Sozialwissenschaftliche Phantomjäger –

oder wie man zeigt, dass etwas, das es nicht gibt, dann, wenn man animmt, dass es es doch gibt, sich als gar nicht so schlimm herausstellt, wie man denken könnte, wenn es es gäbe.

Ein Großteil der Sozialwissenschaften ist mit der Jagd nach Phantomen beschäftigt. Viele Sozialwissenschaftler widmen sich dem Schattenboxen und eingebildeten “Abstraktionen am Begriffshimmel” (Steinert, 1973, S.20), für die keine Gefahr besteht, dass sie jemals zu “sozialen Fakten” und somit zum messbaren Forschungsgegenstand werden. Noch Emile Durkheim ist davon ausgegangen, dass sozialen Fakten das eigentliche Forschungsinteresse von Sozialwissenschaftlern im Allgemeinen und Soziologen im Besondern gilt. Einige “moderne” Sozialwissenschaftler finden ihre Erfüllung aber gerade darin, Begriffe zu erfinden, um dann nach den gesellschaftlichen Folgen, die den eigenen Phantastereien zugeschrieben werden können, Ausschau zu halten.
Besonders produktiv, wenn es an das Erfinden abstrakter Begriffsphantasmagorien geht, sind Feministen. Richtet sich ihr Augenmerk auf die Ökonomie, dann kennt ihr Erfindungsreichtum keine Grenzen, dann wird hinter allem und jedem Prozess ein “Patriarchat” am Werke vermutet, und es findet sozialwissenschaftliche Legendenbildung in einer Weise statt, die Auguste Comte, der – wenn man so will – Erfinder der Soziologie und Vertreter einer positivistischen Methode sicher nicht für möglich gehalten hätte. Um den folgenden Darstellungen einen Rahmen zu geben, will ich einmal mehr auf die umfassende Aufarbeitung von allem, was es über “das Patriarchat” zu wissen gibt, die Dr. habil. Heike Diefenbach vorgenommen hat, verweisen. Ergebnis der Aufarbeitung: Das Patriarchat als solches hat es nie gegeben. Den Begriff wollen nicht einmal mehr Ethnologen benutzen. Die einzigen die ihn nutzen, sind (Staats-)feministen, die ihn – nach Aussagen aus den eigenen Reihen – als politischen Kampfbegriff verwenden.

Was mich am politischen Kampfbegriff “Patriarchat” in diesem post interessiert, ist zweierlei: Zum einen will ich zeigen, dass die Verwendung des Begriffs “Patriarchat” durch (Staats-)Feministen mit einer Verachtung von Individuen einhergeht und somit antililberal, ja anti-emanzipativ ist, zum anderen will ich einen Beitrag von Klaus Kraemer, Philipp Korom und Sebastian Nessel (2012) kritisieren, die auf den ersten Blick den löblichen Versuch unternommen haben, den Kapitalismus gegen den sozialistischen Angriff der Staatsfeministen zu verteidigen, dies jedoch unter Übernahme der Prämissen der sozialistisch staatsfeministischen Position tun, was den Versuch wertlos macht.

Staatsfeministen verachten Individuen

Die staatsfeministische Sicht auf die Ökonomie lässt sich wie folgt zusammenfassen: Mit den Erfolgen des Kapitalismus, der Durchsetzung einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung, kommt es zu einer Hierarchisierung von Arbeitsformen. Dabei wird Männern die Erwerbsarbeit zugeweisen, während Frauen auf Haushalt und Kindererziehung und mithin zwei Tätigkeiten reduziert werden, die zudem einen Bedeutungsverlust erleiden, denn im Kapitalismus zählt nur das Erwerbseinkommen und das stammt aus Erwerbsarbeit. Entsprechend entwickelt sich nach den Vorstellungen der Staatsfeministen ein “kapitalistisches Patriarchat” (Haug, 1996, S.129), das man sich wohl nach dem Motto: Wer zahlt, bestimmt, vorstellen muss.
Wie alle sozialistischen Ideen, so zeichnen sich auch die staatsfeministischen Phantastereien über das “kapitalistische Patriarchat” durch eine Geringschätzung der “lumpigen Individuen”, wie sie Friedrich Engels bezeichnet hat, aus. Dies wird deutlich, wenn man die Prämissen, auf denen die Zusammenfassung des Kerns staatsfeministischer Doktrin basiert, offenlegt:

  • Erwerbsarbeit ist eine Angelegenheit von Männern.
  • Hausarbeit und Reproduktion ist eine Angelegenheit von Frauen
  • Erwerbsarbeit wird bezahlt.
  • Hausarbeit und Reproduktion wird nicht bezahlt.
  • Haushalte leben vom Einkommen, das Männer erwirtschaften.
  • Frauen sind finanziell von Männern abhängig.
  • Und deshalb gibt es ein “kapitalistisches Patriarchat”.

