Der (schöne) Schein bestimmt das Bewusstsein – jedenfalls im BMBF

Für Marx bestimmt das Bewusstsein, das (Da-)Sein (übrigens ein Grund dafür, warum so viele Linke so begeistert sind, wenn es darum geht, andere umzuerziehen). Gemeint hat Marx damit, dass bestimmte Vorstellungen oder Vorstellungswelten, in denen z.B. Arbeiter leben, ein Handeln befördern, das ihre gesellschaftliche Position zementiert. Marxens Idee hat also eine feste Verbindung mit der Realität, ist quasi eine Ableitung aus einer Realität, die er aus einer Perspektive des Klassenkampf heraus als “falsch” angesehen hat. Die Marxsche Position hat zwischenzeitlich beim BMBF eine Weiterentwicklung erfahren, bei der auf Realitätsbezüge gänzlich verzichtet wird. An ihre Stelle ist ein (schöner) Schein getreten, von dem man im BMBF hofft, dass er das Bewusstsein der Deutschen im Allgemeinen und deutscher Wissenschaftler im Besonderen beeinflusst. Der (schöne) Schein lautet: Auswandern bringt nichts. Als Wissenschaftler ist man in Deutschland besser dran als sonstwo. Wer das nicht glaubt, wird es am eigenen Leib erfahren (Die BMBF-Variante von “wer nicht hören will, muss fühlen”). Aber, da wir in einer globalen Welt leben und deshalb dem Austausch von Wissen und Personen verpflichtet sind (nicht zuletzt gibt es eine Reihe von Haushaltsposten, die dem Ziel des Austauschs von Wissenschaftlern zwischen Ländern gewidmet sind, und die kann man nicht einfach streichen…), gibt es das ganze in der Schönwetterrhetorik von Helge Braun, Parlamentarischer Staatssekretär “bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung…: ‘Unsere Politik, jungen Wissenschaftlern Anreize zu geben, damit sie im Ausland studieren und forschen, trägt Früchte für beide Seiten. Das Gastland profitiert von den Ideen junger Deutscher, aber die meisten kehren in ihre Heimat zurück und tragen zur Innovationsfähigkeit Deutschlands bei”.

Eine wahrhaft patriotische Aussage, die Herr Braun da macht. Seine Aussage basiert auf einer “[a]uf Anregung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF)” durchgeführten “Erhebung”, die man zwar nicht über den entsprechenden Link beim BMBF, aber doch findet, wenn man etwas sucht. Es ist dies eine Studie in der “alle Teilnehmer der von GAIN organisierten Jahrestagungen von 2004 bis 2011 befragt (insgesamt 1.665 Personen)” wurden. Diesen einleitenden Sätzen der Pressmitteilung des BMBF folgt die patriotische Aussage von Herrn Braun, die wiederum von dem, was ich nunmehr etwas ausführlicher zitieren will, gefolgt wird:

“Wesentliche Ergebnisse der vom Umfragezentrum Bonn (Rücklaufquote 48%) durchgeführten Erhebung sind: … Bei den Teilnehmern der Tagungen 2004 bis 2009 lag der Anteil der Rückkehrer bei mehr als zwei Dritteln. Weniger als 30% dieser Gruppe verblieben in Nordamerika, und auch von diesen nicht viele auf Dauer. Von den Teilnehmern der Tagung 2010 lag der Anteil der Rückkehrer bei 48,4% von den Teilnehmern der Tagung im September 2011 waren zum Befragungszeitpunkt Januar bis März 2012 erwartungsgemäß nur 12,9% zurückgekehrt. … Der direkte Vergleich zeigt, dass die Chance, eine dauerhafte Stelle zu bekommen, in Deutschland besser ist als in den USA. …12,5% der Zurückgekehrten haben eine W2- oder W3-Professur in Deutschland, die mit einer Dauerstelle (‘Tenure’) in den USA vergleichbar ist. 10.7% haben eine Juniorprofessur. …”

Soweit, so gut. Nun zur Wirklichkeit, die wie sich zeigen wird, dem schönen Schein, von dem Herr Braun und das BMBF so angetan sind, nicht ganz entspricht (ich habe auf die das “gar nicht” verzichtet, weil man Menschen, die sich in einer Traumwelt eingerichtet haben, nicht schlagartig in die Realität zurückholen soll…).

