beachte die Adjektive “unbeschränkt” und “ausländisch”, die konditional miteinander verbunden sind. Gefordert wird, dass ausländische Nachrichtendienste keinen unbeschränkten Zugriff auf die “personenbezogenen Daten der Menschen in Deutschland” haben, nicht etwa alle Nachrichtendienste oder ausländische und inländische Nachrichtendienste. Die Datenschutzbeauftragten regt also nicht auf, dass ausgespäht wird, sondern dass vom Falschen ausgespäht wird.

Der ganze Zinnober um Datenschutz, dient vermutlich dazu, die Aufmerksamkeit von denen abzulenken, die sich tatsächlich im Besitz relevanter personenbezogener Daten befinden und die dann, wenn sie bei sich einen Mangel an personenbezogenen Daten feststellen, eben einmal geltendes Recht brechen und Diebesgut kaufen, um Deutschen auf die Spur zu kommen, die der Ansicht sind, sie zahlen in Deutschland zu viel Steuern.

Wie dem auch sei, geht es um Datenschutz, dann richtet sich der Blick in Deutschland nicht auf die Regierung und ihre sammelwütigen Institutionen, auf Finanzamt, Ordnungsamt, BND und alle sonstigen Institutionen, die nichts lieber tun, als Informationen über Bürger zu sammeln, sondern auf private Unternehmen, die die Daten missbrauchen, die sie aus ihren Kunden und ohne deren Wissen “entnehmen”.

dont_panic_280085kDabei haben Unternehmen es gar nicht nötig, Kunden auszuschnüffeln, ganz im Gegensatz zu Regierungen und ihren nachgeordneten Institutionen, bei denen man anscheinend der Ansicht ist, Osama Bin Laden habe seine Helfer über social networks rekurriert oder über online-Stellenausschreibungen (Terrorist gesucht) und ansonsten per Email Informationen über Art und Weise, Ort und Zeitpunkt des nächsten Anschlags ausgetauscht. Nein, die Informationen, die Internetnutzer, auch solche, die sonst so viel Wert auf ihre Anonymität legen, durch ihr Surfen im Internet, ihre Bedienung von Like-Buttons oder ihr schlichtes Anwählen von Homepages hinterlassen, reicht aus, um sich ein wirklich detailliertes Bild der entsprechenden Nutzer machen zu können.

Dass dem so ist, ist nicht neu. So haben Forscher auf Grundlage der Texte, die Internetnutzer hinterlassen haben, mit hoher Sicherheit auf bestimmte individuelle Merkmale, wie Alter, Sozialstatus oder Geschlecht geschlossen (Fast & Funder, 2008), die Browser-History von Internetnutzern benutzt, um deren Persönlichkeitsmerkmale zu bestimmen (De Bock & van den Poel, 2010; Hu et al., 2007) und eine neue Untersuchung von Michael Kosinski, David Stillwell und Thore Graepel, die in den Proceedings of the National Academy of Science erschienen ist, geht sogar noch einen Schritt weiter.

Die Autoren nutzen Facebook-Likes, die Nutzer auf den verschiedensten Websites hinterlassen, um mit hoher Genauigkeit vorherzusagen, ob die entsprechenden Nutzer, Single sind oder in Partnerschaft leben (67% Trefferquote), ob ihre Eltern sich getrennt haben, bevor sie das Alter von 21 Jahren erreicht haben (60% Trefferquote), ob sie rauchen (73% Trefferquote), schwul (88% Trefferquote) oder lesbisch (75% Trefferquote), männlichen oder weiblichen Geschlechts (93% Trefferquote) sind. Darüber hinaus haben Kosinsiki, Stillwell und Graepel gezeigt, dass es möglich ist, Persönlichkeitstypen zu identifizieren, etwa vorherzusagen, ob ein bestimmter Internetnutzer intelligent, offen für Neues, nett oder extrovertiert ist, ob er emotional stabil ist und über ein dichtes Freundesnetzwerk verfügt. Die entsprechenden Vorhersagen sind erstaunlich akkurat und variieren je nach Menge der benutzten Daten zwischen 39% und 78% Treffergenauigkeit für z.B. Intelligenz bzw. 30% und 68% für emotionale Stabilität. Je mehr Informationen, je mehr Likes zur Verfügung stehen, desto besser ist die Vorhersage, was Statistiker nicht überraschen dürfte.