Das ganze Wolkenkuckucksheim stürzt in sich zusammen, wenn man Folgendes – aus der Wirklichkeit Entnommenes, bemerkt:

  • Frauen haben wie Männer die Fähigkeiten erhalten, ihren Lebensunterhalt eigenständig zu erwirtschaften.
  • Die Entscheidung gegen Erwerbsarbeit und für Hausarbeit und Reproduktion ist eine Entscheidung, die man nicht treffen muss.
  • Die Tatsache, dass manche Männer nicht nur den eigenen Unterhalt bestreiten, sondern auch für den Unterhalt von Frauen und Kindern verantwortlich sind, muss nicht “kapitalistisches Patriarchat”, sie kann auch “schmarotzendes Matriarchat” zum Ausdruck bringen. (Das ist mein Beitrag zum Begriffe erfinden.).

Führt man für Individuen Entscheidungsfreiheit ein, dann löst sich das ganze “kapitalistische Patriarchat” in Luft auf, oder, man muss annehmen, dass Frauen von Männern gezwungen werden, den größten Teil des Tages mit Hausfrauenfernsehen zu verbringen und ihr Dasein in finanzieller Abhängigkeit zu fristen. Wenn man dies annimmt, dann ist es jedoch notwendig, die Prozesse zu beschreiben, die diese Zwänge hervorbringen. Also: Wwie habe ich mir das vorzustellen? Ich nenne diese Frage den Diefenbachschen Todesstoß. Ich habe diese Frage zum ersten Mal von Dr. habil. Heike Diefenbach gestellt gehört, und die Frage ist deshalb ein Todesstoß, weil ich es noch nie erlebt habe, dass ein Adressat, der im kollektiven Begriffshimmel unterwegs war, es geschafft hat, auf die Erde zurückzukehren und konkrete Angaben zu machen. Man muss allerdings etwas Mitleid mit den Staatsfeministen haben, ob der Anomie, in die sie mit der Diefenbachschen-Frage gestürzt werden.

Ich täte mir auch schwer, nein, ich tue mir schwer. Aber ich versuch’s dennoch: Also Ilse L. wird im Alter von 25 von ihrem patriarchalischen Vater und gegen ihren Willen an Franz V. verkauft. Der Handel ist einfach: Ilse gegen Alterssicherung in Form von Aktien (Insignien des Kapitalismus!). Dann wird Ilse von Franz in eine Wohnung gesperrt, wo sie tagein, tagaus putzen, waschen, kochen und all das tun muss, was patriarchalische Kapitalisten so von ihren Frauen verlangen. Aber da war noch was. Richtig! Reproduktion. Neben ihren sonstigen Pflichten hat Ilse L. auch eheliche Pflichten, sagen wir einmal im Monat, und entsprechend irgendwann einmal Nachwuchs, der, wenn er männlich ist, in die patriarchalischen Unterdrückungsschuhe seines Vaters steigt, wenn er weiblich ist, das Heer der von patriarchalischen Kapitalisten Unterdrückten weiter bestückt. Ja, so hat man sich das dann wohl konkret vorzustellen, und obwohl ich mir nicht sicher bin, dass die Mehrzahl der Staatsfeministen mir zustimmt, so bin ich mir doch sicher, dass die Mehrzahl der normalen Menschen mit mir einer Meinung ist, dass die beschriebene Situation absoluter Unsinn ist.

Man kann nicht etwas kritisieren, dessen Prämissen man teilt

Obwohl es ziemlich einfach ist, wie gerade gezeigt, den Unsinn “kapitalistisches Patriarchat” als solchen zu entlarven, machen ihn Klaus Kraemer, Philipp Korom und Sebastian Nessel zum Ausgangspunkt ihrer Beitrags “Kapitalismus und Gender”. So schreiben die Autoren auf Seite 33 ihres Beitrags:

“Die Hausarbeit [wird] weiterhin von Frauen verrichtet, und die durch das askriptive Merkmal Geschlecht bedingten ‘echten’ Diskriminierungen am Arbeitsmarkt [erweisen] sich als persistent. Wir halten diesen Befund trotz gewisser Verbesserungen der Erwerbs- und Karrierechancen von Frauen in den letzten Jahrzehnten als [gemeint ist: für] immer noch zutreffend. Die Beteiligung von Männern an Routinetätigkeiten im Haushalt ist niedrig geblieben …; ganz zu schweigen von der ungebrochenen Ungleichverteilung von Erziehungs- und Bildungsarbeit in der Familie. Auch unter Berücksichtigung beruflicher Merkmale ist weiterhin ein deutlicher Gendereffekt bei der Einkommensungleichheit festzustellen”.