Zunächst zwei Fragen: Wie viele Befragte, und welche Befragte haben an der “Erhebung” teilgenommen?
1.665 Teilnehmer an von GAIN organisierten Jahrestagungen? Oder 811 Teilnehmer an von GAIN organisierten Jahrestagungen. Falls Sie 1.665 Teilnehmer für die richtige Anwtort halten, weil sie die einzige im Text genannte Zahl ist, sie ist es nicht. Das verschämte “(Rücklaufquote 48%)” im Text, weist auf die richtige Zahl der befragten Teilnehmer hin: 811 (~48% von 1.665), die wiederum im Text nicht genannt wird. Beim BMBF ist man offensichtlich der Ansicht, 811 sei eine zu kümmerliche Anzahl von Befragten, und deshalb führt man die Leser der Pressemitteilung absichtlich in die Irre, in dem man die Zahl 1.665 in den Raum stellt, also die Zahl der Personen, die im Rahmen der “Erhebung” angeschrieben wurden und unterschlägt, dass “nur” 811 der angeschriebenen Personen überhaupt an der “Erhebung” teilgenommen haben. Natürlich haben sich die Strategen im BMBF abgesichert und die “(48% Rücklaufquote)” in den Text gepackt, und natürlich hatten sie nur lautere Motive, und ich unterstelle ihnen hier nur, dass sie die Leser der Pressemitteilung an der Nase herumführen wollen.

Nun gut, gewähren wir dem BMBF den “benefit of a doubt” und wenden uns einer weiteren interessanten Frage zu: Was um aller Götter Willen sind Teilnehmer an GAIN Jahrestagungen? GAIN ist das German Academic International Network, mit dem die Alexander von Humboldt-Stiftung, der deutsche Akademische Auslandsdienst und die Deutsche Forschungsgemeinschaft versuchen, Kontakt zu ihren Stipendiaten zu halten, die sich in den USA oder Kanada befinden. Das ist der erste interessante Hinweis: Stipendiaten. Der zweite interessante Hinweis besteht darin, dass die Teilnehmer an den Jahrestagungen ein Interesse daran haben, Kontakt mit Deutschland, mit der deutschen Wissenschaftslandschaft zu halten. Sie sind eine selegierte Population und insofern nicht einmal im Entferntesten repräsentativ für deutsche Wissenschaftler in den USA oder Kanada, geschweige denn deutsche Wissenschaftler im Ausland. Wie ein weiterer Blick in die Ergebnisse der in der Pressemeldung angesprochenen “Erhebung” zeigt, handelt es sich bei den Teilnehmern der “Jahrestagung” überwiegend um Stipendiaten oder Postdoktoranden, die ihren Aufenthalt in den USA oder in Kanada dazu nutzen wollen, ihre Kompetenzen zu erweitern, ihr Humankapital zu erhöhen und entsprechend ihren Marktwert zu steigern. Sie gehen also in die USA oder nach Kanada, um nach Rückkehr nach Deutschland in Deutschland eine besser bezahlte Stelle zu erzielen als ihnen dies vor ihrem Auslandsaufenthalt möglich gewesen wäre.

Die Teilnehmer der Jahrestagung sind also rückkehrwillige Akademiker, die man als wissenschaftliche Expatriats bezeichnen kann. Sie gehen ins Ausland für eine bestimmte Zeit und haben vor, nach dieser Zeit zurückzukehren und mehr zu verdienen als vor dem Auslandsaufenthalt. Sie sind eine kleine Auswahl aus der Menge der deutschen Wissenschaftler in den USA und Nordamerika, und sie sind eine verzerrte Auswahl, weil bereit, auf Konferenzen von GAIN zu erscheinen. Und, wie die “Erhebung” bzw. der Bericht zur “Erhebung” weiter feststellt, sind die meisten von Ihnen sowieso nur für bestimmte Zeit in den USA oder Kanada: “Die mittlere Dauer des letzten bzw. aktuellen Aufenthalts in Nordamerika betrug etwa zwei Jahre. Dies entspricht der typischen Dauer eines Post-Doc-Aufenthaltes in den USA oder Kanada” (55).