facebook-like-buttonÜberraschend ist dagegen, welche Art von Likes auf bestimmte Eigenschaften schließen lassen (oder vielleicht auch nicht). So hatte ein Like für “I Love Being a Mom” eine hohe Vorhersagekraft für eine mindere Intelligenz, während ein Like für “Curly Fries” eine hohe Intelligenz gut vorhersagt. Wie sich zeigt, ist man vor Überraschungen nicht gefeit und wie sich auch zeigt, hinterlässt jeder jeden Tag genug Informationen im Internet, die genutzt werden können, um etwas über ihn herauszufinden, wenn man das wollen sollte.

Und warum sollte man das wollen? Die Antwort für Unternehmen ist klar: Sie wollen etwas über ihre Kunden wissen, um Angebote auf deren Bedürfnisse zuschneiden zu können und nicht Flyer mit Werbung für Fleisch an überzeugte Vegetarier zu schicken, um Informationskosten zu reduzieren. Und warum sammeln Regierungen Daten? Natürlich um uns zu schützen und nur um uns zu schützen, vor Terroristen, Steuerverweigerern, vor Antifeministen, die Liste der Möglichkeiten, um Bürger zu schützen, ist endlos, das ist das Schöne am Datenschutz, die Zielgruppe, vor der die “guten Bürger” geschützt werden müssen, lässt sich beliebig erweitern.

Technisches zur Studie: Die Untersuchung basiert auf Informationen, die von myPersonality Facebook gesammelt wurden, darunter die Anzahl der Facebook Likes, Psychometrische Testergebnisse sowie Informationen zu bestimmten Themen wie dem Alter bei Trennung der Eltern. Insgesamt können Kosinsiki, Stillwell und Graepel auf Daten von 58.466 Personen zurückgreifen, die sich zur Teilnahme an der Untersuchung bereit erklärt habeen.

 

Nachtrag

Bevor jetzt wieder die Jagd auf Facebook losgeht. Die Daten von Facebook wurden von den Autoren genutzt, weil sie über myPersonality Facebook von Nutzern freiwillig bereitgestellt und mit anderen Daten verbunden werden. Facebook-Likes sind nur ein Beispiel, Kundenrezensionen, Beiträge in Foren oder das schlichte Surfen durch verschiedene Seiten, reicht schon als Information, um die Anonymität der Internet-Nutzer zumindest soweit zu lüften, dass gute Vorhersagen über ihre Persönlichkeit, sozialstrukturelle Position und Lebensumstände möglich sind.

Literatur

De Bock, Koen W. & van den Poelk, Dirk (2010). Predicting Website Audience Demographics for Web Advertising Targeting Using Multi-Website Clickstream Data. Fundamenta Informatica 98(1): 49-70.

Fast, Lisa A. & Funder, David C. (2008). Personality as Manifest in Word Use: Correlation with Self-Report Acquaintance Report and Behavior. Journal of Personality and Social Psychology 94(2): 334-346.

Hu, Jian, Zeng, Hua-Ju, Li, Hua, Niu, Cheng & Chen, Zheng (2007). Demographic Prediction Based on User’s Browsing Behavior. International World Wide Web Conference, pp.151-160.

Kosinski, Michal, Stillwell, David & Graepel, Thore (2013). Private Traits and Attributes are Predictable From Digital Records of Human Behavior. Proceedings of the National Academy of Science of the United States 110(15): 5802-5805.

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