An anderer Stelle ihres Textes haben die Autoren ausdrücklich die Ansicht übernommen, es gebe ein nunmehr als “Sekundärpatriarchalismus” (man sieht, hat man erst einmal einen Begriff erfunden und verbreitet, dann kann man ihn beliebig verlängern: Grumpf, feministischer Grumpf, Sekundärgrumpf, nachhaltiger Grumpf, gar kein Grumpf  usw. ) bezeichnetes Patriarchat. An der zitierten Stelle übernehmen sie nicht nur diese Phantasie, sie füllen sie auch mit weiteren Phantastereien, die – wie ich dies oben bereits gezeigt habe – durch die schlichte Annahme, dass Individuen die Freiheit haben, für ihr Leben relevante Entscheidungen zu treffen sowie den Diefenbachschen Todesstoß, beseitigt werden kann:

  • Nach wie vor niemand zwingt Frauen dazu, ihre Erwerbstätigkeit für ein Leben in Kinderzimmer, Haushalt und auf dem Sofa aufzugeben. Man kann die Reproduktion auch einfach unterlassen.
  • Niemand hat sich je darüber aufgeregt, dass Autoreparaturen, Installationen, handwerkliche Tätigkeiten aller Art, von Männern ausgeführt werden – obwohl die entsprechende Ungleichverteilung sich bestens instrumentalisieren ließe, um eine matriarchalische Unterdrückungskultur zu etablieren.
  • Zum krönenden Abschluss: Wie habe ich mir das vorzustellen? Also Ilse V. geb. L. hat wider Erwarten vom patriarchalischen Kapitalisten Franz V. die Erlaubnis erhalten, arbeiten zu gehen. Sie bewirbt sich – wegen ihrer zwar guten Ausbildung, aber der fehlenden Berufspraxis geschuldet als Sekretärin bei Henning Z, der wiederum in einem Unternehmen Personalchef ist, das von Gewerkschaften zu Tarifabschlüssen gezwungen wird. Aber, kapitalistischer Patriarch, der er nun einmal ist, Henning Z. handelt eigene Gehälter mit Frauen und nur mit Frauen aus, bezahlt alle schlechter als Männer in vergleichbaren Jobs und so ergeht es auch Ilse V. geb. L. Sie erhält weniger Geld von Henning Z. als die Gewerkschaft erkämpft hat. Dummerweise erkauft sich Henning Z. das geringere Verdienst von u.a. Ilse V. damit, dass er hohe Verwaltungskosten produziert, denn Frauen wie Ilse V. müssen buchhalterisch extra erfasst werden, ihr Gehalt extra verbucht, die Abweichung vom Tariflohn entsprechend kaschiert werden. Macht das jemand? Nein. Natürlich nicht. Der ganze staatsfeministische Patriarchats-Zinnober ist nämlich ein reines Hirngespinnst, dem Kraemer, Korom und Nessel (2012) auf den Leim gegangen sind. Und das macht ihre Arbeit leider unbrauchbar.

Und ganz zum Schluss: Warum sollten sich Frauen auf diesen ganzen Handel (also z.B. den mit Henning Z) einlassen? Warum sollten Frauen sich “patriarchalischen Strukturen” unterordnen? Wie sich zeigt, basiert das gesamte Hirngespinnst des von Staatsfeministen herbeifabulierten “kapitalistischen Patriarchats” auf der Annahme, dass Frauen keinerlei eigene Existenz, keinerlei eigene Entscheidungsfreiheit, keinerlei eigene Verhandlungsmacht haben. Frauen sind für Staatsfeministen lenkbare und verschiebbare Figuren auf einem kollektiven Brett, und Staatsfeminismus ist entsprechend eine anti-individualistische, anti-emanzipatorische und menschenverachtende Religion.

Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Literatur
Haug, Frigga (1996). Knabenspiele und Menschheitsarbeit. Geschlechterverhältnisse als Produktionsverhältnisse. In. dies. Frauen-Politiken. Berlin: Argument, S.125-154.

Kraemer, Klaus, Korom, Philipp & Nessel, Sebastian (2012). Kapitalismus und Gender. Eine Auseinandersetzung mit der kapitalismuskritischen Intersektionalitätsforschung. Berliner Jorunal für Soziologie 22(1): 29-52.

Steinert, Heinz (1973). Symbolische Interaktion. Arbeiten zu einer reflexiven Soziologie. Stuttgart. E. Klett.

Bildnachweis:
Metall Music Man
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Ground notes

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