Wenn der Aufenthalt in den USA oder Kanada aber der Weiterqualifikation dient und die Rückkehr von Anfang an geplant ist, dann sind die Behauptungen in der Pressemitteilung falsch bzw. irreführend: Dass jemand, der in den USA oder in Kanada weilt, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass er nach Rückkehr eine Professur einehmen kann, nach Deutschland zurückkehrt, wenn ihm eine entsprechende Stelle winkt, ist kaum verwunderlich. Verwunderlich ist auch nicht, dass er als Postdoktorand der sich in den USA weiterqualifiziert, weniger verdient als als W3-Professor in Deutschland. Interessant an den Ergebnissen, die auf den Aussagen von 811 im Wesentlichen Postdoktoranden, die einen zeitlich begrenzten Aufenthalt in den USA angetreten haben, ist dann vielmehr Folgendes:

  • Obwohl rückkehrwillig sind 38% der befragten GAIN Tagungsteilnehmer bislang nicht nach Deutschland zurückkehrt. Rechnet man diejenigen heraus, die die durchschnittliche Zeit von 2 Jahren Stipendium zum Befragungszeitpunkt noch nicht hinter sich gebracht haben, dann sind 248 der 811 Befragten (also rund 30%) nicht zum zu erwartenden Zeitpunkt nach Deutschland zurückkehrt. Sie haben ganz offensichtlich ihre Pläne geändert und ihren Aufenthalt in den USA oder in Kanada verlängert.
  • Von denjenigen, die nach dem Ende ihres Stipendiums oder ihres Postdoktorandenaufenthalts die USA oder Kanada wieder verlassen haben, sind 332 nach Deutschland zurückgekehrt, während 68 in “andere Länder außerhalb von Deutschland” gezogen sind. Dass diese 68 Wissenschaftler dennoch in der “Erhebung” als “Rückkehrer” gezählt werden (Seite 7, Fussnote 2), ist nur eine weitere Eigenartigkeit des vorliegenden Berichts.
  • Wie die Antworten der Wissenschaftler, die in der “Erhebung” befragt wurden, deutlich machen, ist für die Rückkehr nach Deutschland aussschlaggebend, dass man sich beruflich verbessern kann. Insofern ist es nichts, was man feiern könnte, wenn 12,5% der Zurückgekehrten eine W2- oder W3-Professur inne haben. Vielmehr wären die entsprechenden Wissenschaftler nach eigenen Angaben kaum nach Deutschland zurückgekehrt, hätte sich keine berufliche Verbesserung ergeben. Dies zeigt sich bereits daran, dass (eine Zahl, die das BMBF obwohl in der selben Tabelle wie die zitierten 12,5% unterschlägt) 13,5% derjenigen, die zwar aus den USA abgewandert, aber nicht nach Deutschland zurückgekehrt sind, eine W2- oder W3-Professur bekleiden.

Alles in allem ergibt sich bei näherem Hinsehen ein anderes Bild als der schöne Schein, den das BMBF zur Bewusstseinsbildung nutzen will: Der Post-Doc-Aufenthalt in den USA wird als Schritt auf dem Karriereweg gesehen, mit dem die Hoffnung auf ein höheres Einkommen verbunden wird. Der Aufenthalt in den USA oder Kanada, den die meisten der in dieser selegierten Stichprobe Befragten, nach eigenen Angaben mit einem Rückkehrwunsch beginnen, führt dennoch nicht bei allen zur Rückkehr. Mit anderen Worten, auch innerhalb der Gruppe der Wissenschaftler, die einer Rückkehr wohlgesonnen gegenüber stehen, gibt es einen Aderlass von rund 30%, 30%, die nicht nach Deutschland zurückkehren, weil sie ein besseres (Berufs-)Leben anderswo gefunden haben. Diese Realität zu verdrehen, ist offensichtlich das Ziel der BMBF-Pressemitteilung, die in ihrem Titel “Standort Deutschland ist attraktiv” einen frommen Wunsch formuliert, der im Untertitel mit einer Unwahrheit belegt werden soll: “Über zwei Drittel aller deutschen Wissenschaftler in Nordamerika kehren in ihre Heimat zurück”.

Dieser Untertitel ist schlicht erlogen, denn es wurden nicht “alle deutschen Wissenschaftler” in Nordamerika befragt, sondern nur diejenigen, die sich auf den Jahreskonferenzen von GAIN einfinden (rund 300) und von diesen Wissenschaftlern haben es 52% abgelehnt, an der Befragung teilzunehmen. Die “Erhebung” basiert somit auf einer doppelt selegierten Gruppe von rückkehrwilligen Deutschen und das ist dann doch etwas anderes als “zwei Drittel aller deutschen Wissenschaftler in Nordamerika” – jedenfalls in der normalen Welt, in der Welt des schönen Scheins, in der sich die Mannen im BMBF gegenseitig Geschichten erzählen, scheint dies anders zu sein.

Bildnachweis
Beyond Chron

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